OGH 8ObS182/01z

OGH8ObS182/01z21.2.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Winfried Kmenta und Prof. Dr. Elmar Peterlunger als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Paulina D*****, vertreten durch Dr. Paul Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Tirol, 6010 Innsbruck, Herzog-Friedrich-Straße 3 (nunmehr: Geschäftsstelle Innsbruck der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds-Service GmbH), wegen EUR 21.304,77 sA an Insolvenzausfallgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 2001, GZ 25 Rs 48/91x-9, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Es ist gesicherte Rechtsprechung, dass der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO nur durch Verletzung des rechtlichen Gehörs, nicht jedoch durch das ungerechtfertigte Unterbleiben der Parteienvernehmung, bei voller Wahrung der Möglichkeit, Prozessvorbringen zu erstatten oder Anträge zu stellen, verwirklicht ist (NZ 1990, 14; 4 Ob 118/84; SZ 69/20 ua). Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurden, können in der Revision nicht mehr gerügt werden (SZ 62/157; JBl 1990, 535; EFSlg 64.136 uva).

Das IESG soll die Arbeitnehmer gegen das Risiko des gänzlichen oder

teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf deren regelmäßige

Befriedigung sie typischerweise zur Bestreitung ihres und ihrer

Angehörigen Lebensunterhaltes angewiesen sind, bei Insolvenz des

Arbeitgebers absichern (vgl OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = DRdA

2001/37 [Anzenberger] = wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN = RIS-Justiz

RS0076384 = SZ 61/254, SZ 65/15, SZ 67/14 uva). Die Überwälzung des

Finanzierungsrisikos für die Arbeitslöhne auf den

Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds, wenn dem Arbeitnehmer bewusst sein muss,

dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht vom Arbeitgeber,

sondern von Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bekommen könnte und er

deshalb weiter arbeitet, wurde als unzulässig und sittenwidrig

angesehen (vgl etwa OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = wbl 2001/91 =

ZIK 2001/117 mwN DRdA 1999/51, 375; WBl 1995, 75; ZIK 1996, 172).

Ausreichend dafür ist schon der bedingte Vorsatz, also dass dem Handelnden die Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bewusst ist und er sich mit dem verpönten

Erfolg zumindest abfindet (OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = wbl

2001/91 = ZIK 2001/117 mwN). Dann, wenn ein Arbeitnehmer trotz

längerer Nichtzahlung des Lohnes im Unternehmen tätig bleibt und nicht versucht, sein Entgelt ernstlich einbringlich zu machen, indiziert dies in der Regel, dass er beabsichtigt - oder zumindest in Kauf nimmt - in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend zu machen (vgl OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN RIS-Justiz RS0112127;

DRdA 1999/51, 375 [Geist] ebenso 8 ObS 183/98i, 8 ObS 295/98k, ähnlich 8 ObS 306/98b = DRdA 1999, 494 = RdW 2000/82; 8 ObS 153/00h;

8 ObS 4/00x uva). Hinzu können noch weitere besondere Anhaltspunkte für ein “Naheverhältnis" zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommen, die auf einen fehlenden Interessengegensatz oder besondere Informationen hindeuten, etwa eine bestehende Angehörigeneigenschaft oder gesellschaftsrechtliche Beteiligungen. Ob durch das lange Stehenlassen der Entgelte der zumindest bedingte Vorsatz der Verlagerung des Finanzierungsrisikos indiziert ist, ist im Rahmen des “Fremdenvergleiches" zu beurteilen, ob also auch ein “unbeteiligter" Arbeitnehmer trotz Vorenthaltens des Entgelts im Unternehmen

verblieben wäre (vgl OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = wbl 2001/91 =

ZIK 2001/117 mwN = DRdA 1999/51, 375; 8 ObS 56/00v = WBl 2000/216, 8

ObS 153/00h, 8 ObS 4/00x, 8 ObS 5/00v; 8 ObS 58/00p mwN ua WBl 1999, 174). Der Fremdvergleich hat sämtliche objektiven Anhaltspunkte heranzuziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei Familienangehörigen, Gesellschaftern oder anderen Personen, bei denen sich eine besondere Nahebeziehung zum Arbeitgeber zeigt, regelmäßig auch das Wissen um die finanzielle Situation des Betriebes größer ist und daher auch schon bei kürzeren Entgeltrückständen beim Verbleiben im Betrieb zumindest der bedingte Vorsatz anzunehmen sein wird, das Entgelt nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu erhalten. Ergibt sich daraus aber der Schluss, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, so kann dieser nicht durch einen Beweis über die konkreten Absichten des Arbeitnehmers widerlegt werden (OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = wbl 2001/91 = ZIK 2001/117).

Diese Rechtsprechung liegt der Entscheidung der zweiten Instanz zugrunde. Ihre Anwendung auf den konkreten Einzelfall - hier die Durchführung des Fremdvergleiches im Fall der Klägerin - ist eine Frage des Einzelfalles, die - von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen - die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen kann (vgl 8 ObS 127/01m). Eine krasse Fehlbeurteilung der zweiten Instanz kann hier aber keinesfalls gesehen werden. Nach den Feststellungen hat die Klägerin die letzten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses kein Entgelt erhalten, war an der Gemeinschuldnerin mit einer Stammeinlage von ATS 375.000,- beteiligt und ist die Gattin des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin. Dazu kommt, dass der Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen die schwierige Situation des Betriebes bekannt war, sie aber auf weitere Unternehmensbeteiligungen und Kapitalaufstockungen hoffte. Selbst diese behaupteten Hoffnungen der Klägerin ändern nichts daran, dass - ausgehend von den dargestellten Umständen - der bedingte Vorsatz der Übertragung des Finanzierungsrisikos anzunehmen wäre, da das Risiko allfälliger Kapitalaufstockungen oder Unternehmensbeteiligungen als typisches unternehmerisches Risiko regelmäßig nicht von Arbeitnehmern übernommen wird.

Insgesamt macht die Revisionswerberin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 46 Abs 1 ASGG geltend.

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