European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00064.22P.0914.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang (Spruchpunkt I.1. des berufungsgerichtlichen Urteils) aufgehoben und es wird die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Beklagte betreibt das Skigebiet Maria Alm, wozu unter anderem die blau markierte (leichte) Piste Nr 10 gehört. Der Kläger verletzte sich schwer, als er am Vormittag des 22. 12. 2018 als Schifahrer auf dieser Piste stürzte. Er nützte diese Piste mit einer gültigen Liftkarte.
[2] Die folgenden Richtungsangaben beziehen sich auf die Fahrtrichtung des Klägers talwärts.
[3] In Annäherung an die Sturzstelle des Klägers verlief die Piste Nr 10 zunächst über ein kurzes Stück in einem steileren Bereich mit einem Längsgefälle von 18 bis 20 Grad. In diesem Bereich war ein Warnschild „Engstelle“ angebracht. Der angeführte steilere Bereich ging sodann in einen flacheren Bereich über, der ein Längsgefälle von 6 Grad und fast kein Quergefälle aufwies und in einer langgezogenen leichten Linkskurve verlief. Dieses flachere Stück war die Engstelle mit einer durchgehenden Breite von cirka neun Metern. Ab dem Beginn dieses flacheren Bereichs war rechts außerhalb des erkennbaren Präparierungsrandes eine Holzverplankung (eine Art Holzbretterwand) parallel zum Pistenrand ausgestaltet. Hinter der Holzverplankung war zusätzlich ein Sicherheitsnetz gespannt. Dieses Sicherheitsnetz war an Metallstehern befestigt. Der seitliche Abstand zwischen dem rechten Pistenpräparierungsrand und dem Fangnetz sowie den Metallstehern, an dem dieses befestigt war, betrug cirka zwei Meter. Die Abspannbefestigung des Netzes erfolgte durch stählerne Bodenanker. Der in Annäherungsrichtung des Klägers erste stählerne Bodenanker lag etwa 0,6 Meter hinter dem Fangnetz selbst. Die Höhe der Netzunterkante über Schneegrund betrug im Unfallszeitpunkt cirka 0,55 Meter. Ein weiterer stählerner Bodenanker in einem Abstand vom ersten Eisensteher des Netzes von cirka 0,75 Meter befand sich etwa 0,5 Meter hinter dem Netz. Die Höhe der Netzunterkante über Grund betrug in diesem Bereich cirka 0,30 Meter.
[4] Um sich im Falle eines Sturzes im Bereich der Engstelle oder kurz davor nicht durch eine Kollision mit der kurvenaußenseitigen Holzbretterwand und/oder dem Sicherheitsnetz und dessen Abspanneinrichtung am Körper zu verletzen, hätte ein Skiläufer die Engstelle mit einer Geschwindigkeit von lediglich 20 bis 30 km/h durchfahren dürfen. Bei dieser Geschwindigkeit hätte ein Skiläufer dann an dem an die Engstelle anschließenden cirka 100 Meter langen Flachstück, das am Ende leicht bergauf verlief, ein Stück lang anschieben müssen.
[5] In Annäherung an die Unfallstelle war für Pistenbenützer und damit auch für den Kläger sowohl die Hinweistafel „Engstelle“ als auch die Engstelle selbst und die rechts des Pistenrandes gelegene Holzbretterwand und das Sicherheitsnetz aus einer Entfernung von 200 bis 250 Metern erkennbar. Sichtbehinderungen bestanden für den Kläger im Unfallszeitpunkt nicht, der Schnee war griffig.
[6] Der Kläger ist ein guter Skiläufer, der in regelmäßigen, sauberen Parallelschwüngen fährt.
[7] Der Kläger näherte sich der Unfallstelle ab der Hinweistafel „Engstelle“ mit einer Schussfahrt in gerader Linie und Hocke und erreichte dabei eine Geschwindigkeit von cirka 60 km/h. Aufgrund eines eigenen Fahrfehlers, nämlich eines Verkantens oder Verschneidens, stürzte er in weiterer Folge und kollidierte im Zuge des Sturzgeschehens nach einem Sturzweg zwischen 22 und 38 Meter nach dem Durchrutschen durch das Netz schließlich mit einem Bodenanker des Netzes, wodurch er schwer verletzt wurde.
[8] Der Kläger hätte den Unfall vermeiden können, wenn er die Engstelle mit einer Geschwindigkeit von lediglich 20 bis 30 km/h durchfahren hätte.
[9] Die Beklagte hätte den Unfall und die Verletzungen des Klägers zwar nicht vermeiden können. Die Körperverletzung des Klägers wäre jedoch selbst bei der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit von rund 60 km/h leichter ausgefallen als die tatsächlich eingetretene, wenn die Beklagte angenommen hätte, dass Pistenbenützer die neun Meter breite Engstelle mit einer Geschwindigkeit von über 20 bis 30 km/h durchfahren, um das folgende flache und leicht ansteigende Stück fahrend bewältigen zu können. In diesem Fall wäre der kurvenaußenseitige Bereich der Engstelle als unmittelbarer Sturzraum zu qualifizieren gewesen. Wäre in diesem Fall das Netz bis zur Schneeauflage nach unten gespannt gewesen, wäre das Durchrutschen des Klägers verhindert worden. In diesem Fall wäre auch eine Kollision des Klägers gegen einen der Rohrsteher unterblieben, die überdies aus schitechnischer Sicht noch durch Anprallmatten zu sichern gewesen wären.
[10] Der Kläger begehrt Schadenersatz (22.000 EUR Schmerzengeld und 250 EUR an Barauslagen) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden, die ihm aufgrund des Unfalls noch entstehen werden. Er habe sich durch den Unfall einen Bruch des rechten Unterarms, eine Leberläsion sowie eine Nierenruptur, aufgrund der die Niere entfernt werden habe müssen, zugezogen. Die Beklagte habe ihre vertragliche Nebenpflicht zur Pistensicherung auch der Pistenränder und Sturzräume verletzt, indem sie nicht für die ordnungsgemäße Absicherung des Fangnetzes samt dem dazugehörigen Eisenträger gesorgt habe.
[11] Die Beklagte wendete ein, der aus Metall gefertigte Befestigungssteher eines Absperr- und/oder Schneefangzaunes stelle wie die gesamte Zaunanlage kein atypisches Hindernis dar und sei deshalb nicht abzusichern gewesen. Der Kläger habe entgegen den FIS-Regeln Nr 2 und Nr 3 seine Geschwindigkeit, Fahrweise sowie seinen Sicherheitsabstand zum Pistenrand nicht so gewählt, dass er sich nicht selbst gefährde. Er sei in Schussfahrt und Hocke über die letzten 300 Meter vor der Unfallstelle einen relativ steilen Hang abgefahren. Dabei habe er eine Geschwindigkeit von über 65 km/h erreicht und sich damit selbst gefährdet. Überdies habe sich der Kläger bei dieser Schussfahrt nach einem anderen Schifahrer umgedreht. Dadurch habe erdie Schier verkantet und sei gestürzt. Die Beklagte müsse auf der geraden und ebenen, ohne Querneigung zum Absperrzaun hin verlaufenden Piste nicht damit rechnen, dass ein verantwortungsbewusster Schiläufer in den Absperr- und/oder Schneefangzaun oder gegen dessen Befestigungssteher stürze. Bestritten werde die Höhe des begehrten Schmerzengeldes sowie die Berechtigung des Feststellungsbegehrens.
[12] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein verantwortungsbewusster Schifahrer durchfahre die neun Meter breite Engstelle nur mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 30 km/h. Diesfalls werdebei einem Sturz die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung durch Kollision mit der Holzbretterwand und dem Sicherheitsnetz minimiert. Die Beklagte habe ihre Pistensicherungspflicht nicht verletzt.
[13] Das Berufungsgericht sprach mit Teilzwischenurteil aus, dass das Zahlungsbegehren dem Grunde nach mit zwei Dritteln zu Recht bestehe (Spruch-punkt I.1.), wies mit Teilurteil das Zahlungsmehrbegehren von 7.416,67 EUR sA (Spruchpunkt I.2.) sowie das Feststellungsbegehren im Umfang von einem Drittel (Spruchpunkt I.3.) ab und hob hinsichtlich des Feststellungsbegehrens im Umfang von zwei Dritteln das erstgerichtliche Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf (Spruchpunkt II.). Es sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
[14] Zur Tatsachengrundlage vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, die von der Beklagten begehrte Feststellung, der Kläger habe sich während der Schussfahrt zu seinem Begleiter umgedreht, widerspreche der unbekämpft gebliebenen Feststellung, der Kläger habe sich der Unfallstelle in gerader Linie und Hocke genähert, weil ein Umdrehen während einer Hockefahrt schon aus allgemein einleuchtenden biomechanischen Gründen körperlich unmöglich sei.
[15] Im Übrigen führte das Berufungsgericht rechtlich aus, die Pistensicherungspflicht erstrecke sich nicht nur bis zum Pistenrand, sondern auch auf Gefahrenquellen außerhalb des Pistenrandes, weil der Pistenhalter auch mit Stürzen von Schifahrern über den Pistenrand hinaus rechnen müsse. Als Faustregel habe sich in der Rechtsprechung herausgebildet, dass etwa bis zu zwei Meter über den Rand hinaus abzusichern sei. Die gegenständliche, parallel zur Längsrichtung der Piste ausgestaltete Holzverplankung bzw Netzkonstruktion sei eine künstliche Randmarkierung der Piste, bis zu der ein Schifahrer – auch wenn der erkennbare Präparierungsrand davor gelegen sei – auf die Sicherheit der Piste vertrauen dürfe. Die Netzkonstruktion und die 0,6 bzw 0,55 Meter hinter dieser befindlichen Metallanker seien daher in einem von der Pistensicherungspflicht umfassten Bereich gelegen, dies umso mehr, als es sich bei der Unfallstelle um eine Engstelle (oder Pistenverengung) gehandelt habe. Weil ein circa 100 Meter langes Flachstück, das am Ende leicht bergauf verlaufen sei, an die Engstelle angeschlossen habe, müsse ein Pistenhalter damit rechnen, dass auch verantwortungsbewusste und maßstabgerechte Skifahrer versuchen, aus dem steileren Bereich möglichst viel Geschwindigkeit mitzunehmen, um später nicht kräfteraubend mit den Schistöcken anschieben zu müssen. Die Beklagte hätte das Netz bis zum Schneegrund führen oder den Bodenanker anderwertig absichern müssen. Die Unterlassung dieser Absicherungen begründe das Verschulden der Beklagten. Die Feststellung, dass die Verletzung des Klägers leichter ausgefallen wäre als die tatsächlich eingetretene, wenn das Netz bis zur Schneeauflage nach unten gespannt gewesen wäre, sei überschießend. Den Kläger treffe ein Mitverschulden: Das Verkanten der Schier sei zwar kein vorwerfbarer fahrtechnischer Fehler, es indiziere jedoch typischerweise das Verschulden des Schiläufers, weil es zumeist auf ein vorausgehendes vermeidbares Fehlverhalten (etwa relativ überhöhte Geschwindigkeit oder unkontrolliertes Fahren) zurückzuführen sei. Nicht vorwerfbar sei dem Kläger aber die von ihm gewählte Geschwindigkeit. Eine Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu Lasten der Beklagten sei gerechtfertigt.
[16] Während der klageabweisende Teil des berufungsgerichtlichen Urteils unbekämpft rechtskräftig geworden ist und der Aufhebungsbeschluss mangels Zulassung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof unanfechtbar ist, richtet sich gegen das Teilzwischenurteil des Berufungsgerichts (Spruchpunkt I.1.) die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung dahingehend, dass auch das restliche Zahlungsbegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[17] Der Kläger beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[18] Die Revision ist wegen einer Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zulässig; sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[19] Die Revision macht geltend, die Holzbretterwand und das Sicherheitsnetz seien leicht erkennbar und somit kein atypisches Hindernis gewesen, weshalb die Beklagte ihre Pistensicherungspflicht nicht verletzt habe. Sie habe auch nicht mit einer Überschreitung der verletzungsaversen Geschwindigkeit von 20 bis 30 km/h durch die Schifahrer rechnen müssen. Der Bodenanker habe nicht weiter gesichert werden müssen. Die Feststellung von der schwereren Verletzung des Klägers durch dessen Durchrutschen unter dem Netz sei nicht überschießend. Selbst bei Annahme eines Mitverschuldens der Beklagten überwiege das Verschulden des Klägers. Zur begehrten Feststellung vom Umdrehen des Klägers hätte das Berufungsgericht das Verfahren ergänzen oder durch das Erstgericht ergänzen lassen müssen.
Hierzu wurde erwogen:
1. Zur Verletzung der Pistensicherungspflicht
[20] 1.1. Mit Abschluss des Beförderungsvertrags übernimmt der Liftunternehmer als Pistenhalter die Pflicht, im unmittelbaren Bereich des von ihm eröffneten Schiverkehrs die körperliche Integrität seiner Vertragspartner durch nach der Verkehrsauffassung erforderliche und zumutbare Maßnahmen zu schützen (2 Ob 30/10s). Er ist verpflichtet, dort entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wo dem Schifahrer durch nicht oder schwer erkennbare Hindernisse Gefahren drohen (RS0023255). Nach ständiger Rechtsprechung hat er demnach atypische Gefahren zu sichern, also solche Hindernisse, die der Schifahrer nicht ohne weiteres erkennen kann, und solche, die er trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann (2 Ob 49/09h; RS0023417). Die Verpflichtung zur Pistensicherung erstreckt sich nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch auf den Pistenrand, weil mit dem Sturz eines Schifahrers über den Pistenrand hinaus jederzeit, also auch bei mäßiger Geschwindigkeit, gerechnet werden muss (2 Ob 186/15i mwN). Atypische Gefahrenquellen sind daher – innerhalb der Grenzen des Zumutbaren (vglRS0023271) – auch dann zu sichern, wenn sie sich knapp neben der Piste befinden (RS0023499 [T9]). Wenn der Pistenbetreiber außerhalb der Piste selbst ein (künstliches) Hindernis schafft, dann muss er dieses auch wieder entfernen, jedenfalls aber entsprechend absichern, damit es für vernünftige Durchschnittsfahrer keine ernstliche Gefahr darstellen kann, wenn er damit rechnen muss, dass Schifahrer von der Piste in dieses ungesicherte Gelände abkommen (1 Ob 75/00m; 6 Ob 30/17f). Das Ausmaß der Sicherungsvorkehrungen auf einer Schipiste richtet sich folglich nicht allein nach der fehlenden Erkenn- bzw Vermeidbarkeit des Hindernisses, sondern auch nach der Art und dem Ausmaß der Gefahrenquelle (vgl zur Sicherungspflicht bei künstlich geschaffenen Hindernissen RS0023469; vgl weiters Stabentheiner, Die Haftung des Pistenhalters und vergleichbarer Sportanlagenbetreiber, ZVR 2017/244, 452 [454]). So wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Anbringung eines Fangnetzes an ungesicherten Stehern eine neuerliche Gefahrenquelle für stürzende Schifahrer heraufbeschwört, die insoweit erheblich ist, als die Kollision mit massiven Stehern zu erheblichen Verletzungen führen kann, weshalb diesen Gefahren vom Pistenhalter durch Polsterung und Ummantelung der Steher begegnet werden muss (dazu 1 Ob 533/91; 2 Ob 501/93; 4 Ob 1585/95; 5 Ob 34/06w), auch wenn solche Fangnetze für den Pistennutzer gewöhnlich schon von weitem erkennbar sind, sodass er sein Fahrverhalten grundsätzlich ohnedies rechtzeitig darauf einstellen kann. Zwar hängt die Reichweite der den Pistenhalter treffenden Sicherungspflichten von der konkreten örtlichen Situation ab, weshalb sie generellen Aussagen nicht zugänglich ist (RS0023237 [T3]; RS0109002). In ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs haben sich jedoch als maßgebende – gesamtschauartig zu beurteilende – Kriterien für Art und Umfang der Pistensicherungspflicht die Größe und Wahrscheinlichkeit der atypischen Gefahr sowie ihre Abwendbarkeit einerseits durch das Gesamtverhalten eines verantwortungsbewussten Benützers der Piste (dazu auch RS0023485; zuletzt 4 Ob 181/20a) und andererseits durch den Pistenhalter mit nach der Verkehrsauffassung adäquaten Mitteln herausgebildet (RS0023237 [T1]; zuletzt 6 Ob 30/17f und 1 Ob 219/18i).
[21] 1.2. Zu Recht ist das Berufungsgericht daher hinsichtlich des hier in Rede stehenden Streckenabschnitts von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Stürzen über den Pistenrand hinaus – und folglich in den Fangzaun – ausgegangen, weil aufgrund der Besonderheiten des Geländes geradezu typischerweise damit zu rechnen ist, dass Pistennutzer die flache, in einer leichten Linkskurve verlaufende Engstelle regelmäßig mit höherer Geschwindigkeit durchfahren, um ein Anschieben bei der daran anschließenden Steigung zu vermeiden, und dabei zwangsläufig aufgrund der Pistenverengung in den Nahbereich des Zauns geraten. Schon der Umstand, dass dort überhaupt ein Fangzaun angebracht war, zeigt, dass auch die Beklagte offenbar die Gefahr eines Hinausrutschens stürzender Pistennutzer über den Pistenrand erkannt hat.
[22] Hinzu kommt, dass die Absicherung der durchaus verletzungsträchtigen Stahlanker in der konkreten Konstellation für die Beklagte auch ohne weiteres zumutbar gewesen wäre: Sie hätte nur den vor Ort ohnedies bereits vorhandenen Fangzaun dergestalt spannen müssen, dass er nach unten hin bis zur Schneeauflage reicht und damit seiner zentralen Funktion, nämlich dem Abfangen von Schi- und Snowboardfahrern, gerecht wird. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass Fangnetze bis zum Bodenniveau hin auszuführen sind, um ein Durchrutschen gestürzter Schifahrer zu verhindern (7 Ob 577/88; 6 Ob 661/94; 10 Ob 170/00y).
[23] Schließlich hat das Berufungsgericht zutreffend darauf Bedacht genommen, dass die Beklagte mit der Zaunkonstruktion samt zugehörigen Stahlankern selbst ein künstliches Hindernis geschaffen hat, das wiederum schon abgesichert werden hätte müssen, um nicht selbst zu einer neuen Gefahrenquelle für die Pistennutzer zu werden. Von einer Überspannung der Pistensicherungspflichten der Beklagten kann in der vorliegenden Fallkonstellation aus all diesen Gründen keine Rede sein.
[24] 1.3. Dem von der Beklagten hervorgehobenen Umstand, dass der verantwortungsbewusste Pistennutzer den Fangzaun als solchen bereits von Weitem erkennen und der von der Zaunkonstruktion selbst allenfalls ausgehenden Gefahr ohnedies leicht dadurch begegnen kann, dass er die flache Passage mit geringer Geschwindigkeit von höchstens 30 km/h durchfährt, kommt vor diesem Hintergrund kein entscheidendes Gewicht zu; sie steht der Annahme, dass es sich bei den hinter (!) dem Zaun situierten Stahlankern im Nahbereich des Pistenrandes um abzusichernde atypische Gefahrenquellen handelt, nach dem Gesagten nicht entgegen.
[25] Es trifft zwar zu, dass bei der Beurteilung der vom Pistenhalter zu treffenden Sicherungsmaßnahmen auch die dem Pistenbenützer obliegende Verpflichtung zu einer kontrollierten Fahrweise (RS0023429), die auf die genaue Beobachtung der Abfahrt und die Einhaltung einer den Geländeverhältnissen angepassten Geschwindigkeit hinlänglich Bedacht nimmt, ausgewogen zu berücksichtigen ist (RS0023485). Wieso das flache und fahrtechnisch nicht herausfordernde Teilstück von guten Schifahrern bei entsprechend guten Schnee- und Sichtbedingungen und freier Piste aber nur mit höchstens 30 km/h kontrolliert durchfahren werden dürfte, ist nicht erkennbar. Der bloße Umstand, dass aufgrund der Pistenverengung auf dieser kurzen Teilstrecke kein ausreichender Sturzraum auf der Piste selbst vorhanden ist, lässt eine entsprechende Schlussfolgerung noch nicht zu. Zu Recht ist das Berufungsgericht der Annahme nicht gefolgt, ein verantwortungsvoller Schifahrer müsse auch bei engeren Passagen stets eine so geringe Geschwindigkeit einhalten, dass er im Fall eines – ja nie auszuschließenden – Sturzes keinesfalls über den Pistenrand hinausgeraten kann. In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu verweisen, wonach auf Schiwegen eine Randsicherung nur ausnahmsweise an Stellen erforderlich ist, wo die Gefahr einer erheblichen Verletzung auch für einen verantwortungsbewussten Benützer einer Piste des angegebenen Schwierigkeitsgrades infolge Abstürzens oder Abrutschens entweder durch eine erhöhte Möglichkeit des Abkommens vom Schiweg oder durch die Gestalt des anschließenden Geländes besonders hoch ist (7 Ob 577/93; RS0023884). Auch daraus ergibt sich, dass von einem verantwortungsbewussten Pistennutzer nicht zu fordern ist, dass er Engstellen so langsam passiert, dass bei einem Sturz ein Abrutschen über den Pistenrand jedenfalls ausgeschlossen ist.
[26] 1.4. Auch aus der Entscheidung 1 Ob 239/20h lässt sich für den Rechtsstandpunkt der Beklagten nichts gewinnen: Sie betrifft die für die Pistensicherungspflicht des Pistenhalters maßgebliche Abgrenzung des organisierten Schiraums vom freien Gelände. Aus ihr kann nicht gleichsam verallgemeinernd abgeleitet werden, dass der Pistenhalter bei der Beurteilung, inwieweit eine Absicherung des Pistenrandes erforderlich ist, dem ihm bekannten oder erkennbaren – aus Bequemlichkeit erfolgenden – Verhalten von Pistennutzern nicht Rechnung tragen, in concreto also nicht mit ins Kalkül ziehen muss, dass Pistennutzer gewöhnlich vor Steigungen Schwung holen, um nicht anschieben oder staffeln zu müssen.
[27] 1.5. Nicht zielführend ist auch die Argumentation der Beklagten, im Bereich der Unfallstelle sei der Präparierungsrand sehr wohl mit dem Pistenrand gleichzusetzen, zumal dem Fangnetz nicht die Funktion einer Pistenbegrenzung zukomme. Sie zielt mit diesem Vorbringen darauf ab, dass die beiden Bodenanker, mit denen der Kläger kollidiert sein könnte (auf welchen der beiden Stahlanker der Kläger prallte, blieb offen), diesfalls 2,5 bzw 2,6 Meter vom Pistenrand entfernt und damit nicht mehr in jenem Nahbereich zur Piste gelegen wären, der vom Pistenhalter abzusichern ist. Sie verweist in diesem Zusammenhang zwar im Ausgangspunkt zutreffend darauf, dass sich in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung die Faustregel herausgebildet hat, dass atypische Gefahrenstellen im Bereich von etwa zwei Metern neben dem Pistenrand zu sichern sind. Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es sich dabei gerade nicht um ein exakt einzuhaltendes Maß handelt (vgl bloß 6 Ob 270/05g). Die Frage der Notwendigkeit der Absicherung und der Zumutbarkeit der dabei zu treffenden Maßnahmen hängt gerade nicht allein von der Entfernung des Objekts vom Pistenrand ab, sondern auch von der Ausgestaltung und Ausrichtung des zu sichernden Objekts und ebenso von der Situierung des sonstigen Geländes (1 Ob 219/18i). Dementsprechend wurde auch bereits angesichts des konkreten Pistenverlaufs eine Verpflichtung zur Absicherung eines 2,6 Meter außerhalb der Pistenbegrenzung liegenden gefährlichen Hindernisses angenommen (5 Ob 528/89).
[28] Auch hier kann angesichts der Lage des – zudem künstlich geschaffenen – Hindernisses an der Kurvenaußenseite, des bereits angesprochenen Umstands, dass aufgrund der besonderen Geländebeschaffenheit damit zu rechnen ist, dass Pistennutzer vor der betreffenden Passage noch Schwung holen, um nicht anschließend anschieben zu müssen, aber auch mit Blick auf die konkrete Ausführung des Stahlankers, die bei einem Anprall erhebliche Verletzungen befürchten lassen, kein Zweifel daran bestehen, dass diese von der Beklagten abzusichern gewesen wären.
2. Zur Annahme einer überschießenden Feststellung zum hypothetischen Unfallverlauf
[29] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung wird eine Rechtssache unrichtig beurteilt, wenn der Entscheidung unzulässige überschießende Feststellungen zugrunde gelegt werden (RS0040318 [T2]; RS0036933 [T10, T11, T12]; RS0037972 [T11]; RS0112213 [T1, T4]). Gleiches hat auch im umgekehrten Fall zu gelten, wenn vom Parteienvorbringen gedeckte Feststellungen unzutreffend als überschießend qualifiziert und daher nicht berücksichtigt werden (7 Ob 226/14g; 4 Ob 25/16d ua). Bei der Beurteilung, ob es sich um eine unzulässige überschießende Feststellung handelt, ist nicht darauf abzustellen, ob sich der vom Erstgericht getroffene Sachverhalt wörtlich mit den Parteienbehauptungen deckt, sondern nur zu prüfen, ob sich die Feststellungen im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (4 Ob 25/16d; 9 ObA 139/16f; 4 Ob 143/18k; vgl auch RS0040318 [T1, T6]; RS0037972 [T1, T9]).
[30] 2.2. Dabei handelt es sich zwar um eine Frage des Einzelfalls, der grundsätzlich keine über den einzelnen Rechtsstreit hinausgehende Bedeutung zukommt (10 Ob 29/01i; 3 Ob 73/01h; RS0040318 [T3]; RS0037972 [T15]). Im vorliegenden Fall ist dem Berufungsgericht jedoch eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen, indem es hinsichtlich der in Rede stehenden Feststellung darauf abstellt, dass die Beklagte gar kein korrespondierendes Vorbringen erstattet habe, wonach die Verletzungen des Klägers bei einer Absicherung der Netzkonstruktion nicht unterblieben, sondern nur geringer ausgefallen wären.
[31] 2.3. Dies ist zwar für sich genommen zutreffend; das Berufungsgericht nimmt jedoch nicht darauf Bedacht, dass die Beklagte insoweit gar nicht behauptungs- und beweisbelastet ist, wird ihr doch vorliegend vom Kläger eine Unterlassung, konkret das Unterbleiben der gebotenen Sicherungsmaßnahmen, zum Vorwurf gemacht.
[32] Bei einer Schädigung durch Unterlassung kann sich aber die vom Berufungsgericht womöglich ins Auge gefasste Frage eines rechtmäßigen Alternativverhaltens – als vom Schädiger gesondert zu erhebender Einwand – nicht stellen; sie geht stets in der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der Unterlassung und dem Schadenseintritt auf (vgl 7 Ob 238/07m; 6 Ob 234/17f; RS0022913 [T9]). Es fehlt nämlich ohnehin schon an der Kausalität für den Schaden, soweit derselbe Nachteil auch bei pflichtgemäßem Tun entstanden wäre. Schon im Rahmen der Kausalitätsprüfung ist mit anderen Worten der hypothetische Ablauf bei Hinzudenken des gebotenen Verhaltens zu klären (s RS0022913 [T1, T8, T12]).
[33] Auch im Rahmen der Vertragshaftung hat nun aber grundsätzlich der Geschädigte den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Eintritt des Schadens zu behaupten und zu beweisen (RS0022664 [T11]), und zwar auch dann, wenn es sich bei dem vorgeworfenen Fehlverhalten um eine Unterlassung handelt (RS0022664 [T5]; vgl weiters RS0022686 [T8, T12] sowie – zu den insoweit herabgesetzten Anforderungen an den Kausalitätsbeweis – RS0022900 [T14]).
[34] 2.4. Eine entsprechende Prozessbehauptung hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren auch erstattet. Die vom Berufungsgericht als überschießend gewertete Feststellung bewegt sich ausgehend von diesen Erwägungen jedenfalls im Rahmen des Klagevorbringens und ist daher der Entscheidung sehr wohl zugrunde zu legen.
3. Zur begehrten Sachverhaltsergänzung (Umdrehen des Klägers)
[35] 3.1. Die diesbezügliche berufungsgerichtliche Beurteilung basiert allein auf der Überlegung, ein Schifahrer der sich der Unfallstelle in gerader Linie und Hocke nähere, könne sich „aus allgemein einleuchtenden biomechanischen Gründen“ unmöglich umdrehen. Diese Annahme ist aber für sich genommen nicht haltbar: Ein (körperlich gesunder) Schifahrer ist – notorisch – sehr wohl in der Lage, (zumindest) den Kopf seitlich nach hinten zu wenden, ohne dabei die eingenommene Hockeposition aufzugeben.
[36] 3.2. Die erstgerichtlichen Feststellungen haben daher – entgegen dem Berufungsgericht – nicht zum Inhalt, der Kläger habe sich nicht umgedreht.
[37] 3.3. Diese berufungsgerichtliche Sachverhaltsannahme über den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt hinaus ohne Beweisergänzung begründet eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (RS0043057 [T7]). Diese Mangelhaftigkeit ist auch wesentlich: Hätte sich der Kläger der Unfallstelle tatsächlich nicht nur mit einer relativ hohen Geschwindigkeit von 60 km/h und in Hocke angenähert, sondern sich darüber hinaus vor seinem Sturz auch noch zu seinem Begleiter umgedreht, wäre dieses als Fehlverhalten gegen seine Verpflichtung zu einer kontrollierten Fahrweise (RS0023429) bei der Mitverschuldensabwägung mit zu berücksichtigen.
4. Zwischenurteil
[38] 4.1. Es steht somit (zusammengefasst) fest, dass die Beklagte den Unfall (nämlich den Sturz an sich) bei pflichtgemäßem Handeln nicht vermeiden hätte können, dass die Verletzungen des Klägers aber bei entsprechender Absicherung durch die Beklagte (Netz bis unten gespannt und Absicherung der Eisensteher durch Anprallmatten) leichter ausgefallen wären. Daraus ist zu folgern: Soweit der Kläger auch bei pflichtgemäßem Verhalten der Beklagten verletzt worden wäre, haftet die Beklagte gar nicht. Für die darüber hinausgehenden Verletzungen haftet die Beklagte nach ihrem (der Höhe nach hier wegen der noch zu ergänzenden Sachverhaltsgrundlage [vgl 3.] noch nicht beurteilbaren) Mitverschuldensanteil. Den Kläger trifft für den höheren Schaden die Beweislast (überwiegende Wahrscheinlichkeit bei Kausalität der Unterlassung, vgl RS0106890 [T28]).
[39] 4.2. Nach ständiger Rechtsprechung muss für die Fällung eines Zwischenurteils auch der Kausalzusammenhang mit einer der behaupteten Schadensfolgen geklärt und bejaht sein (RS0102003 [T6, T10, T11]; vgl auch RS0122728 [T5]; RS0040986; RS0040990 [T3]; RS0040945 [T2]; RS0040935 [T8]). Nach der Entscheidung 6 Ob 163/05x ist die Kausalitätsfrage hinsichtlich sämtlicher geltend gemachter Schadenersatzansprüche im Verfahrensstadium über den Grund zu klären.
[40] 4.3. Die Frage, welche Verletzungen der Kläger auch bei sorgfaltsgemäßem Verhalten der Beklagten erlitten hätte (und wofür sie daher gar nicht zu haften hat) und welche darüber hinausgehenden Verletzungen der Kläger durch das Durchrutschen unter dem Netz und den Anstoß an den Eisensteher erlitten hat und wofür die Beklagte mithaftet, gehört somit zum Grund des Anspruchs. Da dazu bislang keine ausreichenden Feststellungen vorliegen, sind die vom Berufungsgericht angenommenen Voraussetzungen für die Fällung eines Zwischenurteils über den Grund des Anspruchs nicht gegeben.
5. Ergebnis
[41] Diese Erwägungen zwingen zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen im angefochtenen Umfang. Das Erstgericht wird einerseits zur Frage, ob sich der Kläger vor dem Sturz umgedreht hat (3.), und andererseits zur Frage, welche Verletzungen der Kläger auch bei pflichtgemäßem Verhalten der Beklagten erlitten hätte (2., 4.), Feststellungen zu treffen, das beiderseitige Verschulden nach ergänzter Tatsachengrundlage zu beurteilen und auf dieser Grundlage über die Schadenersatzansprüche des Klägers abzusprechen haben.
[42] 6. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.
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