OGH 8ObS105/02b

OGH8ObS105/02b16.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Dr. Vera Moczarksi als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Silvia J*****, vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz/Senoner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei IAF-Service GesmbH, Geschäftsstelle Wien, 1040 Wien, Operngasse 17-21, wegen 11.027,71 EUR an Insolvenzausfallgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Jänner 2002, GZ 10 Rs 433/01x-14, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung soll das IESG die Arbeitnehmer gegen das Risiko des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf deren regelmäßige Befriedigung sie typischerweise zur Bestreitung ihres und ihrer Angehörigen Lebensunterhaltes angewiesen sind, bei Insolvenz des Arbeitgebers absichern (vgl zuletzt etwa OGH 24. 1. 2002 8 ObS 305/01p mwN = 16. 8. 2001 8 ObS 183/01x mwN; OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN; RIS-Justiz RS0076384 = SZ 61/254, SZ 65/15, SZ 67/14 uva). Die Überwälzung des Finanzierungsrisikos für die Arbeitslöhne auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds, wenn dem Arbeitnehmer bewusst sein muss, dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bekommen könnte und er deshalb weiter arbeitet, wurde als unzulässig und sittenwidrig angesehen (vgl zuletzt etwa OGH 24. 1. 2002 8 ObS

305/01p mwN = 16. 8. 2001, 8 ObS 183/01x mwN = OGH 8 ObS 206/00b =

RdW 2001/462 = wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN; DRdA 1999/51, 375

[Geist]; WBl 1995, 75; ZIK 1996, 172). Ausreichend dafür ist schon der bedingte Vorsatz, also dass dem Handelnden die Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bewusst ist und er sich mit dem verpönten Erfolg zumindest abfindet (OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN). Dann, wenn ein Arbeitnehmer trotz längerer Nichtzahlung des Lohnes im Unternehmen tätig bleibt und nicht versucht, sein Entgelt ernstlich einbringlich zu machen, indiziert dies in der Regel, dass er beabsichtigt - oder zumindest in Kauf nimmt - in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend zu machen (vgl zuletzt OGH 24. 1. 2002 8 ObS 305/01p mwN = 16. 8.

2001 8 ObS 183/01 mwN = OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = wbl

2001/91 = ZIK 2001/117 mwN; RIS-Justiz RS00112127; DRdA 1999/51, 375

[Geist] ebenso 8 ObS 183/98i; 8 ObS 295/98k; ähnlich 8 ObS 306/98b =

DRdA 1999, 494 = RdW 2000/82; 8 ObS 153/00h; 8 ObS 4/00x uva). Hinzu

können noch weitere besondere Anhaltspunkte für ein "Naheverhältnis"

zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommen, die auf einen fehlenden

Interessengegensatz oder besondere Informationen hindeuten.

Inwieweit aus dem langen Stehenlassen der Entgelte der zumindest

bedingte Vorsatz der Verlagerung des Finanzierungsrisikos geschlossen

werden kann, ist im Rahmen des "Fremdvergleiches" zu beurteilen, ob

also auch ein "unbeteiligter Arbeitnehmer im Unternehmen verblieben

wäre (vgl etwa 24.1.2002 8 ObS 305/01p mwN = 8 ObS 183/01x mwN = OGH

8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN = DRdA

1999/51, 375 [Geist]; 8 ObS 56/00v = WBl 2000/216; 8 ObS 153/00h; 8

ObS 4/00x; 8 ObS 5/00v; 8 ObS 58/00p mwN ua WBl 1999, 174). Der Fremdvergleich hat dabei sämtliche objektiven Anhaltspunkte heranzuziehen. Ergibt sich daraus der Schluss, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, so kommt ein Beweis über die konkreten Absichten des Arbeitnehmers nicht in Betracht (OGH 24. 1. 2002 8 ObS 305/01p mwN = RdW 2001/462 = wbl 2001/91 = ZIK 2001/117).

Im Sinne dieser Judikatur ist auch auf die objektiv gegen diesen Vorsatz sprechenden Argumente Bedacht zu nehmen (vgl OGH 24. 1. 2002 8 ObS 305/01p; OGH 26. 4. 2001 8 ObS 39/01w).

Die aus dieser Rechtsprechung abzuleitenden Grundsätze wurden vom Berufungsgericht bei seiner Entscheidung herangezogen. Ausgehend davon könnte deren Anwendung im Einzelfall nur dann eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG darstellen, wenn dem Berufungsgericht dabei eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl etwa OGH 21. 2. 2002 8 ObS 182/01z mwN). Davon ist hier aber nicht auszugehen. Die Klägerin, die bei der nunmehrigen Gemeinschuldnerin zentrale Verwaltungstätigkeiten zu verrichten hatte, hat selbst nach ihrem eigenen Vorbringen bereits mehrmals wegen der Insolvenz früherer Arbeitgeber, die ebenfalls kleine Baufirmen waren, Insolvenzausfallgeld erhalten. Einer der früheren Geschäftsführer dieser Gesellschaften, der auch bei der nunmehrigen Gemeinschuldnerin eine leitende Position innehatte, lebte im gleichen Haus wie die Klägerin. Die Klägerin erhielt bereits einige Zeit nur mehr schleppend ihr Gehälter ausbezahlt. Schließlich wurden die Gehaltzahlungen Ende Mai 1999 trotz Urgenzen der Klägerin zur Gänze eingestellt. Trotzdem blieb die Klägerin bis zur Ausgleichseröffnung am 20. 4. 2000 und auch danach ohne jede Gehaltszahlung bei der Gemeinschuldnerin.

Ausgehend davon kann die Beurteilung des Berufungsgerichtes im Rahmen des Fremdvergleiches, einen bedingten Vorsatz hinsichtlich der Überwälzung des Finanzierungsrisikos zu erschließen, nicht als Fehlbeurteilung im obigen Sinne angesehen werden. Die subjektive Erwartung der Klägerin, dass sich die Geschäftslage bessern werde ist dabei nicht entscheidend. (OGH 24. 1. 2002 8 ObS 305/01p). Wird das wirtschaftliche Risiko aus der Unternehmensführung doch regelmäßig nicht von den Arbeitnehmern übernommen (OGH 21. 2. 2002 8 ObS 182/01z). Auch die Argumente der Klägerin, dass der Arbeitsplatz bei der Gemeinschuldnerin für sie als teilzeitbeschäftigte Mutter besonders attraktiv gewesen sei und es für sie schwer gewesen wäre, einen anderen Arbeitsplatz zu finden, vermögen keine wesentlich andere Gewichtung herbeizuführen. Das Risiko, das nach Art einer Versicherung vom IAG-Fonds übernommen wird, umfasst im Kernbereich die vom Arbeitnehmer typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des Entgeltverlustes, das daraus entsteht, dass dem typischen Arbeitnehmers der Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers verwehrt ist. Die Überwälzung des Finanzierungsrisikos für die Arbeitslöhne auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds, also wenn dem Arbeitnehmer bewusst sein muss, dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht vom Arbeitgeber, sondern vom IAG-Fonds bekommen könnte und er deshalb weiter arbeitet, wird als unzulässig und sittenwidrig angesehen (OGH

8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN = DRdA

1999/51, 375 [Geist]; 8 ObS 56/00v = WBl 2000/216). Dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin gute Gründe haben mag, trotz der Einsicht, dass die Entgeltleistung wohl vom Arbeitgeber nicht wird erbracht werden können, gerade wegen der Absicherung durch den IESG-Fonds bei diesem Arbeitgeber zu arbeiten, ändert daran nichts. Entscheidend sind nur die im Rahmen des Fremdvergleiches zu beurteilenden Faktoren, aus denen erschlossen werden kann, dass der - sei es auch nur bedingte - Vorsatz der Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, weil dem Arbeitnehmer - anders als dem typischen Arbeitnehmer - die mangelnden Durchsetzbarkeit seiner Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber wegen der zu erwartenden Insolvenz bewusst sein musste und er trotzdem für diesen Arbeitgeber arbeitet und damit das Finanzierungsrisiko für die daraus entstehenden Entgeltansprüche dem IESG-Fonds überträgt. Ausgehend von der oben dargestellten Judikatur zeigt die Revision jedenfalls im Ergebnis keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG auf.

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