OGH 9Ob47/20g

OGH9Ob47/20g24.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. W***** und 2. J*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Erich Bernögger, Rechtsanwalt in Kirchdorf an der Krems, gegen die beklagte Partei Wo*****, vertreten durch Dr. Erich Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert 6.500 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Berufungsgericht vom 15. Juni 2020, GZ 1 R 56/20h‑15, mit dem der Berufung der klagenden Parteien gegen das Urteil des Bezirksgerichts Kirchdorf an der Krems vom 6. Februar 2020, GZ 1 C 605/19a‑11, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0090OB00047.20G.0324.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 688,92 EUR (darin 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ *****. Der Beklagte ist Pächter und Betriebsführer unter anderem verschiedener Grundstücke inneliegend der Liegenschaft EZ *****.

[2] Auf der Liegenschaft der Kläger führt ein zunächst befestigter Weg von den landwirtschaftlichen Gebäuden nach Norden, der dann in einen mit Traktor befahrbaren Feldweg übergeht. Von diesem Weg aus kann in weiterer Folge in etwa geradlinig von Osten nach Westen über zwei landwirtschaftliche (Wiesen‑)Flächen der Kläger zur vom Beklagten bewirtschafteten Liegenschaft zugefahren werden.

[3] Der Vater des Beklagten fuhr seit 1975 auf diese Weise zur jährlichen Mahd im Herbst auf seine Liegenschaft zu und ab. Sofern die Kläger oder einer ihrer Familienangehörigen zuvor erreichbar waren oder bei der Zufahrt angetroffen werden konnten, wurde nachgefragt wie konkret über die klägerischen Grundstücksflächen zugefahren werden solle, wobei von den Klägern auf den Wegverlauf verwiesen wurde. Nur vereinzelt wurde von den Klägern aufgrund eigener (landwirtschaftlicher) Nutzung der Wiesengrundstücke ein davon abweichender anderer Verlauf der Zu- und Abfahrt über diese Grundstücke vorgegeben bzw um Zufahrt an anderen Tagen ersucht. Dem wurde auch entsprochen. Ob überhaupt zugefahren werden dürfe, wurde nicht gefragt. Als der Beklagte die Grundstücke von seinem Vater übernahm, änderte sich an der Bewirtschaftung und der geschilderten Vorgangsweise nichts.

[4] Die Kläger begehren, den Beklagten zu verpflichten, das Befahren der ihnen gehörenden Grundstücke mit Fahrzeugen aller Art zu unterlassen.

[5] Der Beklagte bestritt und brachte vor, dass von ihm bzw seinem Rechtsvorgänger zumindest seit 1972 über die Grundstücke der Kläger gefahren werde, um zu den von ihm bewirtschafteten Liegenschaften zu gelangen. Aufgrund ersessener Grunddienstbarkeit sei der Beklagte zur Nutzung der klägerischen Grundstücke berechtigt.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[7] Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung der Kläger Folge. Von einem für eine Wegeservitut typischen uneingeschränkten Recht, eine fremde Sache zu nutzen, könne hier keine Rede sein, da der Beklagte und dessen Rechtsvorgänger sich regelmäßig nach der räumlichen Möglichkeit der Zufahrt erkundigt und dabei zum Teil auch unterschiedliche Wegstrecken von den Klägern vorgegeben bekommen hätten. Daneben seien auch zeitliche Einschränkungen aufgestellt worden. Die Frage, „ob“ Grundstücke zum Überfahren genutzt werden dürfen, könne von der Frage nach dem „wo“ bzw „wann“ gefahren werden dürfe, nicht getrennt werden.

[8] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, da keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, welche Auswirkung die Frage nach dem Wegverlauf bzw die Vorgabe des genauen – zum Teil wechselnden – Wegverlaufs durch den Grundeigentümer auf die Ersitzung eines Fahrtrechts habe.

[9] Gegen diese Entscheidung wendet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass das klageabweisende Ersturteil wiederhergestellt wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[12] 1. Für die Ersitzung eines Rechts an einer fremden Sache, insbesondere einer Wegeservitut, ist grundsätzlich die Ausübung des Rechts im Wesentlichen gleichbleibend zu bestimmten Zwecken in bestimmtem Umfang erforderlich. Notwendig ist dafür eine solche für den Eigentümer des belasteten Gutes erkennbare Rechtsausübung (RS0033018).

[13] Die Besitzausübung muss beim Rechtsbesitz so beschaffen sein, dass derjenige, in dessen Besitz eingegriffen wird, erkennen kann, dass vom anderen ein individuelles Recht ausgeübt wird. In welchem Umfang erworben wird, hängt davon ab, welches Recht der eine Teil ausüben und der andere dulden wollte (RS0010135). Auf die positive Kenntnis des Eigentümers der belasteten Sache kommt es nicht an (RS0010135 [T3]).

[14] Die Ersitzung eines den Eigentümer eines Grundstücks zu einer Duldung verpflichtenden Rechts setzt somit voraus, dass die Ausübung als Recht in Anspruch genommen wird, der Eigentümer des Grundstücks dies erkennen kann und dennoch dieses Verhalten so duldet, als hätte der andere ein Recht darauf. Die Handlungen müssen in ihrer Gesamtheit als eine Besitzausübung gewertet werden können. Es muss somit der Wille ersichtlich sein, dass ein Recht ausgeübt wird und nicht etwa eine bloß sich aus dem gutnachbarlichen Verhältnis ergebende Gestattung in Anspruch genommen wird. In letzterem Fall liegt kein zur Ersitzung führender Rechtsbesitz vor (10 Ob 14/15d).

[15] 2. Ob der Eigentümer der belasteten Liegenschaft erkennen kann, dass Benützungshandlungen in Ausübung eines Rechts erfolgen, hängt letztlich immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0033021). Diese Frage stellt daher – entgegen der Annahme des Berufungsgerichts – keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO dar, es sei denn, dass eine grobe Fehlbeurteilung vorliegt. Dies ist hier nicht der Fall.

[16] 3. Im vorliegenden Fall haben sowohl der Beklagte als auch sein Rechtsvorgänger vor dem Befahren der Liegenschaft regelmäßig mit den Klägern abgestimmt, in welchem Bereich die Liegenschaft befahren werden darf und wann das für die Kläger zeitlich passend ist, wobei die entsprechenden Vorgaben der Kläger auch befolgt wurden. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass damit gerade nicht das für eine Wegeservitut typische uneingeschränkte Recht, eine Sache nutzen zu dürfen, zum Ausdruck gebracht wurde, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

[17] Auch wenn der Beklagte bzw sein Rechtsvorgänger sich nicht explizit danach erkundigten, ob sie die Liegenschaft überhaupt benutzen dürfen, durften die Kläger dieses Nachfragen so verstehen, dass kein Recht ausgeübt wird, sondern eine Erlaubnis zur jeweiligen Nutzung eingeholt wird.

[18] Dass es sich bei der Zufahrt zu einem Großteil um einen in der Natur erkennbaren Weg handelt und sich die Nachfragen jeweils nur auf den Wiesenteil bezogen, ändert an dieser Beurteilung nichts, weil für den Beklagten (seinen Rechtsvorgänger) eine Zufahrt zu seiner Liegenschaft nur bei Benutzung beider Abschnitte möglich ist, eine nur teilweise Nutzung des Weges daher nicht erfolgte. Von der Ersitzung eines Teils der Zufahrt, von dem aus eine Bewirtschaftung der Liegenschaft des Beklagten nicht möglich ist, ist daher nicht auszugehen.

[19] 4. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision des Beklagten zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[20] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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