OGH 8ObS207/02b

OGH8ObS207/02b7.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Oedendorfer und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Leopold S*****, Elektroinstallateur, *****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei IAF-Service GmbH Geschäftsstelle Klagenfurt, 9020 Klagenfurt, Kumpfgasse 25, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen 26.367,23 EUR sA an Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Juli 2002, GZ 7 Rs 63/02t-18, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. Dezember 2001, GZ 32 Cgs 99/01t-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der seit 1984 als Elektriker beschäftigte Kläger stand mit seinem Arbeitgeber, dem späteren Gemeinschuldner in keinem verwandtschaftlichen oder sonstigen Naheverhältnis. Es kam immer wieder zu Zahlungsschwierigkeiten bei den Löhnen des Klägers, jedoch auch zu Nachzahlungen. Der Kläger urgierte auch immer wieder die fälligen Gehälter und wurde vom Arbeitgeber vertröstet. Für die Monate April 1999 bis Dezember 1999 erhielt der Kläger keinen Lohn. Die Löhne für den Jänner bis April 2000 (vgl auch Beil./1) wurden zumeist jeweils im darauf folgenden Monat bezahlt. Ferner erfolgte ein Akonto in Höhe von S 7.887,60 und eine weitere Akontozahlung am 25. 9. 2000 über S 10.253. Der Kläger hatte im Jahr 2000 2 Arbeitsunfälle und befand sich ab September bis zur Konkurseröffnung am 13. Oktober 2000 in Krankenstand. An diesem Tag wurde auch sein Dienstverhältnis durch den Masseverwalter aufgekündigt.

Seinen Antrag auf Gewährung von Insolvenzausfallgeld in Höhe von insgesamt S 362.821 für die offenen Löhne von Mai bis zur Konkurseröffnung am 13. Oktober 2000, die Kündigungsentschädigung, die Abfertigung und die Urlaubsentschädigung wies die Beklagte mit Bescheid vom 1. 3. 2001 im wesentlichen mit der Begründung ab, dass es sich um ein "atypisches" Arbeitsverhältnis handle, was indiziere, dass der Kläger beabsichtigt habe, das Finanzierungsrisiko auf den IESG-Fonds zu überwälzen.

Mit seiner Klage machte der Kläger nun diesen Anspruch auf Insolvenzausfallgeld geltend. Es sei keine Absicht einer sittenwidrigen Überwälzung des Finanzierungsrisikos indiziert. Der Kläger sei 17 Jahre bei dem späteren Gemeinschuldner beschäftigt gewesen und habe nach Urgenzen immer wieder Nachzahlungen erhalten. Er habe den Eindruck gehabt, dass die Geschäfte des Gemeinschuldners gut laufen. Dieser habe auch die Lohnsteuer und die Sozialversicherung regelmäßig bezahlt. Die Auftragslage sei durchaus ausreichend gewesen. Der Kläger habe immer Arbeit gehabt. Er habe daher mit der Bezahlung seiner Löhne rechnen können und darauf zuletzt auch massiv gedrängt. Während der Zeit des Ausfalles der Entgeltzahlungen durch den Arbeitgeber habe er von 2 Versicherungsleistungen, und zwar für die Amputation eines Fingers und aus einer Erlebensversicherung gelebt. Auch seine berufstätige Gattin und seine Tochter hätten Beiträge geleistet. Jedenfalls die beendigungsabhängigen Ansprüche müssten gesichert sein. Seine Forderungen seien anerkannt worden. Es habe sich nur um Liquiditätsprobleme des späteren Gemeinschuldners gehandelt. Dessen Zahlungsmoral habe sich auch immer wieder gebessert. Teilweise sei der Gehaltsrückstand sogar abgebaut worden. Die Zahlungen seien auf die früheren Schulden angerechnet worden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein wie in ihrem abweisenden Bescheid. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer hätte nicht solche Gehaltsrückstände akzeptiert. Es sei zu berücksichtigen, dass die Entgeltzahlungen auf die ältesten Lohnforderungen, sohin jene von April bis Juli 1999 anzurechnen seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es begründete dies rechtlich zusammengefasst damit, dass ein normaler Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis nicht aufrechterhalten, sondern vorzeitig aufgelöst hätte. Ein Zuwarten von mehr als 6 Monaten könne keinesfalls toleriert werden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Zwar sei zu berücksichtigen, dass der Kläger 17 Jahre im Betrieb tätig gewesen sei und im Jahr 2000 in den ersten Monaten die Lohnzahlungen erfolgt und danach auch noch Akontozahlungen gleistet worden seien. Der Kläger habe aber 1999 über volle 9 Monate hinweg keinen Lohn erhalten. Ein unbeteiligter Arbeitnehmer wäre bereits damals vorzeitig ausgetreten. Das Verhalten des Klägers indiziere zumindest den bedingten Vorsatz der Überwälzung des Finanzierungsrisikos. Das Berufungsgericht erklärte die Revision im Hinblick auf die Frage, inwieweit bei zwischenzeitigen Zahlungen ein bedingter Vorsatz zur Überwälzung des Finanzierungsrisikos zu erschließen sei und wegen der zu 8 ObS 249/00a aufgeworfenen europarechtlichen Bedenken für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Klägers ist aus dem ersten vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinne des subsidiär gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt. Einleitend ist darauf zu verweisen, dass infolge Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor dem 1. 1. 2001 (§ 17a Abs 23 IESG) die Novelle des § 3a IESG durch BGBl I 142/2000 hier noch nicht anzuwenden ist.

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Überwälzung des Finanzierungsrisikos für die Arbeitslöhne auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds, wenn dem Arbeitnehmer bewusst sein muss, dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bekommen könnte und er deshalb weiter arbeitet, unzulässig und sittenwidrig (vgl zuletzt

etwa OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s mwN = OGH 8 ObS 206/00b = RdW

2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK 2001/117). Ausreichend dafür ist schon

der bedingte Vorsatz, also dass dem Handelnden die Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bewusst ist und er sich mit dem verpönten Erfolg zumindest abfindet (OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN). Dann, wenn ein Arbeitnehmer trotz längerer Nichtzahlung des Lohnes im Unternehmen tätig bleibt und nicht versucht, sein Entgelt ernstlich einbringlich zu machen, indiziert dies in der Regel, dass er beabsichtigt - oder zumindest in Kauf nimmt - in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend

zu machen (vgl zuletzt etwa OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s mwN = OGH

8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 uva).

Inwieweit aus dem langen Stehenlassen der Entgelte der zumindest bedingte Vorsatz der Verlagerung des Finanzierungsrisikos geschlossen werden kann, ist im Rahmen des "Fremdvergleiches" zu beurteilen, ob also auch ein "unbeteiligter Arbeitnehmer im Unternehmen verblieben

wäre (vgl etwa OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s mwN = OGH 8 ObS 206/00b

= RdW 2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN). Der Fremdvergleich

hat dabei sämtliche objektiven Anhaltspunkte heranzuziehen. Im Sinne dieser Judikatur ist auch auf die objektiv gegen diesen Vorsatz sprechenden Argumente Bedacht zu nehmen (vgl OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s; OGH 24. 1. 2002, 8 ObS 305/01p; OGH 26. 4. 2001, 8 ObS 39/01w).

Im Rahmen des Fremdvergleiches ist nun anzunehmen, dass für den durchschnittlichen Arbeitnehmer durch die Unregelmäßigkeit der Zahlungen wohl ersichtlich wird, dass sich der Arbeitgeber in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. Andererseits müssen diese gerade bei lange dauernden Arbeitsverhältnisse, bei denen es auch immer wieder zu Nachzahlungen kommt, dem Arbeitnehmer nicht als so drastisch erscheinen, dass er befürchten muss, in Zukunft sein Entgelt nicht vom Arbeitgeber zu erhalten. Für die Annahme des verpönten Vorsatzes der Überwälzung des Finanzierungsrisikos - der Aufrechterhaltung des Arbeitverhältnisses wegen der Erwartung der Zahlung durch den IESG-Fonds - ist aber vor allem entscheidend, dass der durchschnittliche Arbeitnehmer regelmäßig auf sein Einkommen angewiesen sein und bei einem unbegründeten längeren Zahlungsverzug bei der Ersichtlichkeit wirtschaftlicher Schwierigkeiten nur dann im Arbeitsverhältnis verbleiben wird, wenn er mit der Begleichung seiner Entgelte durch einen Dritten (IESG-Fonds) rechnet. Dies wird aber umso weniger anzunehmen sein, als dem Arbeitnehmer im wesentlichen regelmäßig Entgeltzahlungen - sei es auch für frühere Lohnperiodengeleistet werden und dies auch seiner langjährigen Erfahrung im Betrieb entspricht. Je länger ein Arbeitnehmer bereits bei einem bestimmten Arbeitgeber beschäftigt war und im wesentlichen regelmäßig sein Entgelt erhalten hat, desto weniger ist davon auszugehen, dass ein bedingter Vorsatz zur Risikoüberwälzung auf den Fonds für die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses maßgeblich war, weil auch ein typischer Arbeitnehmer dann wenn er regelmäßig Entgeltzahlungen erhält und es sogar teilweise zu einem Abbau der Rückstände kommt, in einem für ihn vertretbaren Ausmaß Betriebstreue zeigt (OGH 27. 5. 2002, 8 ObS 109/02s; OGH 16. 5. 2002, 8 ObS 254/01 mwN). Ausgangspunkt für die Beurteilung ist der jeweilige konkrete Einzelfall, auch in seiner konkreten zeitlichen Lagerung und ob sich ausgehend von diesem Zeitpunkt ein Vorsatz auf Übertragung des Finanzierungsrisikos ermitteln lässt.

Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer gerade in dieser letzten Zeit regelmäßig faktisch Entgeltzahlungen erhalten hat. Dabei kommet es nicht darauf an, ob diese Entgeltzahlungen für frühere Lohnperioden erfolgten.

Nach den Feststellungen kam es beim Kläger immer wieder zur Zahlungsverzögerungen, aber auch zu erheblichen Nachzahlungen. Ersichtlich ist, dass dem Kläger Anfang des Jahres 2000 bis April 2000 sein Entgelt im wesentlichen regelmäßig bezahlt erhielt und er auch danach noch Akontozahlungen bekam. Im September, als der Kläger seinen zweiten Krankenstand in diesem Jahr wegen eines Arbeitsunfalles antrat waren daher aus diesem Jahr - ausgehend von der festgestellten Widmung der Entgeltzahlungen nur etwa 3,5 laufende Monatslöhne offen. Für September 2000 bestand nach der Übergangsregelung des § 19a EFZG zur Novelle BGBl Nr 44/2000 noch ein Erstattungsanspruch des Arbeitgebers für die Entgeltfortzahlung. Daher konnte der Kläger insoweit auch eher auf dies Bezahlung seines Entgeltes vertrauen.

Allerdings war aus dem vergangenen Jahr noch ein erheblicher Entgeltrückstand offen war. Dies fällt jedoch schon deshalb geringer ins Gewicht, da der Kläger für diese keinen Ersatz nach dem IESG begehrt, was wohl gegen den Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos spricht. Ausgehend von dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitraum vor der konkreten Konkurseröffnung bestand daher nur ein relativ geringer, von der Sicherung durch das IESG erfasster Rückstand. Es kann unter der Beachtung der weiteren Besonderheiten des vorliegenden Falles - 2 Arbeitsunfälle im letzten Jahr - nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagten der Nachweis von Umständen gelungen wäre, aus denen sich der Vorsatz des langjährig beim späteren Gemeinschuldner beschäftigten Klägers auf Überwälzung des Finanzierungsrisikos erschließen ließe. Es werden aber im fortgesetzten Verfahren noch Feststellungen zur Höhe der offenen Entgelte zu treffen sein. Daher waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 2 ASGG iVm § 52 Abs 2 ZPO.

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