OGH 8ObS153/00h

OGH8ObS153/00h8.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Bukovec und Dr. Anton Wladar als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Werner Stanek, Rechtsanwalt, 1010 Wien, Wollzeile 33, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Richard R***** (GZ 6 S 6/96s des Handelsgerichtes Wien), gegen die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen für Wien, Niederösterreich und Burgenland, 1050 Wien, Geigergasse 5-9, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 204.731,70 sA (Revisionsinteresse S 76.288,83), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Februar 2000, GZ 7 Rs 42/00y-33, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26. November 1999, GZ 14 Cgs 69/98h-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 3.043,20 (darin S 507,20 Umsatzsteuer) an Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen des Richard R***** (in der Folge: Gemeinschuldner) wurde mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 9. 1. 1996 zu 6 S 6/96s der Konkurs eröffnet; zum Masseverwalter wurde der Kläger bestellt.

Der spätere Gemeinschuldner war seit 1993 für die C***** GmbH (in der Folge: GmbH) tätig, und zwar bis 31. 8. 1994 "auf Provisionsbasis", dann im Angestelltenverhältnis (20 Stunden/Woche; Bruttomonatslohn S 10.500,-). Zum Zeitpunkt der Begründung des Angestelltenverhältnisses hafteten aus der vorher für die GmbH durchgeführten Tätigkeit Provisionsforderungen späteren Gemeinschuldners in der Höhe von S 217.800,- unberichtigt aus. Trotzdem hatte der Gemeinschuldner "keine Zweifel daran, dass die Zahlung erfolgen werde", weil er vom Geschäftsführer "immer wieder vertröstet wurde, dass er die Zahlung erhalten werde"; da er sah, dass das Unternehmen gut lief und immer wieder Gelder aus abgewickelten Geschäften eingingen, "musste er auch keine Zweifel daran haben, dass das Geld auch flüssig gemacht werden" könne. Er erhielt jedoch von Beginn des Angestelltenverhältnisses an keinerlei Gehaltszahlungen. Er bestritt seinen Unterhalt damals aus seiner weiteren Tätigkeit als Versicherungsmakler und wurde überdies von seiner Frau unterstützt. Mit der Leitung des Unternehmens war er nicht befasst.

Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 13. 6. 1995 wurde zu 3 Se 503/95f ein Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der GmbH abgewiesen.

Im Verfahren 6 Cga 159/96m des Erstgerichtes erwirkte der Kläger mit seiner am 22. 8. 1996 eingebrachten Klage gegen die GmbH ein unangefochten in Rechtskraft erwachsenes Versäumungsurteil über S 248.000,- brutto (Gehalt für die Zeit vom 1. 9. 1994 bis 31. 5. 1996 zuzüglich Sonderzahlungen) und S 217.800,- netto (Provisionsansprüche aus der Zeit vor der Begründung des Angestelltenverhältnisses).

Am 17. 2. 1997 beantragte der Kläger Insolvenzausfallgeld von insgesamt S 450.170,70. Über diesen Antrag wurde von der beklagten Partei innerhalb der Frist des § 67 Abs 1 Z 2 ASGG nicht entschieden.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger letztlich Insolvenzausfallgeld von S 204.731,70 sA (Gehalt und Sonderzahlungen für die Zeit vom 1. 9. 1994 bis zum 31. 5. 1996). Außerdem kündigte er die Geltendmachung der Kosten der Rechtsverfolgung im Verfahren 6 Cga 159/96m des Erstgerichtes in der Höhe von S 27.639,- als vorprozessuale Kosten an.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen und brachte - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - vor, dass die Stundung von Entgeltansprüchen durch den Gemeinschuldner über einen Zeitraum von beinahe 2 Jahren eine sittenwidrige Überwälzung des Zahlungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds sei.

Im ersten Rechtsgang verpflichtete das Erstgericht die beklagte Partei zur Zahlung von S 94.887,59 sA (S 67.248,59 an Gehalt und anteilige Sonderzahlungen für die Zeit vom 1. 9. 1994 bis zum 31. 3. 1995 sowie S 27.639,-- an Kosten der Rechtsdurchsetzung) und wies das Mehrbegehren des Klägers auf Zuspruch weiterer S 137.483,11 sA ab.

Während der abweisende Teil des Urteils unangefochten in Rechtskraft erwuchs, hob das Berufungsgericht mit Beschluss vom 15. 9. 1999 (erkennbar nur) den stattgebenden Teil auf und verwies die Sozialrechtssache in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht.

Dieses verpflichtete mit Urteil vom 26. 11. 1999 die beklagte Partei zur Zahlung von S 76.288,83 sA und wies das darüber hinaus gehende Mehrbegehren des Klägers ab.

Es vertrat folgende Rechtsauffassung:

Bleibe der Arbeitnehmer trotz Nichtzahlung seines Lohns im Unternehmen und versuche er gar nicht ernstlich, die aushaftenden Beträge einzubringen, indiziere dies, dass er beabsichtige, in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen die beklagte Partei geltend zu machen. Derartige Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die auf eine Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hinauslaufen, seien nichtig. Gleiches gelte dann, wenn die Absicht des Arbeitnehmers nicht vordergründig darauf gerichtet gewesen wäre, den Fond sittenwidrig zu schmälern, sondern dies nur mit bedingtem Vorsatz in Kauf genommen worden sei. Ein Fremdvergleich ergebe hier, dass ein Arbeitnehmer in der Lage des späteren Gemeinschuldners längstens nach Ablauf von drei Monaten ab Eingehen des Beschäftigungsverhältnisses, also jedenfalls bereits im Jänner 1995, seinen Austritt wegen Vorenthaltung des Entgelts erklärt hätte. Dies hätte zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit 31. 3. 1995 geführt, weshalb dem Kläger Gehalt und anteilige Sonderzahlungen für die Zeit vom 1. 9. 1994 bis zum 31. 3. 1995 (S 67.248,59) zuzusprechen seien. Von den begehrten Kosten, über die gemäß § 40a JN materiell abzusprechen sei, könne nur jener Anteil zugesprochen werden, der sich auf der Grundlage der tatsächlich gesicherten Ansprüche ergebe (S 9.040,24).

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil, das in seinem abweisenden Teil unangefochten blieb, im Sinne der gänzlichen Abweisung des noch offenen Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die Revision zulässig sei.

Es vertrat die Rechtsauffassung, dass ein Fremdvergleich im hier zu beurteilenden Fall zeige, dass normalerweise ein Arbeitnehmer angesichts offener Honorarforderungen von S 217.800,- kaum neuerlich ein Arbeitsverhältnis eingegangen wäre. Selbst wenn der Kläger die Inanspruchnahme des Fonds nicht bedacht haben sollte, stehe ihm kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld zu, weil sein Beschäftigungsverhältnisses in atypischer Weise nicht auf die ständige Erzielung von Entgelt zur Bestreitung des Lebensunterhalts gerichtet gewesen sei. In Wahrheit habe er damit zur Finanzierung der GesmbH beigetragen. Seine Ansprüche seien daher nicht vom Schutzzweck des IESG erfasst.

Die Revision sei zuzulassen, weil der zu beurteilende Sachverhalt von den bereits entschiedenen Fällen abweiche und auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes vertretbar sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur hier letztlich entscheidenden Rechtsfrage nur eine nach der Berufungsentscheidung ergangene und noch nicht veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vorliegt. Sie ist aber nicht berechtigt.

Zweck des IESG ist in seinem Kernbereich das Hintanhalten der von den Arbeitnehmern typischerweise nicht abwendbaren und absicherbaren Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes der Entgeltansprüche, auf die diese zur Bestreitung des Lebensunterhaltes angewiesen sind (SZ 64/54; 66/124; 67/14 und 142 uva).

Unter Hinweis auf diesen Zweck vertritt der erkennende Senat in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung den Standpunkt, dass Arbeitnehmern, die untypischerweise trotz Nichtzahlung des Lohns über längere Zeit im Unternehmen bleiben und auch gar nicht ernstlich versuchen, die aushaftenden Beträge hereinzubringen, keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld haben. Ein solches Verhalten hält einem "Fremdvergleich" nicht stand, weil normalerweise ein Arbeitnehmer unter solchen Umständen das Arbeitsverhältnis nicht aufrechterhalten hätte, sondern vorzeitig ausgetreten wäre, sodass sich das finanzielle Risiko des Verlustes seiner Entgeltansprüche in Grenzen gehalten hätte. Dem Arbeitnehmer steht es selbstverständlich frei, im Unternehmen tätig zu bleiben, auch wenn er jahrelang den Lohn nicht ausgezahlt erhält. Unabhängig davon, ob er die Belastung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds beabsichtigte oder auch nur billigend in Kauf nahm, bewirkt diese atypische, einem Fremdvergleich nicht standhaltende Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, dass es vom Schutzzweck des IESG nicht erfasst wird (ZIK 1999, 216; ZIK 1999, 141; DRdA 1999, 494; zuletzt 8 ObS 56/00v).

Dass diese Überlegungen auch im hier zu beurteilenden Fall zum Tragen kommen, wird vom Revisionswerber nicht mehr in Frage gestellt. Strittig ist hier nur mehr, ob dessen ungeachtet ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld für jenen Zeitraum bestehen kann, in dem auch ein "normaler" Arbeitnehmer möglicherweise noch im Unternehmen verblieben wäre, weil er nicht schon beim ersten Unterbleiben der Auszahlung des fälligen Lohnes sondern erst nach einer gewissen Beobachtungs- und Überlegungsfrist seinen Austritt erklärt hätte. Diesem hier vom Erstgericht eingenommenen Standpunkt ist aber der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung 8 ObS 56/00v nicht gefolgt, in der er die Auffassung vertrat, dass ein im oben beschriebenen Sinn atypisches, nicht auf die Erzielung von Entgelt für die Bestreitung des Lebensunterhaltes gerichtetes Arbeitsverhältnis insgesamt nicht in den Schutzbereich des IESG fällt. Von dieser Auffassung abzugehen, besteht gerade im hier zu beurteilenden Fall keine Veranlassung, weil es mit dem vom IESG verfolgten Schutzzweck der Grundsicherung und dem ausdrücklichen Hinweis des IESG auf die Verjährung (§ 1 Abs 2 IESG) unvereinbar ist, Jahre zurückliegende und lange Zeit nicht geltend gemachte Ansprüche, die mit der Sicherung des laufenden Lebensunterhalts in keinerlei Zusammenhang mehr gebracht werden können, als gesichert zu betrachten (vgl 8 ObS 28/99x = ZIK 1999, 141). Entscheidet sich der Arbeitnehmer daher dafür, trotz Nichtzahlung des Lohns über längere Zeit im Unternehmen zu bleiben, ohne auch nur ernsthaft zu versuchen, die aushaftenden Beträge hereinzubringen, bewirkt er damit, dass das insoweit atypisch gestaltete Arbeitsverhältnis insgesamt aus dem Schutzbereich des IESG fällt und die aus diesem Arbeitsverhältnis resultierenden Ansprüche in vollem Umfang ungesichert sind. Eine Bedachtnahme auf ein hypothetisches Verhalten des Arbeitnehmers (nämlich auf einen tatsächlich nicht erklärten Austritt), die zur Folge hätte, dass gerade die ältesten, am wenigsten mit der Sicherung des laufenden Lebensunterhaltes zusammenhängenden Rückstände gesichert wären, kommt dabei nicht in Betracht.

Die mit der IESG-Novelle 1997 aus eben diesen Überlegungen eingeführte zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf Insolvenz-Ausfallgeld durch § 3a IESG ist auf den hier zu beurteilenden Fall noch nicht anzuwenden (§ 17a Abs 11 IESG). Aus dieser Bestimmung kann im übrigen - wie der erkennende Senat bereits mehrmals klarstellte - nur geschlossen werden, dass nunmehr das Zuwarten mit der darin geforderten Geltendmachung in jedem Fall zum Verlust der Sicherung für mehr als sechs Monate vor dem Stichtag (§ 3 Abs 1 IESG) bzw - falls das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag geendet hat - für mehr als sechs Monate vor dem arbeitsrechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses (BGBl I 1999/73) fällig gewordenes Entgelt führt. Daraus folgt aber nicht, dass ein Lohnrückstand von 6 Monaten für die Zeit vor den in § 3a Abs 1 IESG genannten Stichtagen jedenfalls gesichert ist. Vielmehr ist sowohl für die Zeit vor als auch für die Zeit nach der IESG-Novelle 1997 daran festzuhalten, dass Ansprüche aus dem Zweck des Gesetzes in seinem Kernbereich nicht entsprechenden Arbeitsverhältnissen insgesamt nicht gesichert sind (vgl ZIK 1999, 141; ZIK 1999, 216; zuletzt 8 ObS 56/00v).

Auf Grund der dargestellten Rechtslage erweist sich die zweitinstanzliche Entscheidung im Ergebnis jedenfalls als richtig, sodass der Revision ein Erfolg zu versagen ist. Auf die Meinung des Berufungsgerichtes, unter den hier gegebenen Umständen habe bereits das Eingehen des Arbeitsverhältnisses trotz offener Provisionsforderungen zur Folge, dass die daraus resultierenden Lohnansprüche nicht gesichert seien, braucht daher nicht eingegangen zu werden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Hängt die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG ab, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seines Vertreters zuzusprechen (RIS-Justiz RS0085871; zuletzt 10 ObS 247/98s). Diese Überlegung kommt auch hier zum Tragen. Die erst am 13. 4. 2000 ergangene Entscheidung 8 ObS 56/00v konnte dem Revisionswerber zum Zeitpunkt der Erhebung seines Rechtsmittels noch nicht bekannt sein. Der vom Revisionswerber begehrte Zuspruch des dreifachen Einheitssatzes ist im Revisionsverfahren nicht vorgesehen.

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