OGH 8ObS6/10f

OGH8ObS6/10f18.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Alfred Klair als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Sandra H*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer, Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle Graz, 8021 Graz, Europaplatz 12, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (781,82 EUR sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Februar 2010, GZ 8 Rs 83/09a-9, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Juli 2009, GZ 9 Cgs 73/09v-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark 781,82 EUR netto binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Die ab 9. 9. 1996 beschäftigte Klägerin hat nach dem auf dieses Arbeitsverhältnis zur Anwendung gelangenden Kollektivvertrag für Arbeiter des Hotel- und Gastgewerbes nach 10 Jahren, also mit der Lohnzahlung für Oktober 2006, den Anspruch auf Jubiläumsgeld in Höhe von 781,82 EUR netto erworben. Diesen Anspruch hat die Klägerin weder außergerichtlich noch gerichtlich gegen ihre Arbeitgeberin geltend gemacht. Über deren Vermögen wurde mit Beschluss vom 15. 10. 2007 das Konkursverfahren eröffnet. Im Konkursverfahren hat die Klägerin Jubiläumsgeld in Höhe von 828 EUR netto als Konkursforderung angemeldet, das von der Masseverwalterin auch zur Gänze anerkannt wurde. Das Dienstverhältnis der Klägerin war zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung weiter aufrecht. Das Konkursverfahren wurde nach Annahme des Zwangsausgleichs und gerichtlicher Bestätigung am 23. 7. 2008 aufgehoben. Von ihrem Anspruch auf Jubiläumsgeld hat die Klägerin erst nach der Konkurseröffnung erfahren.

Nachdem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld für das Jubiläumsgeld abgewiesen hatte, begehrte die Klägerin mit ihrer Klage die Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld für das Jubiläumsgeld. Es handle sich dabei um eine kollektivvertragliche Leistung als Anerkennung für langjährige Dienste. Diese Leistung habe keinen wiederkehrenden Charakter, weshalb auch nicht die kurze Frist des § 3a Abs 1 IESG zur Anwendung komme. Auch sei der Klägerin der kollektivvertragliche Anspruch gar nicht bekannt gewesen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass der Anspruch der Klägerin ja bereits im September 2006 fällig gewesen sei und als Entgelt der Sicherungsbeschränkung des § 3a Abs 1 IESG unterliege. Das Jubiläumsgeld falle unter den Begriff des laufenden Entgelts. Es handle sich um eine Sonderzahlung, die nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag nach bestimmten ununterbrochenen Dienstzeiten zustehe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Rechtlich ging es davon aus, dass nach § 3a IESG Ansprüche auf laufendes Entgelt für die letzten sechs Monate vor dem Stichtag gesichert seien. Diese Frist gelte nicht, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen sechs Monaten nach ihrer Entstehung gerichtlich, in einem kollektivrechtlich vorgesehenen Schlichtungsverfahren bzw vor der Gleichbehandlungskommission zulässigerweise geltend gemacht wurden oder es sich um eine Differenz aus unterkollektivvertraglicher Entlohnung handle. Dem Arbeitnehmer seien Erkundigungen über den kollektivvertraglichen Lohn nicht zuzumuten. Die Klägerin habe daher mangels Kenntnis von ihrem Anspruch auf Jubiläumsgeld Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld dafür.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Bestimmung des § 3a IESG über das laufende Entgelt und die nicht ausgeglichenen Zeitguthaben, die eine Beschränkung auf sechs Monate vorsehe, sei hier nicht anzuwenden. Ansprüche auf Jubiläumsgeld nach dem hier anzuwendenden Kollektivvertrag entstünden nach 10, 15, 25, 35, 40 und 45 Jahren. Der Oberste Gerichtshof habe aber die Beschränkung des § 3a Abs 1 IESG auch bereits auf Aufwandsentschädigungen angewendet. In der Lehre werde teilweise davon ausgegangen, dass Jubiläumsgelder nicht von § 3a IESG, sondern von § 3b IESG erfasst seien und insoweit keiner zusätzlichen zeitlichen Beschränkung hinsichtlich ihrer Sicherung nach dem IESG unterliegen. Teilweise werde allerdings auch davon ausgegangen, dass Jubiläumsgeld von der Beschränkung nach § 3a IESG erfasst sei. Nach Ansicht des Berufungsgerichts handle es sich aber bei Jubiläumsgeld nicht um „laufendes Entgelt“ da es nicht in kürzeren zeitlichen Abständen fällig werde. Auch sei nicht von einer „Sonderzahlung“ iSd § 3a IESG auszugehen, da es an einem engen Konnex zwischen den Lohnzahlungen und dem Jubiläumsgeld sowie an einer Regelmäßigkeit im Sinne von Sonderzahlungen mangelt.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der insolvenzrechtlichen Sicherung eines außerhalb des Sicherungszeitraums des § 3a Abs 1 IESG fällig gewordenen Jubiläumsgeldes nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grunde zulässig und auch berechtigt.

§ 3a Abs 1 IESG lautet wie folgt:

„Insolvenz-Entgelt gebührt für das dem Arbeitnehmer gebührende Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen, das in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag (§ 3 Abs 1) oder, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag geendet hat, in den letzten sechs Monaten vor dessen arbeitsrechtlichem Ende fällig geworden ist. Die Frist von sechs Monaten gilt nicht, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen sechs Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich oder im Rahmen eines in Normen der kollektiven Rechtsgestaltung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens oder eines Verfahrens vor der Gleichbehandlungskommission zulässigerweise geltend gemacht wurden und das diesbezügliche Verfahren gehörig fortgesetzt wird und soweit eine Differenz zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung beantragt wird. Insolvenz-Entgelt für Ansprüche aus nicht ausgeglichenen Zeitguthaben gebührt nur dann, wenn die abzugeltenden Arbeitsstunden in den im ersten Satz genannten Zeitraum geleistet wurden, es sei denn, dass im Rahmen von Altersteilzeitregelungen oder aufgrund einer gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Regelung oder einer Betriebsvereinbarung längere Durchrechnungszeiträume vorgesehen sind.“

Nach § 3b IESG gebührt Insolvenz-Entgelt - mit Ausnahme der Ansprüche auf laufendes Entgelt einschließend der gebührenden Sonderzahlungen - für andere gesicherte Ansprüche, die innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden.

Entscheidend ist hier, ob die Sechsmonatsfrist des § 3a Abs 1 IESG zum Tragen kommt, ob es sich also bei Jubiläumsgeld nach dem Kollektivvertrag um ein „Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen“ iSd § 3a IESG handelt, weil dessen weitere Voraussetzung, die Fälligkeit innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Stichtag, unstrittig nicht gegeben ist.

Der Oberste Gerichtshof hat sich erst jüngst zu 8 ObS 1/10w in einem Verfahren, in dem es insbesondere um die Frage der Abgrenzung des Entgelts als Masse- oder Konkursforderung ging, auch mit der Frage der Auslegung des § 3a Abs 1 IESG befasst und unter anderem Folgendes zur Frage der Qualifikation des Jubiläumsgeldes ausgeführt:

„Der Begriff ‘laufendes Entgelt' iSd § 3a IESG (vgl auch § 46 Abs 1 Z 3 KO) ist im weiteren Sinn zu verstehen (Liebeg aaO § 3a Rz 93). Allgemein werden dazu die zeitbezogenen Ansprüche des Arbeitnehmers gezählt, die für die zur Verfügungstellung seiner Arbeitskraft als Erfüllung des zweiseitigen Arbeitsvertrags zustehen (Engelhart aaO § 46 Rz 252). Dieser Bezug kann etwa durch periodische Fälligkeit bei für einen bestimmten Zeitraum gebührenden und fortlaufend anwachsenden Anspruch, aber auch durch Erfüllung einer bestimmten Wartezeit bei einmaligen Leistungen hergestellt werden (Winkler, Aliquotierungsgebot und Jubiläumsgelder, RdW 1996, 347 [369]). Bei Jubiläumsgeldern handelt es sich um Treueprämien, die bei aufrechtem Dienstverhältnis alle fünf, zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahre oder noch seltener fällig werden. Auch wenn der Anspruch an die Vollendung einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit geknüpft ist (4 Ob 2/77), stellt sich nach Eintritt der Bedingungen für seine Entstehung dennoch die IESG-rechtliche Frage, ob Jubiläumsgeld als ‘laufendes Entgelt einschließlich Sonderzahlungen für die regelmäßige Arbeitsleistung' gebührt.

2.3 Der wesentliche systematische Unterschied zwischen der Sicherungsdauer nach § 3a Abs 2 IESG und 3b IESG besteht darin, dass eine dem § 3a Abs 2 Z 5 IESG vergleichbare allgemeine Ausfallshaftung nach Ablauf der Sicherungsfrist in § 3b IESG für die ‘weiteren Ansprüche' mit Ausnahme der Beendigungsansprüche nicht vorgesehen ist. Nur Beendigungsansprüche sind vergleichbar mit § 3a Abs 2 Z 5 IESG gesichert. Nach dem Zweck der Regelungen über die zeitliche Absicherung der Ansprüche soll einerseits die Unternehmensfortführung nicht behindert und andererseits das Risiko einer erfolglosen Unternehmensfortführung nicht auf den IEG-Fonds abgewälzt werden (8 ObS 316/02f; 8 ObA 126/02s). Der Begrenzung des Risikos des IEG-Fonds dient auch die in § 3a Abs 2 Z 5 IESG vorgesehene Austrittsobliegenheit, sobald der Masseverwalter das gebührende Entgelt erstmals nicht vollständig bezahlt. Nach diesem System spricht das Ziel der Aufrechterhaltung des Betriebs dafür, dass die betriebstreuen Arbeitnehmer solange mit der Sicherung ihrer Entgeltansprüche rechnen können, als sie der Masseverwalter nicht mehr befriedigen kann. Dazu gehören aber auch solche Ansprüche, deren Entstehen zulässigerweise nicht allein an die laufende Arbeitsleistung, sondern an die Betriebstreue gebunden ist.

Für dieses Ergebnis spricht letztlich auch die systematische Betrachtung. § 1 Abs 2 Z 1 IESG nennt an Entgeltansprüchen im Wesentlichen nur solche auf laufendes Entgelt sowie aus der Beendigung. Eine dritte Kategorie von Entgeltansprüchen wurde bei der Ausgestaltung des Systems der zeitlichen Sicherung im Rahmen der Abgrenzung zwischen §§ 3a und 3b IESG offenbar nicht bedacht.

2.4 Nach Ansicht des erkennenden Senats ist das Jubiläumsgeld daher in Übereinstimmung mit den Erläuterungen zum IRÄG 1997 und der überwiegenden Literatur als Teil des laufenden Entgelts iSd § 3a IESG zu behandeln.“

Damit hat aber der erkennende Senat bereits eindeutig die Einordnung des Jubiläumsgeldes in den Bereich des § 3a IESG vorgenommen. Davon abzuweichen bietet auch die Revisionsbeantwortung der Klägerin keinen Anlass. Gerade aus der Überlegung, dass es um eine wirksame Begrenzung zur Hintanhaltung der Verlagerung des wirtschaftlichen Risikos auf den IEG-Fonds durch Verbleiben im Arbeitsverhältnis trotz Nichtzahlung des Entgelts geht und grundsätzlich eine Begrenzung auf die Lohnrückstände der letzten sechs Monate erreicht werden soll, bietet sich eine Differenzierung nicht an. Auch von einer Differenz zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung kann nicht ausgegangen werden, wurde das Jubiläumsgeld doch zur Gänze nicht bezahlt, sodass es nicht bloß um eine Differenz geht.

Insgesamt war daher der Revision der Beklagten Folge zu geben und waren die Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsabweisenden Sinne abzuändern.

Die Kostenentscheidung fußt auf § 77 ASGG.

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