OGH 14Os139/04 (RS0119511)

OGH14Os139/0428.9.2016

Rechtssatz

Wenn die Schuld einer Person bereits in einer Hauptverhandlung festgestellt worden ist, die in ihrem Ablauf den Erfordernissen des Art 6 Abs 1 MRK entsprochen hat, finden nach der Rsp des EGMR Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft ihre Rechtfertigung in Art 5 Abs 1 lit a MRK. Fänden Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft ihre Rechtfertigung auch nach erstinstanzlicher Verurteilung in Art 5 Abs 1 lit c MRK, könnte mit Blick auf den Wortlaut des Art 5 Abs 1 MRK argumentiert werden, dass die aus welchem Grund immer verhängte oder fortgesetzte Untersuchungshaft nach einem erstinstanzlichen Schuldspruch nach Maßgabe der MRK stets aufgehoben werden müsste, weil die StPO eine "Vorführung" des auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten im Rechtsmittelverfahren nicht kennt (§§ 286 Abs 1 zweiter Satz, 294 Abs 5 zweiter Satz, 296 Abs 3 zweiter Satz, 344 zweiter Satz, 473 Abs 1, 489 Abs 1 zweiter Satz StPO). Wer sich wegen der Verlängerung seiner Haft über die erstinstanzliche Verurteilung hinaus aufgrund der Verzögerung, die mit der Entscheidung über sein Rechtsmittel verbunden ist, zu beschweren hätte, kann sich nach der Rsp des EGMR nicht auf Art 5 Abs 3 MRK berufen, wohl aber "möglicherweise Nichtbeachtung der in Art 6 Abs 1 MRK vorgesehenen angemessenen Frist geltend machen" (EGMR, 27. 6. 1968, Wemhoff gg Deutschland). Nach der Rsp des Obersten Gerichtshofes setzen § 193 Abs 1 und 2 StPO diese Grundrechtsverheißung auf einfachgesetzlicher Stufe um (richtungweisend: 15 Os 34/04).

Normen

MRK Art5 Abs1 lita III4a
MRK Art5 Abs1 litc III4d1
MRK Art5 Abs3 IV3d
MRK Art6 Abs1 II6
StPO §193 Abs1
StPO §193 Abs2

14 Os 139/04OGH23.11.2004
11 Os 48/06bOGH13.06.2006

Auch; Beisatz: Die Anhaltung in Untersuchungshaft widerstreitet nach einem in erster Instanz auf der Grundlage einer in ihrem Ablauf den Erfordernissen des Art 6 Abs 1 MRK entsprechenden Hauptverhandlung ergangenen Schuldausspruch und Strafausspruch keineswegs der Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK, sondern findet im Gegenteil ihre - nach Maßgabe der nationalen Gesetzeslage zu beurteilende - Rechtfertigung in Art 5 Abs 1 lit a MRK. (T1)

12 Os 138/06wOGH21.12.2006

Auch; nur: Wenn die Schuld einer Person bereits in einer Hauptverhandlung festgestellt worden ist, die in ihrem Ablauf den Erfordernissen des Art 6 Abs 1 MRK entsprochen hat, finden nach der Rsp des EGMR Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft ihre Rechtfertigung in Art 5 Abs 1 lit a MRK. (T2)<br/>Beisatz: Wenngleich das Urteil angefochten wurde. (T3)

14 Os 43/09vOGH29.04.2009

Vgl; Beisatz: Der Schutzbereich des Art 5 Abs 3 zweiter Satz EMRK erstreckt sich aber nur auf die Haftgründe des Art 5 Abs 1 lit c EMRK. (T4)

15 Os 20/11xOGH16.03.2011

Vgl auch; nur T2

13 Os 82/11zOGH27.07.2011

Auch; nur T2; Beisatz: Art 5 Abs 1 lit a MRK stellt nämlich auf die Haft ab der erstinstanzlichen Verurteilung, nicht erst auf jene ab Rechtskraft des Urteils ab. Deswegen werden auch vom EGMR Beschwerdeführer mit der Behauptung, der Schuldspruch oder die gegen sie verhängte Strafe würden auf einem Tatsachen-oder Rechtsirrtum des Erstgerichts beruhen, nicht gehört. (T5)

11 Os 115/11pOGH13.09.2011

Vgl auch; Beis ähnlich wie T1

11 Os 66/12hOGH19.06.2012

Vgl auch; ähnlich nur T2

14 Os 90/16sOGH28.09.2016

Auch; Beis ähnlich wie T5

Dokumentnummer

JJR_20041123_OGH0002_0140OS00139_0400000_001

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