OGH 14Os76/23t

OGH14Os76/23t6.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * K* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten K* und * P* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 29. März 2023, GZ 16 Hv 142/22p‑345, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00076.23T.0906.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten * K* und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im (gesamten) Schuldspruch der Angeklagten K*, demzufolge auch in den diese Angeklagte betreffenden Aussprüchen über die Strafe (einschließlich der Vorhaftanrechnung), die Einziehung von Suchtgift (ON 114, S 27, Standblattnummer 1433/22, „Pos“ 1 und 2), die Konfiskation, den Verfall und die Kosten aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Darauf wird die Angeklagte K* mit ihrer auf den Schuldspruch zu D. bezogenen Nichtigkeitsbeschwerde und ihrer Berufung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * P* wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten P* werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten P* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier relevant – * K* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (A.1.), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (C.1.) und nach § 12 zweiter Fall StGB, § 27 Abs 1 Z 1 fünfter und sechster Fall, Abs 4 Z 2 SMG (D.) sowie * P* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (A.2.), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG (C.2.) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (F.) schuldig erkannt.

[2] Danach haben in G* und an anderen Orten

A. als Mitglied einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, wobei der Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasste, und zwar

1. K*, indem sie von Ende des Jahres 2019 bis zu ihrer Verhaftung am 3. Mai 2022 (US 11) rund 100 Gramm Kokain (rund 47 Gramm Kokain-Base) an zwei im Urteil namentlich genannte Abnehmer gewinnbringend veräußerte sowie zum Verkauf von mindestens 620 Gramm Heroin (62 Gramm Heroin-Base) und 250 Gramm Kokain (119 Gramm Kokain-Base) durch P* und zwei weitere Personen dadurch beitrug, dass sie ihre Wohnung als Lagerplatz für das Suchtgift sowie als Unterschlupf für die Mittäter zur Verfügung stellte, die Tätigkeiten der „Läufer“ überwachte, Anweisungen des führenden Mitglieds der Vereinigung umsetzte und Suchtgiftübergaben vermittelte und in Auftrag gab,

2. P*, indem er von Ende 2019 bis Anfang Mai 2022 insgesamt mindestens 2.400 Gramm Heroin (240 Gramm Heroin-Base), 320 Gramm Kokain (152 Gramm Kokain-Base) sowie rund 600 Gramm Cannabiskraut (11 Gramm Delta-9-THC und 58 Gramm THCA) an drei im Urteil namentlich genannte Abnehmer gewinnbringend veräußerte;

C. vorschriftswidrig Suchtgift ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen, und zwar

1. K*, indem sie von einem unbekannten Zeitpunkt bis zu ihrer Verhaftung am 3. Mai 2022 (US 11) unbekannte Mengen an Cannabiskraut und Kokain bis zum Konsum sowie am 3. Mai 2022 rund 10 Gramm Kokain und rund 200 Gramm Cannabiskraut an ihrer Wohnadresse lagerte,

2. P*, indem er von einem unbekannten Zeitpunkt bis zu seiner Verhaftung am 5. Mai 2022 (US 11) unbekannte Mengen an Cannabiskraut und Kokain bis zum Konsum innehatte;

D. K* als Mitglied einer kriminellen Vereinigung andere dazu bestimmt, vorschriftswidrig Suchtgift ein- und auszuführen, indem sie im Dezember 2020 zwei im Urteil namentlich genannte Personen anwies, rund 18 Gramm Kokain und zumindest 10 Gramm Amphetamin mit dem Auto von Österreich kommend über mehrere Staatsgrenzen nach Bosnien zu schmuggeln;

F. P* am 12. August 2022 den Polizisten * O* mit zumindest einer Verletzung am Körper eines Schutzbefohlenen gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er anlässlich der geplanten Vernehmung äußerte, dass er den Belastungszeugen * B* gerne in die Hände kriegen möchte, um ihn zu beeinflussen, wobei er die Drohung mit einer entsprechenden Geste am Hals bekräftigte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten K* sowie die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und „9a“ StPO gegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P*.

 

I. Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten K*:

[4] Zutreffend zeigt die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) auf, dass die Feststellungen zum Reinheitsgehalt der zu A.1. tatverfangenen Suchtgifte (US 13) offenbar unzureichend begründet sind. Denn die Tatrichter stützten sich dabei ausschließlich auf das in der Hauptverhandlung verlesene, als unbedenklich und nachvollziehbar beurteilte Gutachten des Sachverständigen Ao. Univ.‑Prof. Dr. S* (US 23), das jedoch beim Mitangeklagten * Z* sichergestelltes, zu A.I. nicht tatverfangenes Suchtgift zum Gegenstand hatte (ON 128 S 3 verso f iVm ON 88 S 75 ff). Nach den Denkgesetzen und der allgemeinen Lebenserfahrung lässt sich der Schluss ausschließlich vom Reinheitsgehalt bestimmter Suchtgiftquanten auf jenen anderer nicht ziehen (vgl RIS‑Justiz RS0099413), es sei denn im Einzelfall wären – von den Tatrichtern hier nicht ins Treffen geführte – besondere Umstände, wie sie etwa im Verhältnis von Teilmengen desselben Suchtgiftquantums zueinander vorliegen würden, zu berücksichtigen.

[5] Dieses Begründungsdefizit erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Schuldspruchs der Angeklagten K* zu A.1. bereits in nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO), wobei der Vollständigkeit halber angemerkt wird, dass jene Feststellungen, die einen nicht erfolgten Schuldspruch nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG (teils iVm § 12 dritter Fall StGB) stützen würden, für sich allein nicht bestehen bleiben können (RIS‑Justiz RS0115884; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 18).

[6] Dies bedingt auch die Kassation des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und zufolge Aufhebung des gesamten K* betreffenden Schuldspruchs der Aussprüche über die Einziehung von Suchtgift (vgl RIS‑Justiz RS0088115 [T3]), die Konfiskation, den Verfall und die Kosten.

[7] Die Aufhebung des Schuldspruchs der Angeklagten K* zu C.1. und D. erfolgte in Wahrnehmung der dem Obersten Gerichtshof durch § 289 StPO eingeräumten Befugnis, um – für den Fall einer Erledigung des wegen des Überlassens von Suchtgift erhobenen Anklagevorwurfs auf andere Weise als durch Schuldspruch – hinsichtlich dieser Angeklagten die Möglichkeit einer Diversion nach § 35 Abs 2, § 37 SMG zu eröffnen (RIS‑Justiz RS0119278).

[8] Ein Eingehen auf die weiteren Argumente der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten K* erübrigt sich somit.

[9] Der Oberste Gerichtshof sah sich zu einer von der Generalprokuratur angeregten amtswegigen Maßnahme (§ 290 Abs 2 zweiter Satz zweiter Fall StPO) hinsichtlich des Schuldspruchs des Angeklagten P* zu A.2. nicht veranlasst. Nach dem Urteilssachverhalt trug die Angeklagte K* zum Überlassen von 100 Gramm Kokain (47,8 Gramm Kokain-Base [3,19-fache Grenzmenge]) und 600 Gramm Heroin (60 Gramm Heroin-Base [20-fache Grenzmenge]) durch den Angeklagten P* bei (US 10 f iVm US 13). Darüber hinaus verkaufte Letztgenannter 1.800 Gramm Heroin (180 Gramm Heroin-Base [60-fache Grenzmenge]), 220 Gramm Kokain (105,16 Gramm Kokain-Base [7-fache Grenzmenge]) und 600 Gramm Cannabiskraut (11 Gramm Delta-9-THC [0,55-fache Grenzmenge] und 58 Gramm THCA [1,45-fache Grenzmenge]; US 10 iVm US 13). Er verkaufte das Suchtgift in Teilmengen (vgl insbesondere US 9), wobei sich sein Vorsatz während des gesamten Tatzeitraums auf die kontinuierliche Tatbegehung und den daran geknüpften Additionsvorsatz erstreckte (US 12).

[10] Der von der Angeklagten K* geltend gemachte Begründungsmangel betrifft somit einen Lebenssachverhalt, der lediglich einzelne im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene, für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage nicht entscheidende Ausführungshandlungen des Angeklagten P* erfasst (vgl RIS‑Justiz RS0127374, RS0129172).

 

II. Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P*:

[11] Zu Punkt A.2. des Schuldspruchs stützten die Tatrichter die Feststellungen zu den überlassenen Mengen (US 9 f) auf die eingehend erörterten, als glaubwürdig beurteilten Angaben des B* zur Gesamtmenge des beim Angeklagten P* erworbenen Suchtgifts (US 15 f; ON 45 S 13 und 18). Zum Eingehen auf ein – im Übrigen den Feststellungen zu den Suchtgiftmengen gar nicht entgegenstehendes (vgl aber RIS‑Justiz RS0098495) – Detail der Aussage über die Anzahl der mit * Sc* unternommenen (geschätzt 70 [ON 332 S 7]) Fahrten nach Graz zum Zwecke des Ankaufs von Suchtgift beim Angeklagten P* (ON 45 S 17) waren sie – der Mängelrüge zuwider (Z 5 zweiter Fall) – zufolge des Gebots zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO [vgl RIS‑Justiz RS0106642]) nicht verhalten (RIS‑Justiz RS0098778, RS0106295).

[12] Mit der Kritik, B* sei unglaubwürdig, weil er sich in der Hauptverhandlung an bestimmte Tatumstände nicht mehr erinnern konnte und dies mit seinem Drogenkonsum im Tatzeitraum erklärte (ON 332 S 6), bekämpft die weitere Beschwerde bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter und deren Bewertung dieses Aussageverhaltens (US 16; vgl aber RIS‑Justiz RS0106588).

[13] Die sich auf diese Angaben des B* stützende Tatsachenrüge (Z 5a) weckt beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu A.2.

[14] Die gegen Punkt F. des Schuldspruchs gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) erklärt nicht, weshalb der Tatbestand des § 107 Abs 1 StGB voraussetzt, dass * O* tatsächlich in Furcht und Unruhe versetzt wurde (vgl aber RIS‑Justiz RS0093082).

[15] Sollte die Beschwerde dahin zu verstehen sein, dass die Eignung der Drohung, begründete Besorgnis einzuflößen, bestritten wird, argumentiert sie nicht auf Basis der Sachverhaltsannahmen zu der diese Eignung begründenden (erkennbar gemeint) Gefährdung des B* und dem deshalb vonO*verfassten schriftlichen Ersuchen um Verlegung des B* in eine andere Justizanstalt (US 14; vgl aber RIS‑Justiz RS0099810).

[16] Mit dem Einwand, der Vorsatz des Angeklagten „könne niemals“ darauf gerichtet gewesen sein, O* in Furcht und Unruhe zu versetzen, orientiert sich die weitere Rechtsrüge nicht an den gerade dazu getroffenen Urteilskonstatierungen (US 14; vgl erneut RIS‑Justiz RS0099810).

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P* war daher bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[18] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

[19] Da in Ansehung der Angeklagten K* der gesamte sie betreffende Schuldspruch und damit auch der vom Erstgericht gefällte Kostenersatzausspruch aufgehoben wurde, fallen ihr auch keine Kosten des Rechtsmittelverfahrens im Sinn des § 390a Abs 1 StPO zur Last (RIS‑Justiz RS0101342 [T4]; Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 7).

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