OGH 6Ob216/23t

OGH6Ob216/23t20.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* B*, geboren am *, vertreten durch Gottgeisl Leinsmer Weber Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei N* Limited, *, Malta, vertreten durch Mag. Marcus Marakovics, Rechtsanwalt in Wien, wegen 39.060,99 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Oktober 2023, GZ 1 R 123/23g‑26, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00216.23T.1120.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

1. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

2. Der Antrag der beklagten Partei auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV vor dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte bietet von ihrem Sitz in Malta aus über die von ihr betriebene Website Dienstleistungen im Bereich des Glücksspiels an. Sie verfügt jedoch über keine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielrecht. Der Kläger nahm an von der Beklagten veranstalteten Online‑Glücksspielen teil und erlitt im Zeitraum Mai 2019 bis November 2021 einen Wettspielverlust in Höhe des Klagsbetrags.

[2] Die Vorinstanzen gaben der auf die Unwirksamkeit der Glücksspielverträge gestützten und die Rückzahlung der erlittenen Verluste gerichteten Klage statt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

[4] 1. Verbotene Spiele erzeugen nicht einmal eine Naturalobligation. Der Verlierer kann nach gefestigter Rechtsprechung die gezahlte Wett- oder Spielschuld zurückfordern, ohne dass dem § 1174 Abs 1 Satz 1 oder § 1432 ABGB entgegenstünden, weil die Leistung nicht „zur Bewirkung“ der unerlaubten Handlung, sondern als „Einsatz“ erbracht wurde. Den Rückforderungsanspruch zu verweigern, widerspräche dem Zweck der Glücksspielverbote (6 Ob 50/22d [Rz 19]; 1 Ob 182/22d [Rz 7]; 7 Ob 102/22h [Rz 4]; RS0025607 [T1]). Damit ist § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB schon seinem Wortlaut nach nicht anwendbar. Darauf, ob der Spieler durch die Teilnahme am verbotenen Spiel einen Verwaltungsstraftatbestand erfüllt, konkret § 52 Abs 5 GSpG, kommt es daher nicht an (6 Ob 50/22d [Rz 20]; 1 Ob 182/22d [Rz 9]; 2 Ob 171/22v [Rz 3]; 7 Ob 102/22h [Rz 5]). Gegenteiliges kann auch aus der Entscheidung 5 Ob 506/96 nicht abgeleitet werden (1 Ob 25/23t; 2 Ob 221/22x).

[5] 2. Es wurde bereits mehrmals vom Obersten Gerichtshof erläutert, dass der Verbotszweck die Rückabwicklung erfordert (6 Ob 207/21s [Rz 15]; 9 Ob 79/21i [Rz 15]), wenn sich das Verbot – wie hier – gegen den Leistungsaustausch an sich wendet und es den Schutz der Spieler bewirken soll (6 Ob 229/21a [Rz 23]; 9 Ob 79/21i [Rz 15]). Im Hinblick auf die Zielsetzung des Glücksspielgesetzes wird der Rückforderungsanspruch des Spielers nach gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs durch die Kenntnis des Leistenden von der Nichtschuld nicht ausgeschlossen (6 Ob 229/21a [Rz 23]; 6 Ob 207/21s [Rz 15]; 9 Ob 79/21i [Rz 15]; 2 Ob 17/22x [Rz 8 f]). Vielmehr besteht der Rückforderungsanspruch des Spielteilnehmers auch dann, wenn ihm die Ungültigkeit seiner Verpflichtung bekannt war (1 Ob 52/22m [Rz 10]; vgl auch 6 Ob 200/22p).

[6] 3. Dass deutsche Amts- und Landgerichte unter Zugrundelegung der deutschen Rechtslage (§ 817 Satz 2 BGB) allenfalls eine Rückforderung ausgeschlossen haben, bietet keine Grundlage dafür, von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur österreichischen Rechtslage abzugehen (1 Ob 182/22d [Rz 11]; 9 Ob 54/22i [Rz 16]).

[7] 4. Der Oberste Gerichtshof geht – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – in ständiger Judikatur davon aus, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt den vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (etwa 6 Ob 77/23a; 1 Ob 172/22h; 6 Ob 59/22b; 7 Ob 102/22h; 1 Ob 74/22x). Die behaupteten Feststellungsmängel liegen nicht vor.

[8] 5. Auch der Hinweis auf die Aufhebung von Teilen des § 25 Abs 3 GSpG durch den Verfassungsgerichtshof (G 259/2022) ändert an dieser Beurteilung nichts. Mag der Gesetzgeber durch das (primäre) Abstellen (nur) auf die Einholung einer Bonitätsauskunft den unionsrechtlich gebotenen Spielerschutz von Spielbankbesuchern auch nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise verwirklicht haben, bedeutet dies noch nicht, dass dieses Anliegen im Glücksspielrecht als Ganzem nicht in kohärenter Weise verfolgt würde. Aus der teilweisen Verfassungswidrigkeit bloß einer Einzelregelung zum Spielerschutz im Bereich der Spielbanken kann nicht abgeleitet werden, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen – entgegen der bisher ständigen Rechtsprechung – unionsrechtswidrig wäre (3 Ob 69/23b; 2 Ob 23/23f).

[9] 6. Der Antrag der Beklagten auf neuerliche Befassung des EuGH war – abgesehen davon, dass den Parteien des Verfahrens kein solches Antragsrecht zukommt (2 Ob 97/18f; RS0058452 [T21]) – nicht aufzugreifen, weil die unionsrechtlichen Rechtsgrundsätze geklärt sind (5 Ob 155/23i; 6 Ob 77/23a; 1 Ob 172/22h; 7 Ob 102/22h).

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