European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00181.20Y.1125.000
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das klageabweisende Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei jeweils binnen 14 Tagen die mit 1.519,80 EUR (darin 253,30 EUR an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.527,56 EUR (darin 182,76 EUR an USt und 1.431 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die E***** GmbH (folgend nur: E&S) war als gewerbliche Vermögensberaterin tätig. Für E&S auftretende Vermittler vertrieben (ua) Kommanditbeteiligungen („geschlossene Fonds“ [„S*****“]), „gebrauchte Lebensversicherungen“ („Secondhand‑Polizzen“ [„H*****“]) sowie Gold‑ und Silbersparpläne [„E*****“] als Anlageprodukte.
E&S hat mit der Beklagten eine Versicherungs-Rahmenvereinbarung zur Vermögensschadenhaftpflicht für Wertpapiervermittler und Vermögensberater der Kooperationspartner abgeschlossen, welche – unstrittig – auszugsweise wie folgt lautete:
„ […]
1. Versicherungsnehmer
1.1 Versicherungsnehmer sind die einzelnen zu dieser Rahmenvereinbarung angemeldeten Vermittler. …
[… ]
2. Inhalt und Umfang
2.1 . Der Versicherungsschutz umfasst im Rahmen der behördlichen Genehmigungen alle Tätigkeiten und Eigenschaften des Versicherungsnehmers/Versicherten je nach Anmeldung
a) als Wertpapiervermittler […]
b) als gewerblicher Vermögensberater […]
[… ]
3. Vertragsgrundlagen
3.1. Analoge Anwendungen der Allgemeinen Bedingungen für die Berufshaftpflichtversicherung (C_ABHV/EBHV neue Fassung Vermögensberater 2012 Beilage), sowie nachstehende besondere Vereinbarungen
[...] “
Die in der Versicherungs-Rahmenvereinbarung bezeichneten C_ABHV/EBHV lauten auszugsweise:
„Artikel 1
Versichertes Risiko; […]
1. Inhalt und Umfang
Das versicherte Risiko ergibt sich aus der in der Polizze festgelegten Risikobeschreibung und umfasst alle Eigenschaften, Rechtsverhältnisse und Tätigkeiten, zu denen der Versicherungsnehmer aufgrund der für seinen Beruf oder Betrieb geltenden Rechtsnormen berechtigt ist.
[…]
Artikel 2
Versicherungsfall
1. Definition
Versicherungsfall ist der Verstoß (Handlung oder Unterlassung), welcher aus dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzpflichten (Art. 3. Pkt. 1) erwachsen oder erwachsen könnten.
2. Serienschaden
[…]
2.4 Ferner gelten als ein Versicherungsfall Verstöße, die auf gleichartigen, in zeitlichem Zusammenhang stehenden Ursachen beruhen, wenn zwischen diesen Ursachen ein rechtlicher, wirtschaftlicher oder technischer Zusammenhang besteht.
[…]
Artikel 3
Leistungsversprechen des Versicherers
1. Leistungsversprechen
Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer
1.1 die Erfüllung von Schadenersatzpflichten […]
[…]
Artikel 9
Verhalten des Versicherungsnehmers während der Laufzeit des Vertrages
1 Obliegenheiten
Als Obliegenheiten deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherungsnehmers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt
[…]
1.4 Der Versicherungsnehmer hat den Versicherer umfassend und unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Kenntnis zu informieren, und zwar schriftlich, falls erforderlich auch fernmündlich oder fernschriftlich.
Insbesondere sind anzuzeigen:
1.4.1 der Versicherungsfall
1.4.2 die Geltendmachung einer Schadenersatzforderung
[… ]
1.4.4 alle Maßnahmen Dritter zur gerichtlichen Durchsetzung von Schadenersatzforderungen
[…]
1.5.3 Der Versicherungsnehmer ist nicht berechtigt ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Schadenersatzanspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen – es sei denn, der Versicherungsnehmer konnte die Anerkennung nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern – oder zu vergleichen.
[…]“
Die Klägerin veranlagte im Jahr 2011 aufgrund der Beratung eines damals für E&S tätigen Vermittlers über einen Edelmetallkaufvertrag bei der E***** einen Kapitalbetrag von 10.500 EUR.
Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz eröffnete mit Beschluss vom 31. 8. 2016 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E&S. Der Insolvenzverwalter übermittelte das Anmeldungsverzeichnis an die Beklagte und führte in einem Begleitschreiben vom 7. 12. 2016 sinngemäß aus, dass die Feststellung der Berechtigung der Ansprüche in einer Einzelfallprüfung erfolgen müsse und der Insolvenzverwalter beabsichtige, Schadenersatzansprüche aus einem bestimmten Produkt dem Grund nach anzuerkennen.
Die Beklagte entgegnete mit Schreiben vom 11. 12. 2016, dass ihr keine ausreichenden Informationen zu den Schadensfällen vorlägen und erklärte, keine Zustimmung zu einer Anerkennung von Ansprüchen zu erteilen. Im Zuge weiterer Korrespondenz mit dem Insolvenzverwalter nahm die Beklagte auf die Notwendigkeit von Einzelfallprüfungen Bezug.
In einem weiteren Schreiben der Beklagten an den Insolvenzverwalter vom 23. 5. 2017 teilte diese (ua) mit:
„[...]
2. Es trifft zu, dass die Insolvenzschuldnerin aufgrund Ziff 1.3 der Rahmenvereinbarung zur Vermögensschadenhaftpflicht‑Polizze den Status eines weiteren Versicherungsnehmers unter den einzelnen Vermittler‑Polizzen erhält. Allerdings wäre auch die mit der E&S Polizze verbundene Rahmenvereinbarung von unserer Mandantin keinesfalls abgeschlossen worden, wenn die Insolvenzschuldnerin seinerzeit jene Umstände pflichtgemäß offengelegt hätte, die der Einstellung des H*****‑Vertriebs zugrunde lagen. Unsere Mandantin behält sich deshalb die Einrede der arglistigen Täuschung auch in Bezug auf die Rahmenvereinbarung weiterhin ausdrücklich vor. Im Ergebnis kommt daher eine Deckung der hier in Frage stehenden Schäden unter den Vermittlerpolizzen nicht in Betracht.
[...]
6. Zum jetzigen Zeitpunkt kann unsere Mandantin die von Ihnen erbetene Zustimmung zur Anerkennung der angemeldeten Kundenansprüche nicht erteilen, da weder eine generelle Aussage zur Begründetheit dieser Ansprüche getroffen werden kann noch uns eine Einzelfallprüfung der jeweiligen Sachverhalte möglich ist. [...]“
Das Insolvenzgericht schied in der Folge die der E&S und den Vermittlern aus den Versicherungsverträgen mit der Beklagten zukommenden Ansprüche gemäß § 119 Abs 5 IO aus dem Insolvenzverfahren aus und überließ sie E&S zur freien Verfügung.
Die Beklagte hatte über ihre Rechtsvertreter gegenüber E&S bereits mit Schreiben vom 13. 4. 2016 im Hinblick auf andrängende Gläubiger unter Hinweis auf das vorsätzliche Verschweigen der zu erwartenden Probleme mit H*****‑Produkten beim Abschluss des Versicherungsvertrags sämtliche Deckungsansprüche abgelehnt. In diesem Schreiben teilt die Beklagte unter dem Betreff „Versicherungsschein‑Nr.: ***** Ablehnung der Deckung“ (ua) mit, dass:
„[…] im gegenständlichen Schadensfall (gemeint: [den nicht die Klägerin betreffenden] H*****‑Schadenskomplex [und mit die direkten Vereinbarungen mit der E&S betreffenden Argumenten]) kein Versicherungsschutz besteht. […]“
Auf der zweiten Seite des Schreibens fasst der Vertreter der Beklagten zusammen:
„[…] bestehen keine Deckungsansprüche Ihrer Mandantin (gemeint: E&S) aus der bei unserer Mandantin unterhaltenen Vermögensschadenhaftpflicht‑Polizze. Dies gilt freilich nicht nur für den H*****‑Schadenskomplex, sondern auch für die gegen Ihre Mandantin erhobenen Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit der Vermittlung von Beteiligungen an S*****‑Fonds sowie der Vermittlung der Produkte des E***** e.V. […]“
Der Geschäftsführer von E&S informierte die Beklagte mit E‑Mail vom 13. 11. 2017 (ua) wie folgt:
„[...]
Zahlreiche Kunden versuchen nun ihre Ansprüche klagsweise gegen den Masseverwalter bzw die Haftpflichtversicherung durchzusetzen. […] Aus diesem Grund werden zahlreiche der Ihnen bereits gemeldeten und bekannten Verfahren gegen (E&S) fortgeführt. Darüber hinaus wird eine große Zahl an neuen Klagen gegen (E&S) eingebracht. Ziel der Rechtsvertreter der Kunden [...] ist es, ein Versäumungsurteil gegen (E&S) zu erwirken um gegen die Haftpflichtversicherung vorgehen zu können. Aufgrund der fehlenden finanziellen und personellen Mittel ist (E&S) nicht in der Lage, sich anwaltlich vertreten zu lassen, die Klagen zu beantworten oder an den Gerichtsverhandlungen teilzunehmen.
Wir ersuchen Sie, uns mitzuteilen, ob eine Meldung der Verfahren an die (Beklagte) notwendig ist und wie diese zu erfolgen hat. Wir möchten darauf hinweisen, dass eine Übermittlung sämtlicher Gerichtsdokumente sowie eine Prüfung der Höhe der Forderungen durch (E&S) aufgrund der fehlenden finanziellen, technischen und personellen Mittel nicht möglich ist.
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung im Voraus.“
Der Vertreter der Beklagten antwortete dem Geschäftsführer der E&S mit E‑Mail vom 24. 11. 2017 (ua) wie folgt:
„[…] Uns ist allerdings nicht klar, weshalb in diesen Verfahren eine externe anwaltliche Vertretung erforderlich sein sollte. Soweit infolge der Bestreitung von behaupteten Schadensersatzansprüchen ehemaliger Kunden durch den Insolvenzverwalter der E&S [...] Klagen anhängig gemacht bzw. fortgeführt wurden, hat [der Insolvenzverwalter] bislang jeweils […] Klageabweisung beantragt. Es kann also nach unserer Kenntnis keine Rede davon sein, dass es der E&S nicht möglich wäre, sich gegen die Klagen zu verteidigen. Für uns ist nicht ersichtlich, inwiefern und aus welchem Grund sich hieran zukünftig etwas ändern sollte.
Im Übrigen sehen wir nicht, dass etwaige (Versäumnis‑)Urteile zugunsten ehemaliger E&S‑Kunden diesen einen Zugriff auf die von E&S behaupteten Deckungsansprüche gegen unsere Mandantin ermöglichen würden. Zwar trifft es zu, dass der Insolvenzverwalter sowohl die (angeblichen) Deckungsansprüche der E&S unter der ehemals bei unserer Mandantin unterhaltenen Vermögensschadenhaftpflichtpolice als auch die behaupteten Ansprüche als weitere Versicherungsnehmerin unter den Policen der ehemaligen E&S‑Vermittler gemäß § 119 Abs 5 IO ausgeschieden hat.
Wie Ihnen bekannt sein dürfte, hat unsere Mandantin indes gegen die behaupteten Deckungsansprüche aus der E&S‑Police die Einrede der Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung erhoben. Diese Einrede würde unsere Mandantin auch gegenüber etwaigen Inanspruchnahmen durch ehemalige E&S‑Kunden erheben. Entsprechendes gilt für die behaupteten Ansprüche als weitere Versicherungsnehmerin unter den Vermittlerpolizzen, da die Rahmenvereinbarung zur E&S‑Police, aus der sich die Stellung der E&S als weitere Versicherungsnehmerin unter den Vermittlerpolizzen ergibt, aus denselben Gründen anfechtbar ist wie die E&S‑Police. Im Übrigen sei angemerkt, dass uns bisher keine Inanspruchnahmen unserer Mandantin durch ehemalige E&S‑Kunden bekannt sind.
Abschließend bitten wir darum, uns über die anhängigen Verfahren gegen E&S in geeigneter Form unterrichtet zu halten. [...]“
Mit Schreiben vom 9. 7. 2018 forderte die Beklagte über ihre Rechtsvertreter die E&S bzw deren Geschäftsführer unter ausdrücklicher Bezugnahme (auch) auf das hier geführte Verfahren auf, ihr umgehend folgende Unterlagen bzw Informationen zu übermitteln:
• Auskünfte dazu, zu welchem Zeitpunkt, von welchem Vermittler und über welche Risiken die oben angeführten (und potenzielle weitere) Kläger beim Erwerb der Unternehmensbeteiligungen bzw beim Abschluss der Edelmetallkaufverträge beraten wurden sowie eine Stellungnahme des jeweiligen Vermittlers zum Inhalt des jeweiligen Beratungsgespräches;
• sämtliche Dokumente, die den oben angeführten Klägern im Zuge der Erwerbsvorgänge bzw anlässlich der Beratung durch die Vermittlerin/den Vermittler übergeben oder von diesen unterfertigt wurden (Beitrittserklärungen, Beitrittszertifikate, Kaufverträge, produktbezogene Informationsbroschüren, Prospekte, Anlegerprofile bzw Vermögensanalysen, Risikohinweise etc);
Außerdem verlangte die beklagte Partei die Übermittlung von bereits zuvor verlangten Informationen, nämlich
• eine Aufstellung der Kunden (samt Angabe des jeweiligen Vermittlers), die über Vermittlung der E&S in H*****‑Produkte, S*****‑Produkte und E*****‑Produkte investiert haben und hinsichtlich derer die E&S mit der Geltendmachung von Forderungen rechnet oder rechnen muss;
• den finalen und verbindlichen Gesamtbetrag der von Kunden über Vermittlung der E&S in H*****‑Produkte, S*****‑Produkte und E*****‑Produkte investierten Gelder sowie den Gesamtbetrag der entsprechenden Nebenkosten;
• die voraussichtlichen Gesamtkosten (einschließlich Abwehrkosten), mit denen die E&S rechnet oder rechnen muss, und zwar sowohl hinsichtlich der Versicherungspolizze von E&S und der aufgrund der Rahmenvereinbarung angemeldeten Vermittler bzw der Subversicherungspolizzen der Vermittler, bei denen die E&S den Status als weitere Versicherungsnehmerin hatte.
In diesem Schreiben wies die Beklagte darauf hin, dass die E&S bzw deren Geschäftsführer dazu verpflichtet sind, ihr alle zur Feststellung, Erledigung und Abwehr des Schadens erforderlichen Informationen zu erteilen, und dass die angeführten Informationen unbedingt erforderlich sind, um für den Fall des Bestehens einer Deckung einen Verteilungsplan nach § 156 Abs 3 VersVG erstellen zu können.
Dieser Aufforderung kam die E&S bzw deren Geschäftsführer nicht nach.
Die Klägerin erhob am 28. 6. 2017 wegen behaupteter Beratungsfehler des Vermittlers Klage gegen E&S auf Zahlung von 11.957,05 EUR sA (10.500 EUR Kapital zuzüglich 2,5 % Zinsen einer Alternativveranlagung) bei sonstiger Exekution in den Deckungsanspruch der E&S gegenüber der Beklagten aus dem Versicherungsvertrag. In diesem Verfahren wurde der Beklagten nicht der Streit verkündet. Mangels Beteiligung der E&S am Verfahren erging am 10. 10. 2017 ein stattgebendes Versäumungsurteil, mit dem die Klägerin neben dem begehrten Kapital samt Zinsen auch 2.314,64 EUR an Kosten zugesprochen erhielt. Das Versäumungsurteil blieb unbekämpft. Aufgrund dieses Titels pfändete die Klägerin allfällige Forderungen der E&S gegen die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag. Die Beklagte erfuhr erst im Rahmen des Exekutionsverfahrens von den Schadenersatzansprüchen der Klägerin.
Die Klägerin begehrt im Drittschuldnerprozess von der Beklagten die Zahlung von 15.317,46 EUR sA Zug um Zug gegen Übertragung ihrer Rechte und Pflichten aus dem von ihr abgeschlossenen Veranlagungsvertrag infolge Aufklärungspflichtverletzung des für E&S tätig gewesenen Vermittlers. Das gegen E&S erwirkte Versäumungsurteil binde auch die Beklagte, weil ihr sämtliche Klagen bis zur Insolvenzeröffnung sowie danach das Anmeldungsverzeichnis weitergeleitet worden seien und die Beklagte wiederholt Deckung verweigert habe. E&S sei daher auch nicht verpflichtet gewesen, der Beklagten sämtliche Informationen über den Schadensfall sowie Informationen über das Ausmaß des Gesamtschadens zu übermitteln.
Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wandte – soweit für das Rekursverfahren relevant – ein, dass E&S sie über den Schadensfall hätte informieren und Maßnahmen zur Abwehr unberechtigter Ansprüche hätte ergreifen müssen. Die Deckungsablehnung habe nicht den konkreten Schadensfall betroffen. Die E&S habe ihre Informationsobliegenheit zumindest grob fahrlässig, wenn nicht vorsätzlich nicht erfüllt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es bejahte rechtlich eine grob fahrlässige Verletzung der Informationsobliegenheiten nach Art 9.1.4 C_ABHV/EBHV durch E&S, die zur Leistungsfreiheit der Beklagten führe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin dahin Folge, dass es das Urteil des Erstgerichts aufhob und diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftrug. Es vertrat die Rechtsansicht, dass sich die Beklagte in der Korrespondenz mit E&S schon mit ihren Schreiben vom 13. 4. 2016 und vom 23. 5. 2017 auf die Ablehnung der Deckung wegen vorsätzlichen Verschweigens gefahrenerhöhender Umstände durch die E&S bei Abschluss des Versicherungsvertrags zurückgezogen habe. Diesen Standpunkt habe die Beklagte auch nach der Information durch den Geschäftsführer von E&S mit E‑Mail vom 13. 11. 2017 über die fehlenden finanziellen Mittel zur Rechtsverteidigung gegenüber klagenden Anlegern und deren Plan, unter Einschaltung einer Prozessfinanziererin Versäumungsurteile gegen die E&S zu erwirken, aufrecht erhalten. Damit sei die alleinige Prozessführungsbefugnis auf E&S übergegangen, der es dann auch zugestanden sei, ein Versäumungsurteil gegen sich ergehen zu lassen, was in der gegebenen Situation auch nicht (grob) fahrlässig gewesen sei. Die Beklagte habe davon ausgehen müssen, dass vom Geschäftsführer der faktisch mittellosen E&S weder eine Verwaltung einlangender Klagen und eine effektive Anspruchsprüfung, noch eine Anspruchsabwehr zu erwarten gewesen sei, weshalb es zur Verhinderung von Säumnisentscheidungen gegen E&S des Aktivwerdens und der Abwehrdeckung der beklagten Versicherung bedurft hätte. Eine Obliegenheitsverletzung von E&S habe daher nicht vorgelegen. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren die weiteren Einwände der beklagten Drittschuldnerin, insbesondere den zentralen Einwand des arglistigen Verschweigens gefahrenerhöhender Umstände durch E&S als Versicherungsnehmerin bei Vertragsabschluss, zu prüfen und neuerlich zu entscheiden haben.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs zulässig sei. Die in Frage stehenden Obliegenheiten einer vermögenslosen Schuldnerin nach Ausscheiden ihrer Ansprüche aus der Konkursmasse gegenüber ihrer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung nach deren pauschaler Deckungsablehnung rechtfertigten angesichts zahlreicher gleichgelagerter Verfahren gegen die Beklagte die Zulassung des Rekurses.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das erstinstanzliche Urteil vollinhaltlich zu bestätigen.
Der Kläger erstattete eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1.1. Der erkennende Senat hat die von der Beklagten behauptete Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO geprüft; sie liegt nicht vor. Eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO ist nämlich nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie nicht überprüfbar ist (RS0042133 [T6]). Das ist hier nicht der Fall:
1.2. Das Berufungsgericht hat sich – entgegen der Behauptung der Beklagten – mit der von dieser relevierten Verletzung der Informationsobliegenheit durch E&S erkennbar befasst und diese verneint. Das Berufungsgericht hat sich dazu sinngemäß auf die von der Beklagten mehrfach und generell abgelehnte Deckung und darauf berufen, dass sich diese bloß auf die Einrede der Anfechtbarkeit des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung zurückgezogen habe. Diese Haltung habe die Beklagte nach Meinung des Berufungsgerichts erst mit Schreiben vom 9. 7. 2018 geändert, zu welchem Zeitpunkt die Beklagte aber aufgrund des E‑Mails der E&S vom 13. 11. 2017 mit Informationen nicht mehr habe rechnen können. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts gar nicht oder nicht überprüfbar begründet wäre.
2. Der rechtlichen Beurteilung ist Folgendes vorauszuschicken:
2.1. Bereits das Berufungsgericht hat zusätzlich den Inhalt unstrittiger Urkunden ausdrücklich festgestellt. Auch der erkennende Senat gibt diese – soweit für die rechtliche Beurteilung und das (bessere) Verständnis notwendig – bereits im Rahmen des eingangs zusammengefassten Sachverhalts wieder. Diese Vorgangsweise ist ohne weiters (auch ohne Durchführung einer Verhandlung) zulässig (RS0121557 [insb T3]).
2.2. Vorauszuschicken ist, dass sich der Senat bereits in 7 Ob 204/19d, 7 Ob 152/20h und 7 Ob 153/20f mit Rechtssachen befasst hat, die einen in weiten Bereichen identen Sachverhalt betroffen haben und der ebenfalls vom hier einschreitenden Klagevertreter gegen die durch die nunmehrigen Rechtsbeistände vertretene Beklagte geführt wurden. Auf die dort ergangenen, den genannten und auch dort eingeschrittenen Beteiligten bekannten Entscheidungen wird verwiesen. Die vom Senat dort aufgezeigte Rechtsansicht gilt – mutatis mutandis – auch für den hier zu beurteilenden Fall.
3. Die Klägerin als Geschädigte hat gegen die Versicherungsnehmerin (E&S) durch deren Untätigkeit ein Versäumungsurteil gegen diese erwirkt und aufgrund dessen den Deckungsanspruch pfänden und sich überweisen lassen, um gegen die Beklagte (Versicherer) vorgehen zu können. Im Rechtsstreit des Geschädigten gegen den Versicherer stehen diesem dann alle Einwendungen wie gegen den Versicherungsnehmer offen, vor allem jene der Leistungsfreiheit. Das vom Kläger gegen die Versicherungsnehmerin E&S erwirkte Versäumungsurteil hat mangels Aufforderung zum Streitbeitritt keine Bindungswirkung zum Nachteil der Beklagten und führte nicht zu einem Verlust von Einwendungen, die der Beklagten gegen ihren Versicherungsnehmer zustehen (zu all dem bereits 7 Ob 204/19d mwN).
4. Die Versicherungsnehmerin E&S trafen Obliegenheiten nach § 6 Abs 3 VersVG. Sie war nach dem Eintritt des Versicherungsfalls zufolge Art 9.1.4.1, 9.1.4.2 und 9.1.4.4 C_ABHV/EBHV zur Anzeige und Schadensmeldung verpflichtet.
5.1. Der Versicherer braucht nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nachzuweisen, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe (RS0081313).
5.2. Dass – bei grob fahrlässiger Begehung einer Obliegenheitsverletzung – die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat (Kausalitätsgegenbeweis; RS0116979), ist ebenfalls vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RS0081313). Der Kausalitätsgegenbeweis ist strikt zu führen; es ist nicht etwa nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun (RS0079993).
6.1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen sowie ungerechtfertigten Ansprüchen (RS0116978) und vor betrügerischen Machenschaften zu schützen (RS0080833). Durch die Aufklärung soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen (vgl RS0080203). Es genügt, dass die begehrte Information abstrakt zur Aufklärung des Schadenereignisses geeignet ist (vgl RS0080783; RS0080833; RS0080205 [T1, T2]).
6.2. Zur Obliegenheit der Verständigung des Versicherers von der gerichtlichen Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs hat der Fachsenat allerdings judiziert, dass diese mit der Ablehnung des Entschädigungsanspruchs durch den Versicherer ende, weil sich das der Vereinbarung zugrundeliegende Ziel, die Leistung des Versicherers zu ermöglichen oder zu erleichtern, danach nicht mehr erreichen lasse (RS0080446). Anders sei dies jedoch dann, wenn der Versicherer zu erkennen gebe, er lege trotz der Ablehnung noch Wert auf Erfüllung der Obliegenheiten, und dies zumutbar erscheine (7 Ob 319/01i). Daraus folgt für den vorliegenden Fall:
6.3. Das Schreiben der Beklagtenvertreter vom 13. 4. 2016 an die Rechtsvertreter der E&S befasste sich hauptsächlich mit dem H*****‑Schadenskomplex, nicht aber mit der von der Klägerin vorgenommenen Veranlagung, vermittelte ausschließlich den Rechtsstandpunkt der Beklagten zu den unmittelbar mit E&S getroffenen vertraglichen Regelungen und hatte Argumente zum Gegenstand, die das (vorvertragliche) Verhalten von E&S im Zusammenhang mit der Rahmenvereinbarung betrafen. Das Schreiben bezog sich dagegen mit keinem Wort auf Ansprüche einzelner, vermeintlich geschädigter Kunden von E&S bzw den ihr zuzurechnenden Vermittlern. Dieses Schreiben kann daher auch keinen Anhaltspunkt dafür liefern, dass die Beklagte auf Informationen über die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen durch einzelne Geschädigte verzichten und damit die Möglichkeit deren Abwehr aus Gründen aufgeben wolle, die sich aus der Rechtsbeziehung zwischen diesen und E&S bzw deren Vermittler ergeben könnten. Überdies waren diese Informationen nicht zuletzt im Lichte der vereinbarten Serienschadenklausel für die verlässliche Beurteilung des Deckungsumfangs relevant.
6.4. Auf das Begleitschreiben des Insolvenzverwalters zum übermittelten Anmeldungsverzeichnis wies die Beklagte darauf hin, dass sie mangels Sachverhaltskenntnis nicht in der Lage sei, die Ausführungen des Insolvenzverwalters zur Begründetheit der Schadenersatzansprüche zu überprüfen und sie deren Anerkennung nicht zustimme. Dass die Beklagte an Informationen kein Interesse (mehr) habe, kommt damit nicht zum Ausdruck.
6.5. Im Zusammenhang zeigt sich also, dass der von der Beklagten im Schreiben vom 13. 4. 2016 (untechnisch) im Betreff als „Deckungsablehnung“ bezeichnete Rechtsstandpunkt eine Antwort war auf die Gesamtbeschreibung mehrerer Schadenskomplexe und ausschließlich Argumente betraf, die sich auf das Verhalten von E&S im Vorfeld des Abschlusses der Versicherungs‑Rahmenvereinbarung bezogen. Im Schreiben erfolgte keine Deckungsablehnung hinsichlich eines einzelnen Schadensfalls und es liegt – nicht zuletzt aufgrund der Serienschadenklausel – auf der Hand, dass laufende Informationen über alle andrängenden Geschädigten für eine sachgemäße Entscheidung der Beklagten über die Behandlung dieser Versicherungsfälle von maßgeblicher Bedeutung war. Bei dieser Sachlage lässt sich aus besagtem Schreiben kein (auch nur schlüssiger) Verzicht der Beklagten auf weitere Informationen über einzelne Schadensfälle ableiten.
6.6. Der Geschäftsführer der E&S hat dann mit E‑Mail vom 13. 11. 2017 – zusammengefasst – zahlreich andrängende (vermeintlich) Geschädigte angekündigt, um Bekanntgabe ersucht, ob und wie eine Mitteilung der Verfahren an die Beklagte erfolgen solle, und er hat darauf hingewiesen, „dass eine Übermittlung sämtlicher Gerichtsdokumente sowie eine Prüfung der Höhe der Forderungen durch die (E&S) aufgrund der fehlenden finanziellen, technischen und personellen Mittel nicht möglich“ sei. Darauf hat die Beklagte mit Schreiben vom 24. 11. 2017 abschließend darum gebeten, „uns über die anhängigen Verfahren gegen E&S in geeigneter Form unterrichtet zu halten“.
6.7. Aus dem beschriebenen Korrespondenzverlauf folgt als Zwischenergebnis, dass die Beklagte nie auf (weitere) Informationen über einzelne Schadensfälle verzichtet und diese dann mit Schreiben vom 9. 7. 2018 ausdrücklich und ausführlich eingefordert hat. Informationen durch E&S sind allerdings nicht mehr erfolgt. An einer von E&S zu vertretenden Verletzung ihrer Anzeigeobliegenheiten nach Art 9.1.4.1, 9.1.4.2 und 9.1.4.4 C_ABHV/EBHV kann daher kein Zweifel bestehen.
7. Ob bei der Verletzung der Informationsobliegenheit durch E&S auf der Grundlage der erstgerichtlichen Feststellungen bereits dolus coloratus anzunehmen ist, kann hier dahin stehen; die Obliegenheitsverletzung erfolgte aber – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – keinesfalls unverschuldet, sondern zumindest grob fahrlässig. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 24. 11. 2017 abschließend darum gebeten, „uns über die anhängigen Verfahren gegen E&S in geeigneter Form unterrichtet zu halten“. Mit Schreiben vom 9. 7. 2018 hat die Beklagte ausdrücklich, ausführlich und detailliert Informationen eingefordert, die ihr E&S allerdings nicht mehr erteilte. Es liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer auf der Hand, dass Informationen über zahlreich andrängende Geschädigte für den Versicherer notwendig sind , sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung der Versicherungsfälle treffen zu können. Es reicht in einer solchen Situation nicht aus, einfach untätig zu bleiben und sich darauf zurückziehen, aufgrund fehlender finanzieller, technischer und personeller Mittel keine Informationen erteilen zu können. Wird dem Versicherer nicht einmal die aktive Bereitschaft zur Bereitstellung einfachster Informationsmöglichkeiten bekundet, wie etwa die Weiterleitung aller verfügbaren Dokumentationen der betreffenden Geschäftsfälle, die Bekanntgabe der tätig gewesen Vermittler, die Übermittlung der gerichtlichen Schriftstücke und sonstiger Korrespondenz, dann liegt jedenfalls grobe Fahrlässigkeit vor.
8. Den Kausalitätsgegenbeweis hat die Klägerin in ersten Instanz sinngemäß nur damit begründen wollen, die Beklagte hätte ohnehin keine Deckung für Verfahren gegen Geschädigte gewährt. Die Obliegenheiten nach Art 9.1.4.1, 9.1.4.2 und 9.1.4.4 C_ABHV/EBHV sollen aber den Versicherer nicht nur bezogen allein auf einen bestimmten Haftpflichtprozess, sondern insgesamt in die Lage versetzen, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen, also alle sinnvollen, auch außergerichtlichen Maßnahmen, insbesondere der Informations‑ und Beweismittelbeschaffung, wahrnehmen zu können (so schon 7 Ob 204/19d mwN). Mit besagter Behauptung der Klägerin ist daher der Kausalitätsgegenbeweis nicht zu erbringen.
9. Im Ergebnis folgt:
9.1. Die Versicherungsnehmerin E&S hat ihre Obliegenheiten nach Art 9.1.4.1, 9.1.4.2 und 9.1.4.4 C_ABHV/EBHV verletzt. E&S hat insoweit zumindest grobe Fahrlässigkeit zu vertreten und der Kausalitätsgegenbeweis ließe sich mit der von der Klägerin dazu aufgestellten Behauptung nicht erbringen. Dies führt zur Leistungsfreiheit der Beklagten und zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Erstgerichts.
9.2. Die Kostenentscheidung gründet auf § 41 Abs 1 ZPO (iVm § 50 ZPO).
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