OGH 8ObS1/24s

OGH8ObS1/24s25.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Philipp Brokes (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch die HAIDER OBEREDER PILZ Rechtsanwält:innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, Geschäftsstelle St. Pölten, 3100 St. Pölten, Daniel‑Gran‑Straße 8‑12, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 475 EUR netto sA (Insolvenz‑Entgelt), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 19. Dezember 2023, GZ 8 Rs 129/23 h‑16,mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 22. August 2023, GZ 38 Cgs 92/23w‑10, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBS00001.24S.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Arbeitsrecht, Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 693,69 EUR (darin 115,61 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist seit 19. 4. 2022 aufrecht bei der W* Gesellschaft mbH als Angestellte in Vollzeit beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis ist der Angestelltenkollektivvertrag Sanitär‑, Heizungs‑ und Lüftungstechniker anzuwenden. Die Arbeitgeberinhat bei allen ihren (unstrittig insgesamt 46) Arbeitnehmern im Dezember 2022 eine Teuerungsprämie von je 500 EUR abgerechnet.

[2] Über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 9. 1. 2023 zu AZ * das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet. Die Klägerin hat ihre Forderungen sowohl im Insolvenzverfahren als auch bei der Beklagten fristgerecht angemeldet. Im Insolvenzverfahren hat der Insolvenzverwalter die Forderungen anerkannt.

[3] Mit Bescheid vom 25. 4. 2023, GZ *, lehnte die Beklagte das von der Klägerin beantragte Insolvenz‑Entgelt für den Zeitraum 1. 12. 2022 bis 31. 12. 2022 im Umfang von 500 EUR netto ab, wobei es sich um die der Klägerin von der Arbeitgeberin gewährte Teuerungsprämie handelt; dies wurde damit begründet, dass diese kein Entgelt im Sinne des § 1 Abs 2 IESG sei.

[4] Die Klägerin hat am 3. 5. 2023 die 5 % Barquote aus dem Insolvenzverfahren überwiesen bekommen.

[5] Die Klägerin begehrte die Zahlung von Insolvenz‑Entgelt und brachte vor, dass es sich bei der Teuerungsprämie um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 1 Abs 2 IESG handle, der kein ausgeschlossener Anspruch nach § 1 Abs 3 IESGsei. Die Teuerungsprämie sei eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers, die er nur aus wirtschaftlichen Überlegungen „zur Abgeltung des Einsatzes bzw der Werthaftigkeit der Arbeitnehmer“ ausbezahle; sie substituiere in vielen Fällen auch temporäre Lohnerhöhungen, die ebenso gesichert wären, und solle Abhilfe für die gestiegenen Lebenserhaltungskosten schaffen. So wie die Corona‑Prämie sei auch die Teuerungsprämie zugesagt und abgerechnet worden, um Arbeitnehmer für ihre Leistungen und den Arbeitseinsatz im letzten Jahr zu belohnen.

[6] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und brachte vor, dass die Klägerin keinen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 1 Abs 2 IESG geltend mache. Vereinbarungen und Verhaltensweisen, durch die das Risiko im Insolvenzfall missbräuchlich auf die sie überwälzt werden solle, seien nichtig bzw liege ein ausgeschlossener Anspruch im Sinne des § 1 Abs 3 IESG vor. Es liege weder eine betriebsübliche Entlohnung vor noch sei diese freiwillige Leistung sachlich gerechtfertigt; die sachliche Rechtfertigung sei von der Klägerin „bis dato lediglich behauptet“ worden.

[7] Das Erstgericht gab der Klage im Umfang von 475 EUR (500 EUR abzüglich der von der Klägerin bezogenen Barquote von 25 EUR) statt und wies ein Begehren von 25 EUR (unangefochten) ab. Die hier gegenständliche Teuerungsprämie nach § 124b Z 408 lit a EStG 1988 habe ihren Entstehungsgrund im Arbeitsverhältnis und sei daher als Anspruch im Sinne des § 1 Abs 2 IESG zu qualifizieren. Da sie bei allen Arbeitnehmern abgerechnet worden sei, liege keine Einzelvereinbarung im Sinne des § 1 Abs 3 Z 2 IESG vor; der Anspruch sei nicht ausgeschlossen. Dass der Klägerin – etwa im Hinblick auf deutlich über sechs Monate rückständiges Entgelt – hätte bewusst sein müssen, dass sie die Gegenleistung nicht vom Arbeitgeber, sondern von der Beklagten bekommen würde, habe die Beklagte weder vorgebracht noch hätten sich Anhaltspunkte für eine solche Überwälzung des Risikos auf die Beklagte ergeben.

[8] Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Die Teuerungsprämie stehe in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, weshalb sie als Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 1 Abs 2 Z 1 IESG zu qualifizieren sei. Ein Ausschluss des Anspruchs nach § 1 Abs 3 Z 1 IESG komme nicht in Frage, weil die Beklagte nicht einmal behauptet habe, dass die Klägerin von einer allfälligen Benachteiligungsabsicht ihres Arbeitgebers zulasten der Beklagten gewusst habe oder wissen hätte müssen. Auf Grundlage des Vorbringens der Klägerin sei allerdings nicht erkennbar, ob eine sachliche Rechtfertigung für die Auszahlung der Teuerungsprämie im Sinne von § 1 Abs 3 Z 2 lit b IESG vorliege. Die Klägerin habe nämlich nur behauptet, die Prämie sei aufgrund des hohen Arbeitseinsatzes sämtlicher Arbeitnehmer im Kalenderjahr 2022 gerechtfertigt gewesen, habe aber nicht dargetan, warum gerade die ihr gewährte Teuerungsprämie sachlich gerechtfertigt wäre. Diesen Umstand habe das Erstgericht nicht erörtert und die Beklagte nicht hinreichend konkret aufgezeigt, sodass zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung die Rechtssache zurückzuverweisen sei.

[9] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof mangels Rechtsprechung zur Frage der Qualifikation einer Teuerungsprämie als gesicherter Anspruch nach § 1 Abs 2 IESG zu.

[10] Der Rekurs der Beklagten beantragt, den Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst im klagsabweisenden Sinne zu entscheiden.

[11] Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und teilweise berechtigt: Es liegt Entscheidungsreife vor; der Umstand, dass der Rekurs von der Klägerin erhoben wurde, hindert jedoch nicht die Entscheidung in der Sache selbst auch zum Nachteil der Rekurswerberin, zumal der Grundsatz der Unzulässigkeit der reformatio in peius im Rekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluss nicht gilt (RS0043903; RS0043939; RS0043853).

[13] 1.1.1. Nach § 1 Abs 2 IESG sind aufrechte, nicht verjährte und nicht ausgeschlossene Ansprüche (§ 1 Abs 3 IESG) aus dem Arbeitsverhältnis gesichert, auch wenn sie gepfändet, verpfändet oder übertragen worden sind, und zwar unter anderem Entgeltansprüche, insbesondere auf laufendes Entgelt und aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Z 1) sowie sonstige Ansprüche gegen den Arbeitgeber (Z 3).

[14] 1.1.2. Insolvenz‑Entgelt gebührt nach § 1 Abs 3 IESG nicht für ausgeschlossene Ansprüche, darunter (Z 1) Ansprüche nach § 1 Abs 2 IESG, die durch eine im Sinne der §§ 438 ff EO bzw der IO anfechtbare Rechtshandlung erworben wurden, und (Z 2) Ansprüche, die auf einer Einzelvereinbarung beruhen, die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder auf Anordnung der Geschäftsaufsicht (lit a) oder in den letzten sechs Monaten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Anordnung der Geschäftsaufsicht bzw vor der Kenntnis vom Beschluss nach § 1 Abs 1 Z 2 bis 6 IESG (lit b) abgeschlossen wurde, soweit diese Ansprüche über den durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung zustehenden Anspruch oder die betriebsübliche Entlohnung hinausgehen oder auf sonstigen Besserstellungen beruhen, wenn die höhere Entlohnung sachlich nicht gerechtfertigt ist.

[15] 1.2.1. Zweck des IESG ist eine sozialversicherungsrechtliche Sicherung von Entgelt-ansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden Ansprüchen von Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Versichertes Risiko ist im Kernbereich die Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RS0076409). Ein nach den Bestimmungen des IESG geltend gemachter Anspruch muss einer im Gesetz taxativ (RS0076541) normierten Kategorie gesicherter Ansprüche zugeordnet werden; eine Umgehung ist unzulässig (RS0120409 [T1]).

[16] Der Begriff „Entgeltansprüche“ im Sinne des IESG ist im arbeitsrechtlichen Sinn zu verstehen, umfasst alle Leistungen des Arbeitgebers, die dieser dem Arbeitnehmer für die Zurverfügungstellung seiner Arbeitskraft gewährt, und schließt insbesondere Lohn, Gehalt, unregelmäßige Einkünfte wie Provisionen, Zulagen, Prämien, sonstige leistungsbezogene Entgelte, Überstundenentlohnung, Sonderzahlungen sowie Vergütungen für Diensterfindungen ein (RS0076555; 8 ObS 1/21m mwN).

[17] „Laufendes Entgelt“ setzt somit ein Synallagma zu den vom Arbeitnehmer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen voraus (vgl RS0127035). Es sind nur jene Ansprüche gesichert, die mit den ein Arbeitsverhältnis kennzeichnenden Hauptpflichten und Nebenpflichten in einem solchen Sachzusammenhang stehen, dass davon ausgegangen werden kann, die Ansprüche hätten ihren Entstehungsgrund letztlich im Arbeitsverhältnis (RS0076409 [T4]).

[18] 1.2.2. In den Materialien zum IRÄG 1994 (ErläutRV 1384 BlgNR 18. GP  11) ist als Beispiel für sachliche Rechtfertigung im Sinne des § 1 Abs 3 Z 2 IESG lediglich das eines Spezialisten zur Unternehmenssanierung angeführt; negativ werden als Beispiele für sachlich nicht gerechtfertigte Vereinbarungen eine Vordienstzeiten-anrechnung für andere Arbeitnehmer und die Übernahme eines Arbeiters in das Angestelltenverhältnis erwähnt.

[19] In der Rechtsprechung wurde jedoch bereits wiederholt festgehalten (vgl 8 ObS 6/22y mwN), dass als entscheidende Kriterien für die sachliche Rechtfertigung einer höheren, über dem betriebsüblichen Niveau liegenden Entlohnung vor allem die Bedeutung der Arbeit des jeweiligen Arbeitnehmers und auch der damit verbundene Arbeitseinsatz anzusehen sind und daran in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht die sachliche Rechtfertigung einer höheren Entlohnung zu messen ist. Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er bei der Schaffung dieser Bestimmung lediglich jene Fälle vor Augen hatte, in denen ein Arbeitsvertrag mit einem Spezialisten zur Abwendung des völligen Niedergangs des Unternehmens abgeschlossen worden ist. Einzubeziehen sind auch jene Fälle, in denen an bereits beschäftigte Arbeitnehmer Gehaltserhöhungen gewährt werden, um ansonsten unvermeidbaren, größeren Schaden vom Unternehmen abzuwenden, soweit dabei in quantitativer Hinsicht auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit beachtet wurde. Die sachliche Rechtfertigung ist immer dann zu bejahen, wenn auch ein das Unternehmen fortführender Insolvenzverwalter in einer gleichartigen Situation bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt im Sinne des § 81 IO nicht umhingekommen wäre, eine Gehaltserhöhung in diesem Ausmaß zu gewähren. Dieses positive Kriterium der „sachlichen Rechtfertigung“ ist durch das negative des Fehlens der Absicht, den Insolvenz‑Entgelt‑Fonds durch Abschluss eines Vertrags zu seinen Lasten zu missbrauchen, zu ergänzen.

[20] 2.1. § 124b Z 408 lit a EStG 1988, der durch Art 1 Z 3 lit c Teuerungs‑Entlastungspaket, BGBl I 2022/93, eingeführt wurde, lautet:

Zulagen und Bonuszahlungen, die der Arbeitgeber in den Kalenderjahren 2022 und 2023 aufgrund der Teuerung zusätzlich gewährt (Teuerungsprämie), sind

– bis 2 000 Euro pro Jahr steuerfrei und zusätzlich

– bis 1 000 Euro pro Jahr steuerfrei, wenn die Zahlung aufgrund einer lohngestaltenden Vorschrift gemäß § 68 Abs 5 Z 1 bis 7 erfolgt.

Es muss sich dabei um zusätzliche Zahlungen handeln, die üblicherweise bisher nicht gewährt wurden. Sie erhöhen nicht das Jahressechstel gemäß § 67 Abs 2 und werden nicht auf das Jahressechstel angerechnet.

[21] 2.2. Der Inititativantrag, auf den diese Bestimmung zurückgeht, wurde wie folgt begründet (IA 2662/A BlgNR 27. GP  11):

„Zahlt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer in den Jahren 2022 und 2023 auf Grund der gestiegenen Preise zusätzlichen Arbeitslohn, soll diese Maßnahme steuerlich entlastet werden: Derartige zusätzliche Zahlungen sollen als 'Teuerungsprämie' in den Kalenderjahren 2022 und 2023 bis zu einem Betrag von insgesamt 3 000 Euro pro Jahr steuerfrei sein. Die Zahlungen dürfen üblicherweise bisher nicht gewährt worden sein; Belohnungen die aufgrund von Leistungsvereinbarungen gezahlt werden, fallen daher nicht unter diese Befreiung. Im Lichte der bereits eingetretenen Preissteigerung setzt die Steuerbefreiung bis 2 000 Euro nur eine zusätzliche Zahlung in den Jahren 2022 und 2023 voraus, ist aber sonst an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft. Das volle Ausmaß der Befreiung von 3 000 Euro soll nur dann ausgeschöpft werden können, wenn die 2 000 Euro übersteigende Zahlung aufgrund einer lohngestaltendenden Vorschrift gemäß § 68 Abs 5 Z 1 bis 7 geleistet wird.

Eine Teuerungsprämie soll jedoch zusammen mit einer Gewinnbeteiligung (§ 3 Abs 1 Z 35) nur im Ausmaß von insgesamt 3 000 Euro pro Jahr steuerfrei bleiben. Nach Gewährung einer steuerfreien Teuerungsprämie kann eine Mitarbeitergewinnbeteiligung nur mehr im verbleibenden Ausmaß bis 3 000 Euro steuerfrei ausbezahlt werden. Umgekehrt kann nach Gewährung einer steuerfreien Gewinnbeteiligung eine Teuerungsprämie ebenfalls nur mehr im verbleibenden Ausmaß bis 3 000 Euro steuerfrei pro Jahr ausbezahlt werden.

Es soll aber möglich sein, dass der Arbeitgeber eine im Kalenderjahr 2022 gewährte Gewinnbeteiligung im Jahr 2022 nachträglich zu einer Teuerungsprämie umqualifiziert. Diese Möglichkeit soll deshalb eingeräumt werden, weil die Teuerungsprämie neben der Befreiung von der Einkommensteuer, auch von der Sozialversicherung sowie von Lohnnebenkosten – wie insbesondere Kommunalsteuer und DB – befreit werden soll.

[22] 2.3. Die Abgabenfreiheit nach § 124b Z 408 lit a EStG 1988 bezieht sich auf alle Lohnabgaben: Für die Befreiung in den Bereichen der Sozialversicherung, der betrieblichen Vorsorge (Abfertigung Neu) und der Lohnnebenkosten findet sich in § 49 Abs 3 Z 30 ASVG, § 41 Abs 4 lit h FLAG und § 16 Abs 15 KommStG jeweils ein Verweis auf die steuerfreie Teuerungsprämie (vgl Neumann , Die Teuerungsprämie, ÖStZ 2022/653, 688;Kronberger/Kraft, Die abgabenfreie Teuerungsprämie, PV Profi 2022, H 3, 3 [3]).

[23] 3.1. Der Rekurs der Beklagten beharrt darauf, dass die Teuerungsprämie kein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis sei, zumal diese – anders als eine Bleibeprämie (8 ObS 6/22y) – nicht von einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhänge und nur „wegen der Teuerung“ freiwillig gewährt werde; sie sei auch nicht mit der nach dem IESG gesicherten Corona‑Prämie (gemeint: der durch Art 11 3. COVID‑19‑Gesetz, BGBl I 2020/23, eingeführte § 124b Z 350 EStG 1988) zu vergleichen, weil diese besondere Belastungen mit den durch die Pandemie individuell erschwerten Arbeitsbedingungen hätte ausgleichen sollen. Die Teuerungsprämie dagegen sehe einen solchen Ausgleich nicht vor und sei eine nicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehende, rein steuer‑ und abgabenrechtliche Regelung.

[24] 3.2. Nach § 124b Z 408 lit a EStG 1988 handelt es sich bei der Teuerungszulage um vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zusätzliche, üblicherweise bisher nicht gewährte Zulagen oder Bonuszahlungen in den Jahren 2022 und 2023, die im Hinblick darauf gewährt wurden, dass die Geldentwertung eine unverhältnismäßige Minderung des Arbeitslohnes bewirkte. Nach dem in den Materialien zum Ausdruck kommenden Zweck soll damit eine steuerliche Entlastung für einen in den Jahren 2022 und 2023 aufgrund der gestiegenen Preise gewährten zusätzlichen Arbeitslohn bewirkt werden.

[25] 3.3. Der erkennende Senat teilt vor diesem Hintergrund die Ansicht des Berufungsgerichts (§ 510 Abs 3 in Verbindung mit § 500a ZPO), dass eine solche Teuerungsprämie in untrennbarem Konnex mit Arbeitsverhältnis und ‑leistung steht, sie ohne diese nicht denkbar wäre und sie den Kernbereich des durch das IESG versicherten Risikos betrifft; sie soll gerade vor dem Hintergrund der Geldentwertung die Bestreitung des Lebensunterhalts der Arbeitnehmer trotz Insolvenz des Arbeitgebers sicherstellen.

[26] Wesentliche Unterschiede zwischen der Teuerungsprämie und der Regelung nach § 124b Z 350 EStG 1988, welche eine differenzierte Behandlung in Ansehung der Qualifikation als Arbeitsentgelt nahelegen würden, sind weder vom Wortlaut der beiden Bestimmungen (arg: „zusätzliche Zahlungen … aufgrund der COVID‑19‑Krise / der Teuerung“) noch von ihrer – gleichlaufend gestalteten – Gesetzessystematik geboten.

[27] Die Teuerungsprämie nach § 124b Z 408 lit a EStG 1988 ist daher als laufendes Entgelt im Sinne des § 1 Abs 2 IESG anzusehen.

[28] 4.1. Der Rekurs führt unter der Überschrift „zur finanziellen Schieflage“ aus, die Beklagte habe ausreichendes Vorbringen zum Kenntnisstand über die finanzielle Schieflage bei der Klägerin und der Schuldnerin erstattet, „um entsprechende Feststellung erforderlich zu machen“. Es widerspreche der Intention des Gesetzgebers, dass zu einem Zeitpunkt, wo die finanzielle Lage des Unternehmens äußerst prekär sei, vom Arbeitgeber dennoch freiwillig ausgeschüttete Prämien, denen insbesondere keine entsprechende zu den sonstigen regulären Arbeitsleistungen hinzukommende Gegenleistung des Arbeitnehmers gegenüberstehe, dennoch nach dem IESG gesichert sein sollten, da dies eine unzulässige Risikoüberwälzung auf die Beklagte wäre.

[29] 4.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats kann regelmäßig allein aus der zeitlichen Komponente des „Stehenlassens“ von Entgeltansprüchen nicht darauf geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenz-Entgelt‑Fonds überwälzen wolle. Allerdings kann im Einzelfall und unter Heranziehung eines „Fremdvergleiches“ (vgl RS0114470; RS0112127) dann, wenn zum „Stehenlassen“ von Entgelt weitere Umstände hinzutreten, die konkret auf den Vorsatz des Arbeitnehmers schließen lassen, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen, die Geltendmachung eines Anspruchs auf Insolvenz‑Entgelt missbräuchlich sein (RS0119679; RS0116935; 8 ObS 4/20a; 8 ObS 5/22a).

[30] 4.3. Tatsächlich wurde hier die Prämie aufgrund von vom Berufungsgericht als schlüssig zustandegekommen qualifizierten jeweiligen Einzelvereinbarungen (die als solche im Rekursverfahren unbestritten sind) im Dezember 2022 abgerechnet, bevor der Arbeitgeber im Jänner 2023 insolvent wurde. Dass die Klägerin oder andere Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt schon länger offene Entgeltansprüche gehabt hätten, hat die Beklagte nicht vorgebracht und ist auch nicht hervorgekommen; dasselbe gilt für Umstände dahin, dass die Klägerin eine besondere Nahebeziehung zum Arbeitgeber gehabt oder sonst konkretes Wissen über dessen Insolvenz gehabt und deshalb die Vereinbarung über die Teuerungsprämie getroffen hätte. Es wurde auch nicht behauptet und es ist auch nicht hervorgekommen, dass die Höhe der gewährten Teuerungsprämie in einem auffälligen Missverhältnis zu Arbeitsausmaß oder Lohnhöhe der Klägerin (von unstrittig 3.780 EUR brutto) gestanden wäre.

[31] 4.4. Insgesamt ist daher dem Berufungsgericht auch dahin zuzustimmen, dass konkreter Missbrauchsvorsatz oder gar ‑absicht der Klägerin nicht behauptet wurde, sodass ein Ausschlussgrund im Sinne des § 1 Abs 3 Z 1 IESG nicht näher in Betracht kommt.

[32] 5.1. Zum Ausschlussgrund nach § 1 Abs 3 Z 2 lit b IESG führt der Rekurs ins Treffen, die Klägerin habe im erstinstanzlichen Verfahren zur Begründung der sachlichen Rechtfertigung der gewährten Teuerungsprämie lediglich vorgebracht, dass sich die Arbeitnehmer durch ihren hohen Arbeitseinsatz im letzten Arbeitsjahr eine derartige Prämie, also eine Zuzahlung zum laufenden Gehalt, sachlich gerechtfertigt verdient hätten; die Beklagte habe darauf erwidert, dass damit kein hinreichendes Vorbringen der Klägerin zur betriebsüblichen Entlohnung und zur sachlichen Rechtfertigung erstattet worden sei. Dem habe sich das Berufungsgericht angeschlossen, jedoch rechtsirrig vermeint, diese Unschlüssigkeit des Klagsvorbringens wäre trotz des konkreten Bestreitungsvorbringens erörterungsbedürftig gewesen.

[33] 5.2. Der erkennende Senat hält vor dem Hintergrund der oben bereits dargelegten Zwecke des Insolvenz-Entgelts und der vom Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Zweckbestimmung der Teuerungsprämie und ihrer steuerlichen Befreiung jedoch dafür, dass die sachliche Rechtfertigung der Teuerungsprämie in ihrer konkreten Ausgestaltung darin zu erblicken ist, dass die Klägerin ihre (Vollzeit‑)Arbeitsverpflichtung trotz der hohen Geldentwertung erfüllte, und dass die vom Gesetzgeber auch ausdrücklich so gewünschte und durch Befreiung von Lohnnebenkosten auch geförderte Zusatzentlohnung einen Beitrag zur Beibehaltung der Äquivalenz zwischen Arbeitsleistung und Bezahlung leisten sollte. Unter diesen Voraussetzungen erscheint es daher nicht notwendig, eine zusätzliche konkrete sachliche Rechtfertigung darzulegen, wie sie im Lichte der Rechtsprechung zu anderen Zusatzzahlungen allenfalls gefordert wäre, die nicht durch vom Gesetzgeber selbst konkret vorgesehene Anlässe motiviert wären. Hier liegt eine ausreichende sachliche Rechtfertigung der steuerlich begünstigten Zusatzzahlung im Umstand der auch die Klägerin treffenden Geldentwertung und der dessen ungeachtet von ihr erbrachten Arbeitsleistung.

[34] 5.3. Vor diesem Hintergrund sind auch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts weder Ungenügen noch Unschlüssigkeit des Klagsvorbringens zu erkennen, sodass keine Veranlassung zu weiterer Erörterung mit der Klägerin besteht.

[35] 5.4. Dass kein Missverhältnis zwischen Prämie und Arbeitsleistung und ‑entlohnung besteht, wurde oben in Pkt 4.3. bereits dargelegt. Es ist insofern und auch sonst nicht ersichtlich, warum die Gewährung der gegenständlichen Prämie auch einem Vergleich mit einem das Unternehmen fortführenden, pflichtgemäße Sorgfalt aufwendenden Insolvenzverwalter in einer gleichartigen Situation (vgl RS0106821 [T1]) nicht standhalten sollte.

[36] 5.5. Zusammengefasst ist eine sachliche Rechtfertigung der Gewährung der Teuerungsprämie hier nicht weiter erörterungsbedürftig und inhaltlich zu bejahen.

[37] Der Anspruch der Klägerin besteht damit zu Recht, ohne dass auf die – in den Rechtsmittelschriften der Parteien auch nicht mehr angesprochene – Frage der Betriebsüblichkeit eingegangen werden muss (vgl RS0120260).

[38] 6. Der Oberste Gerichtshof kann gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Sache zur Entscheidung reif ist. Dem Rekurs des Beklagten ist daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst im Sinne der schon vom Erstgericht im Umfang von 475 EUR netto ausgesprochenen Stattgebung des Klagebegehrens zu erkennen.

[39] 7. Die Kostenentscheidung ist in § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG begründet. Für ihre Beantwortung des Rekurses nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO konnten der Klägerin nicht mehr als die auf Basis TP 3B verzeichneten Kosten zugesprochen werden.

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