European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140NS00050.23Y.0628.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Das Hauptverfahren ist vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu führen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
[1] Mit am 3. April 2023 beim Landesgericht Steyr eingebrachtem Strafantrag legt die Staatsanwaltschaft Steyr N* d* ein dem Vergehen des gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 148 erster Fall StGB subsumiertes Verhalten zur Last.
[2] Danach ist sie verdächtig, jeweils 2022 in vier Fällen gewerbsmäßig mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die Vorgabe, lieferfähige und ‑willige Verkäuferin von Produkten der Marke W* zu sein, folgende Getäuschte zu Überweisungen, mithin zu diese schädigenden Handlungen, verleitet zu haben, und zwar
1/ * L* am 23. Juni kurz vor 14 Uhr (ON 59, 1 [zur Aktenlage als Grundlage für die Beurteilung von Tatzeiten vgl RIS‑Justiz RS0131997]), Schaden: 450 Euro;
2/ * D* am 23. Juni um etwa 19 Uhr (ON 2.2.8, 4), Schaden: 350 Euro;
3/ * F* spätestens am 22. Juni (ON 6.3, 4), Schaden: 400 Euro und
4/ * K* am 8. Juli (ON 2.2.7, 4), Schaden: 800 Euro.
[3] Mit (rechtswirksamem) Beschluss vom 18. April 2023 (ON 53) erklärte sich das Landesgericht Steyr für örtlich unzuständig (§ 485 Abs 1 Z 1 StPO) und überwies die Sache dem Landesgericht für Strafsachen Wien. Dieses sprach ebenfalls seine örtliche Unzuständigkeit mit (rechtswirksamem) Beschluss vom 15. Mai 2023 (ON 63) aus und legte die Akten gemäß § 38 dritter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor.
Dieser hat erwogen:
[4] Gemäß § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist im (hier vorliegenden) Fall gleichzeitiger Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig, wobei das Gericht, das für einen unmittelbaren Täter zuständig ist, das Verfahren gegen Beteiligte an sich zieht (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO). Im Übrigen kommt das Verfahren im Fall mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO).
[5] Nach dieser Gesetzessystematik normiert der dritte Satz des § 37 Abs 2 StPO eine Ausnahme zum zweiten, nicht jedoch zum ersten Satz dieser Bestimmung (RIS‑Justiz RS0124935).
[6] Bei – wie hier – Subsumtionseinheiten ist Bezugspunkt der Beurteilung, welches Gericht für das wegen aller Straftaten gemeinsam zu führende Hauptverfahren zuständig ist, jeder einzelne der Tatorte, es sei denn die Qualifikation, welche die sachliche Zuständigkeit eines höherrangigen Gerichts nach sich zieht, wäre nach der Verdachtslage durch eine einzige dieser Straftaten verwirklicht worden (RIS‑Justiz RS0131445).
[7] Letzteres ist hier nicht der Fall. Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichts (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO) ergibt sich vorliegend (ausschließlich) aus dem Verdacht gewerbsmäßiger Begehung (§ 148 erster Fall StGB), wobei Gewerbsmäßigkeit ausschließlich nach § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB in Frage kommt. Zufolge dessen Voraussetzung früherer Begehung zweier solcher Taten begründen – bei isolierter Betrachtung – erst die chronologisch dritte und vierte Tat (Punkte 2 und 4 der Anklage) jeweils die höherrangige Zuständigkeit, weshalb für die Frage der Zuständigkeitsbegründung nur diese beiden Straftaten in den Blick zu nehmen sind (RIS‑Justiz RS0133394).
[8] Nach der Aktenlage gibt es kein tragfähiges Indiz dafür, dass die Angeklagte diese beiden – offenbar mithilfe ihres Mobiltelefons durchgeführten (vgl ON 2.2.7, 4; ON 2.2.8, 4) – Täuschungshandlungen (zur Maßgeblichkeit der die selbstschädigende Vermögensverfügung bewirkenden letzten von mehreren Täuschungshandlungen für die Zuständigkeitsanknüpfung vgl RIS‑Justiz RS0130106) an ihrem Wohnsitz durchgeführt habe (vgl 11 Ns 77/21v; 12 Ns 69/14i; 12 Ns 33/14w). Die vom Landesgericht für Strafsachen Wien ins Treffen geführten Verfahrensergebnisse (ON 63, 4 f) legen demgegenüber bloß einen im Tatzeitraum im Sprengel des Landesgerichts Steyr gelegenen Wohnsitz der Angeklagten (zu deren Verantwortung vgl hingegen ON 39.2, 4) nahe.
[9] Der jeweilige Ort der Tatausführung kann somit (derzeit) nach der Aktenlage nicht festgestellt werden, weshalb nach der Systematik des § 36 Abs 3 StPO (zunächst) der Ort des (geplanten) Erfolgseintritts den Ausschlag gibt (vgl RIS‑Justiz RS0127231 [T4]). Dieser liegt bei einer (hier jeweils betrügerisch veranlassten) Überweisung von einem Bankkonto auf ein anderes am Ort der das Konto des Opfers führenden Bank (14 Ns 23/22a; 15 Ns 6/16z; vgl RIS‑Justiz RS0130479).
[10] Da keine der beiden in Frage kommenden Banken ihren Sitz im Sprengel des Landesgerichts Steyr hat (ON 2.2.7, 5 und ON 2.2.8, 4), scheidet Zuständigkeitsanknüpfung nach § 37 Abs 2 dritter Satz StPO aus.
[11] Es gibt daher gemäß § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO die Zuständigkeit für die frühere der beiden Straftaten den Ausschlag. Dies ist die zu Punkt 2 angeklagte Tat, bei welcher der Erfolg (der Vermögensschaden) am Sitz der das Konto des Opfers D* führenden Bank, also in Wien, eingetreten sein soll (ON 2.2.8, 4), weshalb das Hauptverfahren – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu führen ist.
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