Rechtssatz
Allein aus der zeitlichen Komponente des "Stehenlassens" von Entgeltansprüchen kann im Hinblick auf die Begrenzung der Sicherung nach § 3a Abs 1 IESG nicht darauf geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenzausfallgeld-Fond überwälzen wolle. Allerdings kann im Einzelfall dann, wenn zu dem "Stehenlassen" der Entgeltansprüche weitere Umstände hinzutreten, die konkret auf den Vorsatz des Arbeitnehmers schließen lassen, hier das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenzausfallgeldfonds zu überwälzen, trotzdem die Geltendmachung eines Anspruches auf Insolvenzausfallgeld missbräuchlich sein.
8 ObS 14/06a | OGH | 21.09.2006 |
Auch; Beisatz: Hier liegen keine weiteren Umstände vor, die auf einen Vorsatz des Arbeitnehmers schließen lassen könnten, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen: Weder bestand eine familiäre oder sonstige Nahebeziehung zwischen dem Kläger und seinem Dienstgeber noch hatte der Kläger konkret Kenntnis über die finanzielle Situation des Unternehmens. Allein, dass der Kläger von allem Anfang an keinerlei Gehaltszahlungen erhielt, ist hier deshalb nicht ausschlaggebend, weil der Kläger zur Entwicklung eines neuen Projektes bei seinem Dienstgeber eingesetzt war und bei Erschließung neuer Tätigkeitsfelder zunächst Liquiditätsengpässe auftreten können. (T1) |
8 ObS 16/06w | OGH | 23.11.2006 |
Beisatz: Solche Umstände liegen hier jedenfalls vor: Neben dem „Stehenlassen" von Entgelt über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren und der festgestellten Kenntnis von der Finanzlage der Gesellschaft war der Kläger überdies Gesellschafter der GmbH und stand somit zur Gesellschaft in einer Nahebeziehung. (T2) |
8 ObS 18/06i | OGH | 23.11.2006 |
Beisatz: Solche weiteren Umstände sind hier nicht ersichtlich: Der Umstand, dass der Arbeitnehmer hier selbst der Gesellschaft noch Kapital zugeführt hat, spricht gerade nicht dafür, dass er im Ergebnis nur deshalb weiter gearbeitet hat, weil er davon ausgegangen ist, sein Geld nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenz-Ausfallgeldfond zu erhalten. Auch die Vereinbarung betreffend die Entgeltreduktion lässt gerade auf die gegenteilige Absicht schließen, nämlich hier durch eine den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen angepasstere Entgeltregelung den Weiterbestand des Unternehmens und damit auch die Entgeltzahlung durch den Arbeitgeber zu sichern. (T3) |
8 ObS 12/07h | OGH | 18.04.2007 |
Beisatz: Aus dem über lange Zeiträume angewachsenen Gesamtrückstand lässt sich ein Missbrauchsvorsatz nicht ableiten. (T4)<br/>Beisatz: Hier: Missbrauchsvorsatz verneint. (T5) |
8 ObS 22/07d | OGH | 30.08.2007 |
Auch; Beisatz: Hier waren der Kläger und seine Ehegattin an der Arbeitgeber-GmbH beteiligt, der Kläger hatte eine maßgebliche Stellung in dem Unternehmen und es war die Insolvenzsituation des Unternehmens schon etwa 1 1/2 Jahre vor Eintritt der Insolvenz erkennbar (Überwälzung des Finanzierungsrisikos bejaht). (T6) |
8 ObS 3/08m | OGH | 10.07.2008 |
Auch; Beisatz: Ob ein solcher Vorsatz zu bejahen ist, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. (T7)<br/>Beisatz: Im Zusammenhang mit weiteren Umständen des Einzelfalles kann ein unentgeltliches Weiterarbeiten auf einen auf Überwälzung des Finanzierungsrisikos gerichteten Vorsatz schließen lassen. (T8)<br/>Beisatz: Die zeitliche Komponente (hier: Nichtgeltendmachung der Forderung über fast 2 Jahre) in Verbindung mit dem Umstand, dass die Klägerin als Alleingesellschafterin (und somit wirtschaftliche Eigentümerin der GmbH) ihre Ansprüche erst nach Konkurseröffnung geltend machte, spricht für einen Vorsatz der Klägerin, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen. Dieser Beurteilung steht auch die Insolvenz-Richtlinie 80/987/EWG (geändert durch die Richtlinie 2002/74/EG ) nicht entgegen. (T9) |
8 ObS 4/20a | OGH | 29.06.2020 |
Beisatz: Hier: Längere Bekanntschaft des Klägers zur maßgeblichen Persönlichkeit der Schuldnerin (Minderheitsgesellschafter); Kläger hatte weitgehend Einblick in Geschäfte der Schuldnerin und kannte deren schlechte finanzielle Lage; trotzdem erster Monatslohn unbezahlt blieb, bestand er nicht auf Bezahlung, sondern zeigte vielmehr „Verständnis“, Kläger nahm billigend in Kauf, dass letztlich ohnehin IEF‑Service GmbH für seine Ansprüche aufkommen werde; bereits zuvor vom Kläger dreimal Antrag bei IEF‑Service GmbH gestellt. (T10) |
8 ObS 4/22d | OGH | 27.09.2022 |
Vgl; Beisatz: Hier: Der Kläger erhielt seit Beginn seines Dienstverhältnisses nicht das vereinbarte Entgelt und setzte dennoch seine Arbeit fort, er wirkte sogar an einer falschen Anmeldung zur Sozialversicherung mit; ihm war dabei bewusst, dass die jahrelange Nichtzahlung seines Gehalts auf fehlendem finanziellen Leistungsvermögen der Dienstgeberin beruhte, weil diese betriebsnotwendige Investitionen Dritter nicht lukrieren konnte. (T11) |
8 ObS 5/22a | OGH | 25.01.2023 |
Beisatz: Hier: Der Kläger wurde seit Beginn seiner Tätigkeit ständig in Vollzeit beschäftigt, aber gegenüber dem Sozialversicherungsträger dennoch nur als Teilzeitkraft angemeldet. Mehr- und Überstunden wurden ihm über rund 13 Jahre nie bezahlt oder in Zeitausgleich abgegolten, wogegen der Kläger auch nicht remonstriert hat, weil er mit seinem Arbeitsplatz, ungeachtet der auf dem Papier bestehenden Diskrepanz zwischen vereinbarter und tatsächlicher Arbeitszeit, sehr zufrieden war. (T12) |
8 ObS 2/23m | OGH | 29.03.2023 |
Beisatz: Hier: Der Kläger hat über zwölf Monate hinweg weder Gehalt noch Provisionen beansprucht und selbst die von ihm vereinnahmten Zahlungen wurden nicht auf das Arbeitsverhältnis angerechnet. (T13) |
Dokumentnummer
JJR_20041125_OGH0002_008OBS00020_04F0000_001
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)