European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132497
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei Insolvenz-Entgelt von 6.418 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.481,67 EUR (darin 413,61 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 1.538,93 EUR (darin 256,49 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin war ab 1. 3. 2018 bei der späteren Schuldnerin als Produktionsangestellte beschäftigt. Sie verfügte über facheinschlägige Erfahrung aus ihrer früheren Tätigkeit und arbeitete, um den hohen Arbeitsaufwand bewältigen zu können, täglich 10 bis 12 Stunden oder mehr.
[2] Mit Schreiben vom 11. 4. 2019 unterbreitete ihr die Dienstgeberin das Angebot einer „Bleibeprämie (Stay-on-Bonus)“ in Höhe von 30 % des jährlichen Bruttogehalts, die ihr einen Anreiz bieten sollte, im Unternehmen beschäftigt zu bleiben. Als Voraussetzungen für die Auszahlung wurden das Vorliegen einer uneingeschränkten Betriebsbewilligung (im August 2019 erteilt) und eine aktive Beschäftigung der Klägerin bis zum 31. 3. 2020 genannt. Die Zahlung erfolge als einmalige freiwillige Leistung ohne Rechtsanspruch für die Zukunft. Bei langen Abwesenheiten im Dienst sowie bei Dienstgeberkündigung vor Ablauf der Wartezeit stehe die Prämie nur aliquot zu. Bei längerem Krankenstand werde sie dem gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch entsprechend gekürzt bzw entfalle sie nach dessen Ende.
[3] Die Klägerin nahm dieses Angebot am 3. 5. 2019 an. Im August 2019 wurde allen Mitarbeitern überraschend eröffnet, dass sie Auflösungsvereinbarungen zu schließen hätten und die Dienstverhältnisse sofort beendet würden. Da die Klägerin keine einvernehmliche Auflösung unterschreiben wollte, wurde sie zum 30. 11. 2019 gekündigt. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Dienstgeberin wurde mit Beschluss vom 2. 12. 2019 eröffnet.
[4] Die Klägerin begehrte Insolvenz-Entgelt für offene Entgelt- und Beendigungsansprüche, darunter für die der Höhe nach unstrittige aliquote Bleibeprämie im Ausmaß des Klagsbetrags.
[5] Die Beklagte wies mit dem bekämpften Teilbescheid den Antrag auf Insolvenz-Entgelt für die Bleibeprämie ab.
[6] In der dagegen erhobenen Klage wird auch vorgebracht, bei der Bleibeprämie handle es sich um eine Zuwendung aus dem Arbeitsverhältnis mit Entgeltcharakter, die nach § 1 Abs 2 Z 3 IESG gesichert sei.
[7] Die Beklagte wandte ein, die Bleibeprämie sei laut Angebot eine freiwillige Leistung, deren Zweck außerhalb des arbeitsvertraglichen Synallagmas stehe und die keiner Anspruchskategorie nach dem IESG zugeordnet werden könne.
[8] Das Erstgericht wies die Klage ab. Eine Bleibeprämie sei als Geldleistung für die Nichtinanspruchnahme des Kündigungsrechts kein Anspruch der seinen Entstehungsgrund im Arbeitsverhältnis habe und zähle deshalb nicht zu den gemäß § 1 Abs 2 Z 3 IESG gesicherten Ansprüchen. Aufgrund ihres Zwecks sei sie am ehesten einer freiwilligen Abfertigung gleichzuhalten, was rechtlich aber zum selben Ergebnis führe.
[9] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin keine Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels einschlägiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung zulässig sei.
[10] Die Sicherung nach dem IESG erfasse nicht alle überhaupt möglichen arbeitsrechtlichen Ansprüche, sondern nur jene, die einer der Kategorien des § 1 Abs 2 IESG zugeordnet werden könnten, im Rahmen der gesetzlichen Höchstgrenzen. Die Klägerin habe die Bleibeprämie als einen sonstigen Anspruch gemäß § 1 Abs 2 Z 3 IESG angemeldet, sodass es ihr aufgrund der sukzessiven Kompetenz der Gerichte verwehrt sei, sie nun unter einem anderen Rechtsgrund, nämlich als Entgelt im Sinn des Abs 2 Z 1 leg cit geltend zu machen. Dem Erstgericht sei beizupflichten, dass ein Anspruch auf eine bedingt zugesagte freiwillige Leistung wie die Bleibeprämie ihrer Intention nach einer freiwilligen Abfertigung entspreche, deren Sicherung den gesetzlichen Rahmen sprengen würde. Es handle sich hier nicht um einen Anspruch, auf den der Arbeitnehmer im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers typischerweise zur Bestreitung des Lebensunterhalts angewiesen sei.
[11] Die von der beklagten Partei beantwortete Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht dargelegten Grund zulässig. Die Revision ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision tritt dem Standpunkt der Vorinstanzen entgegen, dass es sich bei der strittigen Bleibeprämie um eine Leistung handle, die nach ihrer Intention einer freiwilligen Abfertigung entspreche und deren rechtliches Schicksal zu teilen habe. Es werde damit verkannt, dass die Bleibeprämie als Sonderzahlung anzusehen und damit Teil der ASVG-Bemessungsgrundlage sei, auf deren Grundlage auch die Beiträge zum Insolvenz-Entgeltfonds berechnet würden. Für freiwillige Abfertigungen nach § 49 Abs 3 Z 7 ASVG seien dagegen keine Beiträge zu entrichten, weshalb diese folgerichtig im Insolvenzfall ungesichert blieben. Die Prämienvereinbarung sei mangels der Voraussetzungen nach § 1 Abs 3 Z 2 IESG nicht von der Sicherung ausgenommen.
[13] Diesen Ausführungen kommt aus den folgenden Gründen Berechtigung zu:
[14] 1. Ein nach den Bestimmungen des IESG geltend gemachter Anspruch muss einer im Gesetz normierten Kategorie gesicherter Ansprüche zugeordnet werden. Es muss sich entweder um Entgelt, Schadenersatz, einen sonstigen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis oder um Verfahrenskosten handeln (RS0127035).
[15] 1.1. Der Begriff des Entgelts im Sinn des § 1 Abs 2 Z 1 IESG setzt ein Synallagma zu den vom Arbeitnehmer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen voraus. Zu den laufenden Entgeltansprüchen gehören insbesondere Lohn, Gehalt, unregelmäßige Einkünfte wie Provisionen, Zulagen, Prämien, sonstige leistungsbezogene Entgelte, Überstundenentlohnung, Sonderzahlungen, sowie Vergütungen für Diensterfindungen (Gahleitner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1 IESG Rz 41; RS0076555).
[16] 1.2. Sonstige Ansprüche gegen den Arbeitgeber nach § 1 Abs 2 Z 3 IESG haben nach der Rechtsprechung zwar ihre Wurzel im Arbeitsverhältnis, entspringen jedoch nicht der Wechselbeziehung von Leistung und Gegenleistung. In diese Kategorie fallen insbesondere vertraglich zugesicherte, echte Aufwandsentschädigungen und der Ersatz von Auslagen, die dem Arbeitnehmer aus der Erbringung der ihm obliegenden Arbeitsleistung erwachsen sind (RS0076571).
[17] 1.3. Sogenannte Bleibe- oder auch Halteprämien sind Zusagen an bestimmte Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen, die der Mitarbeiterbindung dienen sollen. Sie kommen besonders – wenn auch nicht ausschließlich – in einer Krise des Unternehmens sowie im Zuge von Übernahmen, wenn das Szenario einer Abwanderung von verunsicherten Arbeitnehmern im Raum steht, als Mittel der Sanierung und Werterhaltung in Frage. Ziel ist es, jene Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung in der gegebenen Situation von besonderer Bedeutung ist, zur Sicherung des Unternehmenserfolgs für einen bestimmten Zeitraum zu halten. Bei den Bleibeprämien handelt es sich in der Regel um – in Voraussetzungen und Zweck einer Treueprämie ähnliche – Sonderzahlungen. Sie können sowohl als reine Entgeltzusagen ausgestaltet sein, als auch ausschließlich die Betriebstreue belohnen, oder einen Mischcharakter aufweisen (vgl Steinhauser, Bleibeprämien in der Insolvenz des Arbeitgebers, Rz 20).
[18] 1.4. Die mit der Klägerin vereinbarte Bleibeprämie war als Einmalzahlung (abgesehen von der unternehmensseitigen Voraussetzung der Erteilung der uneingeschränkten Betriebsbewilligung) an die Bedingung geknüpft, dass sie bis zum vorgegebenen Stichtag nicht selbst kündigt. Darüber hinaus sollte die Prämie aber auch nur für Zeiträume ausbezahlt werden, in denen die Klägerin ihre Arbeitsleistung tatsächlich erbringt. Bei längerdauernder, nicht lediglich urlaubsbedingter Abwesenheit hätte die Prämie nur aliquot gebührt, bei längerem Krankenstand hätte sie das Schicksal des Entgeltfortzahlungsanspruchs geteilt. In dieser Bedingung kam das Interesse der Arbeitgeberin zum Ausdruck, die Klägerin nicht nur als Dienstnehmerin zu halten, sondern vor allem sich ihre für das Unternehmen zur Bewältigung der Auftragslage wichtige Arbeitsleistung weiterhin zu sichern. Unter diesem Aspekt kann aber der Ansicht der Vorinstanzen, diese Bleibeprämie sei nur eine Belohnung für den Verzicht auf die Ausübung des Kündigungsrechts und als freiwillige Leistung außerhalb des arbeitsvertraglichen Synallagmas zu qualifizieren, nicht beigetreten werden.
[19] In diesem Sinn interpretiert auch das deutsche Bundesarbeitsgericht sogenannte Halteprämien, selbst wenn sie keine zusätzliche Aliquotierungsregelung für Zeiten der Nichtarbeit enthalten, als Sonderzahlungen und Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (dBAG 6 AZR 913/11; 6 AZR 980/11).
[20] 2. Die Vorinstanzen haben den aufgrund der Dienstgeberkündigung aliquot entstandenen Anspruch auf die Bleibeprämie in ihrer rechtlichen Beurteilung einer freiwilligen Abfertigung oder Abgangsentschädigung gleichgestellt und daraus abgeleitet, dass ein solcher Anspruch nicht gesichert sei.
[21] Eine Bleibeprämie unterscheidet sich von einer freiwilligen Abfertigung oder Abgangsentschädigung aber insofern wesentlich, als sie nicht aufgrund der Beendigung des Dienstverhältnisses, sondern – im Gegenteil – unter der Voraussetzung und zur Sicherung seines aufrechten Bestehens gewährt wird. An diesem Charakter ändert sich nichts, wenn die Bleibedauer durch eine Dienstgeberkündigung vor dem Stichtag verkürzt wird. Mit einer Vereinbarung, dass die Bleibeprämie auch bei Dienstgeberkündigung aliquot zu zahlen ist, wird vielmehr § 16 Abs 1 AngG Rechnung getragen, wonach ein Anspruch auf eine besondere Entlohnung auch dann verhältnismäßig gebührt, wenn das Dienstverhältnis vor Fälligkeit des Anspruchs gelöst wird. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung zum gesetzlichen Ausschluss freiwilliger Abfertigungen von der Insolvenz-Entgeltsicherung (RS0101975) ist daher hier nicht einschlägig.
[22] 3. Die Klägerin beruft sich ausdrücklich auf den Sicherungstatbestand des § 1 Abs 2 Z 3 IESG, brachte aber auch vor, dass die Bleibeprämie eine zusätzliche Vergütung der erbrachten Arbeitsleistung bezwecke und insofern Entgeltcharakter habe. Die Beklagte vertritt den Standpunkt, dass die Prämienzusage ausschließlich die in der Nichtausübung des Kündigungsrechts manifestierte Betriebstreue belohne und damit unter überhaupt keinen der Sicherungstatbestände des § 1 Abs 2 IESG falle.
[23] 3.1. Die Vorinstanzen haben eine Einordnung der Bleibeprämie als Entgelt nur nach § 1 Abs 2 Z 3 IESG, aber nicht im Sinn der Z 1 leg cit geprüft, weil sie davon ausgegangen sind, dass eine solche Begründung unzulässig von der ursprünglichen Anmeldung abweichen würde. Für eine Forderung, über die im Verwaltungsverfahren nicht entschieden wurde, sei der Rechtsweg nicht zulässig.
[24] Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass im Sozialrechtsverfahren nach § 65 Abs 1 Z 7 ASGG quantitative und qualitative Änderungen der Klage gegenüber den im Insolvenzverfahren angemeldeten und im Verwaltungsverfahren bei der Beklagten angemeldeten Forderungen unzulässig sind (RS0103949; RS0076813 [T6, T7, T10]).
[25] Dabei besteht im Sinn der herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie eine Bindung hinsichtlich des Betrags und des anspruchsbegründenden Sachverhalts, aber nicht auch hinsichtlich der rechtlichen Qualifikation des Begehrens (RS0103949 [T2]). Es kommt vielmehr darauf an, ob der anspruchsbegründende Sachverhalt gegenüber dem im Verwaltungsverfahren geltend gemachten durch weitere Sachverhaltselemente ergänzt werden musste (vgl 8 ObS 248/00d).
[26] Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Klägerin hat ihren Anspruch in jeder Phase des Verfahrens auf die wörtlich festgestellte Prämienvereinbarung der Streitteile gestützt. Diese Anspruchsgrundlage wurde im gerichtlichen Verfahren weder geändert, noch um zusätzliche Sachverhaltselemente erweitert. Ob dieser Anspruch unter den Begriff des Entgelts nach § 1 Abs 2 Z 1 IESG, des sonstigen Anspruchs nach Z 3 leg cit, oder unter keinen dieser Tatbestände zu subsumieren ist, bildet aber eine vom Gericht zu beurteilende Rechtsfrage und hindert die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht.
[27] 3.2. Der Begriff „Entgeltansprüche“ im Sinn des § 1 Abs 2 Z 1 IESG ist im arbeitsrechtlichen Sinn zu verstehen. Er umfasst alle Leistungen des Arbeitgebers, die dieser dem Arbeitnehmer für die Zurverfügungstellung seiner Arbeitskraft gewährt, einschließlich aperiodisch anfallender Prämien, Gewinnbeteiligungen oder Erfindungsvergütungen (RS0076555; RS0028490; zum Jubiläumsgeld als Treueprämie: RS0125804; RS0119672 [T1] = 8 ObS 1/10w; 8 ObS 6/10f = ecolex 2010/407; 8 ObS 11/19d = ZIK 2020/304).
[28] Nach Ansicht des Senats fällt die hier zu beurteilende Bleibeprämie, die von einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig sowie auf etwa ein Jahr bezogenen war und durch die Dienstgeberkündigung fällig wurde, wie eine Sonderzahlung unter den Begriff des Entgelts aus dem Arbeitsverhältnis im Sinn des § 1 Abs 2 Z 1 IESG. Der Anspruch hat nicht nur seine Wurzel im Arbeitsverhältnis und ist ohne die Arbeitsleistung selbst nicht denkbar, sondern entspringt hier auch einer unmittelbaren Wechselbeziehung von Leistung und Gegenleistung. Insoweit kommen die Argumente von Deriu, Die Bleibeprämie – ein gesicherter Anspruch nach dem IESG? (RdW 2021, 343) nicht zum Tragen.
[29] 4. Die Beklagte verweist darauf, dass es Absicht des Gesetzgebers des IESG gewesen sei, alle Einzelvereinbarungen, die eine unkontrollierte Belastung des Insolvenz-Entgeltfonds bewirken könnten, der Höhe nach zu begrenzen (vgl RS0076384). Abgesehen von den ausdrücklich im Gesetz genannten Sicherungsausschlüssen sind Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, durch die das Risiko im Insolvenzfall missbräuchlich auf den Insolvenz-Entgeltfonds überwälzt werden soll bzw durch die eine sonst nicht bestehende Verpflichtung des Insolvenz-Entgeltfonds begründet werden soll, diesem gegenüber nichtig (vgl RS0112127; RS0018227; RS0119685; Ristic in Reissner, Arbeitsverhältnis und Insolvenz8 § 1 IESG Rz 435; Gahleitner in ZellKomm3 § 1 IESG Rz 5). Der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs bestimmt sich danach, ob die Vorgangsweise dem Fremdvergleich standhält (RS0114470).
[30] 4.1. Nach ständiger Rechtsprechung besteht das nach dem IESG sozialversicherte Risiko im Kernbereich in der von den Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbaren und absicherbaren Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlusts ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RS0076409). Ansprüche, die nicht mit einem typischen Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen, oder deren Höhe nicht mehr zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts notwendig ist, sind überhaupt nicht gesichert (RS0076409 [zB T13 – Ersatz für Büromiete; T14 – lange stehengelassene Forderungen; T15 – Lohnsteuerschäden]; 9 ObS 4/91 – Darlehensrückzahlung; 8 ObS 294/99i – völlig atypisches Arbeitsverhältnis zur Beistellung der Gewerbeberechtigung). Auch sieht das IESG für die gesicherten Ansprüche detaillierte zeitliche und betragliche Beschränkungen vor.
[31] 4.2. Ein atypischer Sachverhalt liegt hier nicht vor. Der Auftragsstand der Schuldnerin war bei Abschluss der Prämienvereinbarung sehr hoch, sie bemühte sich erfolgreich um eine noch fehlende Betriebsbewilligung und nahm externe Betriebsberatung in Anspruch. Diese Umstände lassen auf ein redliches und nicht aussichtsloses Bemühen um eine positive Betriebsentwicklung schließen. Die Prämie war auf ein Jahr bezogen und mit 30 % festgelegt, sohin im Rahmen auch sonst üblicher Prämien und Sonderzahlungen. Aus diesem Sachverhalt lässt sich kein Anhaltspunkt für einen Missbrauch des arbeitsrechtlichen Gestaltungsinstruments der hier vereinbarten Prämie ableiten. Es ergibt sich weder, dass schon bei Abgabe des Offerts durch die Dienstgeberin nicht die Fortführung, sondern eine Insolvenz im Raum stand, noch dass von den Vertragsparteien mit einer zukünftigen Belastung des Insolvenzfonds gerechnet worden wäre. Die Prämie stellt, wie dargelegt, auch keinen für ein Arbeitsverhältnis völlig atypischen Anspruch dar. Die Revision verweist in diesem Zusammenhang auch zutreffend darauf, dass die Prämie als Sonderzahlung zur Bemessungsgrundlage nach § 49 ASVG zählt und grundsätzlich der Zuschlagspflicht nach § 12 Abs 1 Z 4 IESG unterliegt.
[32] 4.3. Der Möglichkeit, dass freiwillige Leistungen in Unternehmenskrisen missbräuchlich zu Lasten des Fonds vereinbart werden könnten, wird auch durch den Ausschlusstatbestand gemäß § 1 Abs 3 Z 2 IESG begegnet. Es gebührt kein Insolvenz-Entgelt für Ansprüche aus Einzelvereinbarungen, die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder auf Anordnung der Geschäftsaufsicht, oder in den letzten sechs Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw der Anordnung der Geschäftsaufsicht abgeschlossen wurden, soweit sie über die kollektivrechtliche oder betriebsübliche Entlohnung hinausgehen und sachlich nicht gerechtfertigt sind.
[33] Dieser Ausschluss kommt hier aber nicht zum Tragen, weil die strittige Prämie außerhalb des Zeitraums der letzten sechs Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbart wurde. Auf eine Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der Zuwendung kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an.
[34] 4.4. Die in der Prämienzusage enthaltene Betonung ihrer Freiwilligkeit bedeutet lediglich, dass die Zuwendung auf den ursprünglich freiwilligen Entschluss des Arbeitgebers zurückgeht; es wird damit die Unterscheidung zu den kollektivvertraglich oder gesetzlich geschuldeten Leistungen zum Ausdruck gebracht, nicht aber ein Vorbehalt der Unverbindlichkeit (vgl RS0028297 [T5]).
[35] 5. Als Anspruch gemäß § 1 Abs 2 Z 1 IESG unterliegt die Sicherung der Prämie der Beschränkung mit dem Grenzbetrag nach § 1 Abs 3 Z 4 und Abs 4 IESG. Als Grenzbetrag gilt der zweifache Betrag der Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 45 Abs 1 ASVG, der bei Entgeltansprüchen, die nach Zeiträumen bemessen werden, mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Entlohnungszeitraums zu vervielfachen ist, und bei Entgeltansprüchen, die nicht nach Zeiträumen bemessen werden, mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Kalendervierteljahres zu vervielfachen ist, in welchem der Anspruch abzurechnen gewesen wäre. Dass diese Grenzen überschritten wären wurde weder releviert noch liegen Anhaltspunkte dafür vor.
[36] 6. Der Revision war daher Folge zu geben.
[37] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG.
[38] Die beklagte Partei hat gegen das in erster Instanz erstattete Kostenverzeichnis der Klägerin zutreffend eingewendet, dass für Klagen in einer Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 7 ASGG mangels der Voraussetzungen des § 23 Abs 6 RATG nur der einfache Einheitssatz gebührt. Kosten einer Firmenbuchabfrage waren nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich, ebenso nicht die Schriftsätze vom 20. 7. und 28. 8. 2020.
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