OGH 8ObS28/99x

OGH8ObS28/99x7.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Gunter Krainhöfner und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Bettina F*****, vertreten durch Dr. Manfred De Bock ua, Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die beklagte Partei Bundessozialamt V*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 482.236,-- netto sA Insolvenz-Ausfallgeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. November 1998, GZ 25 Rs 111/98d-11, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. Februar 1998, GZ 35 Cgs 209/97w-6, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 14. 10. 1965 geborene Klägerin stand vom 1. 10. 1985 bis zum 31. 12. 1993 als Arbeitnehmerin in einem Arbeitsverhältnis zur späteren Gemeinschuldnerin, einer GmbH, die sich gewerbsmäßig mit der Erzeugung und dem Vertrieb von Stickereien beschäftigte. Jedenfalls ab dem Jahre 1991 hielten die Mutter der Klägerin drei Viertel und der Vater ein Viertel des Stammkapitals dieser Gesellschaft als Gesellschafter. Alleiniger Geschäftsführer war ab diesem Zeitpunkt ihr Vater. Im Oktober 1993 hatte die Klägerin beträchtliche offene Entgeltforderungen gegenüber ihrer Arbeitgeberin. Sie sagte damals zu ihrem Vater, dem Geschäftsführer, "es gehe jetzt so mit der Bezahlung des Lohnes nicht mehr weiter", sie "benötige jetzt das Geld". Der Vater erwiderte darauf, er müsse mit ihr über die Sache reden, ein weiterer Personalabbau sei erforderlich, ob sie sich nicht eine Arbeitsstelle außerhalb seiner Firma suchen könne. Daraufhin wurde das Arbeitsverhältnis durch Kündigung von Seiten der Arbeitgeberin zum 31. 12. 1993 beendet.

Ab diesem Zeitpunkt ging die Klägerin ein Arbeitsverhältnis zu einem anderen Unternehmen ein.

Auch in der Zeit von Jänner bis August 1994 sprach die Klägerin ihren Vater des öfteren auf die Bezahlung des fälligen Entgeltes an. Dieser sagte zunächst mehrmals, daß er bestrebt sei, ihr das fällige, unberichtigte Entgelt zu bezahlen. Nachdem mehrere Monate verstrichen waren, sagte die Klägerin zu ihrem Vater, sie sollte etwas "in der Hand haben". Der Vater hielt dann auf einem Zettel handschriftlich fest, welche Ansprüche noch unberichtigt waren.

Mit dem insoweit beschriebenen Zettel wandte sich die Klägerin an einen "befreundeten Rechtsanwalt", der ihr empfahl, hinsichtlich dieser Ansprüche ein Schriftstück aufzusetzen und darunter den Satz, "auf die Einrede der Verjährung wird ausdrücklich verzichtet", anzubringen, der dann auch von ihrem Vater als Geschäftsführer unterfertigt werden müsse. Der zitierte Satz wurde daraufhin jedenfalls noch im August 1994 auf einem - entsprechend den handschriftlichen Vermerken des Geschäftsführers - von der Klägerin verfaßten Schriftstück angebracht. Anschließend unterfertigten die Klägerin und der Geschäftsführer dieses Schreiben.

Die Klägerin klagte insbesondere aus folgenden Gründen die fälligen unberichtigten Ansprüche gegenüber ihrer früheren Dienstgeberin nicht ein:

Sie wollte ihren Eltern nicht die Existenzgrundlage entziehen. Möglicherweise hätte eine erfolgreiche Klagsführung ihrerseits schon früher die Konkurseröffnung über die Firma nach sich ziehen können. Die Firma hatte eigentlich schon immer größere Verbindlichkeiten. Die Klägerin wußte schon vor Unterfertigung des Schriftstücks im August 1994, daß es in Österreich den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds gibt. Allerdings setzte sie bis kurz vor Konkurseröffnung stets die Hoffnung in einen wirtschaftlichen Aufschwung des Unternehmens. Aus diesen Gründen hatte sie auch keinen vorzeitigen Austritt erklärt. Die Arbeitgeberin hatte während des aufrechten Dienstverhältnisses auch immer wieder Teilzahlungen geleistet.

Mit Beschluß vom 17. 3. 1997 wurde über das Vermögen ihrer ehemaligen Arbeitgeberin das Konkursverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete ihre Forderungen im Ausmaß von S 523.477,-- netto (rechnerisch richtig: S 473.650,--) als Konkursforderungen an, die als festgestellte Konkursforderungen gelten, nachdem der Masseverwalter seine in der allgemeinen Prüfungstagsatzung abgegebene Bestreitungserklärung hinsichtlich der Richtigkeit zurückgezogen hatte.

Unter Bezug auf die Konkurseröffnung machte die Klägerin am 9. 4. 1997 Insolvenz-Ausfallgeld in der Gesamthöhe von S 482.236,-- netto an restlichem Entgelt samt Sonderzahlungen für die Zeit Mai 1992 bis Dezember 1993, Abfertigung und Zinsen geltend, deren Bezahlung die beklagte Partei wegen Verjährung ablehnte.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin von der beklagten Partei diesen Betrag unter Hinweis auf den Verjährungsverzicht und das Anerkenntnis der nunmehrigen Gemeinschuldnerin.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof zu, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, inwieweit ein "Stehenlassen" des Entgelts von einem Nichtgesellschafter die Geltendmachung der Lohnansprüche gegenüber dem Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hindere, nicht greifbar sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn der Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist als zulässig anzusehen, weil zur Zeit der Entscheidung zweiter Instanz keine wirklich einschlägige Judikatur des Obersten Gerichtshofes vorlag. Sie ist aber nicht berechtigt.

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß keine rein familienhafte Mitarbeit vorlag, sondern die Klägerin in einem Angestelltenverhältnis zur späteren Gemeinschuldnerin stand. Wie die Tatsache, daß das Entgelt offensichtlich aus familiären Überlegungen nicht gerichtlich geltend gemacht wurde, zu werten ist, betrifft nicht die Frage, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorgelegen hat, sondern ob die Ansprüche noch gesichert sind oder nicht.

Richtig ist, daß ein Anerkenntnis die Verjährung unterbricht. Das Berufungsgericht hat dieses Anerkenntnis nicht - wie die Klägerin meint - als an sich sittenwidrig beurteilt und das Klagebegehren abgewiesen, weil es ihr zu Unrecht unterstellt hätte, daß sie durch zu langes Zuwarten das Finanzierungsrisiko bewußt auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds verschoben habe. Es hat auch nicht einfach die Rechtsprechung zu eigenkapitalersetzenden Leistungen von Gesellschaftern auf Nichtgesellschafter ausgeweitet, sondern hat den Anspruch zutreffender Weise unter Hinweis auf den Schutzzweck des IESG und den Vergleich mit dem Verhalten eines "unbeteiligten" typischen Arbeitnehmers abgewiesen.

Zweck des IESG ist in seinem Kernbereich das Hintanhalten der von den Arbeitnehmern typischerweise nicht abwendbaren und absicherbaren Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes der Entgeltansprüche, auf die diese zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes angewiesen sind (SZ 64/54; 66/124; 67/14 und 142 uva). Ein "Fremdvergleich" zeigt, daß normalerweise ein Arbeitnehmer unter den gegebenen Prämissen das Arbeitsverhältnis nicht solange aufrecht erhalten und seine Ansprüche früher gerichtlich geltend gemacht hätte, sodaß sich das finanzielle Risiko des Verlustes seiner Entgeltansprüche in Grenzen gehalten hätte.

Mit dem Schutzzweck der Grundsicherung und dem ausdrücklichen Hinweis des IESG auf die Verjährung (§ 1 Abs 2 IESG) läßt sich nicht vereinbaren, daß Jahre zurückliegende Ansprüche, die mit der Sicherung des laufenden Lebensunterhalts in keinerlei Zusammenhang mehr gebracht werden können, dem Schutzzweck des IESG unterstellt werden.

Begnügt sich eine Arbeitnehmerin, der die schlechte finanzielle Situation des Unternehmens bekannt und die Gefahr der Insolvenz im Falle der Geltendmachung der Ansprüche bewußt ist, ganz untypischerweise aus besonderen Gründen - hier familienrechtliche Rücksichtnahme auf das ihren Eltern gehörende Unternehmen - mit einem außergerichtlichen Anerkenntnis ihrer Entgeltansprüche und macht sie diese durch Jahre nicht gerichtlich geltend, unterbricht dieses Anerkenntnis zwar die Verjährung ihrer Entgeltansprüche gegenüber ihrer ehemaligen Dienstgeberin, sodaß der Masseverwalter zu Recht seine Bestreitungserklärung zurückgezogen hat, kann aber nicht dazu führen, daß diese - an sich längst verjährten Entgeltansprüche - wegen des Anerkenntnisses und des Verzichts auf den Verjährungseinwand durch den ehemaligen Arbeitgeber als gesicherte Ansprüche iSd IESG zu gelten hätten zu atypischen Verhaltensweisen von Arbeitnehmern aus familiären Gründen, die zur Verneinung gesicherter Ansprüche nach dem IESG führen, siehe auch 8 ObS 295/98k und 8 ObS 306/98b vom gleichen Tag unter Hinweis auf die Entscheidungen 8 ObS 192/98p = WBl 1999, 81 und 8 ObS 183/98i = WBl 1999, 174; vgl auch die aus dem hier noch nicht anzuwendenden § 3a IESG idF IESG-Nov 1997 deutlich ersichtliche Tendenz des Gesetzgebers, die nach dem IESG gesicherten Ansprüche auf den Kernbereich des Gesetzes einzuschränken und nicht auch weit zurückliegende Entgeltansprüche zu sichern, die in keinem Zusammenhang mehr mit dem zur Bestreitung des Lebensunterhalts notwendigen Einkünften gebracht werden können).

Zusammenfassend ergibt sich aus dem Schutzzweck des IESG daher, daß Arbeitnehmeransprüche, die ein Arbeitnehmer untypischerweise durch Jahre hindurch nicht gerichtlich geltend macht, auch dann, wenn sie vom Arbeitgeber anerkannt und von diesem auf den Verjährungseinwand verzichtet wurde, nicht als gesicherte Ansprüche iSd § 1 Abs 1 IESG anzusehen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 ASGG.

Zu einem Kostenzuspruch nach Billigkeit (§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG) sieht sich der erkennende Senat nicht veranlaßt; die Klägerin hätte aus den früheren Entscheidungen die Entscheidungstendenz des Höchstgerichtes hinreichend deutlich entnehmen können.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte