BVwG I405 2241279-2

BVwGI405 2241279-230.9.2022

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:I405.2241279.2.00

 

Spruch:

I405 2221325-2/6E

I405 2225316-2/7E

I405 2241279-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria (BF1), vertreten durch BBU, Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.12.2021, Zl. XXXX ,

2.) XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria (BF2), gesetzlich vertreten durch ihre Mutter XXXX , diese wiederum vertreten durch BBU, Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.12.2021, ZI. XXXX und

3.) XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria (BF3), gesetzlich vertreten durch seine Mutter XXXX , diese wiederum vertreten durch BBU, Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.12.2021, ZI. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.07.2022, zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

Die Verfahren der Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1), der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2) und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers (im Folgenden: BF3) werden gemäß § 34 AsylG 2005 und § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

I. Verfahrensgang:

1. Die BF1 ist die Mutter der minderjährigen BF2 und des minderjährigen BF3, die allesamt Staatsangehörige von Nigeria sind.

2. Die BF1 reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 27.04.2016 erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei sie zu ihrem Fluchtgrund zusammengefasst vorbrachte, von ihrer Stiefmutter schlecht behandelt und geschlagen worden zu sein. Auch habe diese sie zur Arbeit gezwungen.

3. Eine EURODAC-Abfrage zu ihrer Person ergab, dass die BF1 bereits am 30.03.2016 in Italien erkennungsdienstlich behandelt wurde.

4. In weiterer Folge wurde der Antrag der BF1 mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 10.10.2016 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates Italien zur Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF1 gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

5. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.12.2016, Zl. W212 2137949-1/9E gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

6. Die BF1 konnte in weiterer Folge nicht nach Italien überstellt werden, zumal sie sich dem Verfahren entzog und untertauchte.

7. Am XXXX wurde die minderjährige BF2 als Tochter der BF1 und des XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , ebenfalls Staatsangehöriger von Nigeria, in Österreich nachgeboren, woraufhin die BF1 für sie als deren gesetzliche Vertreterin am 12.11.2018 im Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

8. Am 25.01.2019 stellte die BF1 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, wobei sie im Wesentlichen vorbrachte, dass ihr Vater Moslem und ihre Mutter Christin sei. Ihr Vater habe gewollt, dass diese zum Islam konvertiere, ihre Mutter habe sich jedoch geweigert und infolgedessen das Haus verlassen. Ihr Vater habe daraufhin eine andere Frau geheiratet, die sich schlecht behandelt und gezwungen habe, der Prostitution nachzugehen, weshalb sie schließlich Nigeria verlassen habe. Außerdem habe sie nunmehr eine Tochter, welche im Falle einer Rückkehr beschnitten werden würde.

9. Mit Bescheiden des BFA jeweils vom 07.06.2019 wies die belangte Behörde die Anträge der BF1 und der BF2 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie den BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen die BF eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde bestimmt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

10. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.12.2019, Zlen. I405 2221325-1/9E, I405 2225316-1/3E wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

11. Den dagegen erhobenen Beschwerden wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 21.09.2020, Zl. E 542-543/2020-21 stattgegeben und das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.12.2019 insoweit aufgehoben, als damit die Beschwerden der BF gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Aussprüche, dass die Abschiebungen nach Nigeria zulässig seien sowie die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurden. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

12. Daraufhin wurden die Beschwerden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.01.2021, Zlen. I405 2221325-1/23E und I405 2225316-1/13E hinsichtlich der aufgehobenen Spruchpunkte rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

13. Die BF1 und die BF2 kamen in weiterer Folge ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach, vielmehr stellte die BF1 am 26.05.2021 zwei Anträge auf internationalen Schutz für sich und die BF2.

14. Die BF1 wurde hierzu am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer niederschriftlichen Erstbefragung unterzogen, in welcher sie befragt zu den Gründen der gegenständlichen Antragstellungen angab, ihre bereits im vorangegangen Asylverfahren ins Treffen geführten Fluchtgründe nach wie vor aufrecht zu halten. Außerdem sei sie in Österreich als ein Opfer von Menschenhandel anerkannt worden. Sie habe offene Schulden in Höhe von € 15.000, -- bei den Personen, die sie nach Österreich verbracht hätten und habe Angst, dass ihr sowie ihren Kindern im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria etwas zustoßen werde. Für die BF2 wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

15. Am XXXX wurde der BF3 als Sohn der BF1 und des XXXX in Österreich nachgeboren. Der für ihn in weiterer Folge am 29.10.2020 von der BF1 als seine gesetzliche Vertreterin gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.06.2021, Zl. I407 2241279-1/2E rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Am 14.09.2021 stellte die BF1 erneut für den BF3 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei sie in der am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung keine eigenen Fluchtgründe für diesen geltend machte. Vielmehr führte sie abermals an, die Schulden bei ihrem Schlepper nicht bezahlen zu können, weshalb sie Morddrohungen erhalte. Ihr Leben und auch das ihres Sohnes sei in Gefahr.

16. Am 20.10.2021 wurde die BF1 durch das BFA niederschriftlich einvernommen, wobei sie ihr bisheriges Vorbringen konkretisierte und anführte, ab Februar 2021 Drohanrufe erhalten zu haben, in denen sie aufgefordert worden sei, ihre offenen Schulden bei dem in den Menschenhandel involvierten XXXX zu bezahlen. Man habe ihr mit dem Tod gedroht, woraufhin sie Anzeige bei der Polizei erstattet hätte. Außerdem gab sie an, dass sie vor ihrer Ausreise aus Nigeria einen Schwur bei einem Naturdoktor ablegen habe müssen. Im Zuge ihrer Befragung legte die BF zur Untermauerung ihres Vorbringens ein Schreiben der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels (LEFÖ) vom 19.10.2021, mehrere Drohnachrichten in englischer Sprache von unbekannten Kontakten, eine Zeugenvernehmung beim Landeskriminalamt XXXX vom 25.05.2021 sowie eine Anordnung der Festnahme der Staatsanwaltschaft XXXX vom 26.07.2021 vor.

17. Am 28.10.2021 langte beim BFA eine Stellungnahme der BF1 zu den ihr übermittelten Länderberichten zu Nigeria ein.

18. Mit gegenständlich angefochtenen Bescheiden jeweils vom 10.12.2021, Zln. XXXX (BF1), XXXX (BF2) und XXXX (BF3) wies die belangte Behörde die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie den BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen die BF eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde bestimmt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

19. Mit den am 05.01.2022 beim BFA eingebrachten Schriftsätzen erhoben die BF fristgerecht und vollumfänglich Beschwerde gegen die vorangeführten Bescheide wegen Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

20. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakte wurden in weiterer Folge vom BFA vorgelegt und sind am 21.01.2022 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

21. Am 21.07.2022 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an welcher die BF, deren Rechtsvertretung sowie eine Vertrauensperson teilnahmen. Im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Englisch wurde die BF1 ua. zu ihrer Identität, den persönlichen Lebensumständen, zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat, zu den Fluchtgründen sowie zu ihrem Leben in Österreich ausführlich befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen der BF:

Die volljährige BF1 ist die Mutter der minderjährigen BF2 und des minderjährigen BF3. Allesamt sind Staatsangehörige von Nigeria, Angehörige der Volksgruppe der Igbo und christlichen Glaubens. Die Identität der BF1 steht nicht fest, jene der BF2 und des BF3 steht fest. Seit 08.03.2021 sind die BF in einer Opferschutzeinrichtung der LEFÖ untergebracht.

Die BF sind gesund, sie leiden an keinen schweren chronischen oder gar lebensbedrohlichen Erkrankungen. Die BF1 ist überdies arbeitsfähig.

Vor ihrer Ausreise aus Nigeria lebte die BF1 in Benin City, ihre Familie lebt nach wie vor dort und besteht zumindest aufrechter Kontakt zur Mutter und zu den Geschwistern der BF1. Sie hat in Nigeria mehrere Jahre lang die Schule besucht und verfügt über Berufserfahrung als Friseurin. Des Weiteren spricht die BF1 Beni und Englisch, die Mehrheitssprache ihrer Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Es ist davon auszugehen, dass die BF1 auch hinkünftig die Chance hat am nigerianischen Arbeitsmarkt unterzukommen und sich eine Existenz zu sichern.

Die BF1 führt mit XXXX , der ebenfalls Staatsangehöriger von Nigeria ist, bis zu ihrer Unterbringung in einer Opferschutzeinrichtung der LEFÖ eine Beziehung, aus welcher die am XXXX gemeinsame Tochter, nämlich die BF2 sowie der am XXXX geborene Sohn, nämlich der BF3 entstammen. Bis zu ihrer Unterkunftnahme lebten die BF mit diesem im gemeinsamen Haushalt. Der Kindsvater ist derzeit nicht mehr aufrecht im Bundesgebiet gemeldet.

Der Kindsvater hat ebenfalls am 10.07.2012 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Das BFA wies seinen Antrag hinsichtlich Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Die dagegen gerichtetete Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.08.2019, Zl. I419 2221798-1/4E als unbegründet abgewiesen.

Ansonsten verfügen die BF über keine familiären Bezüge im Bundesgebiet.

Die BF1 ist spätestens am 26.04.2016 unrechtmäßig in Österreich eingereist. Die BF2 und der BF3 sind seit ihrer Geburt durchgehend im Bundesgebiet aufhältig.

Die BF beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und sind demnach nicht selbsterhaltungsfähig. Die BF1 war in Österreich als Friseurin tätig, derzeit übt sie keine nachhaltige Erwerbstätigkeit aus, sie ist am Arbeitsmarkt nicht integriert. Sie ist Mitglied einer afrikanischen Kirchengemeinschaft, besucht einen Nähkurs und hat mehrere nigerianische Freunde. Im Jahr 2019 hat sie an einem Basisbildungskurs (Deutsch, Niveau A2 intensiv) des Bildungs-, Beratungs- und Therapiezentrums für Immigrantinnen sowie an einem weiteren beim Verein XXXX teilgenommen. Außerdem besucht sie ein Arbeitstraining inklusive Deutschkurs beim Verein „ XXXX “, über zertifizierte Deutschkenntnisse verfügt die BF1 jedoch auch nach ihrem rund sechsjährigen Aufenthalt nicht. Sowohl die BF2 als auch der BF3 besuchen regelmäßig einen Kindergarten.

Die BF1 ist in Österreich bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Die BF2 und der BF3 sind strafunmündig.

Die BF1 wurde am 25.05.2021 als Zeugin wegen des Verdachts des Menschenhandels zu ihrem Nachteil vom Landeskriminamt XXXX einvernommen. Am 26.07.2021 ordnete die Staatsanwaltschaft XXXX aufgrund gerichtlicher Bewilligung die Festnahme des XXXX , geb. XXXX wegen des Verdachts des Vergehens der Schlepperei nach § 114 Abs. 1 FPG, des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs. 1, 1. Fall StGB, des Verbrechens des Menschenhandels nach § 104a Abs. 1 StGB und des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 3 StGB an. Am 27.07.2021 wurde das Verfahren gegen XXXX und weitere unbekannte Täter seitens der Staatsanwaltschaft XXXX abgebrochen, wobei begründend ausgeführt wurde, dass die Täter flüchtig oder abwesend seien. Aus der am 10.11.2021 bei der belangten Behörde eingelangten Stellungnahme der LPD XXXX geht hervor, dass keine weiteren Ermittlungen durchgeführt werden, da der Verdächtige bereits abgeschoben worden sei.

1.2. Zu den Fluchtmotiven der BF:

Auch wenn gegenständlich die BF1 Opfer von Menschenhandel wurde, droht ihr im Falle einer Rückkehr nach Nigeria keine Gefahr von dem Menschenhändlernetzwerk gegen ihren Willen erneut nach Europa verbracht bzw. anderweitig verfolgt zu werden. Auch liefe sie im Falle einer Rückkehr nach Nigeria nicht der Gefahr, von ihren in Nigeria befindlichen Bezugspersonen stigmatisiert und verstoßen und damit letztlich wieder in die Prostitution gezwungen zu werden.

Es ist der BF1 damit insgesamt nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung glaubhaft zu machen.

Für die BF2 und den BF3 wurden dieselben Fluchtgründe wie für die BF1 ins Treffen geführt.

Im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria werden die BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Darüber hinaus kann die BF1 gemeinsam mit ihren Kindern, der BF2 und den BF sowie deren Vater nach Nigeria zurückkehren, sie werden dort in keine die Existenz bedrohende Lage geraten.

1.3. Zur allgemeinen Situation in Nigeria:

Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat der BF stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 01.09.2021

Die vorliegende Länderinformation geht nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID-19- Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen dagegen ein. Solche Informationen werden, soweit vorhanden, in einem eigenen Kapitel zur Verfügung gestellt, sind jedoch aufgrund der Möglichkeit sich diesbezüglich rasch verändernder Entwicklungen im Land als Momentaufnahme zu sehen.

Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/ emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/i ndex.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu besuchen.

COVID-19

Letzte Änderung: 23.05.2022

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19-Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenige Tests durchgeführt werden. Mit Stand 10.5.2022 sind in Nigeria 255.802 Covid-19-Fälle erfasst, davon 2.723 aktive Fälle. Es gab bis dato offiziell 3.143 Tote aufgrund von COVID-19, getestet wurden 5,114.703 (Africa CDC 10.5.2022).

Seit dem 2.4.2022 müssen doppelt geimpfte Personen vor Abreise und nach der Ankunft keinen COVID-19 PCR-Test mehr durchführen lassen. Nicht vollständig geimpfte Reisende müssen beim Einchecken nach Nigeria einen negativen COVID-19 PCR-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Außerdem müssen sie sich in Nigeria am 2. und am 7. Tag einem PCR-Test unterziehen. Zudem müssen sie sich sieben Tage in Selbstquarantäne begeben (WKO 24.4.2022).

Die COVID-19-Krise festigt die Geschlechterungleichheit am Arbeitsmarkt. Im Juli/August 2018 haben 82 Prozent der Männer und 72 Prozent der Frauen im Arbeitsalter gearbeitet, jedoch sind diese Anteile mit Stand September 2020 auf 78 Prozent bei Männern und 65 Prozent bei Frauen gesunken (STDOK 3.12.2021).

2020 wurde die Wirtschaft des Landes schwer durch den COVID-bedingten Verfall der internationalen Ölpreise getroffen. Für 2020 wird mit einem Rückgang des BIP von ca. 3,2 Prozent bei einem Wachstum der Bevölkerung in etwa gleicher Höhe gerechnet. Bereits im 4. Quartal 2020 hat die Wirtschaft jedoch wieder zu expandieren begonnen. 2021 sollte sie, getragen von Ölpreisen um 60 US-Dollar pro Fass, um 1,5 bis 2,5 Prozent real wachsen (WKO 2.11.2021).

Anm.: Diese Informationen zu COVID-19 sind zum Teil ebenfalls in den Kapiteln Relevante Bevölkerungsgruppen / Frauen, medizinische Versorgung und Grundversorgung eingepflegt.

Quellen:

Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (10.5.2022): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/ covid-19/, Zugriff 12.5.2022

STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.12.2021): Themenbericht - Zur sozioökonomischen Lage der und Gewalt gegen Frauen unter Hinzunahme der Informationen der FFM Nigeria 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066684 /NIGR_THEM_Frauen_2021_12_03_KE.pdf, Zugriff 24.1.2022

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (24.4.2022): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nig eria.html, Zugriff 10.5.2022

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.11.2021): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko. at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html, Zugriff 21.1.2022

Politische Lage

Letzte Änderung: 23.05.2022

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2021; vgl. AA 22.2.2022) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt. Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) geführt. Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 22.2.2022).

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem präsidialen Regierungssystem (AA 23.3.2021). Die Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Elemente eines demokratischen Rechtsstaates, einschließlich eines Grundrechtskataloges, und orientiert sich insgesamt am US-Präsidialsystem. Einem starken Präsidenten, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, und einem Vizepräsidenten, stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und der ebenfalls direkt gewählten Gouverneure. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität und häufig auch mit undemokratischen und gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 22.2.2022).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen und machtstrategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 22.2.2022). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 28.2.2022).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 12.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 2 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 12.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation (GIZ 12.2020a).

Aus den Parlamentswahlen [Anm.: Parallel zu den Präsidentschaftswahlen] im Feber 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress“ (APC) siegreich hervor. Der Regierungspartei APC gelang es zudem, ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung zu vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party“ (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. Die PDP stellt eine starke Opposition für die APC dar und bleibt v.a. im Süden und Südosten des Landes die treibende politische Kraft (AA 22.2.2022).

Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 12.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/20686 57/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante _Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf, Zugriff 21.4.2022

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.3.2021): Nigeria - Politisches Porträt, https://www.ausw aertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844, Zugriff 20.5.2021

BBC - BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/ news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 23.8.2021

DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by ’systemic failings’, https: //www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a-47858131, Zugriff 20.5.2021

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2068780.html, Zugriff 21.4.2022

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 1.9.2021 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf, Zugriff 12.1.2022

Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/go vernor/2019, Zugriff 20.5.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 23.05.2022

Im Nordwesten des Landes ist organisierte Bandenkriminalität präsent, v. a. in den Bundesstaaten Zamfara, Katsina und Kaduna. Bei schweren Überfällen auf Dörfer werden dabei regelmäßig Zivilisten getötet, verschleppt und vertrieben (AA 22.2.2022; vgl. EASO 6.2021). Seit Dezember 2020 wurden mehr als 1.000 Schüler entführt und viele wurden erst wieder nach Zahlung eines hohen Lösegelds freigelassen (BBC 19.7.2021).

Im Nordosten hat sich die Sicherheitslage nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 weiter verschlechtert (AA 22.2.2022), Angriffe erfolgen vorwiegend durch Boko Haram sowie ISIS-WA [Islamischer Staat Westafrika] in den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa (UKFCDO 8.5.2022). Die Aktivitäten der Islamisten haben sich von den nordöstlichen Staaten in die nordwestlichen Staaten ausgeweitet (EASO 6.2021). Obwohl Präsident Buhari in den ersten Jahren seiner Regierungszeit angab, Boko Haram „technisch“ besiegt zu haben, gibt er nun [Anm.: Stand Juli 2021] zu, dass es seiner Regierung nicht gelingt, den Aufstand zu stoppen (BBC 19.7.2021).

Der seit Jahrzehnten schwelende und immer wieder aufflammende Konflikt zwischen Hirten und Bauern im sog. „Middle Belt“ in Zentralnigeria um knapper werdende Ressourcen dauert weiter an (AA 22.2.2022; vgl. FH 28.2.2022). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig (AA 22.2.2022). Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 22.2.2022; vgl. EASO 6.2021). Tausende sind in dem Konflikt um knappe Ressourcen getötet worden (BBC 19.7.2021).

Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt latent konfliktanfällig. In Nigeria selbst haben die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und der seit 2017 als „terroristische Vereinigung“ verbotenen IPOB zugenommen (AA 22.2.2022). In der letzten Zeit hat es dort eine zunehmende Zahl von Angriffen gegeben (UKFCDO 8.5.2022). Im Niger-Delta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltdegradation, jahrzehntelange Benachteiligung, kaum vorhandene Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen und Korruption (AA 22.2.2022).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In allen Regionen können unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das westliche Taraba und das östliche Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. inner-ethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen. In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen am 19.5.2021 die „Operation Restore Peace“ in 4 diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen. In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt. Auch Angriffe auf dort tätige humanitäre Hilfsorganisationen waren zu verzeichnen. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 und im Oktober 2020 [Anm.: im Rahmen der EndSARS Proteste] forderten diese in Abuja, Lagos und anderen Städten zahlreiche Todesopfer (AA 8.4.2022).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden (DS 16.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Nach Oktober 2020 wurde eine Kommission aus Nationaler Menschenrechtskommission (NHRC) und zivilgesellschaftlichen Gruppen zur Untersuchung der Polizeieinsätze während der Protestwelle eingesetzt (EASO 6.2021).

In der Zeitspanne Mai 2021 bis Mai 2022 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (1.702), Niger (1.504), Zamfara (1.458). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Kano (8), Ekiti (8), Gombe (17) (CFR 5.2022). Gemäß dem Global Peace Index 2020 findet sich Nigeria auf Platz 147 von 163 Ländern. Gemäß Brooking haben intensive Unsicherheit und Gewalt seit 2018 in Nigeria Bestand bzw. haben diese zugenommen (EASO 6.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.4.2022): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeri asicherheit/205788#content_5, 11.5.2022

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/20686 57/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante _Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf, Zugriff 21.4.2022

BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria’s security crises - five different threats, https://www.bbc.co m/news/world-africa-57860993, Zugriff 18.8.2021

BBC - BBC News (25.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345 , Zugriff 21.2.2021

CFR - Council on Foreign Relations (5.2022): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483 , Zugriff 11.5.2022DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-niger ia-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 28.10.2020

EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf, Zugriff 17.8.2021

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2068780.html, Zugriff 20.4.2022

Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-kil lings-and-brutality, Zugriff 28.10.2020 5UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (8.5.2022): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 11.5.202

Nigerdelta

Letzte Änderung: 23.05.2022

Im Niger-Delta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltdegradation, jahrzehntelange Benachteiligung, kaum vorhandene Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen und Korruption. Die politische Bewegung für das Überleben der Ogoni, MOSOP („Movement for the Survival of the Ogoni People“) oder der Rat der Ijaw-Jugend, IYC („Ijaw Youth Council“), erheben Forderungen nach größerer Autonomie und Entschädigung für verursachte Umweltschäden. Erst im August 2021 hat ein niederländisches Gericht die Firma Shell verurteilt, 111 Millionen US-Dollar für in den 1970er-Jahren verursachte Umweltschäden durch Ölförderungen an betroffene Gemeinden im Süden Nigerias zu zahlen (AA 22.2.2022).

Im Nigerdelta bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben (ÖB 10.2021). Entführungen auf See sind nach wie vor an der Tagesordnung, da militante Gruppen im Nigerdelta Piraterie und damit verbundene Verbrechen begehen (USDOS 12.4.2022).

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen (AA 22.2.2022). 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts (AA 22.2.2022; vgl. ACCORD 21.12.2021). Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein neuer Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2021; vgl. ACCORD 21.12.2021). Das Amnestieprogramm ist verlängert worden (AA 22.2.2022).

Die Lage bleibt aber sehr fragil (AA 22.2.2022; vgl. ACCORD 21.12.2021), da weiterhin kaum eine nachhaltige Verbesserung für die Bevölkerung erkennbar ist (AA 22.2.2022). Der Konflikt betrifft die Staaten des Nigerdeltas: Abia, Akwa-Ibom, Bayelsa, Cross River, Delta, Edo, Imo, Ondo und Rivers (EASO 6.2021; vgl. UKFCDO 8.5.2022). Vergleicht man 2018 und 2019, so stieg das Konfliktrisiko und tödliche Gewalt nahm zu. 2020 führte zu einem weiteren Anstieg der Gewalt und des Konfliktrisikos, die Zahl an Todesopfern nahm hingegen ab (EASO 6.2021). Militante Gruppen sind in der gesamten Region des Nigerdeltas aktiv und haben eine Reihe von Anschlägen auf die Öl- und Gasinfrastruktur verübt. In der Region des Nigerdeltas besteht ein hohes Risiko von bewaffneten Raubüberfällen, Kriminalität und Entführungen (UKFCDO 12.5.2022). Bewaffnete Kultgruppen stellen weiterhin ein Sicherheitsrisiko in der Region dar (BBC 19.7.2021).

Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 22.2.2022).

Im Jahr 2021 gingen Sicherheitskräfte zudem vermehrt gegen das Eastern Security Network (ESN), den militanten Arm der verbotenen separatistischen Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) vor. Im Februar 2021 wurden im Bundesstaat Imo in Orlu und Orsu bei Angriffen auf ESN-Lager Helikopter und hunderte Soldaten eingesetzt. Im März 2021 kam es zu Angriffen auf Polizeibeamte und -einrichtungen seitens Mitgliedern des ESN. Soldaten töteten 16 ESN-Mitglieder in der Stadt Aba im Bundesstaat Abia. Im April 2021 führten Sicherheitskräfte in der Stadt Awomama eine Razzia im ESN-Hauptquartier durch und töteten 11 Personen (ACCORD 7.6.2021). Am 21.10.2021 löste der Prozess gegen den wegen Terrorismus und Landesverrat angeklagten Biafra-Separatistenführer Nnamdi Kanu Abriegelungen im Süden Nigerias aus (ACCORD 21.12.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (21.12.2021): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/laender/nigeria/themendossiers/sicherheitslage/ , Zugriff 25.1.2022

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (7.6.2021): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/laender/nigeria/themendossiers/sicherheitslage/ , Zugriff 20.8.2021

BBC - BBC News (19.7.2021): Nigeria's security crises - five different threats, https://www.bbc.com/news/world-africa-57860993 , Zugriff 18.8.2021

EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (8.5.2022): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 12.5.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 23.05.2022

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 22.2.2022; vgl. FH 28.2.2022, ÖB 10.2021, USDOS 12.4.2022). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022, FH 28.2.2022). Die Justiz kann ein volles Ausmaß der Checks and Balances nicht gewährleisten (BS 23.2.2022). Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 12.4.2022). Die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 22.2.2022; vgl. FH 28.2.2022, USDOS 12.4.2022, ÖB 10.2021). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 28.2.2022).

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 10.2021). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 22.2.2022). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2021). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 22.2.2022). In Militärgerichten finden nur Verfahren gegen Militärangehörige statt, Berufungen können allerdings an die Zivilgerichte gehen (USDOS 12.4.2022).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 22.2.2022). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem ("Common Law" oder "Customary Law") durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben „Scharia-Gerichte“ neben "Common Law" und "Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2021).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o.Ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 22.2.2022). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren in angemessener Zeit, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen werden auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet, v. a. aufgrund von Personalmangel (USDOS 12.4.2022). V. a. das Recht auf ein zügiges Verfahren wird jedoch kaum gewährleistet. Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 22.2.2022).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor Kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 22.2.2022). Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils infrage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 22.2.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 21.4.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 21.4.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 23.05.2022

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-)Polizei [Anm.: National Police Force - NPF], die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 22.2.2022; vgl. EASO 6.2021). Obwohl in absoluten Zahlen eine der größten Polizeitruppen der Welt, liegt die Rate von Polizeibeamten zur Bevölkerungszahl von 1:600 deutlich unter der von der UN empfohlenen Rate von 1:450 (EASO 6.2021). Die nigerianische Polizei ist zusammen mit anderen Bundesorganisationen die wichtigste Strafverfolgungsbehörde. Das Department of State Service (DSS), via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig (USDOS 12.4.2022).

Die nigerianischen Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit (USDOS 12.4.2022). Die nigerianischen Streitkräfte umfassen 2021 schätzungsweise 135.000 Mann, davon 100.000 in der Armee, 20.000 Marine und Küstenwache, sowie 15.000 in der Luftwaffe. Paramilitärische Gruppen werden auf eine Gesamtstärke von 80.000 geschätzt (EASO 6.2021).

In vielen Bundesstaaten wurden als Reaktion auf zunehmende Gewalt, Unsicherheit und Kriminalität, welche die Reaktionsfähigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte überstiegen, lokale "Sicherheits"-Organisationen geschaffen. Diese lokalen Kräfte unterstehen dem Gouverneur des Staates (USDOS 12.4.2022).

Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein. Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die so genannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 22.2.2022).

Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig. Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte, nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2021). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet (AA 22.2.2022).

Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 12.4.2022). Die Regierung scheiterte an der Reorganisation des Militärs und der Polizei trotz hohem finanziellem und personellem Einsatz (BS 23.2.2022). Die Regierung verwendete regelmäßig Disziplinarkommissionen und andere Mechanismen, um Verbrechen während des Dienstes durch Beamte zu untersuchen, aber die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden oft nicht veröffentlicht. Die Beschwerdestelle der nigerianischen Polizei versucht, das Vertrauen der Bürger in die Polizei wiederherzustellen, indem sie die Täter zur Verantwortung zieht. Die neu gestaltete Beschwerdestelle wurde weitgehend als glaubwürdige, wenn auch erst im Entstehen begriffene Maßnahme der Regierung zur Sammlung und Bearbeitung von Beschwerden der Bürger über polizeiliches Fehlverhalten wahrgenommen. Darüber hinaus hat der Polizeiminister im April einen Ausschuss für öffentliche Beschwerden bei der Polizei eröffnet, der es den Bürgern ermöglicht, offizielle Beschwerden über Missstände oder Fehlverhalten von Polizeibeamten einzureichen (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 21.4.2022

EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 23.05.2022

Durch Verfassung und Gesetze sind Folter und andere unmenschliche Behandlungen verboten. Seit Dezember 2017 sind gemäß Anti-Folter-Gesetz Strafen vorgesehen. Gesetzlich ist die Verwendung von unter Folter erlangten Geständnissen in Prozessen nicht erlaubt. Die Behörden respektieren diese Regelung jedoch nicht immer. Ein Gesetz aus dem Jahr 2015 verbietet Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Häftlingen; es schreibt jedoch keine Strafen für Verstöße vor. Zudem muss jeder Bundesstaat konforme Gesetze auch einzeln verabschieden, was bis 2020 in mehr als drei Viertel der nigerianischen Bundesstaaten geschehen war, namentlich in Abia, Adamawa, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Bayelsa, Benue, Cross River, Delta, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Imo, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kogi, Kwara, Lagos, Nasarawa, Ogun, Ondo, Osun, Oyo, Plateau, Rivers und Sokoto (USDOS 12.4.2022). Das Vertrauen in den Sicherheitsapparat ist durch immer wieder gemeldete Fälle von widerrechtlichen Tötungen, Folter und unmenschlicher Behandlung in Polizeihaft unterentwickelt (ÖB 10.2021).

Die nigerianischen Sicherheitskräfte sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu begehen (AA 22.2.2022) bzw. Bürgerrechte zu verletzen (BS 23.2.2022). Es gab glaubwürdige Berichte, dass Angehörige der Sicherheitskräfte zahlreiche Übergriffe begangen haben (USDOS 12.4.2022). Neben der Polizei wird auch dem Militär vorgeworfen, extralegale Tötungen, Folter und andere Misshandlungen anzuwenden (FH 28.2.2022; vgl. AA 22.2.2022). Die nigerianischen Sicherheitskräfte verstärkten ihre Operationen zur Aufstandsbekämpfung im Nordosten des Landes und gingen gegen die Bedrohung durch Boko Haram und den ISWAP vor. Dabei verübten sie gravierende Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen unter dem Völkerrecht, einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Verschwindenlassen (AI 29.3.2022), willkürlicher Festnahmen (AI 29.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022) und Haft ohne Kontakt zur Außenwelt (AI 29.3.2022).

Die Special Anti-Robbery Squad (SARS) ging brutal gegen Verdächtige vor. Glaubwürdigen Berichten zufolge kam es zu Folter oder erzwungenen Geständnissen. Im Oktober 2020 wurde die Einheit nach massiven Protesten aufgelöst (EASO 6.2021). SARS wurde nach internationalem Vorbild in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt, und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden (DS 16.10.2020; vgl. EASO 6.2021). Die Protestwelle ging jedoch weiter, der von den Demonstranten verwendete Hashtag ENDSARS wurde lediglich in ENDSWAT umbenannt (DS 16.10.2020).

Zum Teil kommt es zu exzessiven Gewaltanwendungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und extralegalen Tötungen bzw. Verschwindenlassen von Untersuchungshäftlingen. Dies betrifft besonders Schiiten, Biafra-Aktivisten und mutmaßliche Bandenkriminelle (AA 22.2.2022). Im Jahresverlauf 2021 erhielt Amnesty International glaubwürdige Berichte darüber, dass Sicherheitskräfte, darunter auch Angehörige der Polizei und des DSS, Menschen willkürlich festnahmen und Häftlinge ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft hielten. Mindestens 200 Personen – darunter ehemalige Kämpfer aus dem Nigerdelta, Mitglieder der IPOB, #EndSARS-Demonstrierende und Personen, die wegen des Verdachts auf Gefährdung der inneren Sicherheit festgenommen wurden – sollen 2021 unter ungeklärten Umständen Opfer des Verschwindenlassens geworden sein (AI 29.3.2022).

Folter ist in Polizei- oder Militärgewahrsam z.B. im Nordosten Nigerias und im Nigerdelta weiterhin weit verbreitet (AA 22.2.2022). Zudem verweigern Gefängnisbeamte, Polizisten und anderes Personal der Sicherheitskräfte Häftlingen oft Nahrung und medizinische Behandlung, um sie zu bestrafen oder Geld zu erpressen (USDOS 12.4.2022). Auch wenn die nigerianische Verfassung Folter verbietet, kommt es oft zu teilweise schweren Misshandlungen von (willkürlich) Inhaftierten, Untersuchungshäftlingen, Gefängnisinsassen und anderen Personen in Gewahrsam der Sicherheitsorgane. Die Gründe für dieses Verhalten liegen zum einen in der nur schwach ausgeprägten Menschenrechtskultur der Sicherheitskräfte, zum anderen in der mangelhaften Ausrüstung, Ausbildung und Ausstattung insbesondere der Polizei, was sie in vielen Fällen zu dem illegalen Mittel der gewaltsamen Erpressung von Geständnissen führt. Die große Zahl glaubhafter und übereinstimmender Berichte über die Anwendung von Folter in Gefängnissen und Polizeistationen im ganzen Land, die von forensischen Befunden gestützt und von der Polizei teilweise zugegeben werden, bestätigen den Eindruck, die Anwendung von Folter sei ein integraler Bestandteil der Arbeit der Sicherheitsorgane (AA 22.2.2022).

Verfassung und Gesetze verbieten willkürliche Verhaftungen, dennoch nutzen Polizei und Sicherheitskräfte diese Praktik. Die Polizei und andere Sicherheitsdienste sind befugt, Personen ohne vorherige Einholung eines Haftbefehls festzunehmen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass eine Person eine Straftat begangen hat. Das Gesetz schreibt vor, dass Festgenommene auch während des Ausnahmezustands innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt werden müssen und Zugang zu Anwälten und Familienangehörigen haben. In einigen Fällen hielten sich die Mitarbeiter der Regierung und des Sicherheitsdienstes nicht an diese Vorschrift (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung des nordöstlichen Bundesstaats Borno schätzt die Zahl der von Boko Haram entführten Frauen und Mädchen auf insgesamt 3.000. Boko Haram setzt Kinder gezielt als Lastenträger, in Kampfhandlungen und insbesondere Mädchen für Selbstmordattentate ein. Mädchen werden zudem häufig sexuell missbraucht und an Mitglieder der Boko Haram zwangsverheiratet (AA 22.2.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Nigeria 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070310.html , Zugriff 21.4.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 21.4.2022

DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte "Sars"-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 31.5.2021

EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf , Zugriff 17.8.2021

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 20.4.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 23.05.2022

Neben der Nationalen Menschenrechtskommission (NHRC) gibt es eine Vielzahl von Menschenrechtsorganisationen, die sich grundsätzlich frei betätigen können (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Rund 42.000 nationale und internationale NGOs sind in Nigeria registriert; sie sind keinen gesetzlichen Beschränkungen unterworfen (ÖB 10.2021). Die NGOs sind nach Art, Größe und Zielrichtung sehr unterschiedlich und reichen von landesweit verbreiteten Organisationen wie der CLO (Civil Liberties Organization), CD (Campaign for Democracy) und LEDAP (Legal Defense Aid Project), die sich in erster Linie in der Aufklärungsarbeit betätigen, über Organisationen, die sich vorrangig für die Rechte bestimmter ethnischer Gruppen einsetzen, und Frauenrechtsgruppen bis hin zu Gruppen, die vor allem konkrete Entwicklungsanliegen bestimmter Gemeinden vertreten. Auch kirchliche und andere religiös motivierte Gruppierungen sind in der Menschenrechtsarbeit aktiv. Das gilt auch für internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International, die in Nigeria über Regionalvertreter verfügen (AA 22.2.2022). Die professionell tätigen Menschenrechtsorganisationen sind überwiegend in den Bundesstaaten des Nigerdeltas und im muslimisch dominierten Norden tätig (ÖB 10.2021). Trotz der Tatsache, dass die Anzahl der aktiven NGOs steigt, ist die Landschaft der freiwilligen Organisationen gemäß anderer Angaben noch immer mager und geplagt von spärlichen operativen Ressourcen (BS 23.2.2022).

NGOs beobachten die Menschenrechtslage, untersuchen Vorfälle und veröffentlichen ihre Erkenntnisse. Regierungsvertreter reagieren vereinzelt auf Vorwürfe (ÖB 10.2021; vgl. USDOS 12.4.2021). Generell werden Vorwürfe jedoch rasch und ohne Ermittlungen zurückgewiesen. Im Nordosten bedroht Berichten zufolge das Militär NGOs und humanitäre Organisationen (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 21.4.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

Ombudsmann

Letzte Änderung: 23.05.2022

Die National Human Rights Commission (NHRC) wurde basierend auf UN-Erfordernissen gegründet. 1995 nahm die Kommission ihre Arbeit auf. Die NHRC hat Büros in allen 36 Staaten und dem FCT. 900 Angestellte, die meisten Rechercheure, arbeiten für die Kommission (NHRC 9/10.2019). Die NHRC verfügt über Niederlassungen in den sechs politischen Zonen des Landes. Sie veröffentlicht periodische Berichte über spezifische Menschenrechtsverletzungen, u.a. zu Folter oder Haftbedingungen (USDOS 12.4.2022). Die Arbeit der NHRC hat sich verbessert (BS 23.2.2022).

Die Aufgabe der NHRC ist die Förderung und der Schutz der Menschenrechte (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022) sowie die Menschenrechtserziehung (AA 22.2.2022) und die Beobachtung der Menschenrechtslage. Es handelt sich um einen unabhängigen, außergerichtlichen Mechanismus (USDOS 12.4.2022). Derzeit konzentriert sich die NHRC u. a. auf Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte, Diskriminierung im Wirtschaftsleben, Gewalt gegen Frauen sowie Menschenrechtsbildung und -aufklärung (AA 22.2.2022).

Die Arbeit der Kommission läuft folgendermaßen ab: Die Rechercheure der NHRC erhalten eine Beschwerde wegen einer Menschenrechtsverletzung. Der erste Schritt ist es, zu prüfen, ob es sich um eine Menschenrechtsverletzung gemäß einem Menschenrechtsvertrag handelt. Dann wird der Fall einem Team zugewiesen. Die Täter werden in der Folge mit den Anschuldigungen konfrontiert und erhalten die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Die NHRC überwacht auch die Medien (TV, Radio, Zeitungen) und wird aus eigenem Antrieb aktiv, sofern Vergehen das Allgemeininteresse verletzen. Die Kommission setzt allerdings selbst keine Verfolgungshandlungen, sondern überträgt den Fall an die zuständige Behörde, insbesondere die Polizei (NHRC 9/10.2019).

Seit April 2018 ist ein neuer Leiter der NHRC im Amt, der sich insbesondere mit dem Thema menschenrechtlicher Übergriffe von Militär und Polizei beschäftigt. Die Menschenrechtskommission wurde beauftragt, Spezialeinheiten der Polizei zu untersuchen, die sich weitreichender Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben sollen. Bisher blieben alle Untersuchungen ohne rechtliche Konsequenzen (AA 22.2.2022). In der Praxis spielt die NHRC mehr eine beratende, ausbildende und Lobbyismus betreibende Rolle. Im Jahr 2021 gab es keine Berichte über Untersuchungen der Kommission, die Rechtsfolgen gehabt hätten (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 21.4.2022

NHRC – National Human Rights Commission [Nigeria] (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 23.05.2022

Die 1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog inkl. Grund- und Freiheitsrechten (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 10.2021). Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen (AA 22.2.2022). Die Menschenrechtslage hat sich seit Amtsantritt der Zivilregierung 1999 deutlich verbessert - etwa durch die Freilassung politischer Gefangener, relative Presse- und Meinungsfreiheit, die nur vereinzelte Vollstreckung der Todesstrafe (ÖB 10.2021), doch bleibt die Umsetzung der eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen in vielen Bereichen deutlich hinter internationalen Standards zurück (AA 22.2.2022).

Auch bekennt sich die Regierung ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, die auch in der Verfassung als einklagbar verankert sind. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2021).

Viele Probleme bleiben ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels (ÖB 10.2021). Zu den schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gehören glaubwürdige Berichte über: rechtswidrige und willkürliche Tötungen durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; gewaltsames Verschwindenlassen durch die Regierung, Terroristen und kriminelle Gruppen; Folter und Fälle von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung durch die Regierung und terroristische Gruppen (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022); harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftungen oder Inhaftierungen; politische Gefangene; schwerwiegende Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; schwerwiegende Misshandlungen in einem Konflikt, einschließlich Tötungen, Entführungen und Folter von Zivilisten (USDOS 12.4.2022); schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medienfreiheit, einschließlich Gewalt oder Drohungen gegen Journalisten und die Existenz von Verleumdungsgesetzen (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, AI 29.3.2022); schwerwiegende Einschränkungen der Internetfreiheit (USDOS 12.4.2022); erhebliche Eingriffe in die friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 12.4.2022; vgl. AI 29.3.2022); schwerwiegende Korruption in der Regierung; fehlende Ermittlungen und Rechenschaftspflicht bei geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich, aber nicht beschränkt auf häusliche und intime Partnergewalt, sexuelle Gewalt, Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratung, weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung und andere schädliche Praktiken; Gewaltverbrechen, die sich gegen Angehörige nationaler/rassischer/ethnischer Minderheiten richten (USDOS 12.4.2022); das Vorhandensein oder die Anwendung von Gesetzen, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen unter Strafe stellen (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022); und das Vorhandensein der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022). Frauen sind allgegenwärtiger Diskriminierung ausgesetzt (FH 28.2.2022).

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten, strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Im Jahr 2021 gab es Berichte über Auspeitschen in den Bundesstaaten Kaduna und Kano (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Nigeria 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070310.html , Zugriff 21.4.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 20.4.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 31.05.2022

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (FH 28.2.2022; vgl. ÖB 10.2021, AA 22.2.2022, USCIRF 4.2022) und Freiheit der Religionsausübung (ÖB 10.2021). Laut Verfassung darf die Regierung keine Staatsreligion beschließen (USDOS 12.5.2021; vgl. AA 22.2.2022, USCIRF 4.2022), religiöse Diskriminierung ist verboten (USDOS 12.5.2021; vgl. USCIRF 4.2022). Jeder genießt die Freiheit, seine Religion zu wählen, auszuüben, zu propagieren und zu ändern (USDOS 12.5.2021). Im Vielvölkerstaat Nigeria ist die Religionsfreiheit ein Grundpfeiler des Staatswesens. Die Bundesregierung achtet auf die Gleichbehandlung von Christen und Muslimen, z.B. bei der Finanzierung von Gotteshäusern und Wallfahrten. Sie unterstützt den Nigerian Inter-Religious-Council, der paritätisch besetzt ist und die Regierung in Religionsangelegenheiten berät. Ähnliche Einrichtungen wurden auch in mehreren Bundesstaaten erfolgreich eingeführt (AA 22.2.2022). Die Regierung achtet Religionsfreiheit in der Praxis, obwohl von lokalen politischen Akteuren geschürte Gewalt in der Regel straflos bleibt. Die Verfassung verbietet es Gebietskörperschaften, ethnischen oder religiösen Gruppen Vorrechte einzuräumen. In der Praxis bevorzugen Bundesstaaten jedoch die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion (ÖB 10.2021).

Im Jahr 2021 war die Lage der Religionsfreiheit in Nigeria nach wie vor schlecht. Sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure verübten weiterhin weit verbreitete und ungeheuerliche Verstöße gegen die Religionsfreiheit. Trotz der nigerianischen Verfassung Nigerias die Religionsfreiheit schützt, waren nigerianische Bürger mit Blasphemie-Anklagen und -Verurteilungen, Gewalt und Angriffen während religiösen Zeremonien konfrontiert (USCIRF 4.2022).

Manche Gesetze von Landes- und Bundesregierung diskriminieren Mitglieder christlicher oder muslimischer Minderheiten (USDOS 12.5.2021). Die Toleranz gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften und religiösen Gruppen ist auf lokaler Ebene und in der Bevölkerung teilweise unzureichend ausgeprägt. In einigen Bundesstaaten ist die Lage der jeweiligen christlichen bzw. muslimischen Minderheit problematisch, insbesondere wo der Kampf um Ressourcen zunehmend religiös und politisch instrumentalisiert wird. Anders ist die Lage bei den Yoruba im Südwesten Nigerias, bei ihnen sind Mischehen zwischen Muslimen und Christen seit Generationen verbreitet (AA 22.2.2022). NGOs sowie religiöse Organisationen drücken ihre Besorgnis aus, dass die Gewalt zwischen vorwiegend muslimischen Fulani-Nomaden und vorwiegend christlichen Bauern in den nördlich und zentral gelegenen Staaten, religiöse Untertöne hat. Gemäß lokalen Behörden, Wissenschaftlern und Experten spielen dabei aber auch Ethnizität, Politik, Kriminalität, mangelnde Rechenschaft und Zugang zu Justiz sowie der Konflikt um sich reduzierende nutzbare Landflächen eine zentrale Rolle (USDOS 12.5.2021).

Auch die Lage zwischen den Moslems der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minderheit ist teilweise stark angespannt. Versammlungen und Märsche der schiitischen Minderheit gelten als Provokation (AA 22.2.2022). Der Konflikt der Regierung mit der Islamischen Bewegung von Nigeria (IMN), einer schiitischen muslimischen Gruppe, die für eine islamische Herrschaft in Nigeria eintritt, eskalierte 2019, als ein Gericht in Abuja die IMN verbot und sie als terroristische Organisation einstufte (FH 28.2.2022; vgl. AA 22.2.2022). Die Regierung betont allerdings, dass dieses Verbot nicht gegen die "friedfertigen und gesetzestreuen" Schiiten in Nigeria gerichtet ist (USDOS 12.5.2021). Die IMN betrachtet ihren Anführer, Sheikh Ibrahim el-Zakzaky, als die letzte Autorität in Nigeria und erkennt die Regierung in Abuja nicht an (FH 28.2.2022).

Die islamistisch-terroristischen Organisationen Boko Haram und Islamischer Staat in Westafrika sind weiterhin aktiv und führen zahlreiche Angriffe auf Bevölkerungszentren oder religiöse Ziele durch [Anm. siehe Abschnitt: Sicherheitslage] (USDOS 12.5.2021).

In Gebieten außerhalb des Nordostens, wo die Bedrohung von Boko Haram ausgeht, sind die Behörden im Allgemeinen in der Lage und bereit, wirksamen Schutz zu bieten. Im Allgemeinen gibt es Teile des Landes, in die eine Person umziehen kann, wo sie keine begründete Furcht vor Verfolgung haben muss bzw. kein tatsächliches Risiko besteht, ernsthaften Schaden durch Boko Haram zu erleiden, und es ist für eine Person angemessen, dorthin umzuziehen (UKHO 7.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068780.html , Zugriff 20.4.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (7.2021): Country Policy and Information Note - Nigeria: Islamist extremist groups in North East Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2056412/NGA_-_Islamist_extremist_groups_in_North_East_Nigeria_-_CPIN_-_v3.0__FINAL_Gov_UK_.pdf , Zugriff 29.4.2022

USCIRF - U.S. Commission on International Religous Freedom [USA] (4.2022): USCIRF - Recommended for Countries of particular concern (CPC), https://www.ecoi.net/en/file/local/2071998/2022+Nigeria.pdf , Zugriff 23.5.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051592.html , Zugriff 28.5.2021

Religiöse Gruppen

Letzte Änderung: 23.05.2022

53,5 Prozent der Einwohner sind Moslems, 10,6 Prozent sind Katholiken und 35,3 Prozent gehören anderen christlichen Glaubensrichtungen an. Der Rest gehört anderen Religionen an (CIA 24.4.2022). Nach anderen Angaben besteht die Bevölkerung zu etwa gleichen Teilen aus Christen und Muslimen, während die verbleibenden zwei Prozent anderen oder keinen 31 Religionen angehören. Viele Menschen verbinden indigene Überzeugungen und Praktiken mit dem Islam oder dem Christentum (USDOS 12.5.2021).

Der Norden ist überwiegend muslimisch, der Süden überwiegend christlich (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 5.12.2021, OD 2022). Allerdings gibt es im Norden, wo die muslimischen Hausa-Fulani überwiegen, auch signifikante christliche Bevölkerungsteile. In Zentralnigeria, Abuja und den südwestlichen Yoruba-Bundesstaaten halten sich die Anteile an Muslimen und Christen die Waage (USDOS 12.5.2021; vgl. OD 2022).

2010 gaben 38 Prozent der Muslime an, Sunniten zu sein, 12 Prozent Schiiten; der Rest sah sich als „etwas anderes“ (5 Prozent) oder einfach als „Muslime“ (42 Prozent). Unter den Sunniten finden sich mehrere Sufi-Strömungen, im Norden des Landes v.a. die Bruderschaften der Qadiriyya und der Tijaniyya (USDOS 12.5.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/20686 57/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante _Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf, Zugriff 21.4.2022

CIA - Central intelligence Agency [USA] (24.4.2022): The World Fact Book, Nigeria, https://www.ci a.gov/the-world-factbook/countries/nigeria/ , Zugriff 28.4.2022

OD - Open Doors (2022): Länderprofil Nigeria, Berichtszeitraum: 1. Oktober 2020 - 30. September 2021, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/nigeria , Zugriff 29.4.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051592.html , Zugriff 28.5.202

Spannungen zwischen Muslimen und Christen

Letzte Änderung: 23.05.2022

Im Norden Nigerias (einschließlich des Middle Belts) grassiert die im Namen des Islam von Boko Haram und ISIS-WA (sogenannter Islamischer Staat) begangene Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere gegen Christen. Dasselbe gilt für die Gewalt, die von Fulani-Kämpfern im Norden und Nord-Zentral-Nigeria und bewaffneten Banditen v.a. im Nordwesten verübt wird. Die Einflusskreise dieser verschiedenen Gruppen überschneiden sich zunehmend, ähnlich wie ihre Agenden. Dies stellt nicht nur für die nördlichen Staaten, einschließlich der Staaten des Middle Belts, eine Bedrohung dar, sondern auch für die südlichen Staaten (OD 2022). In den nördlichen und zentralen Staaten kam es im Jahr 2020 zu zahlreichen tödlichen Zusammenstößen zwischen vorwiegend muslimischen Fulani-Hirten und vorwiegend christlichen Bauern, die Regierung führte Militäroperationen durch, aber gemäß verschiedener Quellen waren diese unzureichend (USDOS 12.5.2021).

In den zwölf nördlichen Bundesstaaten wird die Religionsfreiheit von Nicht-Muslimen in der Praxis teilweise beschränkt, da viele Verwaltungsvorschriften ohne Rücksicht auf die jeweilige Religionszugehörigkeit erlassen und durchgesetzt werden. Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten haben dazu geführt, dass in den frühen 2000er Jahren drei Amputationsurteile vollstreckt wurden, 32 weitere Vollstreckungen sind nicht bekannt geworden. Die Dunkelziffer liegt unter Umständen höher, da Scharia-Gerichte Vollstreckungen nicht systematisch dokumentieren (AA 22.2.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/20686 57/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante _Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf, Zugriff 21.4.2022OD - Open Doors (2022): Länderprofil Nigeria, Berichtszeitraum: 1. Oktober 2020 - 30. September 2021, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/nigeria , Zugriff 29.4.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051592.html , Zugriff 28.5.2021

Naturreligionen und Juju

Letzte Änderung: 23.05.2022

Juju ist ein Ausdruck für verschiedene Kultpraktiken, die in Teilen Nigerias in einer Sphäre von Religion, Kriminalität und Politik praktiziert werden. Juju wird hauptsächlich im Verborgenen ausgeübt und es gibt unterschiedliche lokale Praktiken; daher liegen zu Juju-Kulten nur wenige Informationen vor, und diese unterscheiden sich häufig voneinander (ACCORD 25.4.2019).

Theoretisch könnte es schwierig oder gar gefährlich sein, wenn eine Person die Übernahme der Rolle eines Priesters, Kräuterkundigen oder ähnliches verweigert. Praktisch sind aber keine Fälle bekannt, wonach das Priestertum irgendwem aufgezwungen worden wäre, oder dass Verweigerer bedroht oder Gewalt ausgesetzt wurden. Ein Nachfolger, der Interesse und Eignung für die vorgesehene Rolle hat, ist erwünscht. Die Rekrutierung für solche Positionen kann unterschiedlich ablaufen, impliziert jedoch eine lange Zeit des Lernens und der Ausbildung. Es muss nicht notwendigerweise der älteste Sohn sein, der die Rolle des Oberpriesters übernimmt. Eine Verweigerung der Nachfolge des Oberpriesters wird nicht als Affront gegen den Schrein gesehen (EASO 6.2017). Menschenhändler benutzen Juju und andere traditionelle Schwur-Rituale, um Opfer von Menschenhandel, einschließlich Kinder, zu kontrollieren (ACCORD 25.4.2019; vgl. EASO 4.2021).

Quellen:

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (25.4.2019): Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu Juju (Organisation und Netzwerke) [a-10976-1], https://www.ecoi.net/de/dokument/2007894.html , Zugriff 28.7.2021

EASO - European Asylum Support Office (4.2021): EASO Nigeria Trafficking in Human Beings - Country of Origin Information Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050273/2021_04_EASO_COI_Report_Nigeria_Trafficking_in_human_beings.pdf , Zugriff 28.7.2021

EASO - European Asylum Support Office (6.2017): EASO Country of Origin Information Report Nigeria Country Focus, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1496729214_easo-country-focus-nigeria-june2017.pdf , Zugriff 28.7.2021

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Letzte Änderung: 31.05.2022

Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 22.2.2022, STDOK 3.12.2021), kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 12.4.2022). Frauen werden in der patriarchalen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt (AA 22.2.2022; vgl. STDOK 3.12.2021). So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwenzeremonien über sich ergehen lassen. Z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen, oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt. Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 22.2.2022). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden, vor allem für die mittleren und höheren sozialen Klassen (BS 23.2.2022).

Frauen ist es in Nigeria gesellschaftlich nicht zugedacht, Karriere zu machen. Männer gelten als Versorger der Familie (STDOK 3.12.2021). Gebildete Frauen mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen sowie im expandierenden Privatsektor. Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz (STDOK 3.12.2021; vgl. BS 23.2.2022). Und Frauen nehmen zudem eine vitale Rolle in der informellen Wirtschaft, der Landwirtschaft und beim Verkauf von Nahrungsmitteln ein. Üblicherweise ist es für Frauen also – unter Berücksichtigung der allgemein hohen Arbeitslosigkeit – möglich, eine Arbeit zu finden. Die Art der Arbeit hängt von der Bildung ab (STDOK 3.12.2021).

Die Covid-19-Krise festigt die Geschlechterungleichheit am Arbeitsmarkt. Im Juli/August 2018 haben 82 Prozent der Männer und 72 Prozent der Frauen im Arbeitsalter gearbeitet, jedoch sind diese Anteile mit Stand September 2020 auf 78 Prozent bei Männern und 65 Prozent bei Frauen gesunken (STDOK 3.12.2021).

Rechtlich ist keine Vorschrift vorhanden, die gleiche Bezahlung für Frauen und Männer für gleichwertige Tätigkeiten festschreibt. Es gibt auch kein Diskriminierungsverbot bei der Einstellung von Angestellten. Im formalen Sektor bleiben Frauen unterrepräsentiert (DFAT 3.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Internationalen Beobachtern zufolge sind Frauen im Rahmen traditioneller und religiöser Praktiken mit erheblicher wirtschaftlicher Diskriminierung konfrontiert (DFAT 3.12.2020).

Reproduktive Rechte bleiben weiter beinahe nicht-existent. Zehn Prozent aller Todesfälle von Müttern ereignen sich in Nigeria. Nur wenige Frauen im gebärfähigen Alter haben Zugang zu Verhütungsmitteln. Das Land verzeichnet laut Amnesty International mit geschätzten 23 Millionen die höchste Zahl an unsachgemäß vorgenommenen Abtreibungen sowie frühe Schwangerschaften (ÖB 10.2021).

Die am weitesten verbreiteten gewalttätigen Handlungen gegen Frauen in Nigeria beinhalten sexuelle Belästigung, physische Gewalt, schädliche traditionelle Praktiken, emotionale und psychische Gewalt sowie sozioökonomische Gewalt. Vielen Opfern mangelt es an einem strukturierten Sozialsystem sowie am Zugang zu Hotlines und Notunterkünften (STDOK 3.12.2021).

Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sexueller, körperlicher, psychologischer und sozioökonomischer Gewalt sowie mit schädlichen traditionellen Praktiken. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, Genitalverstümmelung (FGM/C) usw. Straftatbestände dar (VA 20.1.2021; vgl. USDOS 12.4.2022, STDOK 3.12.2021). Durchgesetzt wird das Gesetz von NAPTIP (National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons). Mit Stand Jänner 2021 sind 61 Fälle anhängig seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2015. Es kam in diesem Zeitraum seit Inkrafttreten bis Jänner 2021 zu fünf Verurteilungen auf Grundlage des VAPP (VA 20.1.2021; vgl. STDOK 3.12.2021). Bis September 2021 hatten 20 der 36 Bundesstaaten (Abia, Akwa Ibom, Delta, Jigawa, Kwara, Nasarawa, Ondo, Kaduna, Anambra, Oyo, Benue, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Osun, Cross River, Lagos, Plateau und Bauchi) und das Federal Capital Territory (FCT) das Bundesgesetz übernommen (USDOS 12.4.2022).

Die nigerianische Polizei verfügt in allen Bundesstaaten über eigene Gender Desks zur Betreuung von Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. Vergehen können der FCIID Gender (Force Criminal Intelligence and Investigation Department Gender) der nigerianischen Polizei oder auch beim NHRC (National Human Rights Council) gemeldet werden (STDOK 3.12.2021).

Generell ist es für Frauen schwierig, rechtlichen Schutz in Anspruch zu nehmen oder Entschädigung zu erhalten. Verfahren dauern sehr lange und kosten viel Geld. Zudem wird auf Opfer Druck ausgeübt. Folglich werden viele Verfahren entweder gar nicht eröffnet, oder aber sie verlaufen im Sand. Sowohl NAPTIP als auch NGOs bieten Beratung und rechtliche Unterstützung im Bereich häusliche Gewalt, auch Anwälte werden zur Verfügung gestellt. In größeren Städten – etwa Abuja, Lagos oder Port Harcourt – sind Frauen besser sensibilisiert und eher bereit, einen gewalttätigen Ehemann zu verlassen (STDOK 3.12.2021).

Häusliche Gewalt bleibt weit verbreitet (STDOK 3.12.2021; vgl. USDOS 12.4.2022, ÖB 10.2021). Diese wird in gewissem Maße sozial akzeptiert (STDOK 3.12.2021; vgl. USDOS 12.4.2022). Im Falle von häuslicher Gewalt kann sich das Opfer an die Polizei wenden, allerdings schreitet letztere nicht in jedem Fall ein (STDOK 3.12.2021). Manchmal werden Opfer wieder zum Täter nach Hause geschickt. Nach anderen Informationen ist es durchaus sinnvoll, sich an die Polizei zu wenden. Ist das Opfer verletzt, kommt es mitunter zu Verhaftungen. Der Großteil der Opfer erstattet jedenfalls bei häuslicher Gewalt keine Anzeige (STDOK 3.12.2021).

Zahlreiche Mädchen oder Frauen sind sexueller Gewalt ausgesetzt. Vergewaltigungen bleiben weit verbreitet (STDOK 3.12.2021; vgl. USDOS 12.4.2022). Aus einer Studie geht hervor, dass 9 Prozent der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren sexueller Gewalt ausgesetzt waren. Vergewaltigung steht unter Strafe. Gemäß Bundesgesetz [Anm.: VAPP] beträgt das Strafmaß zwischen zwölf Jahren und lebenslänglicher Haft für Straftäter, die älter als 14 Jahre alt sind. Es sieht auch ein öffentliches Register von verurteilten Sexualstraftätern vor. Auf lokaler Ebene sorgen Schutzbeamte, die sich mit Gerichten koordinieren, dafür, dass die Opfer relevante Unterstützung bekommen. Das Gesetz enthält auch eine Bestimmung, welche Gerichte dazu ermächtigt, Vergewaltigungsopfern eine angemessene Entschädigung zuzusprechen. Da das VAPP bis dato aber nur in bestimmten Bundesstaaten ratifiziert wurde, gelten in den meisten Vergewaltigungsfällen bundesstaatliche strafrechtliche Regelungen (USDOS 12.4.2022). Im Prinzip kann sich ein Vergewaltigungsopfer an die Polizei wenden. Die Praxis gestaltet sich allerdings schwierig. Viele Mädchen und Frauen wenden sich aufgrund mangelnden Vertrauens oder aus Angst vor einem mit der Vergewaltigung einhergehenden Stigma weder an die Polizei noch an Gerichte oder Gesundheitseinrichtungen (STDOK 3.12.2021).

Oft kommen Zwangsehen aufgrund von Armut zustande, manchmal kommt es auch zu lange im Vorfeld arrangierten Ehen. Zwangsehen sind im Norden verbreiteter als im Süden. Im Fall einer drohenden Zwangsehe können sich Betroffene an eine kirchliche Institution oder an traditionelle Führer wenden. Meist hilft aber nur die Flucht (STDOK 3.12.2021).

Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 weibliche Genitalverstümmelung (FGM/C) auf nationaler Ebene [Anm.:VAPP] (USDOS 12.4.2022; vgl. STDOK 3.12.2021). Allerdings haben nur wenige (nach einer Angabe: 13) Bundesstaaten tatsächlich Gesetze zum Verbot von FGM verabschiedet. Gesetze gegen FGM werden kaum vollzogen. Die bisher verhängten, geringfügigen Geldstrafen sind bei der Bekämpfung von FGM unzureichend. Im FCT kann eine Frau hinsichtlich FGM staatlichen Schutz finden; außerhalb davon gestaltet sich dies schwierig. Zwar gibt es Aufklärungskampagnen und eine nationale Strategie zur Bekämpfung von FGM, doch liegen kaum Berichte vor, wonach die Regierung gegen FGM vorgeht (STDOK 3.12.2021).

Die geringste Verbreitung von FGM besteht bei wohlhabenden Frauen, gebildeten Frauen, jenen, die in städtischem Milieu leben oder deren Mutter selbst nicht beschnitten ist. Regional bestehen große Unterschiede, die Regionen Süd-Ost und Süd-West sind am stärksten betroffen. Insgesamt ist die Verbreitung von FGM jedenfalls rückläufig (STDOK 3.12.2021).

Sind beide Eltern gegen FGM, können sie die Beschneidung in der Regel verhindern. Allerdings kann es zu Stigmatisierung von und/oder Druck auf Eltern und Tochter kommen. Durch einen Umzug können Eltern die Beschneidung ihrer Tochter am ehesten verhindern. Möchte sich ein Mädchen selbst nicht beschneiden lassen, dann hilft in der Regel nur die Flucht. Es gibt allerdings eine große Zahl von Organisationen, die sich mit FGM befassen (STDOK 3.12.2021).

Menschenhandel, auch der inner-nigerianische, ist weit verbreitet. Für Opfer des Menschenhandels besteht zudem das Risiko eines „Re-Trafficking“. Gleichzeitig werden aus dem Ausland mittellos zurückkommende Nigerianerinnen als Verliererinnen stigmatisiert. Der Bundesstaat Edo ist Knotenpunkt und Quelle für den Menschenhandel, 80 bis 90 Prozent der im Rahmen von Menschenhandel nach Europa gekommenen Prostituierten stammen aus nur drei LGAs [Local Government Areas] in Edo (STDOK 3.12.2021).

Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung oder der Ausbeutung der Arbeitskraft ist verboten. Die vorgesehenen Strafen sind ausreichend streng. NAPTIP ist die zentrale Stelle für die Bekämpfung des Menschenhandels, es sind jedoch auch viele andere Behörden eingebunden. In neun Bundesstaaten – darunter Edo – wurden Task Forces zur Bekämpfung des Menschenhandels eingerichtet. NAPTIP agiert u.a. auch als Ermittlungsbehörde. Bisher ist es NAPTIP in den vergangenen Jahren gelungen, dass mehr als 400 Täter des Menschenhandels verurteilt worden sind. Zudem hat die Behörde mehr als 17.000 Opfer gerettet. Dabei hat für Opfer die Strafverfolgung der Täter oft nur geringe Priorität. Die Opfer sind in erster Linie an ihrer eigenen (Re-)Integration interessiert (STDOK 3.12.2021). NAPTIP hat nach eigenen Angaben im Jahr 2020 von 1.032 angezeigten Fällen von Menschenhandel 251 untersucht, 87 Individuen strafrechtlich verfolgt und die Verurteilung von 51 Schleusern erreicht (AA 22.2.2022).

NAPTIP implementiert den Großteil der Regierungsprogramme zur Unterstützung von Überlebenden des Menschenhandels, darunter Familienzusammenführung, Unterkünfte, Beratung, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Ausbildung und finanzielle Unterstützung. Des Weiteren gibt es ein starkes Netzwerk nationaler NGOs, die ähnliche Dienste anbieten (STDOK 3.12.2021).

NAPTIP betreibt für Opfer von Menschenhandel Frauenhäuser im ganzen Land. Mehr als 10.000 Personen wurde dort bereits geholfen. Im FCT ist NAPTIP für die Durchsetzung des VAPP zuständig, dort können auch Gewaltopfer in NAPTIP-Frauenhäusern untergebracht werden. Neben NAPTIP gibt es auch NGOs, welche über Frauenhäuser verfügen. Meist liegt auch dort der Fokus auf Opfern des Menschenhandels. Es gibt aber auch regionale sowie bundesweit operierende NGOs, die sich um alleinstehende Frauen, sowie Opfer von häuslicher Gewalt und FGM kümmern. Diese Organisationen betreiben Wohn- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen. In den meisten Schutzeinrichtungen wird auch einfache medizinische Betreuung angeboten sowie psychosoziale Beratung. Frauenhäuser sind in der Regel temporäre Unterkünfte. In den Frauenhäusern wird – wenn nötig – versucht, die Familie ausfindig zu machen. Opfer kehren nach dem Leben in einem Frauenhaus üblicherweise zu ihren Familien zurück (STDOK 3.12.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 21.4.2022

DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (3.12.2020): DFAT Country Information Report Nigeria, https://www.dfat.gov.au/sites/default/files/dfat-country-information-report-nigeria-3-december-2020.pdf , Zugriff 18.8.2021

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.12.2021): Themenbericht - Zur sozioökonomischen Lage der und Gewalt gegen Frauen unter Hinzunahme der Informationen der FFM Nigeria 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066684/NIGR_THEM_Frauen_2021_12_03_KE.pdf , Zugriff 24.1.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

VA - Vertrauensanwalt der ÖB Abuja (20.1.2021): Bericht des VA, übermittelt via e-mail am 21.1.2021, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

(Alleinstehende) Frauen: interne Relokation, Rückkehr, Menschenhandel

Letzte Änderung: 31.05.2022

Im Allgemeinen können Frauen überall alleine leben – allerdings unter teils schwierigen Umständen. Aufgrund des vorherrschenden traditionellen Rollenbildes werden allein lebende Frauen sozial weniger akzeptiert als verheiratete Frauen. Zahlreiche regional und bundesweit operierende NGOs unterstützen alleinstehende Frauen und Mütter in Notlage. Hinsichtlich der Akzeptanz alleinstehender Frauen gibt es tendenziell ein Nord-Süd-Gefälle. Im liberaleren Südwesten des Landes – und dort vor allem in den Städten – werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert. Der Wechsel des Wohnorts ist für alleinstehende Frauen und Mütter ohne Netzwerk schwierig (STDOK 3.12.2021).

Aus europäischer Sicht ist die Lage für alleinstehende Mütter schwierig, wenn es ihnen nicht gelingt, eine Arbeit zu finden oder ein entsprechendes Netzwerk vorhanden ist. Meist ist für alleinstehende, geschiedene oder verwitwete Frauen aber ein solches familiäres Netzwerk vorhanden, um hier unterstützend einzugreifen. Und üblicherweise ist es für alleinstehende Mütter möglich, Arbeit zu finden. Die meisten von ihnen arbeiten auch – abhängig vom Bildungsgrad – z.B. in der Landwirtschaft, im Kleingewerbe, als Reinigungskraft oder Haushaltshilfe, oder sie betreiben eine Straßenküche. Kinderbetreuung kann bei besser verdienenden Frauen durch Kindermädchen erfolgen. Frauen im informellen Sektor nehmen ihre Kinder meist zur Arbeit mit (STDOK 3.12.2021).

18 Prozent der nigerianischen Haushalte werden von Frauen geführt. Alleinstehende Frauen können eigenständig Wohnungen mieten sowie leben und arbeiten – vor allem in größeren Städten wie Abuja und Lagos. Ein Großteil der bei der FFM Nigeria 2019 befragten Quellen gab dies an, nur zwei Quellen gaben widersprüchlich dazu an, dass ein männlicher Bürge benötigt wird (STDOK 3.12.2021).

Die effektive staatliche Institution NAPTIP [National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons] ist eine zentrale Anlaufstelle für Rückkehrerinnen (STDOK 3.12.2021; vgl. ÖB 10.2021). Die Behörde unterhält in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros. Daneben gibt es weitere staatliche und halbstaatliche Einrichtungen zur Unterstützung von Rückkehrerinnen sowie NGOs, die Hilfe für Rückkehrerinnen anbieten. Für alleinstehende Frauen, die aus Europa zurückkehren, besteht kein generelles Stigma. Hat die Frau im Ausland Geld verdient, wird sie willkommen geheißen. Kommt sie mittellos zurück, gilt sie oft als Schande für die Gemeinschaft (STDOK 3.12.2021). NAPTIP kooperiert mit mehreren EU-Staaten bei der Reintegration (ÖB 10.2021).

NAPTIP bietet unter anderem um 2.000 US-Dollar mehrmonatige Rehabilitierung (psychologische Betreuung) und Berufstraining für ehemalige Zwangsprostituierte an (ÖB 10.2021). Generell gibt es neben NAPTIP noch andere NGOs, welche über Frauenhäuser verfügen. Meist liegt der Fokus aber auf Menschenhandel (NHRC 9./10.2019). NAPTIP verfügt in Nigeria über mehrere Shelters, vermittelt Frauen aber auch an andere Organisationen – etwa MeCAHT oder WOTCLEF – weiter (NAPTIP 9./10.2019).

Im traditionell konservativen Norden, aber auch in anderen Landesteilen, sind alleinstehende Frauen oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt und können diesem häufig nur durch Umzug in eine Stadt entgehen, in der weder Familienangehörige noch Freunde der Familie leben. Im liberaleren Südwesten des Landes – und dort vor allem in den Städten – werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert (AA 22.2.2022). Im Allgemeinen gibt es Teile des Landes, in denen eine Person keine begründete Furcht vor Verfolgung haben muss bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden besteht und es je nach Art der Bedrohung durch nicht-staatliche Akteure und die Lebensumstände der Person die Möglichkeit eines Wohnortswechsels gibt. Im Allgemeinen dürfte der Wechsel des Wohnortes für alleinstehende Frauen ohne Zugang zu einem unterstützenden Netzwerk schwieriger sein (UKHO 9.2021). Für alleinstehende Frauen besteht die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 22.2.2022).

Eine Auswahl spezifischer Hilfsorganisationen für Frauen:

African Women Empowerment Guild (AWEG): 29, Airport Road, Benin City, Edo State Tel.: 08023514832, 08023060147, Email: info@awegng.org , aweg95@yahoo.com , nosaaladeselu@yahoo.co.uk (AWEG o.d.a). Die AWEG ist eine ausschließlich weibliche, nicht profitorientierte NGO. Zielgruppe sind Frauen und Jugendliche. Spezielle Programme zielen darauf ab, Frauen beim Erwerb von Fähigkeiten im Bildungsbereich sowie im sozialen, ökonomischen und politischen Bereich zu unterstützen. AWEG führt Studien zu geschlechtsspezifischer Gewalt durch (AWEG o.D.b).

Women Aid Collective (WACOL), No 9 Matthias Ilo Avenue, New Haven Extension by Akanu Ibia Airport Flyover, Enugu State. Tel: +234 9060002128, Email: wacolnig@gmail.com , wacolnig@yahoo.com . WACOL ist eine Wohltätigkeitsorganisation und bietet verschiedene Unterstützung an: Schulungen, Forschung, Rechtsberatung, Unterkunft, kostenloser Rechts- und Finanzbeistand, Lösung familieninterner Konfliktsituationen, Informationen und Bücherdienste (WACOL o.D.).

Women Advocates Research and Documentation Center (WARDC), 9b james Oluleye Crescent (Harmony Enclave), off Adeniyi Jones by Koko bus stop, Ikeja, Lagos State, +(123) 443-769-456, Email: info@wardcnigeria.org (WARDC o.d.a). WARDC ist eine Frauenrechts-NGO für weibliche Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt und anderer Menschenrechtsverletzungen. Ca. sechs Frauen pro Woche werden diesbezüglich in rechtlicher und sozialer Hinsicht beraten (WARDC o.d.b.).

Womens Health and Equal Rights Initiative (WHER), Adresse nicht online verfügbar, +234 818 645 7675, Email: wher@whernigeria.org WHER ist eine NGO zur Unterstützung von Frauen im Allgemeinen und von Frauen, die Angehörige einer sexuellen Minderheit sind (WHER o.d.).

The Women’s Consortium of Nigeria (WOCON): 13 Okesuna Street, Off Igbosere Road, Lagos, Nigeria, Tel: +234 8033188767, +2349134197431, +234 8037190133, +234 8033347896, Email: wocon95@yahoo.com , info@womenconsortiumofnigeria.org (WOCON o.D.a). WOCON ist eine gemeinnützige NGO, die sich der Durchsetzung der Frauenrechte und der Erzielung von Gleichheit, persönlicher Entwicklung und Frieden widmet. Ziel ist die Aufklärung bezüglich Menschenhandel und der Kampf gegen den Menschenhandel (WOCON o.D.b).

Women's Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA): 19, Monrovia Street, Off Aminu Kano Way, Wuse II Abuja, Tel.: 08188699961, 08172125692, 07063807887, Email: Wrapa399@gmail.com , wrapa399@yahoo.com . WRAPA ist eine Organisation, die bundesweit für Frauenrechte eintritt. Aktivitäten umfassen kostenfreie Rechtsberatung, Ausbildung, Mobilisation, Sensibilisierung und Meinungsbildung bezüglich rechtlicher Reformen. Jede Frau, die in irgendeiner Form einen Eingriff in ihre Rechte bzw. eine Diskriminierung erlitten hat, kann in den Genuss der Unterstützung von WRAPA kommen (WRAPA, o.D.).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.a): AWEG - Contact Information, https://awegng.org/contact-us/ , Zugriff 22.6.2021

AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.b): AWEG - About Us, https://awegng.org/about-us/ , Zugriff 22.6.2021

NAPTIP - National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons [Nigeria] (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

NHRC - National Human Rights Commission [Nigeria] (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation), Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.12.2021): Themenbericht - Zur sozioökonomischen Lage der und Gewalt gegen Frauen unter Hinzunahme der Informationen der FFM Nigeria 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066684/NIGR_THEM_Frauen_2021_12_03_KE.pdf , Zugriff 24.1.2022

UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (9.2021): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060292/NGA_CPIN_Internal_Relocation.pdf , Zugriff 6.5.2022

WACOL - Women Aid Collective (o.D.): Homepage, https://wacolnigeria.org/ , Zugriff 22.6.2021

WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.a): WARDC - Contact us, http://wardcnigeria.org/contact-us/ , Zugriff 22.6.2021

WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.b): WARDC - About us, http://wardcnigeria.org/what-we-do/ , Zugriff 22.6.2021

WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.): WHER about, https://whernigeria.org/about/https://whernigeria.org/ , Zugriff 22.6.2021

WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.a): WOCON - Contact, http://womenconsortiumofnigeria.org/?q=content/contact , Zugriff 22.6.2021

WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.b): WOCON - About us, http://womenconsortiumofnigeria.org/?q=about-us , Zugriff 22.6.2021

WRAPA - Women's Rights Advancement and Protection Alternative (o.D.): FAQ, https://wrapanigeria.org/faq/ , Zugriff 22.6.2021

Kinder

Letzte Änderung: 31.05.2022

Die Rechte des Kindes werden in Nigeria nur unzureichend gewährleistet. Der Child Rights Act, mit dem die UN-Kinderrechtskonvention in nationales Recht umgesetzt werden soll, wurde bislang lediglich von 24 (AA 22.2.2022), nach anderen Angaben von 26 der 36 Bundesstaaten ratifiziert (USDOS 12.4.2022). Insbesondere die nördlichen Bundesstaaten sehen in einigen Bestimmungen (Rechte des Kindes gegenüber den eigenen Eltern, Mindestalter für Eheschließungen) einen Verstoß gegen die Scharia (AA 22.2.2022).

Der Child Rights Act sieht bei einer Eheschließung ein Mindestalter von 18 Jahren vor. Vor allem die nördlichen Bundesstaaten halten sich nicht an das offizielle Mindestalter auf Bundesebene (USDOS 22.2.2022). Kinderehen, in denen Mädchen in jungen Jahren mit zumeist älteren Männern verheiratet werden, sind folglich vor allem im Norden des Landes verbreitet. Insgesamt heiraten schätzungsweise 43 Prozent der Mädchen unter 18 Jahren und 17 Prozent jener unter 15 Jahren. Kinderehen führen oft zu Schwangerschaften in jungem Alter mit gesundheitlichen Schädigungen sowie dem vorzeitigen Abbruch der Schulbildung (AA 22.2.2022).

Mit traditionellen Glaubensvorstellungen verbundene Rituale und der in Bevölkerungsteilen verbreitete Glaube an Kinderhexen führen zu teils schwersten Menschenrechtsverletzungen (Ausgrenzung, Aussetzung, Mord) an Kindern, insbesondere an Kindern mit Behinderungen (AA 22.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Entsprechende Fälle werden überwiegend aus der südlichen Hälfte Nigerias berichtet, besonders gehäuft aus dem Südosten und den Bundesstaaten Akwa Ibom und Edo (AA 22.2.2022).

Gesetzlich sind die meisten Formen der Zwangsarbeit verboten, auch die von Kindern, und es sind ausreichend harte Strafen vorgesehen. Die Durchsetzung der Gesetze bleibt jedoch in weiten Teilen des Landes ineffektiv. Daher ist Zwangsarbeit – u.a. bei Kindern – weit verbreitet. Frauen und Mädchen müssen als Hausangestellte, Buben als Straßenverkäufer, Diener, Minenarbeiter, Steinbrecher, Bettler oder in der Landwirtschaft arbeiten (USDOS 12.4.2022).

Kindesmissbrauch ist nach wie vor im ganzen Land verbreitet, aber die Regierung hat keine nennenswerten Maßnahmen zu seiner Bekämpfung ergriffen. Aus der 2015 veröffentlichten Nigeria Violence Against Children Survey geht hervor, dass etwa sechs von zehn Kindern unter 18 Jahren in ihrer Kindheit eine Form von körperlicher, emotionaler oder sexueller Gewalt erlebt haben. Jedes zweite Kind erlebte körperliche Gewalt, jedes vierte Mädchen und jeder zehnte Bub erlebte sexuelle Gewalt, und jedes sechste Mädchen und jeder fünfte Bub erlebte emotionale Gewalt (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/20686 57/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante _Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf, Zugriff 21.4.2022 •

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

 

Zur Situation der Kinder wird des Weiteren auf die bereits im Erkenntnis vom 27.01.2021, Zl. I405 2225316-1/13E getroffenen Feststellungen verwiesen:

„1.2.3.2. ACCORD-Anfragebeantwortung zu Nigeria vom 19.04.2019: Informationen zur allgemeinen Versorgungs- und Gefährdungslage insbesondere für männliche Minderjährige; (…) Möglichkeiten für eine Kinderbetreuung außerhalb des familiären Rahmens; Zugang zu Bildung und Kosten [a-10958]

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children's Fund, UNICEF) schreibt in einem im Juni 2018 veröffentlichten Finanzbericht zur Bewertung des Schutzes von Kinder (erstellt durch das Ministerium für das Budget und Nationale Planung und das Bundesministerium für die Angelegenheiten von Frauen und Soziale Entwicklung in enger Zusammenarbeit mit UNICEF), dass über 50 Prozent der Kinder bei ihrer Geburt nicht registriert würden. Deshalb könnte über die Hälfte der Kinder in Nigeria folgenden Risiken ausgesetzt sein: kein Schulbesuch ab dem vorgesehenen Alter, kein Zugang zu Gesundheits- und Impfdiensten, Zwangsehe, kein spezieller rechtlicher Schutz, keine angemessene Gesundheitsversorgung, keine Sicherstellung des Rechts auf Staatsbürgerschaft, kein Recht auf einen Reisepass, keine Identifizierung im Falle von Menschenhandel, kein Wahlrecht, Schwierigkeiten bei der Eröffnung eines Bankkontos oder bei der Arbeitssuche und kein Zugang zur Durchsetzung der Gesetze hinsichtlich des Mindestalters für Arbeit. Im Bundesstaat Lagos sei die höchste Rate der Geburtenregistrierung für die in der Studie untersuchten Bundesstaaten (Lagos, Gombe, Plateau, Cross River) verzeichnet worden (82,3%). Die Geburtenregistrierung in Lagos liege beträchtlich höher als der nationale Durchschnitt, der 46,9 Prozent betrage (UNICEF, Juni 2018, S. 8-9). Fünfzig Prozent der nigerianischen Kinder zwischen fünf und 17 Jahren seien von Kinderarbeit betroffen und 40 Prozent hätten unter gefährlichen Bedingungen gearbeitet, so der Bericht weiters. Der Bundesstaat Cross River habe von den untersuchten Bundesstaaten mit 64,4Prozent die höchste Rate und Lagos mit 16,9 Prozent die niedrigste Rate von Kinderarbeit verzeichnet (UNICEF, Juni 2018, S. 9). Fast 19 Prozent der Kinder würden vor dem Alter von 15 Jahren heiraten. 27,1 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren hätten in Gombe unter 15 Jahren geheiratet. In Lagos liege der Prozentsatz diesbezüglich bei 3,5 Prozent (UNICEF, Juni 2018, S. 11). Dreißig Prozent der Kinder seien im Monat vor der Durchführung einer Umfrage vom Oktober 2017 (Multiple Index Cluster Survey, MICS) schwer körperlich bestraft worden. Die höchste Rate der schweren körperlichen Bestrafung der vier untersuchten Bundesstaaten sei mit 39 Prozent in Gombe aufgetreten. Lagos liege bei 26 Prozent. Früher durchgeführte Studien würden ebenfalls auf eine hohe Rate von Gewalt gegen Kinder hinweisen. Die Studie zu Gewalt gegen Kinder aus dem Jahr 2014, die von der Nationalen Bevölkerungskommission gemeinsam mit UNICEF und dem United States Centre for Disease Control durchgeführt worden sei, habe aufgezeigt, dass sechs von zehn Kindern Formen von körperlicher, sexueller oder emotionaler Gewalt vor einem Alter von 18 Jahren ausgesetzt seien. Über 70 Prozent aus dieser Gruppe seien wiederholt von Gewalt betroffen. Die Täter seien meist Personen, die das Kind kenne und die Gewalt werde oftmals zuhause ausgeübt, in der Wohnung des Nachbarn, in der Schule oder am Weg zur oder von der Schule. Der überwiegende Teil der Kinder würde aufgrund von Angst, Scham, Stigma und weil sie nicht wüssten, wo sie Hilfe suchen könnten, nie darüber sprechen. Weniger als fünf Prozent der Kinder, die Opfer von Gewalt würden, würden die Hilfe erhalten, die sie für eine Genesung brauchen würden (UNICEF, Juni 2018, S. 12).

Der Prozentsatz der Kinder, die mit keinem der beiden biologischen Elternteile leben würden, stelle eine stellvertretende Maßeinheit für „Kinder ohne angemessene Versorgung durch die Famile“ dar. Insgesamt 7,5 Prozent der Kinder würden nicht mit beiden Elternteilen leben. In Lagos liege der Prozentsatz nahe dem nationalen Durchschnitt (UNICEF, Juni 2018, S. 13).

UNICEF führe auf seiner Website an, dass der Menschenhandel von Kindern zum Zweck von häuslichen Diensten, Prostitution und anderen Formen ausbeuterischer Arbeit in Nigeria ein weit verbreitetes Phänomen sei. Kinder und Frauen würden mit Versprechen auf gutbezahlte Arbeit in städtischen Zentren oder im Ausland rekrutiert und zu spät erkennen, dass sie in ein Schuldverhältnis gelockt worden seien. Gewalt, Nötigung und Täuschung würden angewendet, um die Opfer ihren Familien wegzunehmen. Nigeria sei ein Quellen-, Transit- und Zielland für Frauen und Kinder, die von Menschenhandel betroffen seien. Es gebe gegenwärtig keine verlässlichen Schätzungen zur Anzahl der Kinder, die intern und extern von Menschenhandel betroffen seien, hauptsächlich aufgrund der illegalen Natur des Phänomens (UNICEF, Juni 2018, S. 13).

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) erwähnt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom März 2019 (Berichtszeitraum 2018), dass die Misshandlung von Kindern landesweit weiterhin weit verbreitet sei. Die Regierung habe jedoch keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen, um dies zu bekämpfen. Laut einer im Jahr 2015 veröffentlichten Studie zu Gewalt gegen Kinder in Nigeria hätten etwa sechs von 10 Kindern unter einem Alter von 18 Jahren in ihrer Kindheit Formen von körperlicher, emotionaler oder sexueller Gewalt erfahren.

Eines von zwei Kindern habe körperliche Gewalt, eines von vier Mädchen und einer von zehn Jungen sexuelle Gewalt und eines von sechs Mädchen und einer von fünf Jungen emotionale Gewalt erfahren. 2010 habe das Ministerkomitee zur Madrassa-Bildung berichtet, dass 9,5 Millionen Kinder als „Almajiri“ gearbeitet hätten. Dabei handle es sich um arme Kinder aus ländlichen Gebieten, die von ihren Eltern in städtische Gebiete geschickt würden. Anstelle Bildung zu erhalten, seien viele Almajiri gezwungen worden, manuelle Arbeit zu verrichten oder für ihren Lehrer betteln zu gehen. Die religiösen Lehrer würden die Kinder oftmals nicht mit ausreichend Unterkunft und Nahrung versorgen und viele der Kinder seien faktisch obdachlos geworden. In einigen Bundesstaaten seien Kinder, die der Hexerei beschuldigt worden seien, getötet oder unter anderem entführt und gefoltert worden (USDOS, 13. März 2019, Section 6).

Im November 2016 veröffentlichen die SOS-Kinderdörfern (SOS Children’s Villages International) einen Bericht der Autoren Graham Connelly und Saater Ikpaahindi. Dieser wurde im Auftrag der Generaldirektion für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung der Europäischen Kommission (European Commission Directorate-General for International Cooperation and Development, DG DEVCO) erstellt. Der Bericht bezieht sich auf eine UNICEF Studie aus dem Jahr 2015 zum alternativen Fürsorgesystem in Nigeria des Autors F. Abraham, die ergeben habe, dass „informelle Fürsorge durch Verwandte“ die am weitetsten verbreitete Form der Fürsorge sei. Diese werde nach traditionellen Praktiken arrangiert, wobei Kinder im weiteren Familienkreis integriert würden. Die Studie erwähne zudem die Existenz von informeller Pflegefürsorge, bei der ein Kind einem Freund oder einer Freundin der Familie übergeben werde. Die Nationale Menschenrechtskommission habe gegenüber den Autoren des Berichts vom November 2016 angegeben, dass sie viele Beschwerden die informelle Pflegefürsorge betreffend erhalten habe. Diese Beschwerden würden sich auf die Ausbeutung von Kindern beziehen, die unter dem Deckmantel von Fürsorge und Bildung Arbeit verrichten müssten.

Einige Interviewpartner hätten zudem angeführt, dass in einigen Gemeinschaften das Problem bestehe, dass Kinder von den erweiterten Familien zurückgewiesen würden. Körperliche und sexuelle Misshandlung von Kindern, die zu Familien in den Städten geschickt worden seien, sei ebenfalls ein wachsendes Problem. Formelle Fürsorge beinhalte Pflegeheime, Pflegeunterbringung und Adoption. Pflegeheime seien die am weitesten verbreutete Art formeller alternativer Fürsorge in Nigeria. Die Studie aus dem Jahr 2015, bei der 30 Pflegeheime untersucht worden seien, habe in vielen Einrichtungen „extreme Überbelegung“ festgestellt. Die Studie von 2015 habe große Unterschiede sowohl hinsichtlich der Kapazität (acht bis 500) als auch der Anzahl der untergebrachten Kinder (keine bis 732) ergeben. Der Großteil der Pflegeheime würde von Wohltätigkeitsorganisationen verwaltet, darunter religiöse Organisationen, oder von unabhängigen Eigentümern. Sehr wenige würden direkt von der Regierung verwaltet, obwohl Regierungsbehörden zu den Ressourcen beitragen würden (Connelly; Ikpaahindi, November 2016, S. 34).

Die Abteilung zur Entwicklung von Kindern des Bundesministeriums für die Angelegenheiten von Frauen und gesellschaftliche Entwicklung habe im Jahr 2007 unter mithilfe von UNICEF eine Studie zu Waisenhäusern und anderen Einrichtungen zur Fürsorge von Kindern durchgeführt, so der Bericht vom November 2016 weiters. Die Studie habe nur Einrichtungen untersucht, die von den Regierungen der Bundesstaaten anerkannt oder registriert worden seien. Von den 142 Waisenhäusern in der Studie seien drei anerkannt gewesen, jedoch nicht registriert. Im Vorwort der Studie hätten die Autoren angegeben, dass 55 Einrichtungen in einer zwei Jahre zuvor durchgeführten Studie nicht enthalten gewesen seien und dass etwa ein halbes Dutzend Einrichtungen nicht mehr tätig seien. Dies sei ein Hinweis auf die Fluidität der Lage (Connelly; Ikpaahindi, November 2016, S. 36).

Fast die Hälfte der Waisenhäuser befände sich in Privatbesitz, ein Viertel würde von Behörden der Bundesstaaten betrieben, fast ein Viertel von Glaubenseinrichtungen und vier Prozent von NGOs. Die Autoren des Berichts vom November 2016 seien angesichts der Bedeutung von NGOs in Nigeria von diesem geringen Prozentsatz überrascht gewesen (Connelly; Ikpaahindi, November 2016, S. 36).

Vorschriften für formelle Pflegefürsorge durch Nicht-Verwandte und Adoption seien in Nigeria noch nicht weitverbreitet. In allen südlichen Bundesstaaten gebe es Adoptionsgesetze. Das Scharia-Recht sehe keine Adoption vor. In einem kürzlich erschienenen wissenschaftlichen Bericht sei angemerkt worden, dass die Praxis der Adoption in Nigeria zunehme. Die öffentliche Wahrnehmung habe sich aufgrund von Medienberichten, persönlicher Aussagen, Sozialforschung und anderer Quellen verbessert (Connelly; Ikpaahindi, November 2016, S. 37).

Nur eine Organisation in einem Bundesstaat habe im Rahmen der Studie von 2015 über eine erfolgreiche Aufnahme von Kindern in Pflegefürsorge berichtet bzw. geantwortet. Scheinbar seien in keinem anderen Bundesstaat Aufzeichnungen zur Unterbringung in Pflegefürsorge geführt worden (Connelly; Ikpaahindi, November 2016, S. 38).

Den Autoren des Berichts hätten von Kindern erfahren, die auf den Straßen von Lagos aufgegriffen, von Organisationen gerettet und zu ihren Familien (die Unterstützung erhalten hätten) gebracht worden seien, aber wieder auf der Straße gelandet seien. Den Autoren sei über derartige Fälle berichtet worden, die sich in dieser Abfolge mehrmals wiederholt hätten (Connelly; Ikpaahindi, November 2016, S. 29).

Den Autoren des Berichts vom November 2016 sei zudem der Fall einer 12-Jährigen, die zwischen zwei und drei Tage auf einer Polizeistation (jedoch nicht in einer Zelle) in Lagos festgehalten worden sei. Ein Anwalt habe die Polizeistation besucht und habe darauf bestanden, dass das Kind zu einer der zwei Spezialeinheiten für die Wohlfahrt von Kindern der

Polizei von Lagos gebracht werde. Der Anwalt habe angegeben, dass örtliche Polizeibeamte nicht für die Arbeit mit Kindern ausgebildet seien und es unzureichend Spezialbeamte im Vergleich zur Bevölkerungsgröße von Lagos gebe (Connelly; Ikpaahindi, November 2016, S. 30).

Mehrere Interviewpartner hätten angegeben, dass das Bewusstsein gegenüber Gewalt innerhalb der Familien wachse und es Beispiele für gute Arbeit der Regierung und von NGOs gebe, Bildung zu gewaltfreien Ansätzen der Erziehung von Kindern zu fördern, damit sexuelle

und körperliche Gewalt innerhalb von Familien nicht mehr akzeptiert werde. Der Bericht erwähnt in diesen Zusammenhang etwa ein Heft, das vom Einsatzteam für häusliche und sexuelle Gewalt des Bundesstaates Lagos produziert worden sei und ein Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt, ausgearbeitet vom Ministerium für die Angelegenheiten von Frauen und die Abwendung von Armut des Bundesstaates Lagos. Trotzdem ist nur ein niedriges Bewusstsein zum durch Gewalt verursachte Schäden vorhanden und es gebe für Kinder nur wenige Möglichkeiten Anzeige zu erstatten und Hilfe zu suchen (Connelly; Ikpaahindi, November 2016, S. 30-31).

Der Bericht erwähnt weiters, dass nur im Bundesstaat Lagos Familiengerichte funktionsfähig seien. Der Bundesstaat Lagos habe mit dem Gesetz zu den Rechten von Kindern von 2007 ein Familiengericht eingerichtet, das sich mit Streitigkeiten betreffend Vormundschaft, Sorgerecht und Adoption, die nicht in Verbindung mit Ehesachen stehe, befasse (Connelly; Ikpaahindi, November 2016, S. 46).

Lagos verfüge über zwei Spezialeinrichtungen der Polizei, die Fälle, die Kinder betreffen, untersuchen würden. Die Autoren des Berichts vom November 2016 hätten mit einem hohen Beamten einer der beiden Einrichtungen gesprochen. Dieser habe ihnen gegenüber angeführt, dass etwa 80 Prozent der Arbeit der Einrichtung aus Ermittlungen zu Fällen von ausgesetzten Babys und der Arrangierung der Wohlfahrtsmaßnahmen für Kinder bestehe. Die Rolle der Spezialabteilung beinhalte Fälle von ausgesetzten Kindern, den Schutz von Kindern vor unmittelbarer Gefahr, darunter die Bereitstellung vorübergehender Unterkunft; Suche und Zusammenführung der Kinder mit ihren Familien; Überweisungen an Wohlfahrtseinrichtungen und das Familiengericht (Connelly; Ikpaahindi, November 2016, S. 47).

Zugang zu Bildung und Kosten

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) erwähnt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom März 2019 (Berichtszeitraum 2018), dass das Gesetz für jedes Kind im Grundschul- oder Hauptschulalter die Bereitstellung einer gebührenfreien, verpflichtenden und allgemeineren Grundausbildung vorsehe. Öffentliche Schulen seien qualitativ unterdurchschnittlich und viele Kinder seien aufgrund einer eingeschränkten Anzahl

an Einrichtungen vom Zugang ausgeschlossen. Der Großteil der Finanzierung erfolge durch die Bundesregierung. Die Regierungen der Bundesstaaten müssten einen Anteil leisten. Die öffentlichen Investitionen würden nicht ausreichen, um eine allgemeine Grundausbildung zu erreichen. Die Budget-Abwicklung sei regelmäßig weit unter dem bestätigten Finanzierungsniveau gelegen. Die gestiegenen Aufnahmezahlen hätten zu Hindernissen bei der Sicherstellung qualitativ hochwertiger Bildung geführt. UNICEF zufolge seien auf einen oder eine LehrerIn 100 SchülerInnen gekommen. Von den etwa 30 Millionen Kindern im Primärschulalter, seien schätzungsweise 10,5 Millionen nicht an formell anerkannten Schulen eingeschrieben. Die niedrigsten Schulbesuchszahlen seien im Norden mit 45 Prozent der Jungen und 35 Prozent der Mädchen verzeichnet worden. Etwa 25 Prozent der Personen zwischen 17 und 25 Jahren hätten weniger als zwei Jahre Bildung erhalten. Der im Jahr 2015 durchgeführten Studie zu Bildungsstatistiken zufolge seien die Schulbesuchszahlen bei Primärschulen landesweit bei 68 Prozent gelegen. Jungen im Schulalter hätten wahrscheinlicher eine Primärschule besucht als Mädchen. Im Nordosten seien die Schulbesuchszahlen für Primärschulen am niedrigsten gelegen. Der wichtigste Grund dafür seien die Aufstände durch Boko Haram und die Gruppe Islamischer Staat in Westafrika (ISIS-WA) gewesen, die tausende Kinder von einem Schulbesuch in den Bundesstaaten Borno und Yobe abgehalten hätten (USDOS, 13. März 2019, Section 6).

Die nigerianische Tageszeitung Leadership erwähnt in einem Artikel vom März 2019, dass Bildung in Nigeria kostenlos und verpflichtend für Kinder bis zu einem Alter von fünfzehn Jahren sei. Recherchen der Zeitung hätten jedoch ergeben, dass in einigen öffentlichen Schulen des Landes Aufnahmegebühren und andere Abgaben gefordert würden. Das Programm zur kostenlosen Bildung habe das Ziel, die Anzahl der Kinder zu verringern, die keine Schule besuchen. Einem Bericht des Nationalen Rats für Bildung von 2018 zufolge, belege Nigeria weiterhin den ersten Platz auf der Liste der weltweiten Länder mit der höchstens Anzahl der Kinder, die keine Schule besuchen. Trotz einiger Initiativen der Regierung, wie das Programm zur Allgemeinen Grundbildung (Universal Basic Education, UBE), scheine das Programm nicht so zu funktionieren, wie angenommen (Leadership, 30. März 2019).

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 19. April 2019)

 

· ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zur Lage von RückkehrerInnen Versorgungslage, Programme seitens des Staates und NGOs zur Rückkehrunterstützung und Reintegration); Erwerbsmöglichkeiten für Jugendliche mit niedriger Schulbildung [a-10658], 18. Juli 2018

https://www.ecoi.net/de/dokument/1442881.html

· Centre for Public Impact: Universal Basic Education in Nigeria, 17. Mai 2017

https://www.centreforpublicimpact.org/case-study/universal-basic-education-nigeria/

· Connelly, Graham; Ikpaahindi, Saater: Alternative Child Care and Deinstitutionalisation: A case study of Nigeria, November 2016 (veröffentlicht von SOS Children’s Villages International)

https://www.sos-childrensvillages.org/getmedia/dd26f0b6-fe9f-4769-8c29 -

03551237a883/Nigeria-Alternative-Child-Care-and-Deinstitutionalisation-Report.pdf

· Copenhagen Consensus Center: Nigeria Perspective: Education, ohne Datum

https://www.copenhagenconsensus.com/publication/nigeria-perspective-education

· EASO – European Asylum Support Office: Nigeria; Key socio-economic indicators, November 2018

https://www.ecoi.net/en/file/local/2001365/2018_EASO_COI_Nigeria_KeySocioEconomi

c.pdf

· Leadership: Issues On Free Primary And Secondary Education In Nigeria, 30. März 2019

https://leadership.ng/2019/03/30/issues-on-free-primary-and-secondary-education-innigeria/

· UNICEF - United Nations Children's Fund: Nigeria; Education, ohne Datum

https://www.unicef.org/nigeria/education

· UNICEF - United Nations Children's Fund: A Financial Benchmark for Child Protection, Junic2018

https://www.unicef.org/nigeria/media/2226/file

· USDOS – US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2018 -Nigeria, 13. März 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2004182.html

1.2.3.3. Des Weiteren wird zum Zugang zu Bildung und Kosten Folgendes festgestellt:

In Nigeria besuchen laut UNICEF nur 61% der 6- bis 11-jährigen eine Schule, wobei die Situation im Norden des Landes besonders schlimm ist (https://www.unicef.org/nigeria/education ). Die Regierung versucht aber die Situation zu verbessern (vgl. BBC Report, abrufbar unter https://www.bbc.co.uk/programmes/articles/3RbFXDdBw3g0HQG0fpyD0xF/why-nigerias-educational-system-is-in-crisis-and-how-to-fix-it ). Gerade in Edo State wurde auch ein von der Weltbank gelobtes Konzept ins Leben gerufen, wie trotz der Schulschließungen aufgrund der Pandemie Schüler und Eltern erreicht wurden (vgl. https://blogs.worldbank.org/education/learning-despite-crisis-case-edo-state-nigeria ). Es gibt daher durchaus einen Zugang zu Bildung in Edo State“

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 23.05.2022

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet (USDOS 12.4.2022).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 12.4.2022). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 22.2.2022). In den vergangenen Jahrzehnten hat eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2021). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 22.2.2022).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 12.4.2022). Im Allgemeinen gibt es Teile des Landes, in denen eine Person keine begründete Furcht vor Verfolgung haben muss bzw. die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, nicht besteht - abhängig von der Art der Bedrohung durch nicht-staatliche Akteur(e) bzw. die Lebensumstände der Person. Allerdings kann die Umsiedlung für alleinstehende Frauen, Nicht-Einheimische ohne Zugang zu Unterstützungsnetzwerken sowie für Angehörige sexueller Minderheiten schwieriger sein (UKHO 9.2021).

Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 9.2020).

Bedingt durch COVID-19 sind öffentliche Versammlungen beschränkt (USDOS 12.4.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Nigeria - Alltag, https://www.liportal.de/nigeria/alltag/ , Zugriff 1.9.2021 [Anm.: Der Link ist mit Stand 3.5.2022 nicht abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und abrufbar]

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (9.2021): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060292/NGA_CPIN_Internal_Relocation.pdf , Zugriff 29.4.2022

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

Meldewesen

Letzte Änderung: 23.05.2022

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 10.2021; vgl. AA 22.2.2022; EASO 24.1.2019), wie u.a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2021).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2021).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

EASO - European Asylum Support Office (24.1.2019): Query Response - Identification documents system in Nigeria, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

Grundversorgung

Letzte Änderung: 31.05.2022

Nigeria ist mit mehr als 200 Millionen Einwohnern bei Weitem das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Vor einigen Jahren zog das westafrikanische Land in punkto Wirtschaftsleistung sogar an Südafrika vorbei. Allerdings befindet sich Nigeria seit dem Ölpreisverfall 2016 in einer wirtschaftlichen Krise. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie belasten das Land zusätzlich (ABG 11.2021).

Stärken: Reiche Erdöl- und Gasvorkommen; relativ breit aufgestellte Industrie in Lagos; größter Verbrauchermarkt Afrikas mit mehr als 210 Millionen Einwohnern; großer Pool an motivierten Arbeitskräften. Schwächen: Schlechte Infrastruktur; Korruption und Vetternwirtschaft in der öffentlichen Verwaltung; hohe Standortkosten und steigende Sicherheitskosten; Großteil der Bevölkerung mit rückläufiger Kaufkraft (ABG 11.2021).

2020 wurde die Wirtschaft des Landes schwer durch den durch Covid-19 bedingten Verfall der internationalen Ölpreise getroffen. Für 2020 wird mit einem Rückgang des BIP von ca. 3,2 Prozent bei einem Wachstum der Bevölkerung in etwa gleicher Höhe gerechnet. Bereits im 4. Quartal 2020 hat die Wirtschaft jedoch wieder zu expandieren begonnen. 2021 sollte sie, getragen von Ölpreisen um 60 US-Dollar pro Fass, um 1,5 bis 2,5 Prozent real wachsen (WKO 2.11.2021).

Nigeria ist im Bereich der Landwirtschaft keineswegs autark, sondern auf Importe, vor allem von Reis, angewiesen. Aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten. Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2021).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt. Etwa 60 Prozent der geschätzten 200 Millionen Menschen leben in absoluter Armut (BS 23.2.2022). Gemäß Schätzungen der Weltbank leben ca. 90 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze von 1,9 US-Dollar pro Tag und über 90 Prozent der Bevölkerung müssen mit einem Einkommen von weniger als 5,50 Dollar pro Tag auskommen (ÖB 10.2021).

Die letzten offiziellen Zahlen des nigerianischen National Bureau of Statistics (NBS) die Arbeitslosigkeit betreffend stammen aus dem 4.Quartal 2020. Demnach waren damals 56,1 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Besonders hoch sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung unter Jugendlichen. Laut NBS betrugen sie im selben Zeitraum kumuliert 63 Prozent (ÖB 10.2021). Laut NBS sind mit Stand Mai 2022 immer noch die Zahlen aus Q4 2020 die aktuellsten. Die Arbeitslosigkeit selbst lag im Q4 2020 bei 33,3 Prozent (NBS 2022). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2021; vgl. BS 23.2.2022).

Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 23.2.2022).

Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2021). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 23.2.2022). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2021).

Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmittelpreise variieren nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2021).

Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbstständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbstständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2021).

Der Entwicklungsplan der Regierung, der Economic Recovery and Growth Plan (ERGP) bzw. das Medium Term Expenditure Framework (MTEF) sehen im Bereich der landwirtschaftlichen Entwicklung die zusätzliche Bewirtschaftung von 5.000 ha Land und die Errichtung von 22 Bewässerungsdämmen vor. Der Bergbau sowie die bestehenden Freihandelszonen sollen wiederbelebt werden. Die sog. National Integrated Power Projects (NIPPs) sollen privatisiert und ihre 7.000 MW Kapazität optimiert werden. Neue Zugverbindungen, darunter zwischen Lagos und dem Handelszentrum des Nordens, Kaduna, werden verwirklicht. Eine weitere Brücke über den größten Fluss des Landes, den Niger, soll ebenfalls als Konzessionsmodell vergeben werden. In Lagos soll eine vierte Brücke gebaut werden, um das „Mainland“ mit den Geschäfts- und Nobelvierteln auf den „Islands“ zu verbinden. In allen 37 Bundesstaaten sollen rund 3.550 leistbare Wohnbauprojekte realisiert werden. Ein Teil dieser Projekte befindet sich bereits im Stadium der Verwirklichung (WKO 11.2021).

Quellen:

ABG - Africa Business Guide (11.2021): Länderprofil Wirtschaft in Nigeria, https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/nigeria , Zugriff 5.5.2022

BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 - Nigeria Country Report, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2022_NGA.pdf , Zugriff 21.4.2022

NBS - National Bureau of Statistics (2022): Homepage, https://www.nigerianstat.gov.ng/ , Zugriff 5.5.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.11.2021): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 21.1.2022

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 31.05.2022

Nigeria verfügt über ein pluralistisches Gesundheitssystem, in dem die Gesundheitsfürsorge gemeinsam vom öffentlichen und privaten Sektor sowie durch moderne und traditionelle Systeme erbracht wird. Die Verwaltung des nationalen Gesundheitssystems ist dezentralisiert in einem dreistufigen System zwischen Bundes-, Landes- und Lokalregierungen (EUAA 4.2022). Die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten in Nigeria sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor hat sich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Trotzdem ist die Gesundheitsversorgung - vor allem auf dem Land - mangelhaft (AA 22.2.2022). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt. Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2021).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 22.2.2022). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 10.2021). Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 22.2.2022). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über eine moderne Ausstattung (ÖB 10.2021).

Wie die meisten afrikanischen Länder leidet auch Nigeria unter einem kritischen Mangel an Fachkräften beim Gesundheitspersonal (HRH). Obwohl das Land einen der größten Bestände an Gesundheitspersonal hat, ist die Dichte an Ärzten, Krankenschwestern und Hebammen unzureichend (1,95 pro 1.000). Nach Schätzungen der Weltbank kamen im Jahr 2018 etwa 0,4 Ärzte auf 1.000 Einwohner während die Zahl der Krankenschwestern und Hebammen im Jahr 2019 auf 1,5 pro 1.000 Einwohner geschätzt wurde. Weitere Herausforderungen im Bereich der Humanressourcen sind die ungleiche Verteilung des Gesundheitspersonals auf die Bundesstaaten, Finanzierungslücken und Abwanderung von qualifiziertem Gesundheitspersonal in andere Länder (EUAA 4.2022).

Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen. Im ambulanten Bereich gibt es in Einzelfällen in den größeren Städten qualifizierte Psychiater, die nicht einweisungspflichtige Patienten mit klassischen Psychosen und Persönlichkeitsstörungen behandeln können (AA 22.2.2022). Es gibt weniger als 300 Psychiater für eine Bevölkerung von mehr als 200 Millionen Menschen, und angesichts der geringen Kenntnisse über psychische Störungen in der Primärversorgung sind die Familien in den ländlichen Gebieten auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, ihre betroffenen Familienmitglieder zu versorgen. Auch die Zahlen für psychosoziale Fachkräfte sind niedrig, denn die Gesamtzahl der Fachkräfte im Bereich der psychischen Gesundheit liegt bei 0,9 pro 100.000 Einwohner, aufgeschlüsselt (jeweils pro 100.000 Einwohner) in 0,70 Krankenschwestern, 0,02 Psychologen, 0,10 Psychiater, 0,04 Sozialarbeiter und 0,01 Ergotherapeuten (EUAA 4.2022). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich (AA 22.2.2022).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch im informellen Sektor (AA 22.2.2022). Die Rate der im NHIS versicherten Personen ist von 10 Prozent (5,6 Millionen Nigerianer) vor zehn Jahren auf 1,72 Prozent (eine Million Nigerianer) in aktualisierten Statistiken [Stand: 2020] gefallen. 90 Prozent der Nigerianer sind nicht versichert. 3-5 Prozent der Bevölkerung sind in irgendeiner Form krankenversichert (TG 25.9.2020).

Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2021). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Für Medikamente muss man selbst aufkommen. Das Preisniveau ist insgesamt uneinheitlich, selbst Generika können bisweilen durchaus teurer als in deutschen Apotheken sein (AA 22.2.2022). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2021). Gemäß einer weiteren Quelle werden Medikamente für sogenannte vorrangige Krankheiten in staatlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt, darunter antiretrovirale Medikamente sowie Medikamente gegen Tuberkulose und multiresistente Tuberkulose. Probleme in der Versorgungskette haben zur Bildung informeller Arzneimittelmärkte geführt. Die Medikamentenpreise variieren in den nördlichen und südlichen Regionen; sie sind im Norden höher, weil die Verteilung von den südlichen Häfen in die nördlichen Regionen kostenintensiver ist (EUAA 4.2022).

Apotheken und in geringerem Maße private Kliniken verfügen über essenzielle Medikamente (AA 22 .2022). Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2021).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte vertrieben werden (bis zu 25 Prozent aller verkauften Medikamente), die nur eingeschränkt wirken (AA 22.2.2022). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2021).

Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2021).

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte Covid-19-Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenige Tests durchgeführt werden. Mit Stand 10.5.2022 sind in Nigeria 255.802 Covid-19-Fälle erfasst, davon 2.723 aktive Fälle. Es gab bis dato 3.143 Tote aufgrund von Covid-19, getestet wurden 5.114.703 (Africa CDC 10.5.2022)

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (10.5.2022): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 10.5.2022

EUAA - European Union Agency for Asylum (4.2022): Report on medical care (political context; economy; socio-cultural features; organisation of the health system; healthcare human resources; pharmaceutical sector; patient pathways; insurance; cost; treatments; mental healthcare; selected medicines price list), https://www.ecoi.net/en/file/local/2071828/2022_04_EUAA_MedCOI_Report_Nigeria.pdf , Zugriff 10.5.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

TG - The Guardian (25.9.2020): Over 170 million Nigerians without health insurance, https://guardian.ng/features/over-170-million-nigerians-without-health-insurance/ , Zugriff 3.8.2021

Rückkehr

Letzte Änderung: 31.05.2022

Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2021).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX unterstützt werden (AA 22.2.2022). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2021). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 22.2.2022).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 22.2.2022). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2021). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 22.2.2022) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2021) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 22.2.2022; vgl. ÖB 10.2021). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2021).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 22.2.2022). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2021).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, sodass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure betreiben Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten (AA 22.2.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Januar 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2068657/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Januar_2022%29%2C_22.02.2022.pdf , Zugriff 21.4.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

Dokumente, Staatsbürgerschaft, Meldewesen

Letzte Änderung: 31.05.2022

Zwar existiert mit der National Identity Database (NID) eine Art Datenbank für nigerianische und nicht-nigerianische Bürger, die in Nigeria wohnhaft sind, jedoch nur, sofern diese sich in der Datenbank registriert haben (bislang nur eine Minderheit) (AA 22.2.2022). Gemäß anderen Angaben sind inzwischen 42 Millionen Menschen registriert. Im Zuge dieser Registrierung wird die National Identity Number (NIN) vergeben, welche Voraussetzung für den Erhalt eines Personalausweises ist (MBZ 3.2021). Auch im Zusammenhang mit der nigerianischen Lebenswirklichkeit kann dies nicht als lückenlose Registrierung und damit flächendeckendes Meldewesen gesehen werden (AA 22.2.2022). Der Besitz eines nigerianischen Ausweises, auch zertifiziert, garantiert nicht die korrekte Identität des Inhabers des Ausweises. Mit einer NIN haben Personen allerdings eine fixe Identität, die nicht mehr gewechselt werden kann. Es ist jedoch möglich, dass diese NIN aufgrund gefälschter Dokumente erstellt worden ist, und nicht mit der Identität bei Geburt übereinstimmt (MBZ 3.2021).

Mit der Einführung des elektronischen Passes (mit elektronisch gespeicherten Fingerabdrücken) im Jahr 2007 haben die Behörden einen wichtigen Schritt unternommen, die Dokumentensicherheit zu erhöhen. Es sind auch so gut wie keine gefälschten nigerianischen Pässe im Umlauf, da es keinerlei Problem darstellt, einen echten Pass unter Vorlage gefälschter Dokumente oder Verwendung falscher Daten zu erhalten (AA 22.2.2022). Es ist aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens, verbreiteter Korruption in den Passbehörden sowie Falschangaben der Antragsteller ohne weiteres möglich, einen nigerianischen Reisepass zu erhalten, der zwar echt, aber inhaltlich falsch ist (AA 22.2.2022; vgl. MBZ 3.2021). Mangels eines geordneten staatlichen Personenstandwesens ist die Überprüfung der Echtheit von Dokumenten durch nigerianische Behörden mit einem großen Aufwand verbunden. Angesichts der in Nigeria allgemein nicht gegebenen Dokumentensicherheit ist die bloß formale Bestätigung der Echtheit einer Unterschrift oder eines Siegels eines nigerianischen Ministeriums nicht dazu geeignet, eine Beglaubigung unter Einhaltung der gesetzlichen notariellen Sorgfaltspflicht und im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen vorzunehmen (ÖB 10.2021).

Gefälschte Dokumente (Geburts- und Heiratsurkunden, Zeugnisse von Schulen und Universitäten etc.) sind in Lagos und anderen Städten ohne Schwierigkeiten zu erwerben (AA 22.2.2022; vgl. MBZ 3.2021). Sie sind professionell gemacht und von echten Dokumenten kaum zu unterscheiden. Inhaltlich unwahre, aber von den zuständigen Behörden ausgestellte (Gefälligkeits-)Bescheinigungen sowie Gefälligkeitsurteile in Familiensachen kommen vor. Fälschungstypische Fehler sind dabei in der Natur der Sache nicht immer aufzeigbar. Vorgelegte angebliche Fahndungsersuchen nigerianischer Sicherheitsbehörden sind in der Form oft fehlerhaft oder enthalten falsche Darstellungen behördlicher Zuständigkeiten und sind dadurch als Fälschungen zu erkennen. Aufrufe von Kirchengemeinden – z.B. genannten Asylbewerbern Zuflucht und Schutz zu gewähren – sind oft gefälscht (AA 22.2.2022).

Kinder leiten ihre Staatsbürgerschaft von ihren Eltern ab (USDOS 12.5.2022). Geburten werden insbesondere im ländlichen Raum, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt, kaum registriert (ÖB 10.2021). Es gibt keine Vorschrift zur Registrierung von Geburten. Der Großteil der Geburten wird nicht registriert; Daten zeigen, dass landesweit nur bei 42 Prozent der Kinder unter fünf Jahren die Geburt ordnungsgemäß registriert ist (USDOS 12.4.2022). Nach der nigerianischen Verfassung vom 5.5.1999 soll der Verzicht auf die nigerianische Staatsangehörigkeit nach Artikel 29 durch Abgabe einer formgebundenen Verzichtserklärung und durch die anschließende Registrierung des Verzichtes eintreten (AA 22.2.2022). Demzufolge ist die einzig zuständige Behörde betreffend Zurücklegung der nigerianischen Staatsangehörigkeit das nigerianische Innenministerium. Bei Genehmigung eines derartigen Antrages stellt das nigerianische Innenministerium ein „Certificate of Renunciation“ aus. Allfällige Bestätigungen nigerianischer Vertretungsbehörden über das erfolgte Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband entfalten folglich keine Rechtswirkung (BMEIA 7.8.2019; vgl. BMEIA 8.5.2020). Die genaue Vorgehensweise zur Zurücklegung lautet:

Der Antragsteller richtet ein Schreiben an den „Permanent Secretary, Federal Ministry of Interior, Abuja“. Dem Schreiben sind folgende Dokumente beizufügen:

Antrag (siehe z.B. Webseite der nigerianischen Botschaft Berlin unter: https://nigeriaembassygermany.org/Forms---Fees.htm )

Lichtbild

Geburtsurkunde

Die ersten fünf Seiten des nigerianischen Reisepasses (inklusive der Datenseite)

Eidesstattliche Erklärung des Antragstellers, wonach dieser die nigerianische Staatsangehörigkeit zurücklegen möchte.

Erklärung der zuständigen österreichischen Einbürgerungsbehörde, dass bei Zurücklegung der nigerianischen Staatsangehörigkeit, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden kann.

Abstammungsurkunde der örtlichen Landesregierung mit einem weiteren Lichtbild

Bestätigung des „Sekretärs“ der entsprechenden nigerianischen Landesregierung

Gleichzeitig mit der persönlichen Antragstellung z.B. bei der zuständigen nigerianischen Botschaft, muss auch eine Antragstellung online erfolgen. Dazu muss sich der Antragsteller auf der Webpage des nigerianischen Innenministeriums registrieren (https://ecitibiz.interior.gov.ng/account/Register/ ) und der Antrag samt Beilagen muss auf die Webpage hochgeladen werden.

Die Konsulargebühren betragen:

- 30.000 Naira Antragsgebühr (zahlbar bei Antragstellung)

- 50.000 Naira Genehmigungsgebühr (zahlbar bei Genehmigung) (ÖB 15.5.2019)

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.12.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2042796/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2020%29%2C_05.12.2020.pdf , Zugriff 17.5.2021

BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (8.5.2020): Nigeria, Staatsbürgerschaft: Anfrage der MA 35 zu Entlassungsverfahren, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (7.8.2019): Nigeria, Ausscheiden aus dem nigerianischen Staatsverband, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

MBZ - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands [Niederlande] (3.2021): Country of origin information report Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2054389/03_2021_MinBZ_NL_COI_Nigeria.pdf , Zugriff 17.8.2021

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2066259/NIGR_%C3%96B-Bericht_2021-10.pdf , Zugriff 12.1.2022

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (15.5.2019): STB; Prüfung Staatsbürgerschaft, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

USDOS - U.S. Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071178.html , Zugriff 21.4.2022

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des BFA und der vorliegenden Gerichtsakte des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Grundversorgung (GVS), und dem Hauptverband österreichischen Sozialversicherungsträger (AJ-WEB) wurden ergänzend zu den vorliegenden Akten eingeholt. Außerdem wurde das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria (Stand 31.05.2022) berücksichtigt.

2.2. Zur Person der BF:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit der BF getroffen wurden, beruhen diese auf den in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Feststellungen, denen auch in den gegenständlichen Beschwerden nicht entgegengetreten wurde. Die Feststellungen zur Volljährigkeit der BF1, der Minderjährigkeit der BF2 und des BF3 und des Umstandes, dass die BF1 die Mutter der BF2 und des BF3 ist, ergibt sich aus der Aktenlage und ist augenscheinlich.

Da die BF1 den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht ihre Identität nicht zweifelsfrei fest. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität der BF2 und des BF3 getroffen wurden, ergeben sich diese aus der Aktenlage bzw. aus den dazu vorgelegten Geburtsurkunden.

Die Feststellungen zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit der BF ergeben sich aus den glaubhaften Aussagen der BF1 im gegenständlichen Verfahren und in den vorangegangenen Asylverfahren.

Die Feststellung zur Unterbringung der BF in einer Opferschutzeinrichtung der LEFÖ ergibt sich aus den in den Akten erliegenden Auszügen aus dem Zentralen Melderegister und den dahingehenden Ausführungen der BF1.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF beruhen auf den Angaben der BF1 in der mündlichen Verhandlung. Es wurden keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorgebracht, welche nach Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur zur Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Falle einer Rückkehr führen könnten. Schließlich sind auch aus der Aktenlage keinerlei Hinweise auf schwere chronische gar lebensbedrohliche Erkrankungen hervorgekommen.

Die Feststellungen zur regionalen Herkunft, den Sprachkenntnissen, der Schulbildung und den familiären Anknüpfungspunkten der BF in Nigeria basieren ebenso auf ihren Angaben vor der belangten Behörde und der erkennenden Richterin. Dass die BF1 nach wie vor in Kontakt zumindest mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern steht, ergibt sich aus ihrem insgesamt als unglaubhaft zu qualifizierenden Fluchtvorbringen und der sich daraus ergebenden persönlichen Unglaubwürdigkeit der BF1 (vgl. dazu auch Punkt 2.3. „Zum Vorbringen der BF“). Insbesondere ist nicht glaubhaft, dass es aufgrund eines Rufnummernswechsel zum gänzlichen Kontaktabbruch mit der Mutter und ihren Geschwistern gekommen sein will.

Die Feststellungen zum ehemaligen Lebensgefährten der BF1 basieren auf ihren dahingehenden Ausführungen und den rechtskräftigen Feststellungen im vorangegangenen Asylverfahren. Dem Vorbringen der BF1, wonach sie keinen Kontakt mehr zu Ihrem Lebensgefährten mehr habe, wird ebenfalls die Glaubwürdigkeit abgesprochen, zumal ihre diesbezüglichen Einlassungen nicht nachvollziehbar erscheinen, wenn sie erklärt, dieser habe den Kontakt abgebrochen, weil sie mit ihren gemeinsamen Kindern in eine Schutzeinrichtung der LEFÖ gezogen sei. Damit macht sie keinen nachvollziehbaren Grund geltend, der den Kontaktabbruch zu ihrem Lebensgefährten plausibel erscheinen ließe. Vielmeh ist aufgrund der persönlichen Unglaubwürdigkeit der BF1 und ihres Lebensgefährten davon auszugehen, dass dieses Vorbringen erstattet wurde, um ein für sie günstigeres Verfahrensergebnis zu erzielen.

Dass die BF im Bundesgebiet ansonsten über keine familiären Bezüge verfügen, hat die BF1 in der mündlichen Verhandlung selbst angeführt.

Die Feststellung zum Aufenthalt und der illegalen Einreise der BF1 in das Bundesgebiet ergibt sich aus ihren Aussagen und den dazu im Vorverfahren getroffenen Feststellungen. Die Feststellungen zum Aufenthalt der BF2 und des BF3 ergeben sich aus den in den Akten befindlichen Auszügen aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellungen zum gegenwärtigen Bezug der Grundversorgung sind durch drei aktuell eingeholte Speicherauszüge aus dem Betreuungsinformationssystem belegt und ergibt sich daraus auch die nicht gegebene Selbsterhaltungsfähigkeit der BF. Die Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse, die Lebensumstände und die Integration der BF in Österreich beruhen ebenfalls auf den Aussagen der BF1 und den dazu in Vorlage gebrachten Dokumenten.

Dass die BF1 in Österreich strafrechtlich unbescholten ist, basiert auf einem eingeholten Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.

Die Feststellungen zur Zeugeneinvernahme, zur in weiterer Folge ausgesprochenen Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft XXXX und zum Abbruch des Ermittlungsverfahrens beruhen ebenso auf den dazu vorgelegten Dokumenten. Die Feststellung, dass keine weiteren Ermittlungen hierzu durchgeführt werden und dass Verdächtige bereits abgeschoben wurde ergeben sich aus der am 10.11.2021 bei der belangten Behörde eingelangten Stellungnahme der LPD XXXX .

2.3. Zum Vorbringen der BF:

Die BF1 brachte im gegenständlichen Verfahren zusammengefasst vor, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein. So sei sie über ein Menschenhändlernetzwerk nach Europa verbracht worden und habe man sie nach ihrer Ankunft aufgefordert, die Kosten für ihre Schleppung in Höhe von € 30.000, -- zu bezahlen, weshalb sie von 2016 bis 2018 in Österreich der Prostitution nachgegangen sei. Im Jahr 2018 sei sie mit der BF2 schwanger geworden, weswegen sie ihre Tätigkeit als Prostituierte eingestellt habe. Daraufhin sei sie mehrmals telefonisch kontaktiert und aufgefordert worden, ihre noch offenen Schulden zu tilgen, wobei man ihre Kinder und sie mit dem Tod bedroht habe und sich unter anderem auf den von ihr vor ihrer Ausreise abgelegten Juju-Schwur bezogen habe. Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria wäre ihr Leben und jenes ihrer Kinder in Gefahr.

Es wird in Zusammenschau mit den getroffenen Länderfeststellungen nicht verkannt, dass Nigeria und insbesondere der Bundesstaat Edo Drehscheibe des Menschenhandels zu Zwecken sexueller Ausbeutung ist. Jedoch gelangt das Bundesverwaltungsgericht gegenständlich auf Grundlage der ergänzenden Ermittlungen zum Ergebnis, dass das im nunmehrigen Verfahren erstattete Vorbringen der BF1 zu den Fluchtgründen, nämlich der Bedrohung (Vergeltungsmaßnahmen) durch die Menschenhändler und eine erneute Rekrutierung durch diese als nicht glaubhaft zu qualifzieren ist. Die BF1 machte im Zuge ihrer Befragungen vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht vage, unplausible und widersprüchliche Angaben, sodass - wie darzulegen sein wird - von der Konstruiertheit ihres Fluchtvorbringens auszugehen und ihr die Glaubwürdigkeit zu versagen war.

Die Unglaubwürdigkeit der BF1 setzt bereits bei ihren Ausführungen zu ihren persönlichen Verhältnissen an. Während sie in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 20.10.2021 anführte, mit zwei ihrer Schwestern nach wie vor in Kontakt zu stehen, vermeinte sie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, dass eine Kontaktaufnahme nach Nigeria zuletzt im Jahr 2020 erfolgt sei, derzeit kommuniziere sie lediglich mit ihrer in Libyen aufhältigen Schwester. Vielmehr ist von einem weiterhin aufrechten Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Nigeria auszugehen und der angebliche Kontaktabbruch mit ihren in Nigeria aufhältigen Familienangehörigen als Schutzbehauptung zu werten.

Zur persönlichen Unglaubwürdigkeit der BF1 trägt außerdem der Umstand bei, dass sie im vorangegangenen Asylverfahren angab, „Ich habe Geschwister, zusammen mit mir sind wir sieben“ (S 4 Verhandlungsprotokoll vom 12.11.2019), sie jedoch im gegenständlichen Verfahren vor der belangten Behörde im Hinblick auf ihre familiären Verhältnisse ihren Bruder gänzlich unerwähnt ließ und lediglich von vier Schwestern sprach. Ferner hat die BF1 in der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2019 erklärt, dass ihre Schwester Mama 21 Jahre alt sei, in jener vom 21.07.2022 vermeinte sie in diesem Zusammenhang „Sie sollte aktuell 25 oder 26 Jahre alt sein“ (S 6 Verhandlungsprotokoll), was sich zeitlich nicht mit ihren bisherigen Ausführungen in Einklang bringen lässt.

Hinzukommt, dass die BF1 nicht imstande war, den Zeitpunkt ihrer Ausreise gleichbleibend darzulegen. So schilderte sie vor der belangten Behörde Nigeria im Jahr 2015 verlassen zu haben, seit 2016 befände sie sich im österreichischen Bundesgebiet. Vor der erkennenden Richterin führte sie im Widerspruch dazu wiederholt das Jahr 2016 als Jahr ihrer Ausreise ins Treffen.

Darüber hinaus sei erwähnt, dass die BF1 sowohl im Vorverfahren als auch in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 20.10.2021 erklärte, drei Jahre lang als Prostituierte in Nigeria für ihre Stiefmutter tätig gewesen zu sein. Demgegenüber gab sie dahingehend in der Beschwerdeverhandlung an, „Das war zwischen 2009 und 2016, dem Jahr meiner Ausreise“ (S 8 Verhandlungsprotokoll).

Bemerkenswert ist überdies, dass die BF1 im vorangegangenen Asylverfahren anführte, den vollständigen Namen ihrer Stiefmutter, mit der sie immerhin seit 2009 zusammengelebt haben will, nicht zu kennen und diese vielmehr nur „Mum“ genannt zu haben, sie jedoch im Zuge der Erstbefragung vom 26.05.2021 und ihrer Einvernahme als Zeugin beim Landeskriminalamt XXXX am 25.05.2021 erstmals schilderte, dass diese Esther heiße.

Im Hinblick auf das von der BF1 ins Treffen geführte Fluchtvorbringen birgt sich bereits ein eklatanter Widerspruch in ihren Ausführungen zu den an der Prostitution beteiligten Personen. So erklärte sie vor der erkennenden Richterin in einem Gebäude in Benin-City, welches einer Frau namens Linda gehört habe, der Prostitution nachgegangen zu sein, wobei es sich bei Linda um eine Freundin ihrer Stiefmutter handle. Linda habe das Geld ihrer Kunden erhalten und sie täglich nach verrichteter Arbeit für ihre Dienste bezahlt. Demgegenüber schilderte die BF1 gänzlich widersprüchlich im Vorverfahren, dass sie drei Jahre nach ihrer Tätigkeit als Prostituierte ein Mädchen namens Linda kennengelernt habe. Diese sei ebenso zur Prostitution gezwungen worden und habe ihr zur Ausreise verhelfen wollen und ist durch den Umstand, dass die BF1 damit der Person „Linda“ nunmehr eine gänzlich andere Rolle zuschreibt, das Vorbringen der BF1 bereits erheblich in Zweifel zu ziehen.

Zu den Ausreisemodalitäten gilt zudem anzumerken, dass die BF1 im Vorverfahren angeführt hat, ihre Ausreise mit ihrem Ersparten selbst finanziert zu haben. So habe sie die Hälfte ihres Verdienstes als Prostituierte einbehalten und angespart, die andere Hälfte habe sie zuhause abgeliefert. In der mündlichen Verhandlung vom 21.07.2022 gab sie divergierend dazu an, dass vorerst Linda für die Kosten ihrer Reise aufgekommen sei, wobei sie zusichern habe müssen, dass von ihr aufgewendete Geld durch ihre Arbeit in Europa abzuarbeiten bzw. zurückzubezahlen. Außerdem schilderte sie sowohl vor der erkennenden Richterin als auch vor der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, dass sie ihren gesamten Verdienst als Prostituierte in Nigeria an ihre Stiefmutter abführen habe müssen.

Davon abgesehen widerspricht sich die BF1 auch insofern, als sie vor der erkennenden Richterin und auch in ihren Gesprächen mit LEFÖ vermeinte, dass ursprünglich vereinbart worden sei, dass sie für ihre Reise nach Europa 30.000, -- Naira zurückbezahlen müsse, erst nach ihrer Ausreise habe man sie davon in Kenntnis gesetzt, dass es sich um einen Betrag in Höhe von 30.000, -- Euro handle. Vor der belangten Behörde erklärte sie dahingehend, „In Nigeria musste ich schwören, dass ich niemanden etwas über meine Ausreise erzähle. Linda sagte zu mir, dass ich 30.000 Euro zahlen muss und sie brachte mich zu einem Naturdoktor“ (S 8 Einvernahmeprotokoll BFA). Außerdem gilt an dieser Stelle anzumerken, dass die BF1 noch im Asylerstverfahren eine Summe in Höhe von 200.000, -- Naira für ihrer Reise nach Europa ins Treffen führte.

Sofern die BF1 im Vorverfahren im Übrigen erklärte, dass ein Mann, der ihr über Linda vermittelt worden sei, ihre Ausreise organisiert habe, ist festzuhalten, dass dies nicht mit ihren Ausführungen im gegenständlichen Verfahren in Einklang zu bringen ist, wonach die gesamte Reise durch Linda organisiert worden sei. Auffallend ist außerdem, dass die BF1 vor der erkennenden Richterin schilderte, dass sie einen Tag vor ihrem Reiseantritt von Linda zu einem Haus verbracht worden sei, hat sie doch noch im Vorverfahren angeführt, sich nach Aufforderung durch den ihr unbekannten Mann selbst an eine ihre genannte Adresse begeben zu haben. In der Zeugeneinvernahme vor dem Landeskriminalamt XXXX vermeinte sie wiederum, „Danach brachte mich ein Mann nach „Oboelu“ (phon.), wo ich mit 7 weiteren Personen (5 Männer, 2 Frauen) eine Nacht verbrachte“ (S 4 der Zeugenvernehmung vom 25.05.2021).

Im Hinblick auf die von der BF1 erstmals im gegenständlichen Verfahren ins Treffen geführte Tätigkeit als Prostituierte in Österreich und der damit in Zusammenhang stehenden Bedrohung gilt zunächst festzuhalten, dass die BF1 vor dem BFA schilderte, ab Februar 2021 bedroht worden zu sein, vor der erkennenden Richterin vermeinte sie dazu widersprüchlich, dass dies bereits im Dezember 2020 der Fall gewesen sei.

Nicht stringent sind weiters ihre Ausführungen hinsichtlich des in den Menschenhandel involvierten XXXX . Im Rahmen ihrer Zeugeneinvernahme vor dem Landeskriminalamt XXXX vom 25.05.2021 gab die BF1 zu Protokoll, von Beamten im Zug nach Österreich aufgegriffen, befragt und nach Traiskirchen verbracht worden zu sein, wo XXXX sie vier Mal besucht habe. Vor der erkennenden Richterin gab sie befragt zu etwaigen Treffen mit diesem lediglich an, „Ich habe ihn 2016 am Westbahnhof getroffen“ (S 10 Verhandlungsprotokoll) und erwähnte den Umstand, dass sie ihn bereits zuvor mehrere Male in Traiskirchen angetroffen habe nicht, was letztlich nicht nachvollziehbar ist.

Ganz allgemein ist ferner festzuhalten, dass der Umstand, dass die BF1 die von ihr nunmehr ins Treffen geführte Tätigkeit als Prostituierte in Österreich und die damit einhergehende Bedrohung in ihren vorangegangen Asylverfahren gänzlich unerwähnt gelassen hat, das Vorbringen nur noch unglaubwürdiger erscheinen lässt, dies umso mehr als die BF1 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz erst nach der rechtskräftigen Zurück- bzw. Abweisung ihrer zuvor gestellten Asylanträge eingebracht hat. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist anzunehmen, dass ein Asylwerber, der bemüht ist, in einem Land Aufnahme und Schutz zu finden, in der Regel auch bestrebt ist, alles diesem Wunsch Dienliche vorzubringen und ist angesichts dessen davon auszugehen, dass die BF1 bei Wahrunterstellung ihres Vorbringens die von ihr erst im gegenständlichen Verfahren vorgebrachte Verfolgung durch die in den Menschenhandel involvierten Personen bereits im Vorverfahren ins Treffen geführt hätte, hat sich doch in diesem Zusammenhang ohnehin bereits angeführt, in Nigeria der Zwangsprostitution zugeführt worden zu sein. Außerdem hat die BF1 selbst erklärt seit 2018 nicht mehr der Prostitution nachzugehen und seitdem auch nicht mehr mit XXXX in Kontakt gestanden zu haben. Zudem wurde sie sowohl in der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2019 als auch in jener vom 03.12.2020 explizit auf die Bedeutung wahrheitsgemäßer Angaben hingewiesen, weshalb bei einer tatsächlichen Bedrohung, wie sie nunmehr behauptet wird, zu erwarten gewesen wäre, dass diese bereits zu einem frühreren Zeitpunkt, jedenfalls sptätestens im zweiten Asylverfahren der BF1 geltend zu machen gewesen wäre.

Dass die BF1 darüber hinaus in der Beschwerdeverhandlung auf Nachfrage, weshalb sie in XXXX eine afrikanische Kirche besuche, obwohl sie sich vor XXXX verstecke, nur lapidar vermeinte, „Wien ist riesengroß und XXXX hat meine Kirche nicht besucht. Ich weiß nicht, in welcher Kirche er geht“ (S 15 Verhandlungsprotokoll), lässt die vorgebrachte Verfolgung nur noch unglaubwürdiger erscheinen, ist doch bei Wahrunterstellung realistischerweise zu erwarten, dass sie in diesem Zusammenhang besondere Vorsicht hätte walten lassen, um zu vermeiden, in Wien von dem Menschenhändlernetzwerk aufgespürt zu werden.

Schließlich gilt es noch anzumerken, dass die BF1 in der mündlichen Verhandlung angab, infolge der ihr gegenüber ausgesprochenen Drohungen im Juni oder Juli 2021 ihre Telefonnummer gewechselt zu haben. In der Einvernahme vor dem BFA am 20.10.2021 fand dieser Umstand keinerlei Erwähnung, vielmehr erklärte sie auf Nachfrage, weshalb sie die Telefonnummer, mit welcher sie nach wie vor kontaktiert werde, nicht blockiere, „Wenn ich die Nummer blockiere, dann ändern sie die Nummer“ (S 7 Einvernahmeprotokoll BFA).

Festzuhalten gilt, dass seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht verkannt wird, dass die EU eine erhebliche Anzahl nigerianischer Opfer des Menschenhandels beherbergt, wobei der Bundesstaat Edo Drehscheibe des Menschenhandels zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung ist. 80 bis 90 Prozent der im Rahmen von Menschenhandel nach Europa gekommenen Prostituierten stammen aus nur drei LGAs (Local Government Areas) in Edo. Wie die IOM im Juli 2017 berichtete, sind die meisten Menschenhandelsopfer zur sexuellen Ausbeutung zwischen 13 und 24 Jahre alt. Im Rahmen des nigerianischen Menschenhandels werden die Opfer vor der Abreise nach Europa häufig zu einem Voodoo (oder Juju)-Schrein gebracht, wo der Vertrag zwischen den Frauen und den Menschenhändlern in einer von einem Juju-Priester durchgeführten traditionellen Juju-Zeremonie bestätigt und besiegelt wird. Die meisten der betroffenen Frauen gehören der ethnischen Gruppe der Edo, auch als Bini bezeichnet, an und werden von Schleusernetzwerken unter falschen Versprechungen über die Realitäten des Lebens in Europa bzw. die Wege dorthin angeworben.

Aufgrund des Umstandes, dass das Vorbringen der BF1 daher grundsätzlich in Einklang mit den Berichten über die Struktur und Vorgehensweise der Menschenhändlerorganisationen in Nigeria steht und die BF1 zudem dem typischen Profil eines Opfers von Menschenhandel entspricht, kann nach Ansicht des erkennenden Gerichtes nicht ausgeschlossen werden, dass die BF1 tatsächlich Opfer von Menschenhandel wurde. Es ist jedoch angesichts der zuvor aufgezeigten groben Widersprüche im Hinblick auf das im gegenständlichen Verfahren ins Treffen geführte Fluchtvorbringen und der sich daraus ergebenden persönlichen Unglaubwürdigkeit der BF1, an denen auch die ins Verfahren eingebrachten Drohnachrichten eines unbekannten Absenders nichts zu ändern vermögen, nicht davon auszugehen, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Nigeria aufgrund etwaiger nicht getilgter „Schulden“ mit Vergeltungsmaßnahmen sowie allenfalls mit einer Rekrutierung durch das Menschenhändlernetzwerk zu rechnen hätte. Es ist der BF daher insgesamt nicht gelungen, eine konkrete, gegen ihre Person gerichtete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen, der auch Asylrelevanz zukommt.

Ganz abgesehen davon, dass das im gegenständlichen Verfahren von der BF1 erstattete Vorbringen hinsichtlich der Bedrohung und Verfolgung durch die in den Menschenhandel involvierten Personen ohnehin als nicht glaubhaft zu qualifizieren ist, hat die BF1 in der mündlichen Verhandlung selbst angeführt, zuletzt im Jahr 2018 mit XXXX in Kontakt gestanden zu sein und ist es der BF1 darüber hinaus lediglich durch einen Rufnummernwechsel gelungen, sich dessen bzw. den Fängen des Menschenhändlernetzwerkes zu entziehen. Zudem konnte sie auch trotz ihres regelmäßigen Besuches einer afrikanischen Kirche nicht von diesem aufgespürt werden und hat die BF1 auch zu keinem Zeitpunkt vorgebracht, dass dieses an ihre in Nigeria befindliche Familie zwecks Schuldentilgung herangetreten wäre und ist daher auch bei Wahrunterstellung ihres Vorbringens insgesamt nicht davon auszugehen, dass der BF1 bei einer Rückkehr nach Nigeria rund sechs Jahre später aus diesem Umfeld konkrete Gefahren drohen würden.

Des Weiteren haben sich fallbezogen auch keine Hinweise dafür ergeben, dass die BF1 im Falle einer Rückkehr Gefahr liefe, von ihren in Nigeria befindlichen Bezugspersonen stigmatisiert und verstoßen und damit letztlich in die Prostitution gezwungen zu werden. Die BF1 hat in der Beschwerdeverhandlung selbst angeführt, dass ihr Vater und ihre Geschwister bereits vor ihrer Ausreise Kenntnis von ihrer Tätigkeit als Prostituierte in Nigeria (unbeschadet dessen, dass dieses Vorbringen im zweiten Asylverfahren rechtskräftig als unglaubwürdig qualifziert wurde) hatten. Dass sie aufgrund dieses Umstandes von ihrer Familie bereits damals verstoßen worden wäre, hat die BF1 zu keinem Zeitpunkt im Verfahren vorgebracht. Den Ausführungen der BF1 sind auch keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Beziehung zu ihren Angehörigen, insbesondere jedoch zu ihrer Mutter und ihren Geschwistern bei einer Rückkehr gefährdet wäre, weshalb anzunehmen ist, dass sie in Nigeria jedenfalls wieder familiären Anschluss und Rückhalt finden wird und selbst bei Wahrunterstellung ihres Vorbringens keine Gefahr einer Stigmatisierung besteht, dies umso mehr als die BF1 eine solche auch nicht substantiiert vorgebracht hat. Darüber hinaus kann die BF1 mit ihrem Lebensgefährten, dem Vater ihrer Kinder nach Nigeria zurückkehren, der ebenfalls von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen ist, womit ihre Situation wiederum nicht mit jenen Frauen vergleichbar wäre, die als alleinstehende Mütter zurückkehren müssen und daher mit ehöhter Gefahr der Stigmatisierung zu rechenen hätten.

Soweit darüber hinaus in der Expertise der Interventionsstelle LEFÖ vom 19.10.2021 vorgebracht wird, dass die BF1 den Schutz Österreichs benötige, um sich von ihrer Traumatisierung, die ein direktes Ergebnis der Menschenhandelserfahrung sei, zu erholen, gilt anzumerken, dass zu keinem Zeitpunkt im Verfahren eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung bzw. dahingehende Gesundheitsbeeinträchtigungen ins Treffen geführt wurden und sind dafür auch aus der Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte hervorgekommen.

Für die BF2 und den BF3 wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Insofern jedoch in der Stellungnahme vom 25.10.2021 erneut auf eine drohende Genitalverstümmelung der BF2 Bezug genommen wird, ist festzuhalten, dass bereits im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.12.2019, Zln. I405 2221325-1/9E, I405 2225316-1/3E in Zusammenhang mit dem in Rechtskraft erwachsenen Spruchpunkt I. festgestellt wurde, dass die BF2 im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria in diesem Zusammenhang keiner Gefahr ausgesetzt sein wird. Es ist auch kein Grund ersichtlich, weshalb dies im Hinblick auf die BF2 nunmehr der Fall sein sollte. So hat die BF1 als deren gesetzliche Vertreterin bereits im Vorverfahren zweifelsfrei kundgetan eine ablehnende Haltung gegenüber Zwangsbeschneidungen einzunehmen und konnte sich letztlich auch ihre Mutter erfolgreich gegen die Zwangsbeschneidung ihrer jüngsten Schwester zur Wehr setzen. Außerdem kriminalisiert das Bundesgesetz VAPP (Violence Against Persons Prohibition Act) seit 2015 weibliche Genitalverstümmelung und ist FGM damit in Nigeria gesetzlich verboten. Auch bieten staatliche Stellen und NGOs Schutz und/oder Unterstützung für Frauen und Mädchen, die von FGM/C bedroht sind und ist insgesamt die Verbreitung von FGM jedenfalls rückläufig und ist daher nicht davon auszugehen, dass die BF2 im Falle einer Rückkehr in diesem Zusammenhang konkret bedroht wäre.

2.4. Zu den Länderfeststellungen:

Die unter Punkt 1.3. getroffenen Feststellungen zur Lage in Nigeria basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 31.05.2022, wobei zwischenzeitlich keine entscheidungswesentlichen Änderungen eingetreten sind; zu den darin verwendeten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die BF traten diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland im Zuge des Verfahrens auch nicht substantiiert entgegen.

2.5. Zu einer Rückkehrgefährdung der BF:

Dass die BF nach Nigeria zurückkehren können, ergibt sich aus dem Umstand, dass es aufgrund der Erwerbsfähigkeit der BF1 und des Vaters der mj. BF sowie der familiären Anküfungspunkte dieser in Nigeria nicht zu einer existentiellen Gefährdung der BF in Nigeria kommen wird. So kann der Vater der mj. BF die BF1 bei der Kinderbetreuung unterstützen, wenn diese einer Erwerbstätigkeit nachgeht. So wurde gegen den Vater der mj. BF bzw. Lebensgefährten der BF1 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen sowie seine Abschiebung nach Nigeria angeordnet. Das Vorbringen der BF1, wonach kein Kontakt mehr zu diesem bestehe, wurden als unglaubwürdig qualifiziert. Darüber hinaus verfügt die BF1 über familiäre Anknüpfungspunkte in Nigeria und kann sie daher auch Unterstützung (zumindest in Form einer Kinderbetreuung) durch ihre Familie bekommen, weshalb es ihr daher möglich sein wird, für sich selbst und die mj. BF zu sorgen. Besondere Einschränkungen im Geschäftsleben (abgesehen von den inzwischen global üblichen Regelungen wie Abstandhalten und Maskentragen) gibt es auch durch die Covid-19-Pandemie nicht. Die BF1 trat der Möglichkeit einer Rückkehr nach Nigeria auch nicht substantiiert entgegen; insoweit sie erneut darauf hinweist, dass sie keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen habe, ist dem entgegenzuhalten, dass der BF1 diesbezüglich die Glaubwürdigkeit bereits abgesprochen wurde.

Hinsichtlich der mj. BF ist anzumerken, dass keine besondere Gefährdung für Kinder erkannt werden kann. Aufgrund des Umstandes, dass die mj. BF sich gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Vater nach Nigeria begeben können, ist von keiner existentiellen Zwangslage auszugehen, die zu einer besonderen Gefährdung der mj. BF führen würde. Im Süden Nigerias bestehen weniger Probleme für Kinder als im Norden Nigerias, wo Kinderrechte kaum gewährleistet sind. Die BF1 stammt aus Edo State und damit aus dem Süden Nigerias. Soweit im Länderinformationsblatt auf die Diskriminierung und Misshandlung behinderter Kinder hingewiesen wird, ergibt sich keine Relevanz für den gegenständlichen Fall. In Edo State ist auch von einem Zugang zur Bildung auszugehen und versucht die Regierung generell den Zugang zur Schulbildung weiter zu verbessern.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. § 34 AsylG 2005 lautet:

"(1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).

Gemäß § 2 Absatz 1 Z 22 leg. cit. ist ein Familienangehöriger

a. der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten;

b. der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

c. ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten und

d. der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen ledigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sowie ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind, für das einem Asylwerber, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten die gesetzliche Vertretung zukommt, sofern die gesetzliche Vertretung jeweils bereits vor der Einreise bestanden hat.

Im gegenständlichen Fall liegt ein Familienverfahren mit den in den Feststellungen angeführten Familienangehörigen vor, die BF2 und der BF3 waren zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährig.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.2. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Unter „Menschenhandel“ ist im Sinne des Art. 2 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie 2011/36/EU „die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über die andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung“ zu verstehen.

Ausbeutung im Sinne der genannten Richtlinie umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung sowie Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen (einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme). Ausbeutung liegt vor, sobald eine Person genötigt wird (unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, Entführung, Betrug, Täuschung usw.), wobei es keine Rolle spielt, dass das Opfer seine Zustimmung gegeben hat.

Wie der Beweiswürdigung zu entnehmen ist, kann im gegenständlichen Fall nicht ausgeschlossen werden, dass die BF1 Opfer von Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung wurde.

Es kann jedoch auch für Nigeria – das zweifelsohne eine Drehscheibe des Menschenhandels zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung ist – nicht festgestellt werden, dass Frauen und Mädchen generell dem Risiko unterliegen, Opfer von Frauenhandel zu werden. Es kann ebenfalls nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Opfer von Frauenhandel, das nach Nigeria zurückkehrt, automatisch einer Verfolgung der Menschenhändler unterliegt, welche sie ursprünglich nach Europa verbracht hatten.

Fallbezogen kann auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht davon ausgegangen werden, dass die BF1 im Falle einer Rückkehr nach Nigeria aufgrund ihres Verrates sowie angesichts ihrer nicht bezahlten „Schulden“ mit Vergeltungsmaßnahmen sowie allenfalls mit einer Rekrutierung durch die Menschenhändler zu rechnen hätte.

Unabhängig davon stellt sich aber die rechtliche Frage, ob die BF1, bei der nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie tatsächlich Opfer von Menschenhandel wurde, als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe („nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben“) angesehen werden kann.

Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Asylgrund der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen "Rasse, Religion und Nationalität" überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine - nicht sachlich gerechtfertigte - Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten (vgl. VwGH 20.10.1999, 99/01/0197; 26.6.2007, 2007/01/0479).

Damit das Vorliegen einer "sozialen Gruppe" im Sinne dieser Bestimmung festgestellt werden kann, müssen nach der Rechtsprechung des EuGH zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müssen die Mitglieder der Gruppe "angeborene Merkmale" oder einen "Hintergrund, der nicht verändert werden kann", gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, "die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten". Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (EuGH 7.11.2013, X u. a., C-199/12 bis C-201/12, Rn. 45; 25.1.2018, F., C-473/16, Rn. 30; 4.10.2018, Ahmedbekova, C-652/16, Rn. 89; vgl. auch VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350). Die Beurteilung des Vorliegens einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erfordert daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen und zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350, Rn. 17).

Selbst wenn man davon ausgeht, dass nigerianische Opfer von Frauenhandel durch ihre sexuelle Ausbeutung einen gemeinsamen „Hintergrund, der nicht verändert werden kann“ haben, stellt sich die Frage, ob auch das zweite Kriterium der sozialen Gruppe, die „deutlich abgegrenzte Identität, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“, erfüllt ist.

Der Umstand, dass (ehemaligen) Opfern von Kriminalität wie Menschenhandel die Gefahr droht, dass sie von den (nichtstaatlichen) Tätern weiterhin oder neuerlich zum Opfer gemacht werden, reicht nicht aus, um ihnen im Herkunftsland eine deutlich abgegrenzte Identität zu verschaffen, aufgrund derer sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden (VwGH, 11.12.2019, Ra 2019/20/0295). Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe nämlich nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479, mit Hinweisen u. a. auf die UNHCR-Richtlinie zum Internationalen Schutz: "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" vom 7. Mai 2002; 29.6.2015, Ra 2015/01/0067).

Aufgrund der unter Punkt 1.3. wiedergegebenen Berichte steht überdies fest, dass nigerianische Frauen, die ohne Vermögen aus Europa zurückkehren, der Gefahr einer sozialen Stigmatisierung unterliegen, da angenommen wird, dass sie der Prostitution nachgegangen sind. Dies wird noch „akzeptiert“, wenn man einen gewissen Wohlstand vorweisen kann, ansonsten kann die Behandlung durch die eigene Familie in Misshandlung, Diskriminierung und dem Druck, sich erneut auf den Weg nach Europa zu begeben, münden.

An dieser Stelle gilt festzuhalten, dass seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht verkannt wird, dass der Verfassungsgerichtshof in seiner jüngsten Rechtsprechung gestützt auf den „EASO Guidance on membership of a particular social group“ vom März 2020 angenommen hat, dass sich gerade durch den Umstand, dass die „BF jener (Teil-)Gruppe angehört, der eine Stigmatisierung droht, die „deutlich abgegrenzte Identität“ dieser Gruppe manifestiert, weil sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“ (VfGH, 01.07.2022, E 309/2022-17). Fallbezogen ist jedoch – wie bereits vorab ausführlich dargelegt – gerade nicht davon auszugehen, dass die BF1 jener Gruppe von Opfern von Menschenhandel angehört, die bei einer Rückkehr nach Nigeria mit einer Stigmatisierung zu rechnen hätte. Zudem kann gegenständlich auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht davon ausgegangen werden, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Nigeria aufgrund ihres Verrates sowie angesichts ihrer nicht bezahlten „Schulden“ mit Vergeltungsmaßnahmen sowie allenfalls mit einer Rekrutierung durch die Menschenhändler zu rechnen hätte und kann die BF1 damit insgesamt nicht als Mitglied einer „bestimmten sozialen Gruppe“ iSd Art. 10 Abs. 1 lit d Status-RL und des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK qualifiziert werden.

Aus diesen Gründen war festzustellen, dass der BF1 im Herkunftsstaat Nigeria keine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Die BF1 konnte ihre Fluchtgründe rund um die Verfolgung und Bedrohung durch die in den Menschenhandel involvierten Personen nicht glaubhaft machen. Für die BF2 und den BF3 wurden keine eigenen Fluchtgründe ins Treffen geführt. Eine sonstige aktuell zu berücksichtigende Verfolgungsgefahr wird von den BF nicht dargelegt und ergibt sich auch nicht aus den Umständen, die von Amts wegen zu berücksichtigen wären.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund waren die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide):

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - "real risk" einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl. VwGH 28.06.2011, 2008/01/0102). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 15.12.2010, 2006/19/1354; 31.05.2005, 2005/20/0095, 31.03.2005, 2002/20/0582).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK angenommen werden kann (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 ua). Das Vorliegen solcher exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 07.09.2016, Ra 2015/19/0303 ua).

Den BF droht in Nigeria – wie oben bereits dargelegt wurde - keine asylrelevante Verfolgung.

Auch dafür, dass ihnen im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, gibt es in den vorliegenden Beschwerdefällen keinen Anhaltspunkt.

Die BF1 ist volljährig, gesund und arbeitsfähig. Sie hat in Nigeria mehrere Jahre lang die Schule besucht, war in Österreich als Friseurin tätig und spricht sie außerdem Englisch sowie die Mehrheitssprache ihrer Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Bei ihr kann daher die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden.

Zudem können die BF mit dem Lebensgefährten der BF1 und dem Vater der mj. BF nach Nigeria zurückkehren, damit kehren zwei erwerbsfähige Erwachsene mit zwei kleinen Kindern (der BF2 und ihrem jüngeren Bruder) nach Nigeria zurück. Es wird ihnen möglich sein, gemeinsam für einen ausreichenden Familienverdienst und eine Kinderbetreuung zu sorgen.

Die BF1 ist die gesetzliche Vertreterin der BF2 und des BF3. Diese werden bei einer Rückkehr nicht auf sich alleine gestellt sein, vielmehr werden sie durch ihre Mutter, die BF1 versorgt werden. Angesichts der Erwerbsfähigkeit der BF1, der nach wie vor bestehenden familiären Anknüpfungspunkte in Nigeria sowie aufgrund des Umstandes, dass ihre Eltern mit den gesellschaftlichen, religiösen und kulturellen Verhältnissen ihres Herkunftsstaates vertraut sind und sie auch mit ihrer Reise nach Europa und ihren Aufenthalten in verschiedenen Ländern bewiesen haben, dass sie im Stande sind, für ihre existentiellen Bedürfnisse zu sorgen, wird es nicht zu einer existentiellen Gefährdung der BF in Nigeria kommen. Selbst wenn ihr Vater ausfallen sollte, können die Mutter und die Geschwister der BF1 diese bei der Kinderbetreuung unterstützen, wenn sie einer Erwerbstätigkeit nachgeht.

Aus dem Länderinformationsblatt ergeben sich außerdem weitere Möglichkeiten, sich in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Für Frauen werden im Speziellen genannt: „Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet.“

Im Übrigen ist den getroffenen Länderfeststellungen zu entnehmen, dass es auch alleinstehenden Müttern in Nigeria üblicherweise möglich ist, Arbeit zu finden. Die meisten von ihnen arbeiten auch – abhängig vom Bildungsgrad – z.B. in der Landwirtschaft, im Kleingewerbe, als Reinigungskraft oder Haushaltshilfe, oder sie betreiben eine Straßenküche. Kinderbetreuung kann bei besser verdienenden Frauen durch Kindermädchen erfolgen. Frauen im informellen Sektor nehmen ihre Kinder meist zur Arbeit mit. Außerdem können alleinstehende Frauen eigenständig Wohnungen mieten sowie leben und arbeiten, dies vor allem in größeren Städten. Zudem unterstützen zahlreiche regional und bundesweit operierende NGOs alleinstehende Frauen und Mütter in Notlage.

In einer Zusammenschau dieser Umstände ist demnach davon auszugehen, dass die BF1 im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten ihre existentiellen Grundbedürfnisse, insbesondere auch jene der BF2 und des BF3 befriedigen wird können, sie am nigerianischen Arbeitsmarkt unterkommen und durch Erwerbstätigkeit den Familienunterhalt werden sicherstellen können. Die BF werden daher nicht in eine dauerhaft aussichtlose Lage geraten, dies umso mehr als von einer Unterstützung durch das nach wie vor bestehende familiäre Bezugsnetz in Nigeria ausgegangen werden kann.

Eine besondere Gefährdung für die BF2 und den BF3 im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria kann nicht erkannt werden. Diese befinden sich mit rund vier bzw. zwei Jahren in einem anpassungsfähigen Alter, weshalb anzunehmen ist, dass ihnen eine Sozialisation in Nigeria möglich sein sollte. Zudem wurde auch den Eltern der BF2 und des BF3 ein Schulbesuch ermöglicht, wobei dies im Hinblick auf den Kindsvater aus dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.08.2019, Zl. I419 2221798-1 hervorgeht und sind keine Umstände erkennbar, warum dies im Hinblick auf die BF2 und den BF3 nicht auch der Fall sein sollte.

Außerdem liegt eine nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, ausweislich der getroffenen Feststellungen zur Lage in Nigeria nicht vor. Aus den einschlägigen Länderberichten zu Nigeria geht hervor, dass eine Versorgung der Bevölkerung mit den Dingen des täglichen Bedarfs sowie eine medizinische Grundversorgung grundsätzlich gewährleistet ist und beispielsweise religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs kostenfreie medizinische Versorgung anbieten.

In Nigeria herrscht auch keine allgemeine existenzbedrohende Notlage in Form einer allgemeinen Hungersnot, Seuche, Naturkatastrophe oder sonstigen diesen Sachverhalten gleichwertigen existenzbedrohenden Elementarereignissen, weshalb auch aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Insofern in der Beschwerde auf die Sicherheitslage in Nigeria Bezug genommen wird, ist anzumerken, dass auch wenn die Kriminalitätsrate ebendort sehr hoch ist und sich die allgemeine Sicherheitslage in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert hat, die sicherheitsrelevanten Vorfälle nicht ein derart hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die BF bei einer Rückkehr alleine durch ihre Anwesenheit im Staatsgebiet tatsächlich Gefahr laufen würden, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt (VwGH 03.05.2021, Ra 2020/01/0485). Eine derartige „extreme Gefahrenlage“ wurde von den BF weder in der Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung behauptet. In Nigeria besteht keine derart prekäre allgemeine Sicherheitslage, so dass jeder bei einer Rückkehr um sein Leben bzw. seine Sicherheit fürchten müsste.

Es ist den BF darüber hinaus unbenommen, gegebenenfalls Rückkehrhilfe und Reintegrationsprogramme in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an ein Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentrum zu wenden. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- und Weiterbildungsprojekte angeboten. Darüber hinaus verfügt Nigeria über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich der Rehabilitierung und psychologischen Betreuung rückgeführter Frauen annehmen und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianische Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EU-Staaten bei der Reintegration. Außerdem bietet NAPTIP unter anderem um 2.000 US-Dollar mehrmonatige Rehabilitierung (psychologische Betreuung) und Berufstraining für ehemalige Zwangsprostitutierte an.

Schließlich kann auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Erregers unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten Entwicklungen im Herkunftsland bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die im Hinblick auf eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK eine entscheidungsrelevante Lageänderung erkennen lässt. Die BF fallen allesamt angesichts ihres Alters nicht in die durch das COVID-Virus besonders betroffene Risikogruppe der vorerkrankten oder älteren Menschen, weswegen es nicht ausreichend wahrscheinlich ist, dass sie in diesem Zusammenhang in relevanter Weise gefährdet wären.

Damit sind die BF durch die Abschiebung nach Nigeria nicht in ihrem Recht gemäß Art. 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass sie allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber ihrer Situation in Nigeria besser gestellt sind, genügt nicht für die Annahme, sie würden in Nigeria keine Lebensgrundlage vorfinden und somit ihre Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Ganz allgemein besteht in Nigeria derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden und ergeben sich auch nicht aus dem amtliches Wissen darstellenden Länderinformationsblatt für Nigeria, die nahelegen würden, dass bezogen auf die BF ein reales Risiko einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

Die Beschwerden erweisen sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG abzuweisen waren.

3.4. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide):

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das BFA unter Zitierung des § 57 AsylG zwar ausgesprochen hat, dass ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde, dass sich aus der Begründung der angefochtenen Bescheide jedoch unzweifelhaft ergibt, dass das BFA tatsächlich rechtsrichtig über eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG abgesprochen und eine solche nicht erteilt hat.

Der mit "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte § 57 AsylG 2005 lautet wie folgt:

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

Im gegenständlichen Fall wurde die BF1 am 25.05.2021 als Zeugin wegen des Verdachts des Menschenhandels zu ihrem Nachteil vom Landeskriminamt XXXX einvernommen und ordnete am 26.07.2021 die Staatsanwaltschaft XXXX aufgrund gerichtlicher Bewilligung die Festnahme des XXXX , geb. XXXX wegen des Verdachts des Vergehens der Schlepperei nach § 114 Abs. 1 FPG, des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs. 1, 1. Fall StGB, des Verbrechens des Menschenhandels nach § 104a Abs. 1 StGB und des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 3 StGB an, jedoch wurde am 27.07.2021 das Verfahren gegen XXXX und weitere unbekannte Täter seitens der Staatsanwaltschaft XXXX abgebrochen, wobei begründend ausgeführt wurde, dass die Täter flüchtig oder abwesend seien. Auch aus der am 10.11.2021 bei der belangten Behörde eingelangten Stellungnahme der LPD XXXX geht allerdings hervor, dass keine weiteren Ermittlungen durchgeführt werden, da der Verdächtige bereits abgeschoben worden sei. Es ist auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht davon auszugehen, dass das 2021 abgebrochene Strafverfahren fortgesetzt wird, zumal der Verdächtige bereits abgeschoben worden sei. Die Anwesenheit der BF1 in Österreich ist daher zur Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen nicht notwendig, weshalb die Beschwerden daher hinsichtlich des Spruchpunktes III. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs 2 VwGVG abzuweisen waren.

3.5. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide):

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Die vorliegenden Asylverfahren erreichten, gerechnet von den Antragstellungen am 26.05.2021 bzw. am 14.09.2021 bis zum Datum der Bescheide der belangten Behörde jeweils vom 10.12.2021 eine kurze Dauer. Davon abgesehen beruhte der rund sechsjährige Aufenthalt der BF1 und der seit der Geburt der BF2 und des BF3 andauernde Aufenthalt im Bundesgebiet auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb diese während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durften, dass sie sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen können.

Spätestens seit der rechstkräftigen Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.12.2019, Zln. I405 2221325-1/9E, I405 2225316-1/3E hinsichtlich des Spruchpunktes I. sowie mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.01.2021, Zln. I405 2221325-1/23E, I405 2225316-1/13E hinsichtlich der restlichen Spruchpunkte musste sich zumindest die BF1 des unsicheren Aufenthaltes bewusst sein und durfte sie nicht darauf vertrauen, dass sie und ihre Kinder in Österreich zum Aufenthalt berechtigt werden würden. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die BF1 und die BF2 ihrer Ausreiseverpflichtung bislang nicht nachgekommen sind und sie beharrlich unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben.

Ein schützenswertes Familienleben führen die BF in Österreich nicht. Das Asylverfahren des Kindsvaters ist rechtskräftig abgeschlossen und wurde gegen diesen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Somit ist gegenständlich die gesamte Kernfamilie im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, so greift sie wohl in das Privatleben der Familienmitglieder ein, nicht aber in ihr Familienleben (EGMR, 9.10.2003, 48321/99, Slivenko gg Lettland, EGMR, 16.6.2005, 60654/00 Sisojeva gg Lettland oder auch VwGH 22.11.2012, 2011/23/067; 26.02.2013, 2012/22/0239; 19.02.2014, 2013/22/0037). Ansonsten verfügen die BF über keine familiären Bezüge im Bundesgebiet.

Zu prüfen bleibt daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben der BF. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

Zum Privatleben der BF ist festzuhalten, dass die BF1 in Österreich Mitglied einer afrikanischen Kirchengemeinschaft ist und im Bundesgebiet Freundschaften schließen konnte. Im Jahr 2019 hat sie an einem Basisbildungskurs des Bildungs-, Beratungs- und Therapiezentrums für Immigrantinnen sowie an einem weiteren beim Verein XXXX teilgenommen. Derzeit besucht sie regelmäßig einen Nähkurs sowie ein Arbeitstraining inklusive Deutschkurs, über zertifizierte Deutschkenntnisse verfügt die BF1 jedoch auch nach ihrem rund sechsjährigen Aufenthalt nicht. Die BF1 war im Bundesgebiet als Friseurin tätig, aktuell übt sie jedoch keine nachhaltige Erwerbstätigkeit aus und ist sie am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert. Die BF beziehen allesamt Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, sie sind nicht selbsterhaltungsfähig. Die BF2 und der BF3 befinden sich mit rund vier bzw. zwei Jahren in einem anpassungsfähigen Alter und sind sie in Österreich noch nicht derart sozialisiert, dass ein weiteres Aufwachsen in Nigeria unmöglich wäre.

Im gegenständlichen Fall kann insgesamt nicht ausgegangen werden, dass eine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen der BF besteht, sodass bereits von „außergewöhnlichen Umständen“ gesprochen werden kann. Eine nachhaltige Aufenthaltsverfestigung liegt nicht vor, eine Rückkehrentscheidung würde somit keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben und somit eine Verletzung der in Art. 8 EMRK geschützten Rechte der BF darstellen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN).

Das Gewicht, insbesondere der privaten Interessen der BF1 wird daher dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, in dem sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war (vgl VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov).

Hinsichtlich der strafrechtlichen Unbescholtenheit der BF1 sei erwähnt, dass dies nach Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen darstellt (VwGH 21.01.1999, 98/18/0420), da der VwGH davon ausgeht, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

Darüber hinaus sind keine weiteren maßgeblichen Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass dem Recht auf Familien- und Privatleben der BF in Österreich im Verhältnis zu den legitimen öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung eine überwiegende und damit vorrangige Bedeutung zukommen würde.

Der VwGH hat bereits in seiner Judikatur vom 21.04.2011, 2011/01/0132, festgehalten: „Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen sind, sind nach der Judikatur des EGMR die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (Hinweis Urteile des EGMR vom 18. Oktober 2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Randnr. 58, und vom 6. Juli 2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Randnr. 146). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; Hinweis Urteile des EGMR vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Randnr. 66, vom 17. Februar 2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Randnr. 60, und vom 24. November 2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Randnr. 46; siehe dazu auch das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2007, Zlen. 2006/01/0216 bis 0219) befinden.“

Die BF2 und der BF3 sind zwar in Österreich geboren, wo sie auch einen Kindergarten besuchen, aufgrund ihres noch sehr jungen, mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbundenen Alters ist jedoch davon auszugehen, dass sie in Nigeria nicht mit unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert sein werden und sind sie weder in sprachlicher, kultureller oder gesellschaftlicher Hinsicht mit Österreich derart verbunden, dass ihnen eine Eingewöhnung in Nigeria nicht gelingen würde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die BF2 und der BF3 in Österreich noch keine Schulbildung begonnen haben, sich zumindest die Familienangehörigen mütterlicherseits in Nigeria aufhalten und das Familienleben der BF in Nigeria gemeinsam fortgesetzt werden kann. In Anbetracht einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband kann davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Anwesenheit der BF1 als Mutter und zugleich wichtigster Bezugsperson und aufgrund der noch begrenzten Einsichtsfähigkeit der BF keine das Kindeswohl beeinträchtigende Entwurzelung eintritt.

Des Weiteren war zu berücksichtigen, dass die BF1 Englisch sowie die Sprache ihres Herkunftsstaates auf muttersprachlichen Niveau beherrscht, sodass auch eine Resozialisierung und die (Wieder)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit an keiner Sprachbarriere scheitert und von diesem Gesichtspunkt her möglich ist. Im Hinblick auf den Umstand, dass die BF1 den überwiegenden Teil ihres Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat und ihr die dortige Kultur vertraut ist, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, dies umso mehr als die BF1 in Nigeria nach wie vor über ein familiäres Netzwerk verfügt. Es kann daher nicht gesagt werden, dass die BF1 ihrem Kulturkreis völlig entrückt wäre und sich in ihrer Heimat überhaupt nicht mehr zurechtfinden würden. Den BF wird es daher möglich sein, auf ihre familiären Bezugspersonen in Nigeria zurückzugreifen und dabei die erforderliche Unterstützung zur Reintegration zu erhalten.

Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz - letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.4.2010, 2009/21/0055).

Dem allenfalls bestehenden Interesse der BF an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen öffentliche Interessen gegenüber.

Ihnen steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung – und damit eines von Art 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses – ein hoher Stellenwert zukommt (vgl zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die privaten Interessen der BF am Verbleib in Österreich.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG nicht in Betracht kommt.

Die sonstigen Voraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG sind erfüllt. Sie ist auch sonst nicht (z.B. vorübergehend nach Art 8 EMRK, vgl § 9 Abs. 3 BFA-VG und VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146) unzulässig. Die BF verfügen auch über kein sonstiges Aufenthaltsrecht.

Die Beschwerden erweisen sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes IV. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG abzuweisen waren.

3.6. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. der angefochtenen Bescheide):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. Bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005, 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 - 0062, und 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da den BF keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Die in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Feststellungen der Zulässigkeit der Abschiebungen nach Nigeria erfolgten daher zu Recht.

Die Beschwerden erweisen sich daher insoweit als unbegründet, dass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes V. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 52 Abs. 9 FPG abzuweisen waren.

3.7. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide):

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Die BF führten weder im Verfahren vor der belangten Behörde noch im Beschwerdeverfahren besondere Umstände im Hinblick auf einen Regelungsbedarf ihrer persönlichen Verhältnisse ins Treffen, die dem Ausspruch einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Bescheide entgegenstünden. Solche sind auch amtswegig nicht hervorgetreten. Es ist daher für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen festzulegen.

Insofern waren die Beschwerden auch gegen die Spruchpunkte VI. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Ein Abweichen der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Frage, ob nigerianische Frauen, die als Opfer von Menschenhandel sexuell ausgebeutet wurden und bei ihrer Rückkehr nach Nigeria verfolgt und stigmatisiert würden, als bestimmte soziale Gruppe im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen sind, von jener des Verfassungsgerichtshofes konnte nicht erkannt werden, wie dies aus dem rezenten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 01.07.2022, Zl. E 309/2022-17, zu entnehmen ist.

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