OGH 6Ob47/23i

OGH6Ob47/23i20.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. P* S*, vertreten durch Dr. Roland Gerlach und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei C* Aktiengesellschaft, FN *, vertreten durch ZFZ Zeiler Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.681.120,11 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. November 2022, GZ 4 R 60/22f‑37, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 31. Jänner 2022, GZ 64 Cg 38/20w‑32, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00047.23I.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Arbeitsrecht, Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.767,74 EUR (darin enthalten 961,74 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche aus der behaupteten unberechtigten Beendigung des freien Dienstvertrags zwischen dem klagenden (ehemaligen) Vorstandsmitglied und der beklagten Aktiengesellschaft.

[2] Bei der Beklagten waren alle drei Vorstandsverträge bis Ende 2019 befristet, sodass über eine Nachbesetzung oder Verlängerung dieser Positionen diskutiert wurde. Nach § 13 Abs 4 der Satzung der Beklagten entscheidet darüber der Aufsichtsrat mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

[3] Der Kläger war Bezirksrat der FPÖ in Wien‑* und interessierte sich für den Posten eines CFO bei der Beklagten. Er sprach am 4. 9. 2018 den Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten an und fragte, ob es „für einen FPÖ‑ler wie ihn“ eine Vorstandsposition gäbe. Der Aufsichtsratsvorsitzende reagierte sehr ungehalten, weil er die Frage dahin verstand, ob die FPÖ einen Vorstandsposten erhalten könnte, die Beklagte aber qualifiziertes Personal suchte und nicht Jobs an eine Partei zu vergeben hatte.

[4] Eine öffentliche Ausschreibung der Positionen sollte nicht erfolgen. Die drei Hauptaktionäre der Beklagten, nämlich die S*‑Gruppe, die Republik Österreich und der Glücksspielkonzern die N* AG, hatten sich intern darauf geeinigt, dass jedem der drei ein Vorschlagsrecht zukommen sollte.

[5] Der Kläger teilte seine Bewerbungsambitionen auch dem damaligen Bundesparteiobmann der FPÖ und Vizekanzler H*C* S* mit, den er bereits seit längerer Zeit kannte und der ein Förderer von ihm war. Er fragte diesen, ob er seine Bewerbung unterstützen würde. Dass der Vizekanzler den Kläger mit einer Bewerbung bei der Beklagten beauftragt hätte, steht nicht fest. Allerdings förderte er die Kandidatur des Klägers in der Folge aus parteipolitischen Gründen massiv, was dem Kläger auch bekannt war.

[6] Der Vorstandsvorsitzende des Glücksspielkonzerns, H* N*, war Mitglied des Aufsichtsrats und des Präsidiums der Beklagten. Dem Präsidium, dem auch die Personalangelegenheiten des Vorstands zukamen, gehörte auch der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten an. Am 4. 10. 2018 textete der Vizekanzler an den Vorsitzenden des Glücksspielkonzerns: „Hätte das Ersuchen um einen möglichen Nachfolgekandidaten für Herrn H*, welchen wir mit Ihnen besprechen wollen!“ Mit diesem Nachfolgekandidaten war der Kläger gemeint. Daraufhin hatte der Kläger am 6. 11. 2018 einen Termin beim Vorstandsvorsitzenden, dem er seine Bewerbungsabsichten mitteilte.

[7] In einem Telefonat berichtete der Vizekanzler dem Kläger, der Vorstandsvorsitzende habe sich bei ihm über den Kläger erkundigt. Er riet dem Kläger, neuerlich mit diesem Kontakt aufzunehmen, was der Kläger auch tat und sich dabei auf den Vizekanzler berief. Der Kläger übergab bei einem Gesprächstermin seine Bewerbungsunterlagen an den Vorstandsvorsitzenden, der dem Kläger zusagte, ihn als Vorschlag des Glücksspielkonzerns für die Vorstandsbesetzung zu präsentieren und die Unterlagen an den Aufsichtsrats-vorsitzenden des Beklagten weiterzuleiten. In der Folge intervenierte der Vizekanzler wiederholt (unter anderem) beim Vorstandsvorsitzenden zugunsten des Klägers und bedankte sich auch beim (damaligen) Finanzminister für dessen Unterstützung. Bei einem Telefonat im Februar 2019 erfuhr der Kläger vom Vizekanzler, dass nunmehr auch die ÖBIB (nunmehr: ÖBAG) seine Wahl unterstützen werde.

[8] Selbst wenn der Kläger nicht über alle im Zuge seiner Bewerbung um den Vorstandsposten ausgetauschten Nachrichten im einzelnen Bescheid wusste, so war ihm doch bekannt, welche Personen in seinen Bewerbungsprozess involviert waren, wer sich mit wem darüber austauschte und insbesondere, dass der Vorstandsvorsitzende des Glücksspielkonzerns dem Vizekanzler zugesagt hatte, ihn als Kandidaten vorzuschlagen und sich nach Kräften für seine Wahl einzusetzen. Dem Kläger war bewusst, dass seine Mitgliedschaft bei der FPÖ ausschlaggebend für die ihm zuteil werdende Unterstützung war.

[9] Auch der Aufsichtsratsvorsitzende sprach mit dem (damaligen) Finanzminister über die Bewerbung des Klägers. Dieser meinte dabei, der Kläger wäre „ein Muss“, gemeint war damit, dass der Glücksspielkonzern keinen anderen Kandidaten präsentieren würde. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten wusste über die Kontakte zwischen dem Vizekanzler und dem Vorstandsvorsitzenden und die Tatsache, dass letzterer ersterem sein Wort gegeben hatte, den Kläger als Vorstandskandidaten des Glücksspielkonzerns zu nominieren, nicht Bescheid.

[10] Mit Beschluss des Aufsichtsrats vom 28. 3. 2019 wurde der Kläger mit Wirkung vom 1. 5. 2019 zum Mitglied des Vorstands der Beklagten bestellt. Ohne die massive politische Unterstützung wäre der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vom Glücksspielkonzern als Kandidat vorgeschlagen und in weiterer Folge nicht zum Vorstand derBeklagten bestellt worden.

[11] Der Entwurf des Vorstandsvertrags war von einer Anwaltskanzlei im Auftrag der Beklagten verfasst worden. Der von den Streitteilen unterfertigte Vertrag hatte auszugsweise nachstehenden Inhalt:

„I. Präambel

...

(2) Mit Beschluss des Aufsichtsrates vom 28.03.2019 wurde Herr [Kläger] mit Wirkung vom 01.05.2019 bis zum 30.04.2022 zum Mitglied des Vorstands der [Beklagten] bestellt. Herr [Kläger] hat diese Bestellung angenommen.

...

IV. Bezüge

...

X. Vertragsdauer

(1) Dieser Vertrag wird für die Dauer der Bestellung des Vorstandsmitglieds (Punkt I Absatz 2 dieses Vertrages) befristet bis 30.04.2022 abgeschlossen. Er verlängert sich automatisch jeweils um ein weiteres Jahr bis zum aktienrechtlich zulässigen Höchstausmaß von fünf Jahren, somit maximal bis zum 30.04.2024, sofern nicht eine der beiden Vertragsparteien von ihrem Kündigungsrecht gemäß Abs 3 Gebrauch macht. Mit 30.04.2024 endet das Vertragsverhältnis jedenfalls, ohne dass es einer Kündigung durch eine der Vertragsparteien bedarf.

(2) Der Vorstandsvertrag kann von jeder Partei aus wichtigem Grund jederzeit vorzeitig aufgelöst werden. Diesfalls enden alle Ansprüche aus dem vorliegenden Vertrag sofort. Die §§ 26 und 27 des AngG sind sinngemäß anzuwenden. Als wichtiger Grund gelten insbesondere die in § 75 Abs 4 AktG angeführten Fälle.

...

XIV. Sonstige Bestimmungen

(2) Die Abgabe von Willenserklärungen und Benachrichtigungen unter diesem Vertrage hat mittels eingeschriebenen Briefes, gerichtet an die zuletzt bekannte Adresse des Empfängers zu erfolgen.“

[12] Erster Arbeitstag des Klägers war der 2. 5. 2019. Am 17. 5. 2019 wurde das sogenannte „Ibiza‑Video“ veröffentlicht, in dem der Vizekanzler unter anderem sagt: „[Der Glücksspielkonzern] zahlt alle“.

[13] Am 23. 5. 2019 richteten Abgeordnete der NEOS eine parlamentarische Anfrage an den Bundesminister für Finanzen betreffend Parteienfinanzierung im Umfeld der FPÖ. Darin wurden unter anderem die Fragen gestellt, ob seitens hochrangiger Funktionäre der FPÖ oder diesennahestehender Personen Druck auf den Aufsichtsrat der Beklagten ausgeübt wurde, um den Kläger in deren Vorstand zu bringen (Frage Nr 27); ob der Bundesminister es für ausgeschlossen halte, dass die politische Zugehörigkeit der einzelnen Kandidaten ein wesentlicher Faktor für deren Bestellung war (Frage Nr 31) und, dass zugunsten einzelner Kandidaten beim Bundesminister oder im Aufsichtsrat der Beklagten politisch interveniert wurde (Frage Nr 32), und ob der Bundesminister Wahrnehmungen zu politischen Interventionen bezüglich der Bestellung der neuen Vorstandsmitglieder hat (Frage Nr 33).

[14] Der Aufsichtsratsvorsitzende leitete diese parlamentarische Anfrage mit E‑Mail vom 24. 5. 2019 an den Kläger mit dem Ersuchen weiter, diese gegenüber dem Präsidium schriftlich zu kommentieren und „uns zu informieren, ob es da Themen gibt, die wir wissen müssen“.

[15] Am 25. 5. 2019 erschien in der Tageszeitung „Der Standard“ ein Artikel unter der Überschrift „Bestellung der blauen 'Glücksfee' bei Casinos wirft Fragen auf“, worin die Bestellung des Klägers zum Finanzvorstand im Zusammenhang mit Postenschacher und einem Deal betreffend Glücksspiellizenzen thematisiert wird. Wiedergegeben wird darin auch die Aussage des Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten, wonach der Kläger ausgewiesener Finanzexperte sei und über alle erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge, wovon sich der Aufsichtsrat habe überzeugen können.

[16] Auf die E‑Mail des Aufsichtsratsvorsitzenden vom 24. 5. 2019 antwortete der Kläger mit einer Stellungnahme, die er am 27. 5. 2019 an den Aufsichtsratsvorsitzenden übermittelte, der sie den Mitgliedern des Aufsichtsratspräsidiums weiterleitete. Inhaltlich lautete diese Stellungnahme auszugsweise wie folgt:

„...gerne komme ich deiner Aufforderung nach, zu den aktuell medial transportierten Themen rund um meine Person Stellung zu beziehen. Gleich zu Beginn möchte ich pauschal festhalten, dass ich mir keiner einzigen Verfehlung bewusst bin, dass es keinerlei Verheimlichungen meinerseits dem Aufsichtsrat gegenüber gegeben hat und dass ich es überaus bedauere, dass die politischen Umstände mich und damit auch das Unternehmen, für das ich nun tätig sein darf, in derartige mediale und politische Diskussionen gebracht haben.

Gerne gehe ich auch auf konkrete Hintergründe ein, die in den letzten Tagen rund um meine Person ventiliert wurden.

Mehrere Meldungen, so auch in größten Teilen die parlamentarische Anfrage der Neos, gehen auf meine Bestellung als Vorstand der [Beklagten] ein. Hier sehe ich mich nicht in der Rolle, Aufklärung leisten zu können. In den Raum gestellte politische Absprachen sind mir nicht bekannt und wären, so es derartiges gegeben haben soll, eher vom Aufsichtsrat zu kommentieren und zu beurteilen. Ebenso wenig will ich auf meine Qualifikation eingehen, die immer wieder hinterfragt wird, da ich davon ausgehe, []

Themen, die derzeit 'aufgedeckt' werden und möglicherweise nun für Fragen sorgen, wurden in keiner Weise von mir 'verschleiert' oder bewusst zurückgehalten, vielmehr waren und sind sie ohne Relevanz für die Frage meiner Eignung als Vorstand der [Beklagten].

Dennoch ist es natürlich nachvollziehbar, dass sich der Aufsichtsrat ein Bild machen möchte, und ich gehe daher auch gerne auf ein paar Aspekte ein, die derzeit verbreitet werden.

Zu diversen FPÖ‑nahen Vereinen gibt es zu mir keinerlei Verbindung. []

Abschließend möchte ich nochmals betonen, dass ich es sehr bedauerlich finde, dass und vor allem wie derzeit ich und unser Unternehmen in den Medien vertreten sind. Ich stehe jeder Form der Aufklärung offen gegenüber. []

Ich hoffe, mit diesen Ausführungen mögliche offene Fragen des Aufsichtsrats geklärt zu haben, und stehe dir natürlich für jede Form der Nachfragen sehr gerne jederzeit zur Verfügung []

[17] Am 12. 8. 2019 fand eine Hausdurchsuchung in den Wohnräumlichkeiten des Klägers und in der Folge in seinem Büro bei der Beklagten statt. Der Kläger erfuhr damit, dass gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen im Gange waren. Da der Aufsichtsvorsitzende damals auf Urlaub war, wandte sich der Kläger am 14. 8. 2019 mit einer E‑Mail an diesen. Diese lautet auszugsweise:

„Ich kann dir nur versichern, wie ich es schon einmal getan habe, dass ich in keinerlei Vereinbarungen, weder mit [dem Glücksspielkonzern], noch mit der FPÖ verwickelt war und bin, die zum Schaden der [Beklagten] oder der Lotterien führen würden!! Ich habe niemals irgendjemandem eine Lizenz versprochen (kann ich gar nicht), noch meine Bereitschaft signalisiert, meinen Einfluss dahingehend geltend zu machen. []

[18] Am 20. 8. 2019 (online) bzw 21. 8. 2019 (Print) erschien in der Tageszeitung „Die Presse“ ein mit dem Kläger geführtes Interview, in dem dieser zu seiner Bewerbung, der Bestellung und vorgeworfenen Absprachen Stellung nahm. Befragt zu den Motiven des Aufsichtsrats der beklagten antwortet der Kläger, [] dann hätten die roten [Beklagten]‑Betriebsräte und die unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder nicht einen Blauen zum Finanzvorstand gemacht“. Befragt zum negativen Bericht des Personalberaters führt er aus, [] Das wurde mit 13 zu fünf Stimmen abgelehnt.“ In der Überschrift des Artikels ist von „Casinos‑Affäre“ die Rede.

[19] Dieser Pressetermin war nicht mit der Generaldirektorin, der dieAußenkommunikation im Unternehmen oblag, abgesprochen worden. Eine Zustimmung hatte sie dem Kläger lediglich zur Führung von Hintergrundgesprächen gegeben. Noch am selben Abend der Veröffentlichung rief die Generaldirektorin den Kläger an, um ihm mitzuteilen, dass sie sein Verhalten für nicht in Ordnung befinde.

[20] Am 21. 8. 2019 wandte sich der Aufsichtsrats-vorsitzende der Beklagten betreffend die Vorfälle rund um die Vorstandsbestellung des Klägers in einem Brief an die Mitglieder des Aufsichtsrats. Er berichtete darin von der Einleitung von Ermittlungen gegen diverse Personen im Zusammenhang mit vermuteten Absprachen zugunsten des Glücksspielkonzerns bei Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied. Er sprach weiters die Empfehlung aus, auf Basis der derzeitigen Sachlage den Kläger nicht zu suspendieren.

[21] Anfang September 2019 beauftragte die Beklagte eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Durchführung einer internen Untersuchung. Geprüft werden sollten zwei Themenkomplexe, und zwar unter anderem die Vorgänge rund um die Bestellung des Klägers inklusive der behaupteten Absprachen. Nicht Gegenstand der Untersuchung war ein mögliches Fehlverhalten des Klägers nach seiner Bestellung. Um nicht den Anschein zu erwecken, die Untersuchung zu behindern, konsumierte der Kläger im Einvernehmen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden seinen Urlaub, wobei er auch einen Urlaubsvorgriff ab 4. 10. bis längstens 30. 11. 2019 vereinbarte. Punkt 2. dieser Vereinbarung lautet:

„2. Sollten im Zuge der derzeit anhängigen Untersuchung schwere Verfehlungen festgestellt werden, die eine einseitige Beendigung des Vorstandsvertrages aus wichtigem Grund rechtfertigen, verpflichtet sich [der Kläger], diesen Urlaubsvorgriff, somit ab 4.10.2019, zurück zu bezahlen. […]

[22] Erstmals am 13. 11. 2019 wurden auszugsweise die Chatprotokolle, die im Akt der WKStA erliegen, in den Medien veröffentlicht. Ab diesem Tag erschienen vor allem im „Standard“, aber auch in den Wochenzeitungen „Falter“ und „profil“ und in Form von APA‑Aussendungen zahlreiche Presseartikel, die sich mit der Bestellung des Klägers zum Vorstand der Beklagten befassten. Darin ist von „Postenschacher“, „Causa Casinos“, „Casinos‑Affäre“, möglichen Gegengeschäften – einem Deal – zwischen der Politik und dem Casinos‑Aktionär N* AG oder Aufsichtsräten als Marionetten der politischen Machthaber die Rede. Aufgrund der intensiven Medienberichterstattung war die Stimmung unter den Mitarbeitern der Beklagten sehr schlecht; sie waren nicht gewohnt, ihr Unternehmen derart kritisch in den Medien dargestellt zu sehen. Der Unmut der Mitarbeiter richtete sich auch gegen den Umstand der Untätigkeit auf Führungsebene. Auch die öffentliche Meinung war negativ. Da Glaubwürdigkeit, Seriosität und Integrität für ein Glücksspielunternehmen von besonderer Bedeutung sind, blieben auch Gäste aus oder konfrontierten die Mitarbeiter mit der negativen Berichterstattung. Von Seiten des Vorstands wurde versucht, durch zahlreiche interne Kommunikationsmaßnahmen Beruhigung in die Belegschaft zu bringen. Da dies nicht gelang, wurde Ende November 2019 eine Managementklausur unter Teilnahme der Direktoren aller Betriebe abgehalten, wo ebenfalls über die katastrophale Stimmung unter den Mitarbeitern und bei den Gästen gesprochen wurde.

[23] Am 2. 12. 2019 fand die 254. (außerplanmäßige) Aufsichtsratssitzung der Beklagten statt, in der unter anderem über die Stellungnahme des Klägers vom 27. 5. 2019 diskutiert wurde.

[24] Direkt im Anschluss an die 254. Aufsichtsratssitzung fand die aus Dringlichkeitsgründen vom Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 4 Abs 3 der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat einberufene 255. (außerplanmäßige) Aufsichtsratssitzung statt. Einziger Tagesordnungspunkt war die Abberufung des Klägers als Vorstandsmitglied aus wichtigem Grund gemäß § 75 Abs 4 AktG. In dieser Sitzung stimmte der Aufsichtsrat mehrheitlich für die Abberufung des Klägers aus wichtigem Grund gemäß § 75 Abs 4 AktG mit sofortiger Wirkung und die Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigem Grund nach § 75 Abs 4 AktG sowie § 27 AngG analog mit sofortiger Wirkung, namentlich wegen grober Pflichtverletzung, schwerer Imageschädigung und Reputationsverlust. Der Beschluss wurde mit der doppelten Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder gefasst. Konkret wurden 13 Stimmen für den Antrag abgegeben, es gab eine Gegenstimme und vier Stimmenthaltungen.

[25] Noch am selben Tag wurde der Kläger vom Aufsichtsvorsitzenden über seine Abberufung und Entlassung telefonisch informiert. Die entsprechende schriftliche Mitteilung vom 3. 12. 2019 wurde dem Kläger durch einen Chauffeur überbracht.

[26] Am 10. 12. 2019 fand die 256. Aufsichtsratssitzung statt, an der alle Aufsichtsratsmitglieder persönlich teilnahmen. Mit doppelter Mehrheit wurde folgender (Bekräftigungs‑)Beschluss gefasst:

„Mehrheitliche Annahme des Antrags auf Widerruf der Bestellung von Herrn [Kläger] zum Vorstandsmitglied aus wichtigem Grund gemäß § 75 (4) AktG mit sofortiger Wirkung für den Fall, dass der Abberufungsbeschluss des Aufsichtsrates vom 2. 12. 2019 wider Erwarten nicht wirksam zustande gekommen sein sollte, sowie Auflösung des Dienstverhältnisses zwischen der Gesellschaft und Herrn [Kläger] als Vorstandsmitglied aus wichtigem Grund (§ 75 (4) AktG sowie § 27 AngG (analog) mit sofortiger Wirkung, namentlich wegen grober Pflichtverletzung, schwerer Imageschädigung und Reputationsverlusts, sollte dieses auf der Grundlage des Aufsichtsratsbeschlusses vom 2. 12. 2019 nicht bereits wirksam aufgelöst worden sein.“

[27] Das Stimmverhalten war ident mit jenem in der 255. Aufsichtsratssitzung.

[28] Über die in den Sitzungen vom 2. 12. und 10. 12. 2019 gefassten Beschlüsse wurde der Kläger mit Schreiben der damaligen Rechtsvertreter der Beklagten vom 11. 12. 2019 verständigt.

[29] Der Kläger begehrt von der Beklagten letztlich eine bereits fällige Kündigungsentschädigung in Höhe von 1.681.120,11 EUR sowie die Feststellung erst künftig fällig werdender Ansprüche auf Kündigungsentschädigung. Seine Abberufung durch den Aufsichtsrat sei ebenso unberechtigt wie die Auflösung seines Dienstverhältnisses. Eine Koppelung von Vorstandsbestellung und Anstellungsverhältnis sei nie vereinbart worden. Abberufungsgründe lägen nicht vor und seien auch verwirkt. In seiner Stellungnahme gegenüber dem Aufsichtsrat vom Mai 2019 liege keine grobe Pflichtverletzung; er habe darin wahrheitsgemäß dargelegt, dass er dem Aufsichtsrat weder vor noch nach seiner Bestellung etwas verheimlicht habe und dass ihm politische Absprachen nicht bekannt gewesen seien. Sein Einstieg (in den Vorstand der Beklagten) sei für den Aufsichtsrat von Anfang an als parteipolitisch erkennbar gewesen. Der Kläger selbst habe sich schon beim ersten Gespräch mit dem Aufsichtsratvorsitzenden der Beklagten auf die „FPÖ“ bezogen. Absprachen, die aus den veröffentlichten Chat‑Protokollen objektiv gar nicht ableitbar seien, müssten stattgefunden haben, bevor sich der Kläger überhaupt in einer Leitungsfunktion befunden habe, und hätten dem Aufsichtsrat oder dessen Mitgliedern, die das Gegenüber solcher Absprachen gewesen wären, bekannt sein müssen. Auch der Abberufungsgrund der Informationsweitergabe liege nicht vor und sei im Übrigen verwirkt. Eine Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung sei nachträglich konstruiert und bei der Abberufung selbst gar nicht geltend gemacht worden.

[30] Die Beklagte entgegnete, die Abberufung des Klägers in der Aufsichtsratssitzung am 2. 12. 2019 sei wegen grober Pflichtverletzung und Unfähigkeit zur Geschäftsführung erfolgt. Eine grobe Pflichtverletzung habe er begangen, weil er in seiner Stellungnahme gegenüber dem Aufsichtsrat im Mai 2019 den politischen Hintergrund seiner Bestellung verschwiegen habe. Die mangelnde Offenheit (wahrheitswidrige Anfragebeantwortung) gegenüber dem Aufsichtsrat habe zum Verlust des Vertrauens in den Kläger bei Aktionären und Aufsichtsratsmitgliedern sowie dazu geführt, dass er als Vorstandsmitglied untragbar geworden sei. Als weitere Pflichtverletzung sei ihm anzulasten, dass er – entgegen seiner Verschwiegenheitspflicht – in einem Zeitungsinterview im August 2019 interne Abstimmungsergebnisse über die Aufsichtsratssitzung vom 28. 3. 2019 und seine Bestellung damit an die Öffentlichkeit weitergegeben habe. Der Beklagten sei durch die weiterlaufende Medienberichterstattung beträchtlicher (Image‑)Schaden entstanden. Statt zur Verhinderung dieses Schadens als amtierender Vorstand der Gesellschaft beizutragen, habe der Kläger den Eindruck hervorgerufen und aufrecht erhalten, er hätte mit der ganzen Sache nichts zu tun. Dadurch habe er erheblichen Anteil am „Dauerbeschuss“ der Medien gehabt, dem die Beklagte seit Mitte 2019 ausgesetzt gewesen sei. Da der Kläger sich dauerhaft im Fokus medialer Turbulenzen befunden habe, habe er seine Vorstandsfunktion, zumal ohne nachhaltigen schweren Schaden für das Unternehmen, nicht mehr ordnungsgemäß ausüben können. Diese Einschränkung oder Behinderung erfülle den Tatbestand der Unfähigkeit der Geschäftsführung. Aus dem Bestellungsprozess hätten sich überdies ein latentes Risiko politischer Beeinflussung von Vorstandsentscheidungen durch diejenigen Personen, denen der Kläger seine Bestellung verdanke, sowie ein akutes Risiko strafrechtlicher Verfolgung des Klägers ergeben. Die Abberufung durch den Aufsichtsrat habe der Kläger nicht angefochten, sodass aufgrund der vertraglichen Koppelungsklausel automatisch auch sein Vorstandsvertrag geendet habe.

[31] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dem Kläger sei die Stellungnahme vom Mai 2019, wonach er sich nicht in der Rolle sehe, zur parlamentarischen Anfrage der NEOS Aufklärung leisten zu können, als „mangelhafte Offenheit“ gegenüber dem Aufsichtsrat anzulasten. Diese habe infolge der Medienberichterstattung zu einer massiven Schädigung des Rufs der Beklagten geführt, die der Berichterstattung mangels eines Beitrags des Klägers dazu nicht entgegentreten habe können. Von einem ordnungsgemäß handelnden Vorstandsmitglied wäre zu fordern gewesen, dass es sämtliche ihm bekannten Kontakte im Vorfeld seiner Bestellung, die eine politische Dimension aufgewiesen hätten, offengelegt hätte. Das Wissen einzelner Aufsichtsratsmitglieder könne nicht dem Gesamtaufsichtsrat zugerechnet werden und den Kläger nicht von der ihn persönlich treffenden Offenheitsverpflichtung befreien. Der Abberufungsgrund habe auch einen Entlassungstatbestand verwirklicht; eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei in Anbetracht der Krise, in die das Unternehmen der Beklagten geschlittert sei, objektiv unzumutbar gewesen.

[32] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der „Vorstandsvertrag“ der Parteien habe eine Koppelungsklausel in Sinn einer (automatischen) Auflösung des Anstellungsvertrags gleichzeitig mit der Abberufung durch den Aufsichtsrat nicht enthalten. Es habe daher einer (gesonderten) Erklärung der außerordentlichen Kündigung bedurft, die hier durch den auch dafür zuständigen Aufsichtsrat auch erfolgt und dem Kläger gleichzeitig mit der Verständigung von seiner gesellschaftsrechtlichen Abberufung zugegangen sei. Im Vorstandsvertrag sei vorgesehen, dass der Vorstandsvertrag von jeder Partei aus wichtigem Grund jederzeit vorzeitig „bei vorzeitiger Beendigung aller Ansprüche aus dem Vertrag“ aufgelöst werden könne, sowie, dass die §§ 26 und 27 AngG sinngemäß anzuwenden seien. Als „wichtiger Grund“ würden nach diesem Vertragspunkt ausdrücklich auch die in § 75 Abs 4 AktG angeführten Fälle gelten, und seien die „Widerrufsgründe“ des § 75 Abs 4 AktG hier kraft Vereinbarung zu den regelmäßig in einem subjektiv vorwerfbaren Verhalten bestehenden Entlassungsgründen des § 27 AngG hinzugetreten. Ein Beschluss der Hauptversammlung, mit dem dem Kläger das Vertrauen entzogen worden wäre, sei nicht gefasst worden, sodass als „wichtiger Grund“ für den Widerruf gemäß § 75 Abs 4 AktG noch eine grobe Pflichtverletzung und die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung in Betracht kämen. Eine grobe Pflichtverletzung sei – entgegen der Auffassung des Erstgerichts – in der klägerischen Stellungnahme gegenüber dem Aufsichtsratspräsidium vom 27. 5. 2019 nicht verwirklicht. Zu politischen Interventionen im Hinblick auf seine Bestellung zum Vorstandsmitglied habe er sich darin nämlich überhaupt nicht geäußert und sei er in der E‑Mail des Aufsichtsratsvorsitzenden vom 25. 5. 2019 danach auch nicht ausdrücklich gefragt worden. Die „mangelnde Offenheit“ bei den (politischen) Hintergründen seiner Bestellung hätte ihm, wenn überhaupt, nur dann als eine grobe Pflichtverletzung vorgeworfen werden können, wenn er auf nochmalige Nachfrage bei seiner Auskunftsverweigerung in diesem Punkt geblieben wäre. Bei der Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung komme es nicht auf ein Verschulden an; die Unfähigkeit könne auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruhen. Die festgestellte, auch gerichtsbekannte, monatelange öffentliche Berichterstattung über die „politische Bestellung“ des Klägers infolge der „Ibiza‑Affäre“ habe dessen Reputation nachhaltig beeinträchtigt. Seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied der Beklagten in diesem Jahr sei eine Intervention des damaligen Vizekanzlers vorausgegangen, der als solcher kurz nach der Bestellung des Klägers wegen der „Ibiza‑Affäre“ (Mai 2019) zurücktreten habe müssen, die letztlich zur Amtsenthebung der gesamten Regierung und zu Neuwahlen sowie der Einrichtung von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen geführt und eine nach wie vor in Gang befindliche, breite öffentliche Diskussion um politische Korruption und auch über „Postenschacher“ ausgelöst habe. Diese anhaltende, ab der Veröffentlichung von „Chat‑Protokollen“ ab 13. 11. 2019 noch erheblich verstärkte Medienberichterstattung über die „politische Bestellung“ des Klägers, gegen den zudem schon im Sommer 2019 strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden seien, habe dazu geführt, dass nicht nur dieser, sondern auch die Beklagte über viele Monate im Mittelpunkt – negativer – medialer Aufmerksamkeit gestanden sei (Stichworte: „Postenschacher“, „Causa Casinos“, „Casino‑Affäre“). Das habe einen Imageverlust sowie eine massive interne Unruhe im Unternehmen der Beklagten ausgelöst. Diese festgestellten Umstände hätten dazu geführt, dass der Kläger jedenfalls ab Mitte/Ende November 2019 wegen der Medienberichterstattung über Vorgänge um seine Bestellung als Vorstandsmitglied der Beklagten auf unabsehbare Zeit nicht mehr zumutbar gewesen sei; mit anderen Worten sei zu dieser Zeit ein mit seiner Person verbundener Zustand eingetreten, der für die Beklagte schadensträchtig und einer Unfähigkeit des Klägers zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung gleich zu halten gewesen sei. Auf ein Verschulden des Klägers komme es nicht an. Ein hinreichender Grund für seine Entlassung (wie Abberufung) sei gemäß § 75 Abs 4 2. Fall AktG allein darin gelegen, dass der Kläger – objektiv – auf längere Sicht nicht mehr ohne weitere Nachteile für die Gesellschaft seine Funktion als Vorstandsmitglied erfüllen habe können, was sich frühestens Mitte November 2019 mit der ersten auszugsweisen Veröffentlichung von „Chat‑Protokollen“ manifestiert habe.

[33] Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein der Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung gleichzuhaltender (objektiver) Widerrufsgrund im Sinn des § 75 Abs 4 AktG auch durch eine anhaltend negative Medienberichterstattung über die Bestellung eines Vorstandsmitglieds verwirklicht sein könne.

Rechtliche Beurteilung

[34] Die Revision des Klägers istzulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[35] 1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[36] 2.1. In der von der Revision ins Treffen geführten Entscheidung 1 Ob 190/09m erachtete der Oberste Gerichtshof eine Koppelungsklausel, mit der der Anstellungsvertrag eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft bei Abberufung als Vorstandsmitglied automatisch endet, für grundsätzlich zulässig, sprach aber aus, die Klausel dürfe nicht dazu führen, dass der (freie) Dienstnehmer den gesetzlichen Mindestschutz der §§ 1159 ff ABGB gänzlich verliere, indem sämtliche Ansprüche unverzüglich erlöschten. Auch dem (ehemaligen) Vorstandsmitglied komme jener gesetzliche Mindestschutz zu, den auch das Dienstvertragsrecht des ABGB – im Zusammenhang mit der (vom Dienstnehmer nicht verschuldeten) Auflösung unbefristeter Dienstverhältnisse – vorsehe (§§ 1159 ff ABGB). Das Anstellungsverhältnis ende im Fall unverschuldeter Abberufung daher erst nach Ablauf der gesetzlichen (oder vertraglich bedungenen längeren) Frist zum nächstmöglichen Kündigungstermin.

[37] 2.1.1. Diese Entscheidung ist jedoch nicht einschlägig: Im vorliegenden Fall liegt keine Koppelungsklausel im Sinn einer automatischen Beendigung des Anstellungsverhältnisses aufgrund einer erfolgten Abberufung vor; vielmehr muss die Entlassung gesondert ausgesprochen werden.

[38] 2.1.2. Obwohl die Entscheidung 1 Ob 190/09m auf den ersten Blick nach dem Verschulden des Vorstandsmitglieds differenziert, das für eine Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 75 Abs 4 AktG gerade nicht vorausgesetzt wird, war dort entscheidend, dass dem im Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung liegenden Grund nicht das Gewicht eines Entlassungsgrundes beigemessen wurde.

[39] 2.1.3. Die „Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung“ ist aber nicht nur ein Abberufungsgrund, sondern kann auch – in sinngemäßer Anwendung des § 27 Z 2 AngG (die hier gemäß Punkt X.[2] des Vorstandsvertrags auch vereinbart wurde) – die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags rechtfertigen (J. Reich‑Rohrwig/Szilagyi in Artmann/Karollus, AktG II6 Anh zu § 75 Rz 186 [Stand 1. 10. 2018, rdb.at]), bei der es regelmäßig ebenso wenig auf ein Verschulden des Arbeitnehmers ankommt (vgl 8 ObA 46/08k). Da der Anstellungsvertrag aber auch bei einer solchen Entlassung fristlos beendet wird (vgl RS0028558), kann es auf die Verschuldensfrage nicht entscheidend ankommen. Zwar ist dieser Abberufungsgrund nicht in jedem Fall mit dem Entlassungsgrund deckungsgleich (allgemein Steiner, Das erkrankte Vorstandsmitglied und die „Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung“ nach § 75 Abs 4 AktG, ZfG 2021, 87 [87 ff]). Gegenständlich wurde aber in Punkt X.(2) des Vorstandsvertrags vereinbart, dass dieser aus wichtigem Grund jederzeit vorzeitig aufgelöst werden kann, die §§ 26 und 27 AngG sinngemäß anzuwenden sind und als wichtiger Grund insbesondere die in § 75 Abs 4 AktG angeführten Fälle gelten.

[40] 2.2. Anders als das ABGB konkretisiert das Angestelltengesetz die wichtigen Gründe durch eine demonstrative Aufzählung (§§ 26 f AngG), woraus sich die grundsätzliche Zulässigkeit der Vereinbarung zusätzlicher Austritts- oder Entlassungsgründe ergibt. Dies setzt aber voraus, dass die zusätzlich festgelegten Gründe in ihrem objektiven Gewicht den Tatbeständen des § 27 AngG gleichwertig sind (Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 27 AngG Rz 1 [Stand 1. 1. 2018, rdb.at]; ders in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 25 AngG Rz 3 [Stand 1. 1. 2018, rdb.at]; vgl auch 9 ObA 98/04h). Maßstab für die Beurteilung zusätzlich vereinbarter wichtiger Gründe ist die Unzumutbarkeit für die jeweilige Vertragspartei, das Arbeitsverhältnis auch nur für den Rest der vereinbarten Zeit oder die Dauer der Kündigungsfrist fortzusetzen (Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 25 AngG Rz 4). Diese Gleichwertigkeit der hier zusätzlich in Form des Verweises auf § 75 Abs 4 AktG vereinbarten Beendigungsgründe ist angesichts der Anforderungen an die Annahme einer Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung (dazu 3.2.; siehe J. Reich‑Rohrwig/Szilagyi in Artmann/Karollus, AktG II6 § 75 Rz 221 ff [Stand 1. 10. 2018, rdb.at]; Eckert/Schopper/Madari in Eckert/Schopper, AktG‑ON1.00 § 75 Rz 30 [Stand 1. 7. 2021, rdb.at]; Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 § 75 Rz 22 [Stand 1. 6. 2021, rdb.at]; Adensamer/Bertsch in Napokoj/Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG [2019] § 75 Rz 16) und der doch starken Vergleichbarkeit mit dem Entlassungsgrund des § 27 Z 2 AngG (dazu allgemein Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 27 AngG Rz 59 ff) zu bejahen, weshalb sich die vom Berufungsgericht getroffene Annahme eines Hinzutretens der Widerrufsgründe des § 75 Abs 4 AktG zu den in § 27 AngG genannten Gründen zumindest im Hinblick auf die „Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung“ als zutreffend erweist.

[41] 2.3. Zwar muss dies nicht für den hier tatsächlich in Rede stehenden weiteren Abberufungsgrund einer Abberufung auf Druck Dritter gelten (dazu 3.3.); im Hinblick auf die Annahme einer groben Pflichtverletzung (dazu 4.1. ff) ist aber davon auszugehen, dass auch diesem (überdies verschuldeten) Abberufungsgrund das Gewicht eines Entlassungsgrundes beizumessen ist, zumal nach gefestigter Rechtsprechung auch an das Verhalten von Arbeitnehmern in leitender Position, etwa bei der Verwirklichung einer Vertrauensunwürdigkeit, ein strenger Maßstab angelegt wird (vgl 9 ObA 68/99m; RS0029341; RS0029652; vgl etwa § 27 Z 1 AngG: Entlassung wegen Untreue bei vorsätzlichem und pflichtwidrigem Verstoß gegen die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers [vgl RS0029375]; Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit, wenn infolge des Verhaltens des Arbeitnehmers vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens für den Arbeitgeber die objektiv gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine Interessen und Belange durch den Arbeitnehmer gefährdet seien [vgl RS0029833]; allgemein weitergehendSlezak, Koppelungsklauseln in Vorstandsverträgen [2014], der zum freien Dienstvertrag darauf hinweist, dass mangels zwingender Vorschriften auch die Vereinbarung anderer [objektiv unwichtiger] Gründe zulässig sei [328 f], und generell dazu tendiert, mit dem Ende der Organstellung infolge einer Abberufung die Verwirklichung des Entlassungsgrundes der Dienstunfähigkeit im Sinn eines Wegfalls der rechtlichen Voraussetzungen anzunehmen [260 ff]).

[42] 3.1. Soweit die Revision umfangreich zum Abberufungsgrund der Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung argumentiert, ist zunächst festzuhalten, dass das Berufungsgericht nicht diesen Abberufungsgrund angenommen, sondern sich auf einen diesem „gleich zu haltenden“ Grund berufen hat.

[43] 3.2. Die in Judikatur und Schrifttum genannten Gründe für eine Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung sind ganz überwiegend in der Person des Vorstandsmitglieds selbst gelegen (siehe nur die bei J. Reich‑Rohrwig/Szilagyi in Artmann/Karollus, AktG II6 § 75 Rz 224 genannten Bespiele: lang andauernder Krankenstand; Alkohol‑, Medikamenten‑ oder Drogenabhängigkeit; Fehlen der erforderlichen Fachkenntnisse; Unzuverlässigkeit im gewerberechtlichen Sinn, die für die Gesellschaft zur Versagung öffentlich-rechtlicher Genehmigungen führen kann; Unverträglichkeit, die die kollegiale Zusammenarbeit im Vorstand gefährdet oder ausschließt; Unfähigkeit der Bewältigung von Sonderlagen, wie etwa einer gebotenen Sanierung; nicht bloß vorübergehender Wegfall oder der Nicht‑Eintritt der satzungsmäßigen oder gesetzlichen Eignungsvoraussetzungen).

[44] 3.3.1. Der Katalog der Abberufungsgründe in § 75 AktG ist aber demonstrativ (RS0110181). Die gegenständliche Situation ist am ehesten mit jener zu vergleichen, die vor allem in Deutschland unter dem Stichwort der „Abberufung auf Druck Dritter“ diskutiert wird. Dieses Problem stellt sich erst, wenn ein Widerrufsgrund im herkömmlichen Sinn fehlt, wobei die Schwelle des § 84 Abs 3 Satz 1 dAktG (entspricht § 75 Abs 4 AktG) nur in jenen seltenen Fällen überschritten sein wird, in denen der Gesellschaft durch eine andauernde öffentliche Diskussion schwerer Schaden droht (so Fleischer in Spindler/Stilz, AktG4 [2019] § 84 Rn 122; ders, Zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern auf Druck Dritter, DstR 2006, 1507 [1507 ff]; vgl auch Spindler in MünchKomm AktG4 [2014] § 84 Rn 136).

[45] 3.3.2. Angesichts der weitgehenden Entsprechung von § 84 dAktG und § 75 AktG kann auch für das österreichische Recht auf den deutschen Meinungsstand zurückgegriffen werden (so jüngst Wünscher, Die Abberufung von Vorstandsmitgliedern auf Druck Dritter – ein Überblick, ARaktuell 2022, 218 [218 ff]). In der österreichischen Literatur werden Fälle, die nach deutscher Terminologie unter die „Abberufung auf Druck Dritter“ fallen, vereinzelt unter den „sonstigen Abberufungsgründen“ (J. Reich‑Rohrwig/Szilagyi in Artmann/Karollus, AktG II6 § 75 Rz 237; Schima, Der Aufsichtsrat als Gestalter des Vorstandsverhältnisses [2016] Rz 473) bzw im Zusammenhang mit Abberufungsverlangen durch die Finanzmarktaufsicht bei Kreditinstituten auch als „Unfähigkeit zur ordentlichen Geschäftsführung“ behandelt (Schima, Aufsichtsrat Rz 467; Wünscher, ARaktuell 2022, 219; Nowotny [in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 § 75 Rz 22] weist zum Unfähigkeitstatbestand auch darauf hin, dass der nachhaltige Wunsch eines wesentlichen Kunden oder einer für die Finanzierung wichtigen Bank sowie auch der Aufsichtsbehörde einen Abberufungsgrund darstellen könne, wenn sonst der Gesellschaft ein erheblicher Nachteil droht).

[46] 3.3.3. Unter Hinweis auf die bei der Abberufung von Vorstandsmitgliedern auf Druck Dritter zu berücksichtigenden Schutzziele der Unabhängigkeit des Vorstands bei der Geschäftsleitung und der Verteidigung der Verbandssouveränität gelangt Wünscher (ARaktuell 2022, 222; im Einklang mit dem deutschen Meinungsstand) auch für die österreichische Rechtslage zum Ergebnis, dass ein Abberufungsverlangen Dritter nur bei Existenzgefährdung der Gesellschaft oder bei einem unmittelbar bevorstehenden schweren Schaden für die Gesellschaft einen wichtigen Grund zur Abberufung darstellen könne. Richtschnur für den Aufsichtsrat bei seiner Entscheidung in solchen Konstellationen sei die Wahrung des Gesellschaftsinteresses und die Abwendung von Schäden für die Gesellschaft. Dementsprechend stellt eine Kritik oder ein Abberufungsverlangen durch Politiker oder Finanzanalysten für sich genommen keinen wichtigen Grund zur Abberufung dar, außer wenn der Gesellschaft durch anhaltende Auseinandersetzung irreparable Schäden drohen (Fleischer in Spindler/Stilz, AktG4 § 84 Rn 122; ders, DStR 2006, 1507 ff; vgl auch Spindler in MünchKomm AktG4 § 84 Rn 136). Auch der deutsche Bundesgerichtshof gelangte zu II ZR 298/05 zum Ergebnis, dass die Forderung der Hausbank, ein bestimmtes Vorstandsmitglied abzuberufen, andernfalls eine für die Aktiengesellschaft lebenswichtige Kreditlinie nicht verlängert werde, jedenfalls bei bestehender Insolvenzreife der Gesellschaft ein wichtiger Grund für eine Abberufung im Sinn des § 84 Abs 3 Satz 1 dAktG ist.

[47] 3.3.4. Gegenständlich ist aber zu beurteilen, ob eine solche (allenfalls berechtigte, jedenfalls nicht bekämpfte) Abberufung auf Druck Dritter zugleich einen Grund für eine „Druckentlassung“ bzw „Druckkündigung“ darstellt. Für die fristlose „Druckkündigung“ werden in Deutschland strengere Maßstäbe als für die Druckabberufung angelegt (vgl Fleischer in Spindler/Stilz, AktG4 § 84 Rn 158; Spindler in MünchKomm5 § 84 Rn 190). Danach bildet etwa ein rechtswidriger Streik mit dem Ziel der Entfernung eines Vorstandsmitglieds, das sich sozialgerecht verhalten hat, im Allgemeinen keinen wichtigen Grund zur fristlosen Entlassung des Vorstandsmitglieds (BGH II ZR 24/60). Anders liegt es nur, wenn der Druck der Arbeitnehmerschaft aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen, zB wegen mangelnder Fähigkeit zur Personalführung, eine gewisse Berechtigung hat (BAG 2 AZR 158/95; umgekehrt kann sich der Arbeitgeber nicht auf eine die Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer herbeiführende Drucksituation berufen, wenn er diese selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat [BAG 2 AZR 244/61]; auch wenn [ein Teil der] Belegschaft unter der Androhung der Arbeitsniederlegung vom Arbeitgeber die Entlassung eines Arbeitnehmers verlangt und der Arbeitgeber dem nachgibt, ist eine auf einen solchen Sachverhalt gegründete außerordentliche Kündigung rechtsunwirksam, wenn der Arbeitgeber nichts getan hat, die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen [BAG 2 AZR 311/74]). Auch der Druck eines Lieferanten oder eines Kreditgebers mit dem Ziel, einen missliebigen Geschäftsleiter zu entfernen, kann allenfalls dessen Abberufung, nicht jedoch die fristlose Kündigung seines Dienstverhältnisses rechtfertigen (BGH II ZR 35/98; OLG München 23 U 1949/05).

[48] 3.3.5. Zwar ist die Tragweite der hier festgestellten (und überdies notorischen) medialen Berichterstattung erheblich. Eine Existenzgefährdung der Beklagten oder deren unmittelbar bevorstehende schwere Schädigung lässt sich dem festgestellten Sachverhalt jedoch nicht entnehmen.

[49] 3.3.6. Vor diesem Hintergrund erscheint die berufungsgerichtliche Annahme, der Abberufungsgrund stelle zugleich einen Entlassungsgrund dar, der der Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung im Sinn des § 75 Abs 4 AktG gleich zu halten sei, zweifelhaft. Ob dies der Fall ist, kann aber offen bleiben, weil sich die fristlose Entlassung des Klägers aus anderen, im Wesentlichen schon vom Erstgericht vertretenen Erwägungen als gerechtfertigt erweist:

[50] 4.1. Zu grober Pflichtverletzung zählt auch mangelnde Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat (6 Ob 38/12t [Pflichtverletzung in Form eines Treuebruchs durch mangelnde Offenheit]; 1 Ob 11/99w; RS0112071).

[51] Nach den Feststellungen leitete der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten die parlamentarische Anfrage vom 23. 5. 2019 an den Kläger weiter, die explizit unter anderem die Fragen enthielt, ob seitens hochrangiger Funktionäre der FPÖ oder diesen nahestehender Personen Druck auf den Aufsichtsrat der Beklagten ausgeübt wurde, um den Kläger in deren Vorstand zu bringen (Frage Nr 27); ob der Bundesminister es für ausgeschlossen halte, dass die politische Zugehörigkeit der einzelnen Kandidaten ein wesentlicher Faktor für deren Bestellung war (Frage Nr 31) und, dass zugunsten einzelner Kandidaten beim Bundesminister oder im Aufsichtsrat der Beklagten politisch interveniert wurde (Frage Nr 32), und ob der Bundesminister Wahrnehmungen zu politischen Interventionen bezüglich der Bestellung der neuen Vorstandsmitglieder hat (Frage Nr 33).

[52] Dazu ersuchte der Aufsichtsratsvorsitzende den Kläger, diese Anfrage schriftlich zu kommentieren und „uns zu informieren, ob es da Themen gibt, die wir wissen müssen“.

[53] Hierauf antwortete der Kläger am 25. 5. 2019 auszugsweise, dass er sich hier „nicht in der Rolle [sehe], Aufklärung leisten zu können. In den Raum gestellte politische Absprachen sind mir nicht bekannt und wären, so es derartiges gegeben haben soll, eher vom Aufsichtsrat zu kommentieren und zu beurteilen […].“ Weiters bekräftigte er am 14. 8. 2019 gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden: „Ich kann dir nur versichern, wie ich es schon einmal getan habe, dass ich in keinerlei Vereinbarungen, weder mit [dem Glücksspielkonzern] noch mit der FPÖ verwickelt war und bin, die zum Schaden der [Beklagten] oder der Lotterien führen würden!! […].

[54] 4.2. Der Kläger brachte mit diesen seinen Äußerungen (insbesondere jener vom 25. 5. 2019) nicht bloß zum Ausdruck, dazu derzeit nichts sagen zu wollen; er verwies auch nicht schlicht auf das Wissen des Aufsichtsrats, vielmehr hielt er explizit fest, dass ihm politische Absprachen im Zusammenhang mit seiner Bestellung nicht bekannt seien, womit er die Unwahrheit sagte: Denn es steht fest, dass dem Kläger, selbst wenn er nicht über alle ausgetauschten Nachrichten im einzelnen Bescheid wusste, bekannt war, welche Personen in seinen Bewerbungsprozess involviert waren, wer sich mit wem darüber austauschte und insbesondere, dass der Vorstandsvorsitzende des Glücksspielkonzerns dem Vizekanzler zugesagt hatte, ihn als Kandidaten vorzuschlagen und sich nach Kräften für seine Wahl einzusetzen. Dem Kläger war bewusst, dass seine Mitgliedschaft bei der FPÖ ausschlaggebend für die ihm zuteil werdende Unterstützung war.

[55] 4.3. Angesichts der an den Kläger als Vorstandsmitglied gerichteten Anfrage zur Kommentierung kommt es auch auf den Wissensstand eines Aufsichtsratsmitglieds nicht entscheidend an, zumal (auch) der Aufsichtsratsvorsitzende über die Kontakte zwischen Vizekanzler und Vorstandsvorsitzendem und die Tatsache, dass letzterer ersterem sein Wort gegeben hatte, den Kläger als Vorstandskandidaten des Glücksspielkonzerns zu nominieren, nicht Bescheid wusste.

[56] 4.4. Zum für das Berufungsgericht nicht erkennbaren Nachteil, der durch die Information über Interventionen zugunsten des Klägers von der Beklagten abgewendet hätte werden können, ist auf die vom Obersten Gerichtshof zu 6 Ob 83/12t (ErwGr 3.2.) gebilligte Beurteilung des dortigen Berufungsgerichts zu verweisen, wonach der dortige Kläger seine Position im Unternehmen der dortigen Beklagten auch objektiv betrachtet für eigene persönliche Interessen missbraucht und seine Verpflichtung zur Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat verletzt hatte. Das Ausmaß des (drohenden) Schadens der dortigen Beklagten sei dabei ebenso wenig maßgeblich wie der Grad seines Verschuldens oder die Beharrlichkeit seines verpönten Verhaltens, zumal nicht die Person unzumutbar sein müsse, sondern die Fortsetzung des Organverhältnisses.

[57] Ein gesonderter Nachteil im Sinn eines bezifferbaren Schadens ist für das Vorliegen einer solchen groben Pflichtverletzung demnach nicht erforderlich (vgl auch Schima, Aufsichtsrat Rz 451, wonach es bei einer Verletzung der Treue- und Loyalitätspflichten irrelevant sei, ob die Gesellschaft geschädigt wurde; maßgeblich sei bloß die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses).

[58] 4.5. Die mangelnde Offenheit eines Vorstandsmitglieds gegenüber dem Aufsichtsrat ist jedenfalls im gegenständlichen Zusammenhang eine Verletzung einer Vorstandspflicht: Der Oberste Gerichtshof leitet die grobe Pflichtwidrigkeit einer mangelnden Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat daraus ab, dass dieser zufolge § 95 Abs 2 AktG berechtigt ist, jederzeit vom Vorstand einen Bericht über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu verlangen (RS0112071). Gemäß dieser Berichtspflicht ist der Vorstand verpflichtet, immer dann von sich aus sachlich richtig, klar gegliedert, übersichtlich und vollständig Bericht zu erstatten, wenn die Zuständigkeit des Aufsichtsrats berührt wird (Eckert/Schopper in Artmann/Karollus, AktG II6 § 95 Rz 13 [Stand 1. 10. 2018, rdb.at]). Gegenstand des angeforderten Berichts können dabei alle „Angelegenheiten der Gesellschaft“ sein (Eckert/Schopper in Artmann/Karollus, AktG II6 § 95 Rz 17; Brogyanyi/Rieder in Napokoj/Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG [2019] § 95 Rz 8). Eine rechtsmissbräuchliche Anforderung – zB wenn darüber kürzlich bereits vollständig berichtet wurde – soll nach herrschender Lehre abgelehnt werden können; im Übrigen obliegt die Entscheidung, welche Informationen für die Überwachung relevant sind, dem Ermessen des Aufsichtsrats, sodass der Vorstand den Bericht nicht mit der Behauptung ablehnen kann, dass der abgefragte Gegenstand aus seiner Sicht nichts mit der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats zu tun habe (Eckert/Schopper in Artmann/Karollus, AktG II6 § 95 Rz 14; Brogyanyi/Rieder in Napokoj/Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG § 95 Rz 9).

[59] Da dem Aufsichtsrat die Personalhoheit über den Vorstand zukommt (§ 75 AktG), sind die gegenständlich erfragten Umstände anlässlich der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied von dessen Auskunftspflicht umfasst. Der Kläger hat überdies aber nicht bloß – allenfalls unter Verweis auf eine rechtsmissbräuchliche Anforderung – einen Kommentar abgelehnt, sondern vielmehr wahrheitswidrig behauptet, nichts von politischen Absprachen gewusst zu haben.

[60] 4.6. Ein pflichtbewusst und redlich handelndes Vorstandsmitglied musste schon allein aufgrund der Existenz einer parlamentarischen Anfrage und möglicher politischer Interventionen betreffend seine Bestellung sowie angesichts der damit verbundenen Brisanz insbesondere bei einem Unternehmen wie der Beklagten und der bereits zum damaligen Zeitpunkt als notorisch anzusehenden Tragweite des „Ibiza‑Videos“ einschließlich der Aussage („[Der Glücksspielkonzern] zahlt alle“) erkennen, dass er in einer solchen Situation gegenüber dem konkret anfragenden Aufsichtsrat verpflichtet ist, seinen diesbezüglichen Kenntnisstand offenzulegen.

[61] 4.7. Der Kläger hat sich daher mit dem dargestellten wahrheitswidrigen Bestreiten einschlägiger Kenntnisse gegenüber dem Aufsichtsrat einer groben Pflichtverletzung schuldig gemacht, wodurch der Abberufungsgrund des § 75 Abs 4 AktG verwirklicht ist.

[62] Dieser Abberufungsgrund wurde – wie bereits ausgeführt (oben 2.3.) – als eigenständiger (und angesichts der Tatbestände der Untreue bzw Vertrauensunwürdigkeit des Arbeitnehmers nach § 27 Z 1 AngG zumindest auch gleichwertiger) Entlassungsgrund im Vorstandsvertrag definiert, wobei auch nach der Judikatur zu § 27 Z 1 AngG für das Vorliegen des Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit weder ein Schadenseintritt noch eine Schädigungsabsicht Voraussetzung ist (9 ObA 58/23d; RS0029531). Damit lag auch ein ausreichender Grund für die vorzeitige Auflösung des freien Dienstvertrags mit dem Kläger vor, zumal diesbezüglich ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl 9 ObA 68/99m).

[63] 5. Nach den Feststellungen war der Beklagten die mangelnde Offenheit mit Veröffentlichung der „Chat‑Protokolle“ am 13. 11. 2019 bekannt. Die Abberufung und Entlassung des Klägers erfolgte in der Aufsichtsratssitzung am 2. 12. 2019, was im Hinblick auf die Unternehmensstruktur (vgl RS0029328) im Einzelfall (vgl RS0031571) rechtzeitig war, zumal der Unverzüglichkeitsgrundsatz dabei nicht überspannt werden darf (vgl RS0031587).

[64] 6. Auf die formalen Einwendungen gegen die Beschlussfassung und Vertragsauflösung kommt die Revision nicht mehr zurück, weshalb darauf nicht einzugehen ist.

[65] 7. Das klagsabweisende Urteil des Berufungsgerichts erweist sich somit im Ergebnis als zutreffend. Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

[66] 8. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

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