OGH 6Ob186/22d

OGH6Ob186/22d17.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, Gesellschaft m.b.H., FN *, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* GmbH, FN *, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterlassung, Widerrufs, Veröffentlichung des Widerrufs und 10.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Juli 2022, GZ 5 R 42/22s‑34, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00186.22D.0517.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die behaupteteAktenwidrigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[2] 2.1. Auch vom mittelbaren Störer – das ist von jenem, der die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit hat, die auf ihn zurückgehende, seiner Interessenwahrung dienende, aber unmittelbar von Dritten vorgenommene Störhandlung zu steuern und gegebenenfalls auch zu verhindern – kann Unterlassung und nicht bloß Einwirkung auf den unmittelbaren Störer begehrt werden (RS0103058). Die Zurechnung der Äußerungen des unmittelbaren „Störers“ an den mittelbaren „Störer“ erfolgt beim verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch des § 1330 ABGB anhand einer Abwägung nach einem beweglichen System aufgrund der Kriterien der rechtlichen und tatsächlichen Abhilfemöglichkeit durch den mittelbaren Störer, der wertungsmäßigen Zurechnung der unmittelbaren „Störungshandlung“ für die Zwecke und zum Nutzen des mittelbaren Störers sowie der Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes (6 Ob 203/16w [ErwGr 4.1. f]).

[3] 2.2. Nach den Feststellungen hatte die Beklagte im Jahr 2015 eine Public Relations Agentur (eine GmbH) als Kommunikationsberaterin und Medienvertreterin beauftragt. Auf welche Weise und mit welchen Inhalten diese PR‑Agentur die Medienbetreuung durchführte, war ihr selbst überlassen. Die konkreten Rechte und Pflichten aus dem Auftragsverhältnis zwischen der Beklagten und der PR‑Agentur konnten nicht festgestellt werden. Im Jahr 2016 übermittelte der Rechtsanwalt der Beklagten dem Geschäftsführer der PR‑Agentur die Selbstanzeige einer Person, die darin eine Betriebsspionage zu Lasten der Beklagten im Auftrag der Klägerin behauptete, unter anderem durch „Telefonüberwachung“. Der Rechtsanwalt und auch die Beklagte wiesen die PR‑Agentur darauf hin, dass diese Information nur für den internen Gebrauch sei und nicht an Medien weitergegeben werden dürfe; die Sache sei aus den Medien herauszuhalten. Dennoch übermittelte der Geschäftsführer der PR‑Agentur die Selbstanzeige im Jahr 2017, als über Rechtsstreitigkeiten zwischen der Klägerin und der Beklagten medial berichtet wurde, im Zuge der Beantwortung einer Medienanfrage an denJournalisten einer Tageszeitung mit dem Bemerken, dass sich die Angaben in der Selbstanzeige betreffend die Beklagte als stichhaltig herausgestellt hätten. Dies in Unkenntnis des Umstands, dass zu diesem Zeitpunkt aufgrund behördlicher Ermittlungen mittlerweile feststand, dass eine „Telefonüberwachung“ tatsächlich nicht stattgefunden hatte und die Selbstanzeige in diesem Punkt widerrufen worden war. Unmittelbar darauf veröffentlichte die Tageszeitung einen Artikel, in dem über eine „Spionageaffäre“ um die Klägerin und (unter anderem) über eine Telefonüberwachung bei der Beklagten im Auftrag der Klägerin berichtet wurde. Die PR‑Agentur wurde deshalb rechtskräftig zur Unterlassung und zum Widerruf (samt Veröffentlichung) der auch hier klagsgegenständlichen Äußerung, die Klägerin habe (zusammengefasst) eine illegale „Telefonüberwachung“ zu verantworten, verurteilt. Die Tageszeitung verpflichtete sich in einem gerichtlichen Vergleich, solche Behauptungen künftig zu unterlassen.

[4] 2.3. Das Berufungsgericht war der Ansicht, die Beklagte habe die „Störung“ durch Weitergabe der Selbstanzeige nicht nur nicht veranlasst, sondern sei die Weitergabe weisungswidrig erfolgt. Aufgrund der begleitenden Anweisungen habe die Beklagte weder die Voraussetzungen für den Eingriff geschaffen, noch könne davon ausgegangen werden, dass die weisungswidrige Weitergabe in ihrem Interesse bzw zu ihrem Nutzen gewesen sei. Die Zurechnungskriterien für eine Haftung als mittelbarer Störer seien daher nicht erfüllt und bestehe auch kein Rechtsschutzdefizit, verfüge die Klägerin doch bereits über Titel gegen den unmittelbaren Störer und die PR‑Agentur. Damit hat das Berufungsgericht den ihm bei der Abwägung der Kriterien des erörterten beweglichen Systems zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Im Übrigen bestreitet die Revision ohnehin auch die effektive Abhilfemöglichkeit durch die Beklagte, die aber nach der erörterten Judikatur ein entscheidendes Kriterium für die Zurechnung darstellt.

[5] 3.1. Juristische Personen haften im deliktischen Bereich für das schädigende Verhalten ihrer verfassungsmäßigen Organe und ihrer Repräsentanten („Machthaber“). Repräsentanten sind Personen, die in der Organisation der juristischen Person eine leitende Stellung innehaben und dabei mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet sind (RS0009113). Für die Qualifikation einer Person als Repräsentant einer juristischen Person kommt es darauf an, dass diese Person eine Stellung innehat, vermöge der diese Person, wenn von der Satzung auch nur mittelbar berufen, so doch effektiv und in entscheidender Weise an der Leitung des Verbandswillens teilzunehmen berufen ist (9 ObA 45/18k; RS0106862). Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung auch, ob die Person für den „Machtgeber“ in ihrer verantwortlichen, leitenden oder überwachenden Funktion tätig wurde (RS0009113 [T33]).

[6] 3.2. Es wurde bereits mehrfach ausgesprochen, dass eine juristische Person auch für ehrenbeleidigende oder kreditschädigende Äußerungen ihrer Repräsentanten nach § 1330 ABGB haftet (6 Ob 153/97m; RS0009113 [T10]; vgl RS0107916).

[7] 3.3. Ob jemand als Repräsentant einer juristischen Person anzusehen ist, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, weshalb darin regelmäßig keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt (3 Ob 180/03x).

[8] 3.4. Die Auffassung des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall sei der Geschäftsführer der PR‑Agentur aufgrund seines eingeschränkten Aufgabengebiets nicht als Repräsentant der Beklagten anzusehen, sodass die Beklagte für dessen Tathandlung iSd § 1330 ABGB nicht hafte, bedarf keiner Korrektur, zumal auch eine den Erfordernissen der erörterten Rechtsprechung entsprechende organisatorische Stellung im Unternehmen der Beklagten weder feststeht noch behauptet wurde.

[9] 4. Die Beklagte ist nicht Medieninhaberin. Schon deshalb geht der Hinweis auf die von Koziol (Die Haftung für kreditschädigende Berichte in Massenmedien, JBl 1993, 613) geforderte verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Medieninhabers als „Halter der gefährlichen Sache“ Massenmedium sowie eine aufgrund des Redaktionsgeheimnisses gerechtfertigte erweiterte Gehilfenhaftung bei Veröffentlichung unwahrer kreditschädigender Nachrichten ins Leere.

[10] 5. Ansprüche aus § 1330 ABGB richten sich nicht nur gegen den unmittelbaren Täter, also gegen jene Person, von der die Beeinträchtigung ausgeht, sondern auch gegen den Mittäter, den Anstifter und den Gehilfen des eigentlichen Störers, welche den Täter bewusst fördern (RS0031901). Ihr Vorbringen, wonach die Beklagte die inkriminierte Veröffentlichung durch die PR‑Agentur bewusst vornehmen habe lassen, konnte die Klägerin nicht unter Beweis stellen. Soweit die Revision davon ausgeht, die Beklagte habe der PR‑Agentur betreffend die Selbstanzeige keine inhaltlichen Vorgaben gemacht, entfernt sie sich vom Sachverhalt.

[11] 6. Das Berufungsgericht hat das auf §§ 7, 25 UWG gestützte Unterlassungs- und Urteilsveröffentlichungsbegehren rechtskräftig wegen Verjährung abgewiesen. Den darüber hinaus geltend gemachten Schadenersatzanspruch eines ideellen Schadens nach § 16 Abs 2 UWG aF hat das Berufungsgericht mangels Verschuldens der Beklagten verneint. Weshalb dieBeklagte die kreditschädigende Handlung der PR‑Agentur – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – aufgrundeines in der Revision angedeuteten „Überwachungsverschuldens“ zu vertreten hätte, legt die Revision nicht dar. An die Anweisung der Beklagten, die Informationen aus der Selbstanzeige nicht an die Medien weiterzugeben, hat sich die PR‑Agentur mehr als ein Jahr lang gehalten und nach den Feststellungen auch eine gleichlautende weitere Anweisung betreffend andere Unterlagen befolgt. Auch insoweit zeigt die Revision eine im Einzelfall durch den Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung nicht auf.

Stichworte