Rechtssatz
Der Fremdvergleich besteht im Wesentlichen darin, dass aus typischerweise bekannten Tatsachen anhand des einem "fremden" Arbeitnehmer, bei dem also der Interessengegensatz und das Bewusstsein des Risikos des Entgeltverlustes voll ausgeprägt ist, bei den konkreten Umständen zu unterstellenden Verhaltens auf den im Ergebnis relevanten "inneren" - zumindest bedingten - Vorsatz geschlossen wird. Der Fremdvergleich stellt sich als Hilfsmittel zur Sachverhaltsermittlung und Sachverhaltsbeurteilung dar.
Ergibt sich aus dem Fremdvergleich der Schluss, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, so kann dieser nicht durch einen Beweis über die konkreten Absichten des Arbeitnehmers widerlegt werden.
8 ObS 39/01w | OGH | 26.04.2001 |
Auch; Beisatz: Der Fremdvergleich hat sämtliche objektiven Anhaltspunkte heranzuziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Entgeltrückstände entstanden sind, aber auch, wann diese (in welcher Höhe) entstanden sind und in welchem Ausmaß in diesem Zeitraum vom Arbeitgeber Nachzahlungen auf den Rückstand geleistet wurden. (T1) |
8 ObS 183/01x | OGH | 16.08.2001 |
Auch; Beis wie T1 nur: Der Fremdvergleich hat sämtliche objektiven Anhaltspunkte heranzuziehen. (T2)<br/>Beisatz: Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei Familienangehörigen, Gesellschaftern oder anderen Personen, bei denen sich eine besondere Nahebeziehung zum Arbeitgeber zeigt, regelmäßig auch das Wissen um die finanzielle Situation des Betriebes größer ist und daher auch schon bei kürzeren Entgeltrückständen beim Verbleiben im Betrieb zumindest der bedingte Vorsatz anzunehmen sein wird, das Entgelt nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu erhalten. (T3)<br/>Beisatz: Die Durchführung des Fremdvergleiches ist eine Frage des Einzelfalles, die - von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen - die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen kann. (T4) |
8 ObS 153/01k | OGH | 13.12.2001 |
Beis wie T2; Beis wie T3; Beisatz: Es ist auch auf die Beschäftigungsdauer Rücksicht zu nehmen. Je länger ein Arbeitnehmer bereits im Betrieb tätig war und zumindest im Wesentlichen regelmäßig sein Entgelt erhalten hat, desto weniger schnell verliert er seinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld; je kürzer der Arbeitnehmer tätig war, insbesondere, wenn er bereits (nahezu) von Anfang an kein Entgelt erhielt, desto schneller wäre ein typischer Arbeitnehmer ausgetreten. Bedingter Vorsatz lässt sich beim durchschnittlichen Arbeitnehmer regelmäßig nur aus deutlich über der 6-Monatsgrenze des § 3a IESG liegenden Entgeltrückständen ableiten. (T5) |
8 ObS 223/01d | OGH | 13.12.2001 |
nur: Ergibt sich aus dem Fremdvergleich der Schluss, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, so kann dieser nicht durch einen Beweis über die konkreten Absichten des Arbeitnehmers widerlegt werden. (T6)<br/>Beis wie T2 |
8 ObS 305/01p | OGH | 24.01.2002 |
nur T6; Beis wie T1; Beis wie T3; Beisatz: Hier bedingter Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos verneint: Arbeitnehmer passte Arbeitsausmaß und damit auch seine Entgeltansprüche an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers an, wobei erhebliche Überzahlungen der laufenden und damit Nachzahlungen der früheren offenen Entgelte erfolgt sind. (T7) |
8 ObS 254/01p | OGH | 16.05.2002 |
Auch; Beis wie T1; Beisatz: Werden regelmäßig, wenn auch verspätet, Zahlungen geleistet, muss beobachtet werden, wie sich das Aufbauen von Rückständen einerseits und Zahlungen auf Rückstände andererseits im Verhältnis zueinander entwickelt haben. Ist der Rückstand etwa erst in den letzten Monaten vor dem Austritt besonders angewachsen, könnte das Arbeitsverhältnis - unter der Prämisse eines rechtzeitigen Austritts - noch als auf die Erzielung von Entgelt für die Bestreitung des Lebensunterhalts gerichtet angesehen werden. Nicht unerhebliche Nachzahlungen trotz in der Vergangenheit entstandener Entgeltrückstände können die Annahme bedingten Vorsatzes der Überwälzung des Finanzierungsrisikos ausschließen. (T8)<br/>Beisatz: Es ist auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Je länger ein Arbeitnehmer bereits im Betrieb tätig war und zumindest im Wesentlichen regelmäßig sein Entgelt erhalten hat, desto weniger schnell verliert er seinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld, weil auch ein typischer Arbeitnehmer in für ihn vertretbarem Ausmaß Betriebstreue gezeigt hätte. (T9) |
8 ObS 105/02b | OGH | 16.05.2002 |
nur T6; Beis wie T2; Beisatz: Die subjektive Erwartung der Klägerin, dass sich die Geschäftslage bessern werde, ist dabei nicht entscheidend; wird das wirtschaftliche Risiko aus der Unternehmensführung doch regelmäßig nicht von den Arbeitnehmern übernommen. (T10) |
8 ObS 109/02s | OGH | 27.05.2002 |
Beis wie T2; Beis ähnlich T9; Beisatz: Beim Fremdvergleich geht es nur um das verfahrenstechnische Mittel zur Beurteilung des Vorliegens dieses "Vorsatzes". Die dabei auch herangezogenen Rückstände als solche sind nicht der Grund für den Anspruchsausschluss, sondern ob sich aus diesen und dem Zahlungsverlauf ableiten lässt, dass der Arbeitnehmer mit der mangelnden Zahlung seines zukünftigen Einkommens durch den Arbeitgeber rechnete und das Arbeitsverhältnis nur deshalb aufrecht erhalten hat, weil er sich darauf verließ, dass der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds seine Ansprüche befriedigen wird. Ansatzpunkt für die Beurteilung ist der jeweilige konkrete Insolvenzfall, auch in seiner konkreten zeitlichen Lagerung, und ob sich ausgehend von diesem Zeitpunkt ein Vorsatz auf Übertragung des Finanzierungsrisikos ermitteln lässt. (T11)<br/>Beisatz: Wirtschaftliche Schwierigkeiten des Arbeitgebers müssen gerade bei lange dauernden Arbeitsverhältnissen, bei denen es auch immer wieder zu Nachzahlungen kommt, dem Arbeitnehmer nicht als so drastisch erscheinen, dass er befürchten muss, in Zukunft sein Entgelt nicht vom Arbeitgeber zu erhalten. (T12)<br/>Beisatz: Hier: bedingter Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos verneint: langjährig beschäftigter Arbeitnehmer, der gerade in den letzten 2 Jahren vor der Konkurseröffnung regelmäßig Entgeltzahlungen erhielt und bei dem es sogar teilweise zum Abbau eines wenn auch über viele Jahre hinweg angewachsenen Gesamtrückstandes von ca einem Jahresgehalt kam. (T13) |
8 ObS 195/02p | OGH | 19.09.2002 |
Auch; nur T6; Beis wie T2; Beisatz: Das Abstellen auf die Rückstände oder besondere Naheverhältnisse ist keine Frage der Risikobegrenzung (vgl dazu § 3a IESG), sondern nur ein Aspekt im Rahmen des zur Feststellung des Vorsatzes der Risikoüberwälzung anzustellenden Fremdvergleiches. Daher ist es auch nicht möglich aus der Dauer der Höhe der Entgeltrückstände nur jene ab einer gewissen Dauer auszuscheiden (vgl dazu schon 8 ObS 109/02s). Insoweit kommt auch eine Abwägung unter dem Aspekt der "Verhältnismäßigkeit" nicht in Betracht. (T14)<br/>Beisatz: Diese Rechtsprechung ist grundsätzlich auch auf Lehrverhältnisse anzuwenden. Allerdings wird durchaus auf die Besonderheiten der Lehrverhältnisse (Ausbildungsverhältnis; besonderes Beendigungsrecht) Bedacht zu nehmen sein. (T15)<br/>Beisatz: aus dem Umstand zu erschließen, dass dem Kläger schon beim Eingehen des Lehrverhältnisses genau bekannt war, dass es dem erst kurz von seiner Mutter geführten Betrieb wirtschaftlich schlecht ging, seine Mutter nach dem Konkurs des Vaters Schulden in Millionenhöhe hatte und der Kläger dann tatsächlich bei der Arbeit auch gar nicht ausgelastet war und zuletzt beinahe ein Jahr lang kein Entgelt erhielt. (T16) |
8 ObS 201/02w | OGH | 17.10.2002 |
Vgl auch; Beisatz: Hier: Die Kläger waren viele Jahre am selben Arbeitsplatz von insgesamt vier Arbeitgebern, an denen jeweils die selben Personen beteiligt waren, beschäftigt und bezogen bereits dreimal Insolvenz-Ausfallgeld: bedingter Vorsatz der Risikoverlagerung bejaht. (T17) |
8 ObS 203/02i | OGH | 17.10.2002 |
Vgl auch; Beis wie T1; Beis wie T8 nur: Werden regelmäßig, wenn auch verspätet, Zahlungen geleistet, muss beobachtet werden, wie sich das Aufbauen von Rückständen einerseits und Zahlungen auf Rückstände andererseits im Verhältnis zueinander entwickelt haben. (T18)<br/>Beis wie T9 nur: Je länger ein Arbeitnehmer bereits im Betrieb tätig war und zumindest im Wesentlichen regelmäßig sein Entgelt erhalten hat, desto weniger schnell verliert er seinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld, weil auch ein typischer Arbeitnehmer in für ihn vertretbarem Ausmaß Betriebstreue gezeigt hätte. (T19)<br/>Beis wie T11 nur: Die dabei auch herangezogenen Rückstände als solche sind nicht der Grund für den Anspruchsausschluss, sondern ob sich aus diesen und dem Zahlungsverlauf ableiten lässt, dass der Arbeitnehmer mit der mangelnden Zahlung seines zukünftigen Einkommens durch den Arbeitgeber rechnete und das Arbeitsverhältnis nur deshalb aufrecht erhalten hat, weil er sich darauf verließ, dass der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds seine Ansprüche befriedigen wird. Ansatzpunkt für die Beurteilung ist der jeweilige konkrete Insolvenzfall, auch in seiner konkreten zeitlichen Lagerung, und ob sich ausgehend von diesem Zeitpunkt ein Vorsatz auf Übertragung des Finanzierungsrisikos ermitteln lässt. (T20)<br/>Beis wie T12; Beisatz: Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer gerade in der letzten Zeit regelmäßig faktisch Entgeltzahlungen erhalten hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Entgeltzahlungen für frühere Lohnperioden erfolgten. (T21) |
8 ObS 207/02b | OGH | 07.11.2002 |
Auch; Beis wie T1; Beis wie T9 nur: Je länger ein Arbeitnehmer bereits im Betrieb tätig war und im Wesentlichen regelmäßig sein Entgelt erhalten hat, desto weniger schnell verliert er seinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld, weil auch ein typischer Arbeitnehmer in für ihn vertretbarem Ausmaß Betriebstreue gezeigt hätte. (T22)<br/>Beis wie T12; Beisatz: Für die Annahme des verpönten Vorsatzes der Überwälzung des Finanzierungsrisikos - der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses wegen der Erwartung der Zahlung durch den IESG-Fonds - ist vor allem entscheidend, dass der durchschnittliche Arbeitnehmer regelmäßig auf sein Einkommen angewiesen sein und bei einem unbegründeten längeren Zahlungsverzug bei der Ersichtlichkeit wirtschaftlicher Schwierigkeiten nur dann im Arbeitsverhältnis verbleiben wird, wenn er mit der Begleichung seiner Entgelte durch einen Dritten (IESG-Fonds) rechnet. Dies wird aber umso weniger anzunehmen sein, als dem Arbeitnehmer im wesentlichen regelmäßig Entgeltzahlungen - sei es auch für frühere Lohnperioden - geleistet werden und dies auch seiner langjährigen Erfahrung im Betrieb entspricht. (T23) <br/>Beisatz: Entscheidend ist vor allem die letzte Zeit vor Eintritt der Insolvenz. (T24) |
8 ObS 11/03f | OGH | 25.11.2003 |
Auch; Beis wie T9; Beisatz: Ausgangspunkt für die Beurteilung ist der jeweilige konkrete Einzelfall, auch in seiner konkreten zeitlichen Lagerung und ob sich ausgehend von diesem Zeitpunkt ein Vorsatz auf Übertragung des Finanzierungsrisikos ermitteln lässt. (T25)<br/>Beisatz: Hier: Fremdvergleich führt unter Beachtung der Entscheidung des EuGH vom 11.9.2003, C-201/01 , bei einem Arbeitnehmer, der lediglich 14 Monate beschäftigt war und bei dem von Anfang an Entgeltrückstände aufliefen, zur Sicherung des Entgelts lediglich für den Zeitraum der ersten drei Monate der Nichtzahlung des Lohnes. (T26) |
8 ObS 7/04v | OGH | 27.05.2004 |
Vgl auch; Beisatz: Weil der Kläger in seinem vorangegangenen Dienstverhältnis bei einem später isolventen Dienstgeber tätig und mit der Institution des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds vertraut war, ist davon auszugehen, dass er das Dienstverhältnis trotz Lohnvorenthaltung nur deshalb so lange aufrecht erhielt, weil er auf das - erfolgreich erprobte - Netz der Insolvenz-Entgeltsicherung vertraute. (T27) |
8 ObS 4/20a | OGH | 29.06.2020 |
Beisatz: Hier: Längere Bekanntschaft des Klägers zur maßgeblichen Persönlichkeit der Schuldnerin (Minderheitsgesellschafter); Kläger hatte weitgehenden Einblick in Geschäfte der Schuldnerin und kannte deren schlechte finanzielle Lage; trotzdem erster Monatslohn unbezahlt blieb, bestand er nicht auf Bezahlung, sondern zeigte vielmehr „Verständnis“; Kläger nahm billigend in Kauf, dass letztlich ohnehin IEF‑Service GmbH für seine Ansprüche aufkommen werde; bereits zuvor vom Kläger dreimal Antrag bei IEF‑Service GmbH gestellt. (T28) |
8 ObS 4/22d | OGH | 27.09.2022 |
Vgl; Beisatz: Hier: Der Kläger erhielt seit Beginn seines Dienstverhältnisses nicht das vereinbarte Entgelt und setzte dennoch seine Arbeit fort, er wirkte sogar an einer falschen Anmeldung zur Sozialversicherung mit; ihm war dabei bewusst, dass die jahrelange Nichtzahlung seines Gehalts auf fehlendem finanziellen Leistungsvermögen der Dienstgeberin beruhte, weil diese betriebsnotwendige Investitionen Dritter nicht lukrieren konnte. (T29) |
8 ObS 5/22a | OGH | 25.01.2023 |
Beisatz: Hier: Der Kläger wurde seit Beginn seiner Tätigkeit ständig in Vollzeit beschäftigt, aber gegenüber dem Sozialversicherungsträger dennoch nur als Teilzeitkraft angemeldet. Mehr- und Überstunden wurden ihm über rund 13 Jahre nie bezahlt oder in Zeitausgleich abgegolten, wogegen der Kläger auch nicht remonstriert hat, weil er mit seinem Arbeitsplatz, ungeachtet der auf dem Papier bestehenden Diskrepanz zwischen vereinbarter und tatsächlicher Arbeitszeit, sehr zufrieden war. (T30) |
8 ObS 8/22t | OGH | 23.02.2023 |
Beisatz wie T1; Beisatz wie T2; Beisatz wie T3; Beisatz wie T9; Beisatz wie T19; Beisatz wie T22 |
8 ObS 2/23m | OGH | 29.03.2023 |
nur T6<br/>Beisatz: Hier: Der Kläger hat über zwölf Monate hinweg weder Gehalt noch Provisionen beansprucht und selbst die von ihm vereinnahmten Zahlungen wurden nicht auf das Arbeitsverhältnis angerechnet. (T31) |
Dokumentnummer
JJR_20001023_OGH0002_008OBS00206_00B0000_001
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