VwGH 2008/01/0102

VwGH2008/01/010228.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde der A V W (geboren 1974) in M, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den am 14. Jänner 2008 verkündeten und am 11. Februar 2008 ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 314.713-1/7E-V/13/07, betreffend §§ 3, 8, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
EMRK Art3;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
EMRK Art3;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seiner Aussprüche gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 (subsidiärer Schutz) und § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 (Ausweisung) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Burkina Faso, brachte am 1. Februar 2007 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes (vom 11. September 2007), mit dem ihr Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen und ihr der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt wurde, abgewiesen, ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Burkina Faso gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt und die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Burkina Faso ausgewiesen.

Die Verweigerung von subsidiären Schutz begründete die belangte Behörde nach Darlegung der maßgebenden Rechtslage und Judikatur allein damit, auch wenn "im Nigeria" eine wirtschaftlich schwierige Situation bestehe und die Arbeitsplatzchancen nicht als befriedigend bezeichnet werden könnten, könne unter Berücksichtigung der Situation der Beschwerdeführerin von einer allgemeinen lebensbedrohenden Notlage "im Nigeria", welche die Gefahr unmenschlicher Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK indizieren würde, nicht gesprochen werden. Ein individuellkonkretes Risiko habe die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft gemacht. Zusammenfassend sei festzustellen, dass keine Umstände vorlägen, die dafür sprächen, dass die Beschwerdeführerin bei "Rückkehr nach Burkina Faso" in eine derart extreme Notlage gelangen würde, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde. Auch habe "in casu kein weiter allenfalls objektiverweise vorhandenes anders gestaltetes Gefährdungspotential" erkannt werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu I.:

Die Beschwerdeführerin bringt zur Verweigerung von subsidiärem Schutz (unter anderem) vor, die belangte Behörde habe sich mit der Situation alleinstehender Frauen in Burkina Faso nicht auseinander gesetzt. Im Falle ihrer Rückkehr würde sie in eine existentielle Notlage geraten. Nach der Ermordung ihrer Mutter habe sie in Burkina Faso keine Verwandten (gemeint: Familienangehörige) mehr. Nach der Zerstörung ihres Hauses im August 2006 könne sie nicht in den Schutz der Dorfgemeinschaft in Tangaso zurückkehren. Auch in anderen Landesteilen Burkina Fasos wäre ein zum Überleben notwendiges Existenzminimum für sie nicht sichergestellt. Frauen würden im gesamten Staatsgebiet von Burkina Faso diskriminiert (schlechter behandelt als Männer), dies insbesondere beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Frauen vom Land, wie die Beschwerdeführerin, würden nur in der von den Eltern betriebenen Landwirtschaft Arbeit finden. Sie hätte im Falle ihrer Rückkehr nach Burkina Faso weder eine Unterkunft noch Aussicht auf einen Arbeitsplatz.

Aus den im angefochtenen Bescheid als Feststellungen übernommenen Länderberichten zu Burkina Faso - mit denen die belangte Behörde sich nicht auseinander setzte - geht hervor, dass in Burkina Faso im Alltag, insbesondere im ländlichen Raum, die formale Gleichberechtigung von Frauen nicht durchgesetzt ist und Frauen benachteiligt bleiben. Viele "Landfrauen" verfügen weder über die nötige Bildung noch Mittel, um ihre Recht durchzusetzen. Burkina Faso gehört zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern der Welt; unterhalb der Armutsgrenze leben 44,9 % der Bevölkerung. Die Armut trifft alle Lebensbereiche und drückt sich insbesondere in geringer Lebenserwartung, hoher Sterblichkeit von Kleinkindern, hoher HIV-Prävalenzrate, geringer Kaufkraft pro Einwohner und einem kleinen Anteil der Bevölkerung mit formaler Schulbildung aus. 80 Prozent der Bevölkerung leben im ländlichen Raum und sind in der Landwirtschaft beschäftigt.

Vor diesem Hintergrund und angesichts des als glaubwürdig festgestellten Vorbringens der Beschwerdeführerin wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob der Beschwerdeführerin im Falle der Abschiebung in ihren Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht; nur bei Verneinung dieser Frage ist die Verweigerung der Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigte nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 2011, Zlen. 2008/01/0256 bis 0258).

Mit der konkreten Rückkehrsituation der Beschwerdeführerin nach Burkina Faso bzw. einer ihr in Burkina Faso drohenden Behandlung hat die belangte Behörde sich nicht auseinander gesetzt. So erachtete sie ausdrücklich die "Situation im Nigeria" für maßgeblich, obwohl Burkina Faso der Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin ist. Ob "im Nigeria" eine Notlage besteht bzw. die Arbeitsplatzchancen "im Nigeria" unbefriedigend sind, wie die belangte Behörde begründend darlegte, ist im vorliegenden Fall unerheblich. Die Beschwerdeführerin könnte in Burkina Faso nicht in einen Familienverband zurückkehren, ihre Unterkunft im Dorf Tangaso wurde zerstört. Die Beschwerdeführerin ist Analphabetin, sie hat keine Schul- bzw. Berufsausbildung. Ihre frühere Lebensgrundlage - sie lebte ihren Angaben zufolge bis zur Ausreise mit ihrer im August 2006 getöteten Mutter und ihren beiden (in Ghana verbliebenen) Kindern in einem selbst gebauten Haus ohne Geld von der Landwirtschaft - besteht nach dem als glaubwürdig festgestellten Sachverhalt, der zur Ausreise der Beschwerdeführerin führte, offenkundig nicht mehr. Dass die Beschwerdeführerin Zugang zu einem Arbeitsplatz in der Landwirtschaft in Burkina Faso hätte, wurde nicht festgestellt.

Die Einschätzung der belangten Behörde, für die Beschwerdeführerin bestehe "kein individuell-konkretes bezughabendes Risiko" bzw. es würden "keine individuellen Umstände" vorliegen, dass sie in Burkina Faso in extreme Notlage geraten würde, ist aus dem zugrunde gelegten Sachverhalt nicht ableitbar. Mit der Existenzgrundlage der Beschwerdeführerin in Burkina Faso als alleinstehende Frau (und Analphabetin) hat die belangte Behörde sich nicht auseinander gesetzt. Um von der Zulässigkeit des Refoulements ausgehen zu können, hätte es unmissverständlicher Feststellungen und nachvollziehbarerer Erwägungen bedurft, die die Einschätzung der belangten Behörde zu stützen imstande sind.

Der angefochtene Bescheid ist hinsichtlich der Refoulement-Entscheidung einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich. Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid insofern mit Begründungsmängeln belastet, was auch auf die Ausweisungsentscheidung durchschlägt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG in dem im Spruch angeführten Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich auf die Abweisung der Berufung im Umfang der Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten bezieht - keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde in diesem Umfang abzulehnen.

Wien, am 28. Juni 2011

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