OGH 7Ob111/22g

OGH7Ob111/22g13.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen unddie Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen I. der klagenden Partei E* & S* GmbH, *, vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in Wien, und deren Nebenintervenienten 1. R* N*, 2. W* E*, und 3. M* M*, alle vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* SE, *, vertreten durch die DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (AZ 35 Cg 114/20i des Erstgerichts, führendes Verfahren) und II. der klagenden Partei E* & S* GmbH, *, vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in Wien, und deren Nebenintervenienten 4. T* R* und 5. M* R*, 6. S* W* und 7. R* S*, sowie 8. M* N*, alle vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* SE, *, vertreten durch die DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (AZ 35 Cg 50/20b), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. April 2022, GZ 2 R 47/22g‑40, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. Dezember 2021, GZ 35 Cg 114/20i (35 Cg 50/20b)‑32, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00111.22G.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

I. Die Urteile der Vorinstanzen werden einschließlich ihres in Rechtskraft erwachsenen klagsstattgebenden Teils als Teilurteil wie folgt bestätigt:

1. Es wird mit Wirkung zwischen den Streitteilen festgestellt, dass die Rahmenvereinbarung vom 6. September 2012 zur Polizzennummer * zwischen den Streitteilen aufrecht besteht.

2. Das Mehrbegehren im führenden Akt, es werde mit Wirkung zwischen den Streitteilen festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche Schäden, Kosten und Aufwendungen, die in Zusammenhang

a) mit der Vermittlung und Beratung der Produkte der E* an die Erstnebenintervenientin stehen, aufgrund und im Umfang der Rahmenvereinbarung vom 6. September 2012 zur Polizzennummer * und der Polizze von R* T* zur Polizzennummer *,

b) mit der Vermittlung und Beratung von Beteiligungen an S* an den Zweitnebenintervenienten stehen, aufgrund und im Umfang der Rahmenvereinbarung vom 6. September 2012 zur Polizzennummer * und der Polizze von R* T* zur Polizzennummer *, sowie

c) mit der Vermittlung und Beratung von Beteiligungen an S* an den Drittnebenintervenienten stehen, aufgrund und im Umfang der Rahmenvereinbarung vom 6. September 2012 zur Polizzennumer * und der Polizze von A* L* zur Polizzennummer *,

Deckung zu gewähren habe, wird abgewiesen.

3. Das Mehrbegehren im verbundenen Akt, es werde mit Wirkung zwischen den Streitteilen festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche Schäden, Kosten und Aufwendungen, die in Zusammenhang mit der Vermittlung und Beratung von Vermögensverwaltungsverträgen der I* AG

a) an die Achtnebenintervenientin stehen, aufgrund und im Umfang der Rahmenvereinbarung vom 6. September 2012 zur Polizzennummer * und der Polizze von R* T* zur Polizzennummer *,

Deckung zu gewähren habe, wird abgewiesen.

4. Die Entscheidung über die auf dieses Teilbegehren entfallenden Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

 

II. Im darüber hinausgehenden Umfang, das ist in Bezug auf die Feststellung der Deckung betreffend die Ansprüche der Viert- bis Siebtnebenintervenienten, sowie der Entscheidung über die Prozesskosten werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Insoweit sind die Kosten des Revisionsverfahrens weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war als gewerbliche Vermögensberaterin und Vermittlerin tätig. Für die Klägerin auftretende gewerbliche Vermögensberater vertrieben Unternehmensbeteiligungen (S*-Fonds, I*‑Fonds), Edelmetallkaufverträge (Gold- und Silbersparpläne; E*) sowie „gebrauchte Lebensversicherungen“ (Second-Hand-Polizzen; H*) als Anlageprodukte.

[2] Die Klägerin hat mit der Beklagten am 6. September 2012 eine Versicherungs-Rahmenvereinbarung zur Vermögensschadenhaftpflicht für Wertpapiervermittler und Vermögensberater der Kooperationspartner abgeschlossen. Diese lautet auszugsweise wie folgt:

„[…]

1 Versicherungsnehmer

1.1 Versicherungsnehmer sind die einzelnen zu dieser Rahmenvereinbarung angemeldeten Vermittler. Diese erhalten [...] eine eigene Subversicherungspolizze mit den zugehörigen Vertragsbedingungen [...]. Die Subversicherungspolizze und die Versicherungsbestätigung werden mit einer (identen) Subnummer zur vorliegenden Rahmenvereinbarung (Hauptnummer) geführt und sind an diese gebunden.

[…]

1.3 Unabhängig zu Pkt. 1.2 erhalten J* sowie [die Klägerin] zu den oben ausgeführten Subversicherungspolizzen aus der vorliegenden Rahmenvereinbarung den Status als weitere Versicherungsnehmer.

1.3.1 Dies dient insbesondere dem Zweck, den Versicherungsschutz auf J* sowie [die Klägerin] in ihrer Eigenschaft als 'Haftungsdach' (also als Geschäftsherr iSd § 1313a ABGB) gegenüber den in dieser Rahmenvereinbarung angemeldeten/versicherten Vermittlern auszudehnen, falls durch deren Handeln im Namen von J* und/oder [der Klägerin] auch Anspruchserhebungen etwaiger Geschädigter gegen das Haftungsdach/den Geschäftsherrn geltend gemacht werden.

[…]

12 Schadenmeldung durch den Versicherungsnehmer

In Abänderung bzw. Ergänzung des [...] Punkt 9.1.4.1 und 1.4.2 gilt vereinbart, dass eine Meldung an den Versicherer innerhalb einer Frist von 14 Tagen ab 'Ersteingang' einer Forderung bei einem Versicherten/Versicherungsnehmer zu erfolgen hat. […]

[...]“

[3] Sowohl der Rahmenvereinbarung als auch den Verträgen mit den einzelnen Vermittlernliegen die „Consultor Allgemeine und Ergänzende Allgemeine Bedingungen für die Berufshaftpflichtversicherung für die Bereiche Recht, Wirtschaft und Immobilien (C_ABHV/EBHV) zu Grunde. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 2

Versicherungsfall

1 Definition

Versicherungsfall ist der Verstoß (Handlung oder Unterlassung), welcher aus dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen (Art. 3 Pkt 1.) erwachsen oder erwachsen könnten.

2 Serienschaden

Als ein Versicherungsfall gelten auch alle Folgen

2.1 eines Verstoßes,

2.2 mehrerer auf derselben Ursache beruhender Verstöße

2.3 eines aus mehreren Verstößen erfließenden einheitlichen Schadens,

2.4 Ferner gelten als ein Versicherungsfall Verstöße, die auf gleichartigen, in zeitlichem Zusammenhang stehenden Ursachen beruhen, wenn zwischen diesen Ursachen ein rechtlicher, wirtschaftlicher oder technischer Zusammenhang besteht.

[...]

Artikel 9

Verhalten des Versicherungsnehmers während der Laufzeit des Vertrages

1 Obliegenheiten

Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt:

[…]

1.3 Der Versicherungsnehmer hat alles ihm Zumutbare zu tun, um Ursachen, Hergang und Folgen des Versicherungsfalles aufzuklären.

1.4 Der Versicherungsnehmer hat den Versicherer umfassend und unverzüglich spätestens innerhalb einer Woche ab Kenntnis zu informieren und zwar schriftlich, falls erforderlich auch fernmündlich oder fernschriftlich.

Insbesondere sind anzuzeigen

1.4.1 der Versicherungsfall

1.4.2 die Geltendmachung einer Schadenersatzforderung

[…]

1.4.4 alle Maßnahmen Dritter zur gerichtlichen Durchsetzung von Schadenersatzforderungen

1.5 Der Versicherungsnehmer hat den Versicherer bei der Feststellung und Erledigung oder Abwehr des Schadens zu unterstützen.

[...]“

[4] Ab Dezember 2014 war die Klägerin mit etwa 400 nach und nach eingebrachten Klagen von Anlegern wegen behaupteter Fehlberatung bei der Vermittlung von S*‑, E*- und H*-Anlageprodukten konfrontiert. In diesem Zusammenhang kam es auch zu Gesprächen zwischen der Klägerin und der Beklagten bezüglich einer allfälligen Deckung der Ansprüche, wobei die Beklagte dieser ablehnend gegenüberstand. Mit Schreiben vom 13. April 2016 teilte die Rechtsvertreterin der Beklagten einer für die Klägerin einschreitenden Rechtsanwaltskanzlei unter dem Betreff „Ablehnung der Deckung“ (ua) mit, dass nach Ansicht der Beklagten im H*-Schadenskomplex kein Versicherungsschutz besteht. Die Beklagte berief sich in diesem Zusammenhang darauf, dass die Klägerin den Vertrieb der hoch umstrittenen H*-Produkte von 2010 bis Mai 2011 vorsätzlich verschwiegen habe, obwohl es sich um wesentliche gefahrenerhöhende Umstände gehandelt habe, bei deren Offenlegung die Beklagte den Versicherungsvertrag nicht abgeschlossen hätte. Auf der zweiten Seite des Schreibens fasste der Vertreter der Beklagten zusammen: „[…] bestehen keine Deckungsansprüche [der Klägerin] aus der bei unserer Mandantin unterhaltenen Vermögensschadenhaftpflicht-Polizze. Dies gilt freilich nicht nur für den H*-Schadenskomplex, sondern auch für die gegen [die Klägerin] erhobenen Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit der Vermittlung von Beteiligungen an S*-Fonds sowie der Vermittlung der Produkte der E* […]“.

[5] Mit Beschluss vom 31. August 2016 wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Zuge der nachfolgenden Korrespondenz mit der Beklagten forderte der Masseverwalter die Beklagte auf, zu den Forderungen der Anleger im Konkurs Stellung zu nehmen und übermittelte das damals aktuelle Anmeldeverzeichnis im Konkurs. Die Beklagte erwiderte, dass sie mangels hinreichender Sachverhaltskenntnis die Begründetheit der Schadenersatzansprüche nicht prüfen könne und daher deren Anerkennung nicht zustimme. Auch in der Folge wies sie auf die Notwendigkeit von Einzelfallprüfungen hin.

[6] Mit Beschlüssen vom Mai und Juni 2017 wurden die der Klägerin und den Vermittlern aus den Versicherungsverträgen mit der Beklagten zukommenden Ansprüche aus dem Insolvenzverfahren ausgeschieden und der Klägerin zur freien Verfügung überlassen. Danach wurden unzählige Klagen von Anlegern gegen die Klägerin neu eingebracht bzw aufgrund des Insolvenzverfahrens unterbrochene Verfahren fortgesetzt.

[7] Die Erst- bis Drittnebenintervenienten sowie die achte Nebenintervenientin machten spätestens am 2. Mai 2017 Ansprüche gegenüber der Klägerin geltend.

[8] Mit Schreiben vom 23. Mai 2017 wies die Beklagtenvertreterin darauf hin, dass sie die Rahmenvereinbarung wegen Arglist anfechte. Sie bestätigte zudem den Erhalt der von der Klägerin geführten Kundenlisten bezüglich der Produkte H*, S* und E*.

[9] Mit E‑Mail vom 25. September 2017 übermittelte der Nebenintervenientenvertreter der Beklagten das Anmeldeverzeichnis im Konkursverfahren mit Stand 2. Mai 2017. Dieses enthielt die Erst- bis Drittnebenintervenienten und die Achtnebenintervenientin, nicht jedoch die übrigen Nebenintervenienten. Aus dem Anmeldeverzeichnis sind die Namen und Adressen der Gläubiger (Anleger) samt anwaltlicher Vertretung, die angemeldete Forderung, gesplittet in Kapital, Zinsen und Kosten sowie die Erklärung des Masseverwalters, ob und in welchem Umfang die Forderung anerkannt wurde, ersichtlich.

Der Geschäftsführer der Klägerin informierte die Beklagte mit E‑Mail vom 13. November 2017 (ua) wie folgt:

„[...]

Zahlreiche Kunden versuchen nun ihre Ansprüche klagsweise gegen den Masseverwalter bzw die Haftpflichtversicherung durchzusetzen. […] Aufgrund der fehlenden finanziellen und personellen Mittel ist [die Klägerin] nicht in der Lage, sich anwaltlich vertreten zu lassen, die Klagen zu beantworten oder an den Gerichtsverhandlungen teilzunehmen.

Wir ersuchen Sie, uns mitzuteilen, ob eine Meldung der Verfahren an die [Beklagte] notwendig ist und wie diese zu erfolgen hat. Wir möchten darauf hinweisen, dass eine Übermittlung sämtlicher Gerichtsdokumente sowie eine Prüfung der Höhe der Forderungen durch [die Klägerin] aufgrund der fehlenden finanziellen, technischen und personellen Mittel nicht möglich ist.“

Der Vertreter der Beklagten antwortete dem Geschäftsführer der Klägerin mit E‑Mail vom 24. November 2017 (ua) wie folgt:

„[…] Wie Ihnen bekannt sein dürfte, hat unsere Mandantin indes gegen die behaupteten Deckungsansprüche aus der Police [der Klägerin] die Einrede der Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung erhoben. Diese Einrede würde unsere Mandantin auch gegenüber etwaigen Inanspruchnahmen durch ehemalige Kunden [der Klägerin] erheben. Entsprechendes gilt für die behaupteten Ansprüche als weitere Versicherungsnehmerin unter den Vermittlerpolizzen, da die Rahmenvereinbarung [...], aus der sich die Stellung der [Klägerin] als weitere Versicherungsnehmerin unter den Vermittlerpolizzen ergibt, aus denselben Gründen anfechtbar ist wie Police [der Klägerin]. [...]

Abschließend bitten wir darum, uns über die anhängigen Verfahren gegen [die Klägerin] in geeigneter Form unterrichtet zu halten. [...]“

[10] Mit Schreiben vom 9. Juli 2018 verlangte die Beklagte über ihre Rechtsvertreter von der Klägerin unter anderem die Übermittlung von bereits zuvor verlangten Informationen, nämlich

• eine Aufstellung der Kunden (samt Angabe des jeweiligen Vermittlers), die über Vermittlung der Klägerin in H*-, S*- und E*-Produkte investiert haben und hinsichtlich derer die Klägerin mit der Geltendmachung von Forderungen rechnet oder rechnen muss;

• den finalen und verbindlichen Gesamtbetrag der von Kunden über Vermittlung der Klägerin in H*-, S*- und E*-Produkte investierten Gelder sowie den Gesamtbetrag der entsprechenden Nebenkosten;

• die voraussichtlichen Gesamtkosten (einschließlich Abwehrkosten), mit denen die Klägerin rechnet oder rechnen muss, und zwar sowohl hinsichtlich der Versicherungspolizze der Klägerin und der aufgrund der Rahmenvereinbarung angemeldeten Vermittler bzw der Subversicherungspolizzen der Vermittler, bei denen die Klägerin den Status als weitere Versicherungsnehmerin hatte.

[11] In diesem Schreiben wies die Beklagte darauf hin, dass die Klägerin bzw deren Geschäftsführer dazu verpflichtet seien, ihr alle zur Feststellung, Erledigung und Abwehr des Schadens erforderlichen Informationen zu erteilen, und dass die angeführten Informationen unbedingt erforderlich seien, um für den Fall des Bestehens einer Deckung einen Verteilungsplan nach § 156 Abs 3 VersVG erstellen zu können.

[12] Mit Schreiben vom 3. Oktober 2018 urgierte die Beklagtenvertreterin die geforderten Unterlagen und Informationen und forderte ergänzend entsprechende Informationen und Unterlagen zu den I*-Produkten.

[13] Mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 antwortete die damalige Klagsvertreterin, dass sich die Klägerin nicht in der Lage sehe, die Beklagte zu unterstützen, weil es dafür keine finanzielle Mittel gebe, die Unterlagen beim Masseverwalter seien und sie allfällige Recherchen nur gegen Kostenersatz vornehmen könne.

[14] Mit Schreiben vom 27. November 2018 forderte die Beklagtenvertreterin die damalige Klagsvertreterin nochmals unter Hinweis auf ihre Obliegenheiten auf, die geforderten Unterlagen zu übermitteln.

[15] Im Zeitraum von (zumindest) 30. Oktober 2018 bis 12. März 2019 wurden zwischen der Beklagten und den Nebenintervenienten unter Einbindung eines Prozessfinanzierers Vergleichsgespräche geführt.

[16] Die Viert- und Fünftnebenintervenienten machten ihre Ansprüche betreffend das Produkt I* gegenüber der Klägerin zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor dem 13. Februar 2019 geltend. Wann die Sechst- und Siebtnebenintervenienten ihre Ansprüche betreffend das Produkt I* gegenüber der Klägerin geltend machten, kann nicht festgestellt werden.

[17] Im Mai 2019 wurde für die Klägerin eine Notgeschäftsführerin bestellt.

[18] Mit E‑Mail vom 11. Dezember 2020 übermittelte die Klägerin der Beklagtenvertreterin die Beratungsprotokolle von insgesamt 20 Anlegern sowie Listen des Masseverwalters, aus denen sich die Volumina der Produkte S* und E*, aufgeteilt auf die einzelnen Berater, ergeben. Weiters übermittelte sie eine Liste der Namen der jeweiligen Kunden samt investiertem Betrag und Art des Produkts. Sie verwies darauf, dass diese Liste bereits davor vom Masseverwalter bzw von der vormaligen Klagsvertreterin übermittelt worden sei.

[19] Am 26. Jänner 2021 übermittelte die Klägerin der Beklagten eine Liste mit geschädigten Anlegern, die sämtliche Nebenintervenienten mit Ausnahme der Viert- und Fünftnebenintervenienten enthielt. Darin waren die Anleger samt Veranlagungsprodukt, Datum der Zeichnung, veranlagter Betrag und Name des Beraters angeführt. Weiters wurde eine Liste der Anleger, die keine Ansprüche gestellt hatten, übermittelt.

[20] Mit Schreiben vom 2. Februar 2021 an die Klägerin wies die Beklagtenvertreterin darauf hin, dass die übermittelten Informationen unvollständig, missverständlich und unübersichtlich seien und forderte weitere Informationen.

[21] Am 1. März 2021 übermittelte die Klägerin der Beklagten sämtliche geforderten Informationen und Unterlagen, überwiegend auf einer Festplatte.

[22] Die Klägerin begehrt die Feststellung 1. des aufrechten Bestehens der Rahmenvereinbarung und 2. der Deckungspflicht der Beklagten für die von den Nebenintervenienten gegen sie erhobenen Schadenersatzansprüche. Aus der Rahmenvereinbarung ergebe sich, dass die Nebenintervenienten auf die Polizze des jeweiligen Vermögensberaters, dem die Klägerin als weitere Versicherungsnehmerin beigetreten sei, greifen könnten. Die Klägerin sei allen Anzeige- und Informationspflichten, sowohl betreffend die einzelnen Schäden wie auch betreffend den Gesamtschaden nachgekommen. Ein Serienschaden liege nicht vor. Der Deckungsanspruch sei nicht verjährt, weil die Verjährung erst mit der Deckungsablehnung zu laufen beginne, die nicht erfolgt sei.

[23] Die Nebenintervenienten schlossen sich dem Vorbringen der Klägerin an.

[24] Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klagebegehren. Der Versicherungsvertrag werde wegen Arglist angefochten, weil die Klägerin bei Vertragsabschluss gewusst habe, dass Schadensfälle aufgrund des Produkts H* zu erwarten seien. Die Klage auf Feststellung der Versicherungsdeckung sei unzulässig, weil die Klägerin eine Leistungsklage einbringen könne. Für die Tätigkeit der vertraglich gebundenen Vermittler als Erfüllungsgehilfen der Klägerin bestehe nach dem übereinstimmenden Parteiwillen im Rahmen der jeweiligen Subversicherungspolizzen der Vermittler kein Versicherungsschutz für die Klägerin; dieser bestehe nur im Rahmen der eigenen Polizze, auf die sie sich nicht stütze. Die Klägerin habe in Bezug auf die von den Nebenintervenienten geltend gemachten Ansprüche ihre Anzeige- und Auskunftsobliegenheiten trotz mehrfacher Aufforderung durch die Beklagte verletzt. Der Deckungsanspruch sei im Übrigen gemäß § 12 Abs 1 VersVG verjährt. Eine Ablehnungserklärung sei für den Beginn der Verjährungsfrist nicht notwendig.

[25] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren betreffend das Aufrechtbestehen der Rahmenvereinbarung statt und wies die Mehrbegehren auf Feststellung der Deckungspflicht ab. Die Anfechtung der Rahmenvereinbarung wegen Arglist sei unberechtigt, weil ein vorsätzliches Verschweigen von aufklärungspflichtigen Tatsachen nicht erwiesen sei. Dieses Begehren sei daher berechtigt, nicht jedoch die begehrte Feststellung der Versicherungsdeckung: Die Klägerin sei nämlich vertraglich verpflichtet gewesen, die Beklagte auch über die weiteren Schadensfälle zu informieren. Darauf sei die Klägerin mehrfach hingewiesen worden. Die Klägerin habe dies abgelehnt und erst nach Bestellung der Notgeschäftsführerin und Einleitung weiterer Deckungsverfahren die Unterlagen übermittelt. Die bloße Übermittlung des Anmeldeverzeichnisses durch den Masseverwalter oder einer Liste von geschädigten Anlegern, aus der sich insbesondere nicht ableiten lasse, ob die jeweiligen Ansprüche der Anleger berechtigt seien, sei nicht ausreichend gewesen. Der Oberste Gerichtshof habe bei gleicher Sachlage ausgesprochen, dass die Klägerin dadurch, dass sie der Aufforderung durch das Schreiben vom 24. November 2017 nicht nachgekommen sei, (zumindest) grob fahrlässig ihre Obliegenheiten verletzt. Die Beklagte sei daher leistungsfrei.

[26] Das Berufungsgericht gab den dagegen erhobenen Berufungen beider Streitteile nicht Folge und führte rechtlich aus, entgegen dem Standpunkt der Klägerin habe sehr wohl eine zur Leistungsfreiheit führende Obliegenheitsverletzung vorgelegen und sei diese nicht durch die allfällige Sanierung des Informationsdefizits bis zum Schluss des erstinstanzlichen Verfahrens beseitigt worden. Wesentlich sei dabei, dass die Streitteile eine Serienschadenklausel vereinbart hätten. Die Tätigkeit der Klägerin (bzw ihrer Vermögensberater) habe in bestimmten Bereichen (S*, E*, I*, H*) stattgefunden, sodass die Frage nach dem Serienschaden geradezu auf der Hand liege. Selbst wenn aber kein Serienschaden vorläge, wäre die Klägerin entsprechend der ausdrücklichen Aufforderung der Beklagten zur Erteilung aller abstrakt relevanten Informationen verpflichtet gewesen. Da die Klägerin dieser Aufforderung lange Zeit nicht entsprochen habe, sei die Beklagte leistungsfrei. Eine um Jahre verspätete vollständige Nachholung der Informationsobliegenheiten sei deswegen ohne Bedeutung, weil es vorher schon zu zahlreichen Haftpflichtverfahren gegen die Klägerin gekommen sei, die zu Versäumungsurteilen und anschließenden Drittschuldnerklagen mit wesentlichen nachteiligen Folgen (unter anderem Prozesskosten) für die Beklagte geführt hätten. Es könne daher keine Rede davon sein, dass die Obliegenheitsverletzung folgenlos geblieben wäre.

[27] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands jeweils 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR überstiege und die Revision zur Klarstellung der Rechtslage, allenfalls auch zur Fortentwicklung der Rechtsprechung, insbesondere im Zusammenhang mit der Serienschadenklausel, zulässig sei.

[28] Gegen diese Entscheidung richtet sich die RevisionderKlägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer gänzlichen Klagsstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[29] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[30] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt.

[31] 1. Die Klägerin zieht die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach der geltend gemachte Anspruch nach österreichischem Sachrecht zu beurteilen sei, in der Revision nicht in Zweifel. Auf die selbständig zu beurteilende Rechtsfrage des anwendbaren Rechts ist daher nicht einzugehen (6 Ob 236/19b; 5 Ob 190/20g; 7 Ob 24/22p).

[32] 2. Soweit der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt ergänzt wurde, beruht dies auf dem Inhalt unstrittiger Urkunden (RS0121557 [T3]).

3. Zum Feststellungsinteresse:

[33] 3.1. Ab der Inanspruchnahme durch den Dritten steht dem Versicherungsnehmer in der Haftpflichtversicherung (vorerst nur) ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Versicherungsschutzes (der Deckungspflicht) zu, wenn der Versicherer die Deckung ablehnt (RS0038928 [T5]). Mit der bloßen Ablehnung der Deckung geht allerdings der primär nicht auf eine Geldleistung gerichtete Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers nicht (gleichsam automatisch) in einen Zahlungsanspruch über (RS0038928 [T6]). Auf eine Leistungsklage kann der Versicherungsnehmer noch nicht verwiesen werden, auch wenn der Schaden bereits zur Gänze behoben wurde oder der geltend gemachte Schaden bereits ziffernmäßig feststeht (RS0038928 [T7]). Der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers verwandelt sich gemäß § 154 Abs 1 VersVG, der keine Sondervorschriften für das Fälligwerden anordnet (RS0080609), nur dann in einen Zahlungsanspruch, wenn der Versicherungsnehmer den Dritten befriedigt oder der Anspruch des Dritten durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist (RS0080603).

[34] 3.2. Dass die Erst- bis Drittnebenintervenienten bereits einen Haftpflichtprozess anhängig gemacht haben, wurde nicht einmal behauptet. Die Viert- bis Siebtnebenintervenienten haben ihre Ansprüche zwar bereits gerichtlich geltend gemacht, allerdings fehlen Feststellungen, in welchem Stadium sich diese Verfahren zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (vgl RS0039085) befanden. Dieser Umstand kann jedoch derzeit dahingestellt bleiben, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen betreffend diese Anleger ohnehin aufzuheben sind. Bezüglich der Achtnebenintervenientin behauptet die Klägerin zwar selbst, das Verfahren sei mittlerweile rechtskräftig abgeschlossen, allerdings ist der Zeitpunkt des rechtskräftigen Verfahrensabschlusses nicht aktenkundig. Dieser Umstand hat aber keine Relevanz, weil die klagsabweisende Entscheidung bezüglich der Deckung für die Ansprüche dieser Anlegerin zu bestätigen ist.

[35] 4. Die Klägerin ist gemäß Punkt 1.3 der Rahmenvereinbarung berechtigt, den Anspruch auf Versicherungsdeckung geltend zu machen, weil sie als Geschäftsherrin der einzelnen Vermittler von den Anlegern auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird.

5. Zu den Obliegenheitsverletzungen:

[36] 5.1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen sowie ungerechtfertigten Ansprüchen (RS0116978) und vor betrügerischen Machenschaften zu schützen (RS0080833). Durch die Aufklärung soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen (vgl RS0080203 [T1]). Es genügt, dass die begehrte Information abstrakt zur Aufklärung des Schadenereignisses geeignet ist (RS0080833 [T7]; RS0080205 [T2]).

[37] 5.2. Der Versicherer braucht nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nachzuweisen, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe (RS0081313). Dass – bei grob fahrlässiger Begehung einer Obliegenheitsverletzung – die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat (Kausalitätsgegenbeweis; RS0116979), ist ebenfalls vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RS0081313).

[38] 5.3. Die Klägerin ist hier gemäß Art 9.1.4.1 C_ABHV/EBHV zur Anzeige des Versicherungsfalls verpflichtet (vgl auch § 33 Abs 1 VersVG). Die Anzeigeobliegenheit besteht bereits dann, wenn dem Versicherungsnehmer klar werden muss, dass zumindest Schadenersatzverpflichtungen erwachsen könnten, denn dann liegt bereits ein Versicherungsfall nach Art 2.1 C_ABHV/EBHV vor. Es kommt nicht auf die Erhebung von Ansprüchen durch den Geschädigten an (7 Ob 25/10t; Ramharter in Fenyves/Perner/Riedler 3 § 153 VersVG Rz 8; Maitz, AHVB 217). Ob die Klägerin in Bezug auf die hier strittigen Versicherungsfälle die Anzeigeobliegenheit verletzt hat, lässt sich dem Sachverhalt nicht zweifelsfrei entnehmen, weil das Erstgericht lediglich Feststellungen zur Geltendmachung der jeweiligen Haftpflichtansprüche gegenüber der Klägerin getroffen hat, nicht jedoch zu dem nach der Judikatur relevanten Zeitpunkt, zu dem der Klägerin klar werden musste, dass ihr Schadenersatzverpflichtungen der Nebenintervenienten erwachsen könnten.

[39] Dieser Feststellungsmangel hat jedoch nur bezüglich der die Viert- bis Siebtnebenintervenienten betreffenden Versicherungsfälle Relevanz.

[40] Hingegen ist die Entscheidung bezüglich der die Erst- bis Drittnebenintervenienten und die achte Nebenintervenientin betreffenden Versicherungsfälle aus folgenden Gründen spruchreif:

[41] 5.4.1. Die Klägerin hat weiters gemäß Art 9.1.4.2 C_ABHV/EBHV die Geltendmachung einer Schadenersatzforderung und gemäß Art 9.1.4.4 C_ABHV/EBHV alle Maßnahmen Dritter zur gerichtlichen Durchsetzung von Schadenersatzforderungen anzuzeigen. Jeder dieser Tatbestände ist gesondert anzuzeigen, unabhängig davon, ob der Schadensfall selbst oder in der Folge eingetretene Umstände bereits angezeigt wurden (Ramharter in Fenyves/Perner/Riedler 3 § 153 VersVG Rz 8; Maitz, AHVB 217).

[42] 5.4.2. Hier steht fest, dass die Erst- bis Drittnebenintervenienten und die achte Nebenintervenientin spätestens am 2. Mai 2017 ihre Ansprüche gegenüber der Klägerin geltend gemacht haben. Ab diesem Zeitpunkt traf daher die Klägerin die Obliegenheit, die Beklagte umfassend und unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche, von der Geltendmachung dieser Schadenersatzforderungen zu informieren (Art 9.1.4.2 C_ABHV/EBHV).

[43] Dass in den Kundenlisten, deren Erhalt die Beklagte mit Schreiben vom 23. Mai 2017 bestätigte, Anspruchserhebungen dieser Nebenintervenienten enthalten gewesen wären, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Diese fanden sich erst im am 25. September 2017 der Beklagten vom Rechtsvertreter der Nebenintervenienten übermittelten Anmeldeverzeichnis des Konkursverfahrens, das die Erst- bis Drittnebenintervenienten und die achte Nebenintervenientin (Name, Adresse, Rechtsvertreter, angemeldete Forderung) enthielt. Die Beklagte erfuhr daher erstmals zu diesem Zeitpunkt von der Geltendmachung der Schadenersatzforderungen dieser Nebenintervenienten. Diese Verständigung war nach dem klaren Wortlaut von Art 9.1.4.2 C_ABHV/EBHV verspätet.

[44] Der Klägerin ist auch der Nachweis der bloß leicht fahrlässigen Obliegenheitsverletzung nicht gelungen: Wird der Versicherer über Monate nicht von der Geltendmachung einer Schadenersatzforderung informiert und besteht darüber hinaus nicht einmal die aktive Bereitschaft zur Bereitstellung einfachster Informationen, wie etwa der Übermittlung von gerichtlichen Dokumenten, dann liegt jedenfalls grobe Fahrlässigkeit vor (ähnlich 7 Ob 181/20y). Den Kausalitätsgegenbeweis ist die Klägerin im Verfahren erster Instanz nicht angetreten, weshalb das diesbezügliche Vorbringen in der Revision gegen das Neuerungsverbot verstößt (§ 504 Abs 2 ZPO). Die Beklagte ist daher wegen Verletzung der in Art 9.1.4.2 C_ABHV/EBHV vereinbarten Verständigungsobliegenheit in Bezug auf die von den Erst- bis Drittnebenintervenienten und der Achtnebenintervenientin geltend gemachten Ansprüche leistungsfrei.

[45] 5.4.3. Bezüglich der Viert- und Fünftnebenintervenienten ist der Beklagten aufgrund der vom Erstgericht getroffenen (Negativ‑)Feststellungen zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Schadenersatzansprüche gegenüber der Klägerin sowie deren Kenntnis durch die Beklagte, der Nachweis der Verletzung der in Art 9.1.4.2, Art 9.1.4.4 C_ABHV/EBHV vereinbarten Obliegenheiten in Bezug auf diese Versicherungsfälle nicht gelungen.

[46] Zur Sechst- und Siebtnebenintervenienten konnte das Erstgericht den Zeitpunkt der Geltendmachung ihrer Ansprüche gegenüber der Klägerin nicht feststellen. Diese Negativfeststellung kann im Gesamtzusammenhang nur so verstanden werden, dass sie sich auf eine außergerichtliche Geltendmachung bezieht. Dass diese Nebenintervenienten ihre Ansprüche mit Klage vom 29. August 2019 gegenüber der Klägerin gerichtlich geltend machten, ist nämlich unstrittig. Es gibt auch im gesamten Urteil keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Erstgericht aufgrund bestimmter Erwägungen von diesem unstrittigen Vorbringen abgehen wollte. Der festgestellte Sachverhalt ist daher insoweit zu ergänzen (vgl RS0121557 [T8]).

[47] Daraus folgt, dass der Beklagten der Nachweis einer Verletzung der in Art 9.1.4.2 C_ABHV/EBHV normierten Obliegenheit in Bezug auf die die Sechst- und Siebtnebenintervenienten betreffenden Versicherungsfällenicht gelungen ist.

[48] Hingegen kann derzeit nicht beurteilt werden, ob die Klägerin in Bezug auf diese beiden Nebenintervenienten die Obliegenheit gemäß Art 9.1.4.4 C_ABHV/EBHV verletzt hat. Es fehlen nämlich Feststellungen, ob und wenn ja zu welchem Zeitpunkt die Beklagte vom Haftpflichtprozess der Sechst- und Siebtnebenintervenienten in Kenntnis gesetzt wurde.

[49] 5.5.1. Als weitere Obliegenheit hat der Versicherungsnehmer gemäß Art 9.1.3 und Art 9.1.5.1 C_ABHV/EBHV alles ihm Zumutbare zu tun, um Ursachen, Hergang und Folgen des Versicherungsfalls aufzuklären (Aufklärungsobliegenheit) und den Versicherer bei der Feststellung und Erledigung oder Abwehr des Schadens zu unterstützen (Mitwirkungsobliegenheit). Dabei handelt es sich um Ausgestaltungen der Auskunftsobliegenheit gemäß § 34 Abs 1 VersVG. Zweck dieser Auskunftsobliegenheit ist es, das Informationsdefizit des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer auszugleichen. Naturgemäß ist der Versicherungsnehmer über die ihn betreffenden Lebenssachverhalte umfassender informiert als der Versicherer. Er soll daher dem Versicherer alle ihm bekannten Informationen erteilen und ihm zur Verfügung stehende Unterlagen ausfolgen (7 Ob 20/17t mwN). Der Versicherer kann diejenigen Auskünfte verlangen, die er für notwendig hält, sofern sie für Grund und Umfang seiner Leistung bedeutsam sein können (RS0080185); dass er sich diese Auskünfte auch auf andere Weise verschaffen könnte, ist ohne Belang (7 Ob 232/02x). Grundsätzlich kann der Versicherungsnehmer nur über ihm bekannte Tatsachen Auskunft geben. Ihn kann aber auch im Einzelfall eine Erkundungspflicht treffen. Dies ist dann der Fall, wenn dem Versicherungsnehmer Anhaltspunkte dafür bekannt sind, dass weitere relevante Tatsachen ermittelt werden können, die einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer veranlassen würden, weitere Nachforschungen zur Aufklärung des Sachverhalts anzustellen. Eine Erkundungsobliegenheit besteht nur, soweit sie zumutbar ist (7 Ob 180/14t).

[50] 5.5.2. Bezüglich der Viert- bis Siebtnebenintervenienten liegt auch keine Verletzung der Auskunftsobliegenheit vor: Die Beklagte forderte von der Klägerin mit Schreiben vom 3. Oktober und 27. November 2018 entsprechende Informationen zu den I*‑Produkten sowie den davon betroffenen Anlegern. Allerdings steht nicht fest, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt schon mit den Ansprüchen der Viert- bis Siebtnebenintervenienten konfrontiert war. Selbst wenn man daher diese nicht ausdrücklich die Viert- bis Siebtnebenintervenienten betreffenden Informationsersuchen als ausreichend ansehen und die Voraussetzungen der Serienschadenklausel vorliegen würden, wäre es eine Überspannung der Auskunftsobliegenheit, wenn die Klägerin, die mit mehreren hunderten Ansprüchen geschädigter Anleger konfrontiert ist, aufgrund allgemein gehaltener Auskunftsverlangen auch über jene Sachverhalte umfassend Auskunft geben müsste, mit denen sie bislang mangels Anspruchserhebung noch gar nicht konfrontiert war. Die Bezugnahme auf die Serienschadenklausel in der Entscheidung 7 Ob 204/19d betraf nur die Fragen, ob das Schreiben vom 13. April 2016 als Deckungsablehnung zu werten ist und ob ein schlüssiger Verzicht auf weitere Informationen vorlag; sie sind daher für die in diesem Punkt abgehandelte Thematik nicht einschlägig (vgl Punkt 9.4. der Entscheidung; ebenso Punkt 5.5. in 7 Ob 153/20f, Punkte 5.3. und 5.5. in 7 Ob 149/20t, Punkt 5.3. in 7 Ob 152/20h sowie Punkte 6.3. und 6.5. in 7 Ob 181/20y).

6. Zur Verjährung:

[51] Der Deckungsanspruch aus der Haftpflichtversicherung entsteht und wird in dem Zeitpunkt fällig, in dem der Versicherungsnehmer von einem geschädigten Dritten ernstlich in Anspruch genommen wird; die Verjährungsfrist des § 12 Abs 1 VersVG für diesen Anspruch beginnt zu diesem Zeitpunkt zu laufen (RS0080086; 7 Ob 91/10y). Für den Beginn der Verjährungsfrist ist der Beklagte beweispflichtig (RS0034456). Da die Klage im verbundenen Verfahren am 13. Mai 2020 eingebracht wurde, scheidet eine Verjährung des Deckungsanspruchs aufgrund der (Negativ‑)Feststellungen zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Schadenersatzansprüche der Viert- bis Siebtnebenintervenienten gegenüber der Klägerin aus.

[52] 7. Zusammengefasst war daher die Abweisung der Deckungsklage bezüglich der von den Erst- bis Drittnebenintervenienten und der Achtnebenintervenientin erhobenen Ansprüche mit Teilurteil zu bestätigen. Im darüber hinausgehenden Umfang – also bezüglich der von den Viert- bis Siebtnebenintervenienten geltend gemachten Ansprüche – waren die Urteile aufzuheben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen, weil die Vorinstanzen zur Verletzung der Anzeige- und Verständigungsobliegenheit (vgl die Punkte 5.3. und 5.4.3.) keine ausreichenden Feststellungen und zu den weiteren Deckungseinwänden der Beklagten (vgl insbesondere ON 33, S 17 ff im verbundenen Akt) überhaupt keine Feststellungen getroffen haben.

[53] 8. Die Kostenentscheidung beruht für das Teilurteil auf § 52 Abs 4 ZPO und für den Aufhebungsbeschluss auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.

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