OGH 7Ob149/20t

OGH7Ob149/20t23.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** G*****, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** SE, *****, vertreten durch DLA Piper Weiss‑Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 15.409,47 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 28. Mai 2020, GZ 3 R 151/19d‑53, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. September 2019, GZ 15 Cg 17/18z‑45, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00149.20T.0923.000

 

Spruch:

 

 

I. Die mit der Rekursbeantwortung vorgelegten Urkunden werden zurückgewiesen.

II. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.049,82 EUR (darin enthalten 438,48 EUR an USt und 1.431 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die E***** & S***** GmbH (folgend: E & S) war eine gewerbliche Vermögensberaterin und L***** K***** seit ihrer Gründung ihr Geschäftsführer. Für E&S tätig gewordene Vermittler vertrieben (ua) Kommanditbeteiligungen („geschlossene Fonds“), „gebrauchte Lebensversicherungen“ („Secondhand-Polizzen“ [„H*****“]) sowie Gold‑ und Silbersparpläne [„E*****“] als Anlageprodukte.

E&S hat mit der Beklagten eine Versicherungs-Rahmenvereinbarung zur Vermögensschadenhaftpflicht für Wertpapiervermittler und Vermögensberater der Kooperationspartner abgeschlossen, welche auszugsweise wie folgt lautete:

[…]

1. Versicherungsnehmer

1.1 Versicherungsnehmer sind die einzelnen zu dieser Rahmenvereinbarung angemeldeten Vermittler. …

[… ]

2. Inhalt und Umfang

2.1 Der Versicherungsschutz umfasst im Rahmen der behördlichen Genehmigungen alle Tätigkeiten und Eigenschaften des Versicherungsnehmers/Versicherten je nach Anmeldung.

a) als Wertpapiervermittler […]

b) als gewerblicher Vermögensberater […]

[… ]

3. Vertragsgrundlagen

3.1 Analoge Anwendungen der Allgemeinen Bedingungen für die Berufshaftpflichtversicherung (C_ABHV, C_EBHV neue Fassung Vermögensberater 2012 Beilage), sowie nachstehende besondere Vereinbarungen.

[…]

Die in der Versicherungs-Rahmenvereinbarung bezeichneten C_ABHV/EBHV lauten auszugsweise:

„Artikel 1

Versichertes Risiko; […]

1. Inhalt und Umfang

Das versicherte Risiko ergibt sich aus der in der Polizze festgelegten Risikobeschreibung und umfasst alle Eigenschaften, Rechtsverhältnisse und Tätigkeiten, zu denen der Versicherungsnehmer aufgrund der für seinen Beruf oder Betrieb geltenden Rechtsnormen berechtigt ist.

[…]

Artikel 2

Versicherungsfall

1. Definition

Versicherungsfall ist der Verstoß (Handlung oder Unterlassung), welcher aus dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzpflichten (Art. 3. Pkt. 1) erwachsen oder erwachsen könnten.

2. Serienschaden

[…]

2.4 Ferner gelten als ein Versicherungsfall Verstöße, die auf gleichartigen, in zeitlichem Zusammenhang stehenden Ursachen beruhen, wenn zwischen diesen Ursachen ein rechtlicher, wirtschaftlicher oder technischer Zusammenhang besteht.

[…]

Artikel 3

Leistungsversprechen des Versicherers

1. Leistungsversprechen

Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer

1.1 die Erfüllung von Schadenersatzpflichten […]

[…]

Artikel 9

Verhalten des Versicherungsnehmers während der Laufzeit des Vertrages

1. Obliegenheiten

Als Obliegenheiten deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherungsnehmers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt

[…]

1.4 Der Versicherungsnehmer hat den Versicherer umfassend und unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Kenntnis zu informieren, und zwar schriftlich, falls erforderlich auch fernmündlich oder fernschriftlich.

Insbesondere sind anzuzeigen:

1.4.1 der Versicherungsfall

1.4.2 die Geltendmachung einer Schadenersatzforderung

1.4.4 alle Maßnahmen Dritter zur gerichtlichen Durchsetzung von Schadenersatzforderungen

[…]

1.5.3 Der Versicherungsnehmer ist nicht berechtigt ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Schadenersatzanspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen – es sei denn, der Versicherungsnehmer konnte die Anerkennung nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern – oder zu vergleichen.

[…]“

Der Kläger erwarb am 24. 6. 2012 über Vermittlung und Beratung eines damals für E&S tätigen Vermittlers die Beteiligung an der S***** GmbH & Co KG in der Höhe einer Nominale von 10.000 EUR plus 5 % Agio, eine Anlage, die sich in der Folge nicht nach den Vorstellungen des Klägers entwickelte.

Im Zeitraum von Ende des Jahres 2014 bis Mitte des Jahres 2016 kam es zu etwa 400 Verfahren, in denen Anleger im Zusammenhang mit dem Verkauf der Produkte „S*****“, „H*****“, und „E*****“ Schadenersatzansprüche gegen die E&S wegen Fehlberatungen geltend machten. Betreffend der Verfahren zu den „S*****“‑Produkten kam es zu einer Reihe von Prozessverlusten der E&S, teilweise unter Annahme eines Mitverschuldens der klagenden Anleger. Die „S*****“‑Produkte betreffend ging es in den Verfahren im Kern immer um die Frage, ob (im Einzelfall) ein Beratungsfehler des Vermögensberaters vorlag. Diese grundsätzlich bestehende Situation war dem Geschäftsführer der E&S bekannt. Von all diesen Verfahren wurde die Beklagte von der E&S regelmäßig informiert. Die Beklagte ist in keinem dieser gegenüber der E&S anhängig gemachten Verfahren (als Nebenintervenientin) beigetreten. Sie sah hiefür keine Notwendigkeit, da dort ohnehin jeweils eine Bestreitung durch E&S erfolgte. Es kam in diesem Zusammenhang auch zu Gesprächen zwischen der E&S und der Beklagten betreffend die Übernahme der Deckung, wobei die Beklagte eine solche Deckung letztlich betreffend alle Produkte ablehnte.

So teilten die Beklagtenvertreter der E&S mit Schreiben vom 13. 4. 2016 unter dem Betreff „Ablehnung der Deckung“ (ua) mit, dass:

„[...] im gegenständlichen Schadensfall (gemeint: [den nicht den Kläger betreffenden] H*****- Schadenskomplex [und mit die direkten Vereinbarungen mit der E&S betreffenden Argumenten]) kein Versicherungsschutz besteht. […]“

Auf der zweiten Seite des Schreibens fassten die Beklagtenvertreter zusammen:

„[...] bestehen keine Deckungsansprüche Ihrer Mandantin (gemeint: E&S) aus der bei unserer Mandantin unterhaltenen Vermögenschadenhaftpflicht-Polizze. Dies gilt freilich nicht nur für den H*****-Schadenkomplex, sondern auch für die gegen Ihre Mandantin erhobenen Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit der Vermittlung von Beteiligungen an S*****-Fonds sowie der Vermittlung der Produkte des E***** e.V. […]“

Ungeachtet des Inhalts dieses Schreibens vom 13. 4. 2016 fühlte sich der Geschäftsführer der E&S weiterhin dazu verpflichtet, der Obliegenheit der Meldung von gerichtlichen Inanspruchnahmen der E&S an die Beklagte nachzukommen. Die E&S meldete der Beklagten daher auch noch danach einlangende Klagen.

Nach diesem Ablehnungsschreiben war die E&S nicht mehr in der Lage, die gegen sie anhängigen Verfahren weiter zu finanzieren. Sie brachte mehrere Deckungsklagen gegenüber der E&S ein. Diese wurden durch die (spätere) Konkurseröffnung unterbrochen, vom Insolvenzverwalter letztlich aber nicht mehr weitergeführt.

Über das Vermögen der E&S wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. 8. 2016, AZ 26 S 110/16w, das Insolvenzverfahren eröffnet. In diesem Insolvenzverfahren meldete der Kläger seine Forderung mit 10.000 EUR zuzüglich 1.100,34 EUR an Zinsen, insgesamt daher mit 11.634 EUR an. In weiterer Folge wurden mit den Beschlüssen des Insolvenzgerichts vom 19. 5. 2017 und vom 24. 5. 2017 die der E&S zukommenden Ansprüche aus den Versicherungspolizzen gemäß § 119 Abs 5 IO aus dem Insolvenzverfahren ausgeschieden und der Schuldnerin (E&S) zur freien Verfügung überlassen. Diese Beschlüsse erwuchsen jeweils in Rechtskraft.

Bereits zu diesem Zeitpunkt war dem Insolvenzverwalter, dem nunmehrigen Klagevertreter und dem Geschäftsführer klar, dass der Klagevertreter nach diesen Ausscheidungsbeschlüssen versuchen wird, nach dem Erlangen von Exekutionstiteln gegenüber der E&S (bei sonstiger Exekution nur in den Deckungsanspruch der E&S gegenüber der Beklagten) eine Drittschuldnerpfändung vorzunehmen und sodann direkt gegen die Beklagte vorzugehen. Der Geschäftsführer der E&S ging auch davon aus, dass die E&S grundsätzlich noch immer Obliegenheitspflichten als Versicherungsnehmerin gegenüber der Beklagten treffen und sie zur Weiterleitung dieser Informationen verpflichtet sei. Daher informierte er die Beklagte mit E‑Mail vom 13. 11. 2017 (ua) wie folgt:

„[...]

Zahlreiche Kunden versuchen nun ihre Ansprüche klageweise gegen den Masseverwalter bzw die Haftpflichtversicherung durchzusetzen. [...] Aus diesem Grund werden zahlreiche der ihnen bereits gemeldeten und bekannten Verfahren gegen (E&S) fortgeführt. Darüber hinaus wird eine große Zahl an neuen Klagen gegen (E&S) eingebracht. Ziel der Rechtsvertreter der Kunden [...] ist es, ein Versäumungsurteil gegen (E&S) zu erwirken, um gegen die Haftpflichtversicherung vorgehen zu können. Aufgrund der fehlenden finanziellen und personellen Mittel ist (E&S) nicht in der Lage, sich anwaltlich vertreten zu lassen, die Klagen zu beantworten oder an den Gerichtsverhandlungen teilzunehmen.

Wir ersuchen Sie, uns mitzuteilen, ob eine Meldung der Verfahren an die (Beklagte) notwendig ist und wie diese zu erfolgen hat. Wir möchten darauf hinweisen, dass eine Übermittlung sämtlicher Gerichtsdokumente sowie eine Prüfung der Höhe der Forderungen durch die E&S aufgrund der fehlenden finanziellen, technischen und personellen Mittel nicht möglich ist.

[...]“

Die Beklagte beantwortete dieses E‑Mail mit ihrem E‑Mail vom 24. 11. 2017 wie folgt:

„[…] Im Übrigen sehen wird nicht, dass etwaige (Versäumungs ‑)Urteile zugunsten ehemaliger E&S‑Kunden diesen einen Zugriff auf die von E&S behaupteten Deckungsansprüche gegen unsere Mandantinnen ermöglichen würden. Zwar trifft es zu, dass der Insolvenzverwalter sowohl die (angeblichen) Deckungsansprüche der E&S unter der ehemals bei unserer Mandantin unterhaltenen Vermögensschadenhaftpflichtpolice als auch die behaupteten Ansprüche als weitere Versicherungsnehmerin unter den Policen der ehemaligen E&S‑Vermittler gemäß § 119 Abs 5 IO ausgeschieden hat. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, hat unsere Mandantin indes gegen die behaupteten Deckungsansprüche aus der E&S Police die Einrede der Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung erhoben. Diese Einrede würde unsere Mandantin auch gegenüber etwaige Inanspruchnahmen durch ehemalige E&S‑Kunden erheben. Entsprechendes gilt für die behaupteten Ansprüche als weitere Versicherungsnehmerin unter den Vermittler-Policen, da die Rahmenvereinbarung zu E&S Police, aus der sich die Stellung der E&S als weitere Versicherungsnehmerin unter den Vermittlerspolicen ergibt, aus denselben Gründen anfechtbar ist wie die E&S-Police. Im Übrigen sei angemerkt, dass uns bisher keine Inanspruchnahmen unserer Mandantin durch ehemalige E&S‑Kunden bekannt sind.

Abschließend bitten wir darum, uns über die anhängigen Verfahren gegen E&S in geeigneter Form unterrichtet zu halten. [...]“

In weiterer Folge blieb der Geschäftsführer nach Zustellung von Klagen von Anlegern, welche gegen die E&S und nur auf eine Exekution in die Ansprüche der E&S gegenüber der Beklagten gerichtet waren, gänzlich untätig. Er übermittelte der Beklagten insoweit keinerlei Informationen über solche Klagszustellungen oder Verfahren, weshalb es in weiterer Folge zu einer Vielzahl von Säumnisentscheidungen gegenüber E&S kam.

E&S hatte damals nur eingeschränkte finanzielle und personelle Ressourcen. Der Geschäftsführer verfügte jedoch noch über einen Computer und über einen E‑Mail‑Anschluss. Es wäre ihm – und zwar bloß mit einem geringen manipulativen Aufwand – möglich gewesen, der Beklagten den Umstand eines anhängigen Verfahrens per E‑Mail – samt Bekanntgabe des Gerichts und der Aktenzahl – bekannt zu geben. Es kann nicht festgestellt werden, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, der E&S zugestellte Klagen und Ladungen per Post an die Beklagte (oder den ihm bekannten Rechtsvertretern) zu übermitteln.

Der Geschäftsführer vertrat damals (weiterhin) den Standpunkt, dass das Ergebnis von Verfahren, in denen Anleger Schadenersatzansprüche nach dem Erwerb von „S*****“‑Produkten geltend machen, vom konkreten Inhalt des Beratungsgesprächs im Einzelfall abhängig war. Es war ihm daher bewusst, dass es durch seine Vorgehensweise (gänzliches Untätigbleiben´) sowohl betreffend Einschreiten im Verfahren selbst, wie auch betreffend die Verständigung (der Beklagten) dazu kommen konnte, dass ausgehend (nur) von den jeweiligen Klagsbehauptungen Versäumungsurteile ergehen, obwohl einzelne der geltend gemachten Ansprüche gänzlich oder teilweise unberechtigt waren.

Der Kläger brachte am 15. 11. 2017 Schadenersatzklage gegen die E&S ein. Er erwirkte ihr gegenüber das Versäumungsurteil vom 9. 1. 2018, mit dem sie zur Zahlung von 11.906 EUR sA verpflichtet wurde und zwar Zug um Zug gegen die Übertragung der Rechte und Pflichten des Klägers aus dem Treuhandvertrag vom 24. 6. 2012 mit der Treuhänderin betreffend die Kommanditbeteiligung an der S***** GmbH & Co KG bei sonstiger Exekution in den Deckungsanspruch gegen die Beklagte. In weiterer Folge wurde dem Kläger die Forderungsexekution bewilligt.

Der Kläger begehrte im Drittschuldnerprozess von der Beklagten die Zahlung von 15.409,47 EUR sA Zug um Zug gegen die Übertragung seiner Treugeberstellung sowie seiner Rechte und Pflichten aus der Kommanditbeteiligung an der S***** GmbH & Co KG infolge Aufklärungspflichtverletzungen der für E&S tätig gewesenen Beratern. Er brachte – soweit für das Rekursverfahren relevant – vor, dass die Beklagte die Deckung immer abgelehnt und nie Bereitschaft gezeigt habe, sich an den gegen die E&S geführten Verfahren zu beteiligen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte – soweit für das Rekursverfahren relevant – ein, dass sie mangels Streitverkündung an das Ergebnis des Haftpflichtprozesses nicht gebunden und leistungsfrei sei, weil ihre Versicherungsnehmerin E&S mehrere Obliegenheitsverletzungen zu vertreten habe. E&S habe ihre Aufklärungsobliegenheiten mehrfach verletzt, insbesondere die Beklagte nicht über den Versicherungsfall und die Geltendmachung der Schadenersatzforderungen durch den Kläger informiert und dazu keinerlei Informationen oder Unterlagen zur Verfügung gestellt. Außerdem habe E&S ein Versäumungsurteil ergehen lassen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt aus und traf noch die Feststellung, dass die Beklagte im Fall der rechtzeitigen Verständigung von den gegen E&S erhobenen Klagen zwar keine Deckungszusage gewährt, jedoch versucht hätte, Maßnahmen zu setzen, um das Ergehen einer Säumnisentscheidung zu verhindern. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass die Beklagte jedenfalls für den den Kläger betreffenden Schadensfall keine Deckungsablehnung erklärt und überdies bekundet habe, an künftigen Verständigungen interessiert zu sein. E&S habe daher die Obliegenheit zur Aufklärung über den vom Kläger eingeleiteten Haftpflichtprozess verletzt. Da der Geschäftsführer von E&S die Haftpflichtklagen generell und ohne Anspruchsprüfung im Einzelfall ignoriert habe, sei von bedingtem Schädigungsvorsatz der Versicherungsnehmerin auszugehen, welcher den Kausalitätsgegenbeweis ausschließe. Die Verletzung der Obliegenheit zur Verständigung vom Haftpflichtprozess habe die Leistungsfreiheit der Beklagten zur Folge. Die Klage sei daher abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers dahin Folge, dass es das Urteil des Erstgerichts aufhob und diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftrug. Es vertrat die Rechtsansicht, dass das Erstgericht angesichts der pauschalen und nachdrücklichen Deckungsablehnung der Beklagten auch für die S*****-Produkte zu Unrecht eine Obliegenheitsverletzung durch E&S bejaht habe. Der vom Erstgericht angenommene Abweisungsgrund trage somit nicht und es sei daher auch die – bekämpfte – Feststellung über allfällig von der Beklagten gesetzte Maßnahmen nicht entscheidungswesentlich. Die Schadensregulierung durch E&S in Form von Versäumungsurteilen sei nicht als (grob) fahrlässig zu beurteilen, weil die Beklagte nicht einmal vor Konkurseröffnung rechtskräftig gewordene klagstattgebende Urteile von Anlegern gegen die E&S reguliert habe. Insbesondere aus dem Informationsschreiben des Geschäftsführers der E&S vom 13. 11. 2017 folge, dass dieser die Beklagte über die maßgeblichen Umstände informiert und – entgegen der Ansicht des Erstgerichts – eine Schädigung der Beklagten gerade nicht in Kauf genommen habe. Das Erstgericht werde daher im fortgesetzten Verfahren die weiteren Einwände der beklagten Drittschuldnerin, insbesondere den zentralen Einwand des arglistigen Verschweigens gefahrenerhöhender Umstände durch E&S als Versicherungsnehmerin bei Vertragsabschluss, zu prüfen und neuerlich zu entscheiden haben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs zulässig sei. Die in Frage stehenden Obliegenheiten einer vermögenslosen Schuldnerin nach Ausscheiden ihrer Ansprüche aus der Konkursmasse gegenüber ihrer Vermögenschadenshaftpflichtversicherung nach deren pauschaler Deckungsablehnung rechtfertigten angesichts zahlreicher gleichgelagerter Verfahren gegen die Beklagte die Zulassung des Rekurses.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und das erstinstanzliche Urteil vollinhaltlich zu bestätigen.

Der Kläger erstattete eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag, auf „Ab/Zurückweisung des Rekurses, sodass dem Rekurs nicht Folge gegeben wird.“

Rechtliche Beurteilung

I. Die mit der Rekursbeantwortung verbundene Urkundenvorlage widerspricht dem Neuerungsverbot.

II. Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist auch berechtigt.

1. Unstrittig ist die Anwendung österreichischen Rechts und das Nichtvorliegen einer Pflichthaftpflichtversicherung.

2.   Vorauszuschicken ist, dass sich der Senat bereits in 7 Ob 204/19d mit einer Rechtssache befasst hat, die einen in weiten Bereichen identen Sachverhalt betroffen hat und der ebenfalls vom hier einschreitenden Klagevertreter gegen die durch die nunmehrigen Rechtsbeistände vertretene Beklagte geführt wurde. Auf die dort ergangene, den genannten und auch dort eingeschrittenen Beteiligten bekannte Entscheidung wird verwiesen. Die vom Senat dort aufgezeigte Rechtsansicht gilt – mutatis mutandis – auch für den hier zu beurteilenden Fall.

3. Der Kläger als Geschädigter hat gegen die Versicherungsnehmerin (E&S) durch deren Untätigkeit ein Versäumungsurteil gegen diese erwirkt und sich aufgrund dessen den Deckungsanspruch pfänden und sich überweisen lassen, um gegen die Beklagte (Versicherer) vorgehen zu können. Im Rechtsstreit des Geschädigten gegen den Versicherer stehen diesem dann alle Einwendungen wie gegen den Versicherungsnehmer offen, vor allem jene der Leistungsfreiheit. Das vom Kläger gegen die Versicherungsnehmerin E&S erwirkte Versäumungsurteil hat mangels Aufforderung zum Streitbeitritt keine Bindungswirkung zum Nachteil der Beklagten und führte nicht zu einem Verlust von Einwendungen, die der Beklagten gegen ihren Versicherungsnehmer zustehen (zu all dem bereits 7 Ob 204/19d mwN).

4. Die Versicherungsnehmerin E&S traf Obliegenheiten nach § 6 Abs 3 VersVG. Sie war nach dem Eintritt des Versicherungsfalles zufolge Art 9.1.4.1, 9.1.4.2 und 9.1.4.4 C_ABHV/EBHV zur Anzeige und Schadensmeldung verpflichtet.

4.1. Der Versicherer braucht nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nachzuweisen, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe (RS0081313).

4.2Dass – bei grob fahrlässiger Begehung einer Obliegenheitsverletzung – die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat (Kausalitätsgegenbeweis; RS0116979), ist ebenfalls vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RS0081313). Der Kausalitätsgegenbeweis ist strikt zu führen; es ist nicht etwa nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun (RS0079993).

4.3. Wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“), ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Anspruch verwirkt (RS0081253 [T10]; RS0109766 [T2]).

5.1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen sowie ungerechtfertigten Ansprüchen (RS0116978) und vor betrügerischen Machenschaften zu schützen (RS0080833). Durch die Aufklärung soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen (vgl RS0080203). Es genügt, dass die begehrte Information abstrakt zur Aufklärung des Schadenereignisses geeignet ist (vgl RS0080783; RS0080833; RS0080205 [T1, T2]).

5.2. Zur Obliegenheit der Verständigung des Versicherers von der gerichtlichen Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs hat der Fachsenat allerdings judiziert, dass diese mit der Ablehnung des Entschädigungsanspruchs durch den Versicherer ende, weil sich das der Vereinbarung zugrundeliegende Ziel, die Leistung des Versicherers zu ermöglichen oder zu erleichtern, danach nicht mehr erreichen lasse (RS0080446). Anders sei dies jedoch dann, wenn der Versicherer zu erkennen gebe, er lege trotz der Ablehnung noch Wert auf Erfüllung der Obliegenheiten, und dies zumutbar erscheine (7 Ob 319/01i). Daraus folgt für den vorliegenden Fall:

5.3 Das Schreiben der Beklagtenvertreter vom 13. 4. 2016 an die Rechtsvertreter der E&S befasste sich hauptsächlich mit dem H*****-Schadenskomplex, vermittelte ausschließlich den Rechtsstandpunkt der Beklagten zu den unmittelbar mit E&S getroffenen vertraglichen Regelungen und hatte Argumente zum Gegenstand, die das (vorvertragliche) Verhalten von E&S im Zusammenhang mit der Rahmenvereinbarung betrafen. Das Schreiben bezog sich dagegen mit keinem Wort auf Ansprüche einzelner, vermeintlich geschädigter Kunden von E&S bzw den ihr zuzurechnenden Beratern. Dieses Schreiben kann daher auch keinen Anhaltspunkt dafür liefern, dass die Beklagte auf Informationen über die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen durch einzelne Geschädigte verzichten und damit die Möglichkeit deren Abwehr aus Gründen aufgeben wolle, die sich aus der Rechtsbeziehung zwischen diesen und E&S bzw deren Berater ergeben könnten. Überdies waren diese Informationen nicht zuletzt im Lichte der vereinbarten Serienschadenklausel für die verlässliche Beurteilung des Deckungsumfangs relevant.

5.4.   Im Zusammenhang mit der Übermittlung des Anmeldungsverzeichnisses wies die Beklagte darauf hin, dass sie keine Zustimmung zur Anerkennung der angemeldeten Forderungen erteilen könne. Dass sie an Informationen kein Interesse (mehr) habe, kommt damit nicht zum Ausdruck.

5.5. Im Zusammenhang zeigt sich also, dass der von der Beklagten im Schreiben vom 13. 4. 2016 (untechnisch) im Betreff als „Deckungsablehnung“ bezeichnete Rechtsstandpunkt eine Antwort war auf die Gesamtbeschreibung mehrerer Schadenskomplexe und ausschließlich Argumente betraf, die sich auf das Verhalten von E&S im Vorfeld des Abschlusses der Versicherungs-Rahmenvereinbarung bezogen. Im Schreiben erfolgte keine Deckungsablehnung hinsichlich eines einzelnen Schadenfalls und es liegt – nicht zuletzt aufgrund der Serienschadenklausel – auf der Hand, dass laufende Informationen über alle andrängenden Geschädigten für eine sachgemäße Entscheidung der Beklagten über die Behandlung dieser Versicherungsfälle von maßgeblicher Bedeutung war. Bei dieser Sachlage lässt sich aus besagtem Schreiben kein (auch nur schlüssiger) Verzicht der Beklagten auf weitere Informationen über einzelne Schadenfälle ableiten.

5.6. Der Geschäftsführer der E&S hat dann mit E‑Mail vom 13. 11. 2017 – zusammengefasst – zahlreich andrängende (vermeintlich) Geschädigte angekündigt, um Bekanntgabe ersucht, ob und wie eine Mitteilung der Verfahren an die Beklagte erfolgen solle, und er hat darauf hingewiesen, „dass eine Übermittlung sämtlicher Gerichtsdokumente sowie eine Prüfung der Höhe der Forderungen durch die (E&S) aufgrund der fehlenden finanziellen, technischen und personellen Mittel nicht möglich“ sei. Darauf hat die Beklagte mit Schreiben vom 24. 11. 2017 abschließend darum gebeten, „uns über die anhängigen Verfahren gegen E&S in geeigneter Form unterrichtet zu halten“.

5.7. Aus dem beschriebenen Korrespondenzverlauf folgt als Zwischenergebnis, dass die Beklagte nie auf (weitere) Informationen über einzelne Schadenfälle verzichtet hat. Dagegen hat der Geschäftsführer der E&S nach dem Schreiben der Beklagten vom 24. 11. 2017 nicht nur keine „Übermittlung sämtlicher Gerichtsdokumente“ und keine „Prüfung der Höhe der Forderungen“ vorgenommen, sondern die Beklagte schlichtweg überhaupt nicht mehr informiert. An einer von E&S zu vertretenden Verletzung ihrer Anzeigeobliegenheiten nach Art 9.1.4.1, 9.1.4.2 und 9.1.4.4 C_ABHV/EBHV kann daher kein Zweifel bestehen.

6.1. Wie bereits ausgeführt, verwirkt nur der Versicherungsnehmer, der eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“) den Anspruch. Nicht erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer geradezu und ausschließlich mit dem Ziel handelt, den Versicherer zu täuschen (Betrugsabsicht); es genügt, wenn er erkennt, dass die von ihm dargelegten oder unvollständig angegebenen Umstände, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, letztere beeinträchtigen oder fehlleiten können und er sich damit abfindet (RS0109766). Der sogenannte „dolus coloratus“ muss zumindest in der Form des dolus eventualis vorliegen. Es sind daher Feststellungen darüber nötig, ob der Kläger die Möglichkeit erkannt hat, dass sein Verhalten die Leistungspflicht des Versicherers beeinträchtigen könnte und sich damit abgefunden hat (RS0081253 [T5]).

6.2. Es steht fest, dass der Geschäftsführer der E&S davon ausging, dass diese grundsätzlich noch immer Obliegenheitspflichten als Versicherungsnehmerin gegenüber der Beklagten treffen und die Verpflichtung zur Weiterleitung der Informationen über die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen durch einzelne Geschädigte weiterhin besteht. Weiters vertrat er den Standpunkt, dass das Ergebnis von Verfahren, in denen Anleger Schadenersatzansprüche nach dem Erwerb von „S*****“‑Produkten geltend machten, vom konkreten Inhalt des Beratungsgesprächs im Einzelfall abhängig war. Dabei war ihm bewusst, dass seine Vorgehensweise (gänzliches Untätigbleiben sowohl betreffend sein Einschreiten im Verfahren selbst, wie auch betreffend die Verständigung der Beklagten) dazu führen könnte, dass ausgehend (nur) von den jeweiligen Klagsbehauptungen Versäumungsurteile ergehen, obwohl einzelne der geltend gemachten Ansprüche gänzlich oder teilweise unberechtigt waren. Dadurch hat der Geschäftsführer der E&S wesentliche Auskünfte für die sachgemäße Entscheidung der Beklagten über die Behandlung des Versicherungsfalls unterlassen, die auch abstrakt zur Aufklärung des Schadenereignisses geeignet gewesen wären.

7. Damit ist die Beklagte infolge der Verletzung der Obliegenheit nach Art 9.1.4.1, 9.1.4.2 und 9.1.4.4 C _ABHV/EBHV durch die Versicherungsnehmerin mit „dolus coloratus“ leistungsfrei. Dies führt zur Wiederherstellung des klagsabweisenden erstgerichtlichen Urteils, ohne dass es eines weiteren Eingehens zu einer allfälligen Verletzung des Regulierungsverbots nach Art 9.1.5.3 C _ABHV/EBHV bedarf.

8. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

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