European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140NS00023.22A.0421.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Landesgericht Salzburg zuständig.
Gründe:
[1] Mit am 14. Juli 2021 beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 127 Hv 13/21v eingebrachter Anklageschrift legt die Staatsanwaltschaft * T*, * G* und * K* jeweils ein als Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs (in den Beteiligungsformen des § 12 zweiter und dritter Fall StGB) nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (I/) sowie der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 und 4 StGB ([idF vor BGBl I 2021/159] hinsichtlich T* in Form der Bestimmungstäterschaft [§ 12 zweiter Fall StGB], hinsichtlich G* und K* je teils in Form unmittelbarer Täterschaft, teils in Form der Beitragstäterschaft [§ 12 erster und dritter Fall StGB]; II/) beurteiltes Verhalten zur Last (ON 1 S 593 und ON 1015 in AZ 127 Hv 13/21v des Landesgerichts für Strafsachen Wien).
[2] Gegenstand der Anklage ist – zusammengefasst und soweit hier relevant – der Verdacht, es hätten in S* und an anderen Orten im Ausland T* vom 25. Juli 2012 bis zum 28. Jänner 2019, G* vom 1. November 2015 bis zum 28. Jänner 2019 und K* vom 8. September 2014 bis zum 28. Jänner 2019
I/ gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 1 StGB) in Bezug auf Betrugshandlungen mit einem jeweils 5.000 Euro übersteigenden Schaden und mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zahlreiche unmittelbare Täter (sog „Callcenter‑Agents“) – jedenfalls zumindest im Wege weiterer Mittäter – durch in der Anklage näher beschriebene Handlungen dazu bestimmt oder sonst dazu beigetragen, dass diese in S* und an anderen Orten im Ausland (vorsätzlich) mittels mehrerer, in der Anklage bezeichneter Online-Plattformen (sog „Brands“) durch Täuschung über Tatsachen, und zwar durch die Vorspiegelung, im Rahmen der „Brands“ Anlageprodukte innerhalb der gesetzlichen Vorgaben zu vertreiben, wobei in Wahrheit (etwa durch Einsatz einer Manipulationssoftware und durch Erteilung von nicht die Interessen der Getäuschten berücksichtigenden Investitionsratschlägen) nur eine „Fassade“ ohne adäquate Gewinn- und Ertragschancen geschaffen wurde, eine Vielzahl von Opfern zu Zahlungen verleiteten, welche diese am Vermögen schädigten, wobei die Angeklagten je einen 300.000 Euro übersteigenden Schaden von mehr als 9 Mio Euro herbeiführten, und zwar in Bezug auf die in der Anklage zu A/ bis J/ einzeln angeführten Opfer und Zahlungsbeträge, darunter
F/ betreffend die Online-Plattform „Option888“ („Lenhoff‑Brand“)
8./ * H* vom 1. September bis zum 11. Oktober 2017 in P* zur Zahlung von 23.000 Euro;
9./ * N* vom 26. Juli bis zum 20. Dezember 2017 in H* zur Zahlung von 452.490 Euro;
10./ * O* vom 3. August 2017 bis zum 16. April 2018 in A* zur Zahlung von 301.138 Euro und
17./ * P* vom 11. September bis zum 20. November 2017 in U* zur Zahlung von 52.500 Euro, sowie
II/ die Herkunft von Vermögensbestandteilen in einem 50.000 Euro übersteigenden Wert, nämlich von Geldern, die aus einer mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, und zwar aus den zu I/ angeführten qualifizierten Betrugshandlungen herrühren, verschleiert, indem sie – letztlich durch Weiterüberweisungen an von T* und anderen abgesondert verfolgten Mittätern beherrschte Gesellschaften unter Verwendung von Scheinverträgen und Scheinrechnungen – im Rechtsverkehr über den Ursprung und die wahre Beschaffenheit dieser Vermögensbestandteile falsche Angaben machten, und zwar – jeweils in der Anklage näher dargestellt –
1./ T* durch Bestimmungshandlungen (§ 12 zweiter Fall StGB),
2./ G* teils durch Ausführungshandlungen, teils durch Beitragshandlungen (§ 12 erster und dritter Fall StGB), sowie
3./ K* teils durch Ausführungshandlungen, teils durch Beitragshandlungen (§ 12 erster und dritter Fall StGB).
[3] Diese Anklageschrift ist hinsichtlich T* seit 5. August 2021 und hinsichtlich G* seit 3. August 2021 rechtswirksam. Das Landesgericht für Strafsachen Wien stellte die Rechtswirksamkeit der Anklage betreffend diese Angeklagten mit Beschluss gemäß § 213 Abs 4 StPO fest. Der Angeklagten K* konnte die Anklageschrift bislang nicht zugestellt werden (ON 1 S 593 verso, S 599 ff und S 607 in AZ 127 Hv 13/21v des Landesgerichts für Strafsachen Wien).
[4] Am 4. Jänner 2022 brachte die Staatsanwaltschaft beim Landesgericht Salzburg zu AZ 33 Hv 2/22z (nunmehr AZ 38 Hv 20/22h) Anklage gegen * Ha* wegen dem Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB subsumierten Verhaltens ein (ON 60 in AZ 38 Hv 20/22h des Landesgerichts Salzburg), welche mit Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 17. Februar 2022, AZ 9 Bs 31/22f, rechtswirksam wurde (Einsicht in VJ).
[5] Danach habe Ha* – zusammengefasst – vom 6. April 2017 bis zum 22. Jänner 2018 im Kosovo im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren, abgesondert verfolgten Mittätern (§ 12 erster Fall StGB) gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 1 StGB) in Bezug auf Betrugshandlungen mit einem jeweils 5.000 Euro übersteigenden Schaden und mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz als Callcenter-Mitarbeiter (sog „Retention-Agent“) unter dem Aliasnamen „Sebastian Morelli“ durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch Vorspiegelung, dass über die Online-Plattform „Option888“ Handelsgeschäfte mit Optionen oder andere Anlageprodukte im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben vertrieben würden, wobei in Wahrheit (etwa durch Einsatz einer Manipulationssoftware und durch Erteilung von nicht die Interessen der Getäuschten berücksichtigenden Investitionsratschlägen) nur eine „Fassade“ ohne adäquate Gewinn- und Ertragschancen geschaffen wurde, zumindest 39 (in der Anklage einzeln bezeichnete) österreichische Anleger zu Zahlungen verleitet und zu verleiten versucht, welche diese oder andere am Vermögen schädigten oder schädigen sollten, wobei er durch die Tat einen 300.000 Euro übersteigenden Schaden von mehr als 1,2 Mio Euro herbeiführte und herbeizuführen versuchte, und zwar in Bezug auf die in der Anklage zu 1./ bis 39./ einzeln angeführten Opfer und Zahlungsbeträge, darunter
8./ * H* vom 12. September bis zum 11. Oktober 2017 in U* zur Zahlung von 23.000 Euro;
18./ * N* vom 1. August bis zum 20. Dezember 2017 in K* zu acht Einzahlungen in Höhe von insgesamt 449.990 Euro;
19./ * O* vom 5. September bis zum 20. November 2017 in A* zu fünf Einzahlungen in Höhe von insgesamt 299.638 Euro, sowie
21./ * P* vom 13. September bis zum 20. November 2017 in M* zu drei Einzahlungen in Höhe von insgesamt 52.000 Euro.
[6] Mit Verfügung vom 25. Februar 2022 trat das Landesgericht Salzburg das zu AZ 38 Hv 20/22h geführte Strafverfahren gegen Ha* nach § 37 Abs 3 StPO zur gemeinsamen Führung mit dem Strafverfahren gegen T* und andere Angeklagte an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 127 Hv 13/21v ab, weil Ha* „in jener Tätergruppierung, in der * T* führend tätig war, als Mittäter (§ 12 StGB) handelte und die do. AKS früher rechtswirksam wurde“ (ON 1038 in AZ 127 Hv 13/21v des Landesgerichts für Strafsachen Wien).
[7] Das Landesgericht für Strafsachen Wien legte die Akten, weil es seine Zuständigkeit bezweifelte, dem Obersten Gerichtshof nach § 38 letzter Satz StPO vor (ON 1039 in AZ 127 Hv 13/21v des Landesgerichts für Strafsachen Wien).
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[8] Werden nacheinander mehrere Anklagen in Bezug auf subjektiv, objektiv oder subjektiv-objektiv konnexe Straftaten erhoben, sind die Verfahren gemäß § 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO von dem nach § 37 Abs 2 oder 3 StPO zuständigen Gericht zu verbinden, wenn zum Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der späteren Anklage bereits ein Hauptverfahren anhängig ist (Oshidari,WK‑StPO § 37 Rz 7). Die Verbindung zweier (im Sinn dieser Bestimmung konnexer) Verfahren setzt die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen (RIS‑Justiz RS0123444) und die (gleichzeitige) Anhängigkeit beider Hauptverfahren (vgl RIS‑Justiz RS0132460) voraus.
[9] Örtlich zuständig für das zu verbindende Verfahren ist bei einer solchen sukzessiven Anklageerhebung das nach § 37 Abs 2 erster Satz oder Abs 3 zweiter Halbsatz StPO zu ermittelnde Gericht. Damit kommt die Verfahrensverbindung primär dem höherrangigen Spruchkörper, unter Gerichten gleicher Ordnung jenem mit Sonderzuständigkeit zu. Subsidiär dazu zieht bei objektiver oder subjektiv-objektiver Konnexität das für den unmittelbaren Täter zuständige Gericht auch das Verfahren gegen sonstige Beteiligte (§ 12 StGB) an sich. Bei subjektiv-objektiver Konnexität aber nur dann, wenn einem Bestimmungs- oder Beitragstäter nicht weitere strafbare Handlungen zur Last liegen, für die ein höherrangiger Spruchkörper zuständig wäre als für die objektive Konnexität begründende strafbare Handlung. Bei Gleichrangigkeit gibt unmittelbare Täterschaft in Bezug auf die objektive Konnexität herstellende strafbare Handlung den Ausschlag. Frühere Rechtswirksamkeit der Anklage (§ 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO) hinsichtlich eines der an dieser strafbaren Handlung als Bestimmungs- oder Beitragstäter Beteiligten wegen anderer (sei es auch von diesem als unmittelbarer Täter begangener) Straftaten ist ohne Bedeutung (Nordmeyer, WK‑StPO § 26 Rz 9; idS auch Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 4).
[10] Zuletzt – und subsidiär zu allen anderen Kriterien – ist nach § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO das Gericht zuständig, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam geworden ist (zum Ganzen Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 9).
[11] Mit den beiden Anklageschriften legt die Staatsanwaltschaft sämtlichen Angeklagten ein jeweils dem – in die sachliche Zuständigkeit des Schöffengerichts fallenden (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO) – Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB subsumiertes Verhalten zur Last. Innerhalb dieses Betrugsgeschehens waren nach den Anklagesachverhalten an einzelnen der – jeweils zu einer Subsumtionseinheit nach § 29 StGB zusammengefassten – Betrugsstraftaten, die auch für sich Schöffenzuständigkeit begründen (§ 31 Abs 3 Z 6a StPO), sowohl die Angeklagten T* und G* (sowie K*) als auch der Angeklagte Ha* beteiligt (Anklagepunkte F/8, 9, 10 und 17 der zu AZ 127 Hv 13/21v des Landesgerichts für Strafsachen Wien [ON 1015] und Anklagepunkte 8, 18, 19 und 21 der zu AZ 38 Hv 20/22h des Landesgerichts Salzburg [ON 60] eingebrachten Anklageschriften). Dabei hätten nach der Aktenlage (nur) Ha* als unmittelbarer Täter, die übrigen Angeklagten dagegen (durchwegs) als Bestimmungs- oder Beitragstäter (§ 12 zweiter und dritter Fall StGB) gehandelt. Nur Ersterer ist somit insoweit als unmittelbarer Täter angeklagt.
[12] Da die § 165 Abs 1 und 4 StGB subsumierten Taten gleichfalls in die sachliche Zuständigkeit des Schöffengerichts fallen (erneut § 31 Abs 3 Z 1 StPO) und nur den Angeklagten T* und G* (sowie K*), nicht aber Ha* – wenn auch teilweise als unmittelbare Täter – angelastet werden (II in ON 1015, AZ 127 Hv 13/21v des Landesgerichts für Strafsachen Wien), bleiben diese bei solcherart gegebener Gleichrangigkeit – entgegen der Meinung der Generalprokuratur – für die weitere Prüfung außer Betracht.
[13] Die Ausführungs‑(Täuschungs‑)handlungen der insoweit maßgeblichen – mangels Anhaltspunkten für das Vorliegen tatbestandlicher Handlungseinheit rechtlich selbständigen (Ratz in WK² § 29 Rz 7 mwN) – Betrugsstraftaten hat der unmittelbare Täter Ha* nach der Aktenlage durchwegs im Ausland gesetzt, womit nach der Rangfolge des § 36 Abs 3 StGB für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit auf den Ort abzustellen ist, an dem der Erfolg eingetreten ist oder eintreten hätte sollen (§ 36 Abs 3 zweiter Satz StPO). Hinsichtlich deren – insoweit (weil eben kein Fall des § 37 Abs 3 letzter Halbsatz StPO vorliegt) gemäß § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO für die Beurteilung relevanten – frühester, die Zuständigkeit des Schöffengerichts (§ 31 Abs 3 Z 6a StPO) für sich begründender Tat (ein vom Anklagefaktum 18 erfasster Betrug zum Nachteil des Opfers * N*; vgl zur Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit bei Subsumtionseinheiten RIS‑Justiz RS0131445; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 5/1) ist der effektive Verlust an Vermögenssubstanz (also der Vermögensschaden beim Opfer und damit der tatbestandsmäßige Erfolg des Betrugs) im Sprengel des Landesgerichts Salzburg eingetreten, weil das Opfer die täuschungsbedingte Überweisung eines Betrags von 100.000 Euro am 30. August 2017 von einem Konto einer in Salzburg ansässigen Bank vornehmen ließ (S 7 f im Beschluss des – nach § 213 Abs 6 StPO angerufenen – OLG Linz vom 17. Februar 2022, AZ 9 Bs 31/22f, iVm S 6 ff in ON 60 aus AZ 38 Hv 20/22h des Landesgerichts Salzburg sowie den dort angeführten Fundstellen im Akt; RIS‑Justiz RS0130479 [dort vor allem 15 Ns 6/16z]).
[14] Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des Landesgerichts Salzburg für das gemeinsam zu führende Hauptverfahren.
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