VwGH 2006/19/1354

VwGH2006/19/135415.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Rehak sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des EF, vertreten durch Mag. Sigrun Teufer-Peyrl, Rechtsanwältin in 4240 Freistadt, Pfarrgasse 20, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. September 2006, Zl. 266.825/0-II/06/06, betreffend §§ 5, 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!
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Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste im Sommer 2005 über die türkisch-griechische Grenze in das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein. Er hielt sich einige Monate in Griechenland auf, ohne Asyl zu beantragen, und gelangte am 24. November 2005 in das Bundesgebiet, wo er am selben Tag einen Asylantrag stellte.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück, stellte fest, dass gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung Griechenland für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei, und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet dorthin aus.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das Bundesasylamt sei zutreffend von einer Zuständigkeit Griechenlands für die Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers ausgegangen. Es bestünde auch keine Veranlassung für die österreichischen Asylbehörden, von dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung vorgesehenen Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Der vom Beschwerdeführer in seiner Berufung vorgebrachten Gefahr einer Kettenabschiebung hielt die belangte Behörde entgegen, dass sie keinen Zweifel daran hege, dass der Antrag des Beschwerdeführers im Rahmen des Asylverfahrens in Griechenland ordnungsgemäß geprüft und eine Refoulement-Prüfung iSd Art. 3 EMRK durchgeführt werde. Es liege die ausdrückliche Erklärung der griechischen Behörden vor, den Beschwerdeführer im Rahmen der Verpflichtungen aus der Dublin-Verordnung zu übernehmen und es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sie "diesen Verpflichtungen in einer Weise nicht nachkommen würden, dass die Ausweisung und Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland ein 'real risk' im Sinne einer Verletzung des Art. 3 EMRK" bedeuten würde. Wie sich aus der Begründung anderer - näher bezeichneter- Bescheide der belangten Behörde ergebe, treffe die Behauptung des Beschwerdeführers, "bei Dublin-Rückführungen" werde der Asylantrag inhaltlich nicht geprüft, nur für jene Asylwerber zu, die in Griechenland bereits einen Asylantrag gestellt haben, wovon im Fall des Beschwerdeführers nicht auszugehen sei. Mit den in der Berufung erhobenen Foltervorwürfen werde kein konkretes Risiko des Beschwerdeführers selbst aufgezeigt, da es sich bei solchen Vorfällen "offensichtlich um Exzesse einzelner Organwalter" handle und der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt nicht behauptet habe, selbst Opfer solcher Vorfälle in Griechenland gewesen zu sein oder dies im Fall seiner Rückkehr dorthin zu befürchten. Da auch aus der Rechtsprechung des EGMR eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte durch Griechenland nicht ableitbar sei, könne nicht bezweifelt werden, dass der Beschwerdeführer in Griechenland Zugang zu einem Verfahren habe, in welchem er alle seine Fluchtgründe geltend machen könnte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

1. Die Beschwerde macht - zusammengefasst - geltend, dass dem Beschwerdeführer bei Überstellung nach Griechenland eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohe. Die belangte Behörde habe sich mit dem Berichtsmaterial, auf welches der Beschwerdeführer in seiner Berufung Bezug genommen habe, nicht auseinander gesetzt, und insbesondere keine Feststellungen zu der von ihm eingewendeten Gefahr einer Kettenabschiebung getroffen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde im Ergebnis einen relevanten Verfahrensmangel auf.

2.1. § 5 Abs. 1 sowie § 5a Abs. 1 erster Satz und Abs. 4 AsylG in der hier anzuwendenden Fassung der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101, lauten:

"Unzulässige Asylanträge wegen vertraglicher Unzuständigkeit oder wegen Unzuständigkeit auf Grund eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes der Europäischen Union

§ 5. (1) Ein nicht gemäß § 4 erledigter Asylantrag ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

Gemeinsame Bestimmungen für unzulässige Asylanträge

§ 5a. (1) Die Zurückweisung des Antrages gemäß der §§ 4, 4a oder 5 ist mit einer Ausweisung zu verbinden.

...

(4) Eine Ausweisung gemäß Abs. 1 gilt stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den bezeichneten Staat."

2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts erfordert die verfassungskonforme Auslegung des § 5 AsylG ua. die Bedachtnahme auf die durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2005, Zl. 2005/20/0095, mwN). Eine Verletzung dieser Rechte könnte einem Asylwerber dadurch drohen, dass er bei Überstellung nach Griechenland trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt wäre (Kettenabschiebung; vgl. etwa Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 25. April 2006, Zl. 2006/19/0673, mwN), dass er dort (schutzlos) körperlichen Misshandlungen insbesondere durch Sicherheitskräfte ausgesetzt wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2006, Zl. 2005/01/0317, mwN) oder dass ihm Unterkunft und Versorgung nicht (rechtzeitig) zur Verfügung gestellt würde und er deshalb keine Lebensgrundlage vorfindet (vgl. dazu allgemein etwa das hg. Erkenntnis vom 6. November 2009, Zl. 2008/19/0174, und im Besonderen zur Lage in Griechenland das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 2010, U 694/10).

Es ist daher erforderlich, dass die Asylbehörden, wenn insofern vom Asylwerber konkrete Anhaltspunkte dargetan werden oder solche von Amts wegen bekannt sind, fallbezogen eine Gefahrenprognose erstellen, die sich auf die persönliche Situation des betroffenen Asylwerbers zu beziehen hat und in ganzheitlicher Bewertung beurteilt, ob ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - "real risk" besteht, der Asylwerber könnte im Zielstaat eine Behandlung erfahren, die zur Folge hätte, dass den österreichischen Behörden durch die Überstellung in diesen Staat eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorzuwerfen wäre (vgl. das oben zitierte hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2006).

3. Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht. Anlässlich der Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt am 5. Dezember 2005 wandte dessen Rechtsberater ein, es sei notorisch, dass Griechenland sowohl ohne Einleitung eines Asylverfahrens als auch im Zuge des Asylverfahrens, Asylwerber ohne Beendigung des Verfahrens abschiebe; Griechenland sei diesbezüglich auch bereits "vor der Kommission" angezeigt worden. In seiner Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, dass die inhaltliche Ausgestaltung des Asylverfahrens sowie der Refoulementschutz in Griechenland vom Bundesasylamt nicht geprüft worden sei, und brachte unter Hinweis auf entsprechende Ausführungen im Asylmagazin 3/05 vor, dass in Griechenland bei "Dublin-Rückführungen" keine inhaltliche Prüfung des Asylantrages durchgeführt werde. Weiters verwies der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 8. Mai 2006 auf einen in einem anderen Asylverfahren ergangenen Bescheid der belangten Behörde, welchem ein ähnlich gelagerter Fall zugrunde gelegen habe und in welchem die belangte Behörde zu dem Schluss gekommen sei, dass Griechenland aus den in diesem Bescheid näher dargestellten Gründen nicht sicher sei.

Auf dieses Vorbringen ist die belangte Behörde nur insoweit eingegangen, als sie eine Betroffenheit des Beschwerdeführers von der im Asylmagazin 3/05 kritisierten Vorgangsweise der griechischen Behörden verneinte, wozu sie ua. ihrerseits auf die Begründung des schon vom Beschwerdeführer zitierten Bescheides der belangten Behörde verwies. In der Begründung dieses Bescheides wird darüber hinaus aber auch noch weiteres Berichtsmaterial zu Griechenland dargestellt. So ergebe sich aus einer Stellungnahme des UNHCR vom November 2004, dass in Griechenland die erste Instanz über Asylanträge und Anträge auf Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen immer nur negativ entscheide. Zudem bestehe kein subjektives Recht auf den humanitären Status, keine Berufungsmöglichkeit gegen eine negative Entscheidung in diesen Fällen und werde dieser humanitäre Status Personen, die ernsthaft Gefahr liefen, Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder allgemeiner Gewalt in einer Konfliktsituation ausgesetzt zu sein, regelmäßig nicht gewährt. Weiters ergebe sich aus einem Schreiben des UNHCR an die griechische Regierung, dass sich bei der in Griechenland bestehenden Möglichkeit, die Abschiebung aus humanitären Gründen "aufhalten" zu können, nicht um einen Refoulementschutz handeln dürfte.

Die belangte Behörde hat sich mit dieser ihr bereits von Amts wegen bekannten Berichtslage - auf welche größtenteils auch im erstinstanzlichen Bescheid hingewiesen wurde, ohne dass jedoch Feststellungen zu einer allenfalls (nicht) bestehenden Gefahr einer Kettenabschiebung für den Beschwerdeführer getroffen wurden - , nicht auseinander gesetzt. Auch zu den vom Beschwerdeführer unter Hinweis auf entsprechende Berichte erhobenen Foltervorwürfen hat die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen, weshalb sich ihre auf keinerlei Berichtsmaterial gestützte Begründung, es handle sich "offensichtlich um Exzesse einzelner Organwalter", als nicht nachvollziehbar erweist.

Damit lässt sich aber noch nicht abschließend beurteilen, ob die Asylbehörden vor allem unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK im gegenständlichen Fall vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch machen hätten müssen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 15. Dezember 2010

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