OGH 7Ob102/22h

OGH7Ob102/22h24.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* L*, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R* Ltd, *, vertreten durch die Stadler Völkel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 54.039,59 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. Mai 2022, GZ 14 R 40/22p-13, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00102.22H.0824.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte hat ihren Sitz in Malta. Sie verfügt über keine nationale Glücksspiellizenz in Österreich, bietet aber hier auf einer von ihr betriebenen Website Online‑Glücksspiele an. Der Kläger beteiligte sich daran und erlitt im Zeitraum September 2018 bis März 2021 Verluste in Höhe des Klagebetrags.

[2] Die Vorinstanzen gaben der vom Kläger auf die Unwirksamkeit der Glücksspielverträge gestützten Klage auf Rückersatz statt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSv § 502 Abs 1 ZPO unzulässig:

[4] 1.1. Die Durchführung einer Ausspielung ohne Konzession stellt ein verbotenes Glücksspiel dar. Nach der Rechtsprechung sind jene Spiele iSd § 1174 Abs 2 ABGB verboten und damit nichtig iSd § 879 Abs 1 ABGB, die – wie hier – den in § 168 Abs 1 StGB und in § 1 Abs 1 GSpG angeführten Charakter haben, bei denen also Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen (RS0102178; RS0038378). Verbotene Spiele erzeugen nicht einmal eine Naturalobligation. Der Verlierer kann die gezahlte Wett- oder Spielschuld zurückfordern, ohne dass dem die Bestimmung des § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB oder § 1432 ABGB entgegenstünde, weil die Leistung nicht „zur Bewirkung“ der unerlaubten Handlung, sondern als „Einsatz“ erbracht wurde. Den Rückforderungsanspruch zu verweigern widerspräche nämlich dem Zweck der Glücksspielverbote (RS0025607 [T1]; 7 Ob 213/21f).

[5] 1.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dem Rückforderungsanspruch des Klägers die Bestimmung des § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB nicht entgegenstehe, weil seine Einzahlungen nicht „zur Bewirkung“ der unerlaubten Handlung, sondern als „Einsatz“ erbracht worden seien, ist angesichts der dargestellten Rechtsprechung nicht korrekturbedürftig. Daran vermag auch das erstmals in der Revision erhobene Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe durch seine Teilnahme an den von ihr angebotenen Online‑Glücksspielen den (Verwaltungs-)Straftatbestand des § 52 Abs 5 GSpG verwirklicht, nichts zu ändern. Warum die Judikatur des Obersten Gerichtshofs „zu einer nicht gerechtfertigten Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit der Beklagten sowie zu einer Missachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit“ führen soll, legt die Revision nicht nachvollziehbar dar. Auch ist nicht erkennbar, warum der Kläger, der gestützt auf die zu Punkt 1.1. angeführteRechtsprechung einen Rückforderungsanspruch geltend macht, gegen Treu und Glauben verstoßen oder gar rechtsmissbräuchlich im Sinn von § 1295 Abs 2 ABGB gehandelt haben soll.

[6] 3. Unionsrechtliche Fragestellungen sind zwar grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, allerdings ist dabei auf den vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anerkannten Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Bedacht zu nehmen. Dies bedeutet, dass nach Maßgabe des „Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens“ die jeweilige unionsrechtliche Fragestellung und die dafür maßgebenden Umstände mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit gegeben werden muss, dazu ein geeignetes Vorbringen zu erstatten. Dies gilt aber nicht absolut, sondern nur insoweit, als sich aus dem schon erstatteten Vorbringen oder sonst aus der Sachlage konkrete Anhaltspunkte für eine bestimmte unionsrechtliche Problematik ergeben (3 Ob 200/21i; vgl auch RS0129945). Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Beklagte nicht behauptet, die derzeitigen Konzessionen seien für eine „unzulässig lange Laufzeit“ vergeben worden und dass dieser Umstand gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoße; auch in der Berufung war dies nicht Thema. Damit bestand für die Vorinstanzen keine Verpflichtung zur Prüfung dieser Fragestellung. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (RS0130636 [T7]; 1 Ob 229/20p; 3 Ob 72/21s; 5 Ob 30/21d; 9 Ob 20/21p; 4 Ob 223/21d; 6 Ob 59/22b).

[7] 4. Die Beklagte setzt sich in ihrer Revision mit der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die eingewendete Gegenforderung in Form eines Benützungsentgelts nicht zu Recht bestehe, in keiner Weise auseinander, weshalb das Rechtsmittel diesbezüglich nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (vgl RS0043603 [insb T9, T12]).

[8] 5. Die Anregung der Beklagten auf neuerliche Befassung des EuGH war nicht aufzugreifen, weil die unionsrechtlichen Rechtsgrundsätze geklärt sind.

[9] 6. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte