OGH 5Ob232/23p

OGH5Ob232/23p12.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Dr. Edgar Veith, Rechtsanwalt in Götzis, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Advokaten Keckeis Fiel Scheidbach OG, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Feststellung und Zustimmung zur Einwilligung in die Einverleibung einer Dienstbarkeit sowie Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. September 2023, GZ 2 R 125/23h-68, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 30. Mai 2023, GZ 43 Cg 122/21g-60, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00232.23P.0312.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.261,40 EUR (darin 376,90 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile sind jeweils Alleineigentümer zweier unmittelbar aneinander grenzender Grundstücke (GSt‑Nr 29 und GSt-Nr 30). Der Vater des Klägers hatte 1951 ein Transportunternehmen gegründet, zu dem vier große LKW („auch mit zweiachsigen Anhängern“) und ein großer Traktor mit Anhänger gehörten. Die Fahrzeuge fuhren mehrmals am Tag vom Grundstück ab und wieder zu. Beim Einfahren war es notwendig, rückwärts einzufahren, weil auf dem Grundstück des Klägers ein Umkehren nur schwer möglich war. Bei diesen Manövern wurde stets auch über eine (in Skizzen farbig eingezeichnete) Fläche des Grundstücks (GSt‑Nr 30) des Beklagten gefahren. Der Kläger betrieb das Unternehmen bis etwa 2010 fort; seither fahren nur noch gelegentlich LKW auf das Grundstück des Klägers, so etwa einmal im Jahr für eine Heizöllieferung. Die Rechtsvorgänger des Beklagten widersprachen dieser Fahrweise der Fahrer der Schwerfahrzeuge nie.

[2] In einem rechtskräftig beendeten Vorverfahren hatte der Kläger erwirkt, dass der Beklagte zur Unterlassung der Positionierung von Müllcontainern auf dem Grundstück des Klägers sowie des Beschädigens eines auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Zauns, sowie zur Unterlassung der Störung des Fahrrechts insbesondere durch Aufstellen von Betonsockeln auf dem GSt-Nr 30 auf der Dienstbarkeitsfläche verpflichtet wurde. Das darüber hinausgehende Unterlassungsbegehren (betreffend Geruchsimmissionen sowie der Errichtung eines Holzzauns auf den Betonsockeln) war abgewiesen worden.

[3] Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers auf Feststellung sowie auf Zustimmung zur Einverleibung der uneingeschränkten Dienstbarkeit des Fahrens auf der näher definierten Fläche des Grundstücks des Beklagten statt und wies die weiteren Begehren (betreffend eine Dienstbarkeit des Gehens sowie auf Unterlassung von Störungen der Dienstbarkeiten) ab.

[4] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass es die zu Gunsten der Liegenschaft des Klägers festgestellte, im Grundbuch einzuverleibende Dienstbarkeit auf der näher definierten Fläche des Grundstücks des Beklagten auf das Recht zum Fahren „mit LKW, Traktoren und vergleichbar großen Fahrzeugen“ einschränkte. Im Übrigen bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichts.

[5] Nachträglich ließ das Berufungsgericht die Revision zu, weil der im Rechtsmittel behauptete Widerspruch zur Rechtsprechung zum umfassenden Fahrrecht und der behauptete Verstoß gegen die Bindungswirkung der Vorentscheidung zu überprüfen seien.

[6] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich die – vom Beklagten beantwortete – Revision des Klägers, in der dieser die Stattgebung seiner sämtlichen Begehren anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), nicht zulässig. Das ist kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):

[8] 1.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist mit der Grunddienstbarkeit des Fahrwegs als umfassendster Wegservitut (§ 477 Z 1 ABGB) im gleichen Umfang (Zweck) auch das Gehrecht verbunden (vgl RS0011576). Es berechtigt zur Ausübung des Fahrrechts für alle wirtschaftlichen Zwecke des herrschenden Grundstücks (RS0016365 [T7]).

[9] 1.2 Entgegen der Rechtsansicht des Klägers besteht kein Widerspruch der Entscheidung des Berufungsgerichts zu dieser Rechtsprechung, weil die hier zu beurteilende, zu Gunsten der Liegenschaft des Klägers durch jahrzehntelange Nutzung ersessene Dienstbarkeit nicht in einem Fahrrecht im Sinn einer Benützung einer Durchfahrt oder eines Weges besteht, sondern in der Nutzung (dem „Überfahren“) einer bestimmten (Teil-)Fläche des dienenden Grundstücks im Zug der erforderlichen Fahrmanöver beim Zufahren auf die Liegenschaft (nur) mit LKW und Traktoren. Dass im Fall einer Panne oder für ein Einweisen auch ein Betreten dieser Fläche durch Fußgänger von der Dienstbarkeit umfasst ist, bedarf – entgegen der Meinung des Klägers – keiner Klarstellung. Weshalb ohne die beantragte Stattgebung auch eines Gehrechts die Fahrer ihr Fahrzeug nicht einmal verlassen dürfen sollten, „um Hilfe zu holen oder das defekte Fahrzeug abzuschleppen“, ist nicht nachvollziehbar.

[10] 1.3 Die Entscheidung im Vorverfahren hatte eine Klage auf Unterlassung der Beschädigung des auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Zauns sowie auf Unterlassung der Störung des zu Gunsten des GSt-Nr 30 bestehenden Fahrrechts durch Aufstellen von Hindernissen zum Gegenstand. Auch in diesem Verfahren sind – wie schon im rechtskräftig beendeten Vorprozess – die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass zu Gunsten der Liegenschaft des Klägers eine Dienstbarkeit des Fahrens im Umfang der seit 1951 ausgeübten Nutzung der Teilfläche des Grundstücks des Beklagten (beim erwähnten Zufahren der mit Anhängern ausgestatteten LKWs und Traktoren) besteht. Über das Gehrecht wurde im Vorverfahren nicht ausdrücklich abgesprochen; in den Entscheidungsgründen wurde ein solches aber schon mangels jeglicher Absicht, ein solches Recht zu haben, verneint. Ein – in der Revision behaupteter – Verstoß gegen die Bindungswirkung ist daher von vornherein nicht erkennbar. Die Schlussfolgerung des Klägers, diese durch Ersitzung begründete Dienstbarkeit des Fahrens umfasse stets auch die Dienstbarkeit des Gehens, ist unzutreffend, weil hier ein „Fahrrecht“ nicht im Sinn einer Zufahrt, sondern nur im Umfang des erforderlichen Rangierens mit Schwerfahrzeugen beim Rückwärtseinfahren zu Gunsten der herrschenden Liegenschaft ersessen wurde.

[11] 2.1 Die Begründung einer Servitut durch Ersitzung setzt eine für den Eigentümer des belasteten Gutes erkennbare Rechtsausübung während der Ersitzungszeit im wesentlichen gleichbleibend zu bestimmten Zwecken und im bestimmten Umfang voraus (vgl RS0105766; RS0033018 [T2]; RS0010140 [T1, T2]). Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen trifft den Ersitzungsbesitzer (RS0034237 [T2]; RS0034243 [T1]). Diese Fragen sind regelmäßig einzelfallbezogen und nicht wesentlich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (vgl etwa RS0016364 [T7]; RS0011664 [T11]).

[12] 2.2 Die Bewohner der Liegenschaft des Klägers gingen zwar nach den Feststellungen – ebenfalls schon seit dem Jahr 1951 – zum Grundstück des Klägers (bzw dessen Rechtsvorgängers) häufig (in zwei verschiedenen, auf einer Skizze eingezeichneten Varianten) „kurvenschneidend“ über einen Bereich, der etwas größer ist als die Teilfläche des Grundstücks des Beklagten, über die die Fahrzeuge mit Anhänger beim Einfahren fahren müssen. Dies dient(e) als Abkürzung (wobei sich im Vergleich zur Wegstrecke an der Grundstücksgrenze entlang eine Reduktion von insgesamt höchstens rund sechs Metern ergibt); die Rechtsvorgänger des Beklagten beanstandeten dies nicht. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, nach der die von den Nachbarn (Rechtsvorgängern des Beklagten) geduldete Nutzung der Fläche zur Abkürzung des Weges nicht als erkennbare Ausübung eines diesbezüglichen Rechtsbesitzes zu qualifizieren sei, ist nicht korrekturbedürftig. Wenn der Kläger argumentiert, die Nützlichkeit des behaupteten Gehrechts sei „offenkundig und zudem menschlich“ und es sei lebensfremd anzunehmen, dass jemand auf einer einheitlichen Fläche „um eine nicht sichtbare Ecke“ gehe, so wird damit keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, es habe sich bei diesem Dulden nur um eine nachbarschaftliche Gefälligkeit gehandelt, hält sich im Rahmen des Ermessensspielraums: Nach der Rechtsprechung liegt kein zur Ersitzung führender Rechtsbesitz vor, wenn nur eine sich aus dem gutnachbarlichen Verhältnis ergebende Gestattung in Anspruch genommen wurde (vgl 9 Ob 47/20g mwN).

[13] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[14] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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