OGH 10Ob170/00y

OGH10Ob170/00y3.10.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr, Dr. Steinbauer, Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sabine K*****, vertreten durch Mag. Friedrich Kühleitner, Rechtsanwalt in Schwarzach, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Rudolf Zitta und Dr. Harald Schwendinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 556.446,-- sA und Feststellung (Streitwert S 100.000,--), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 13. April 2000, GZ 1 R 45/00v-50, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits mehrfach mit den Verkehrssicherungspflichten eines Schiliftbetreibers befasst und auch schon wiederholt zur Absicherungspflicht von Gefahrenquellen in unmittelbarer Nähe des Randes einer präparierten Piste Stellung genommen. Nach der bereits vom Berufungsgericht wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes erstreckt sich die Verpflichtung zur Pistensicherung auch auf den Pistenrand, der als Bereich im Ausmaß von etwa einer Schilänge an die markierte und gewidmete Schipiste anschließt, weil mit dem Sturz eines Schifahrers über den Pistenrand hinaus stets - also auch bei mäßiger Geschwindigkeit - gerechnet werden muss. Aus dieser Erfahrungstatsache folgt zwangsläufig, dass atypische Gefahrenstellen in einem Bereich von rund 2 m neben dem Pistenrand auf geeignete Weise im Rahmen des Zumutbaren abzusichern sind (ZVR 1989/132; ZVR 1989/140; ZVR 1993/97; JBl 1999, 465 mwN uva).

Wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt, fällt im vorliegenden Fall das Gelände im Unfallsbereich unmittelbar nach dem Begrenzungsnetz stark zu der Fahrbahn der Bundesstraße und zu einer in diesem Bereich befindlichen Bushaltestelle ab. Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, dass es sich hiebei um eine atypische Gefahrenquelle handelt, die noch in dem zu sichernden Randbereich liegt. Dies wurde offensichtlich auch von der beklagten Partei erkannt und ein Sicherheitsnetz errichtet. Ihre Auffassung, die Sicherungspflicht würde überspannt, wenn man eine Absicherung durch ein bis zur Schneedecke reichendes Netz verlangte, kann nicht geteilt werden. Für die Art und den Umfang der Pistensicherungspflicht ist das Gesamtverhältnis zwischen der Größe und der Wahrscheinlichkeit der atypischen Gefahr sowie ihre Abwendbarkeit einerseits durch das Gesamtverhalten eines verantwortungsbewussten Benützers der Piste und andererseits durch den Pistenhalter mit nach der Verkehrsanschauung adäquaten Mitteln maßgebend (ZVR 1993/97; ZVR 1993/161 uva; RIS-Justiz RS0023237). Es hat bereits das Erstgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei der gegenständlichen Schipiste um einen Hang für Anfänger handelt und es bei Anfängern häufig vorkommt, dass sie sich aus Schreck auf die Schier setzen oder sonst zu Sturz kommen und in der Folge an den Pistenrand abrutschen. Auf Grund der örtlichen Verhältnisse war daher an der Unfallstelle eine entsprechende Absicherung erforderlich. Nach zutreffender Ansicht des Berufungsgerichtes war der beklagten Partei diese mögliche Gefahrensituation auch durchaus bewusst, weil sie im Bereich der Absturzstelle der Klägerin ein Sicherheitsnetz anbringen ließ. Ob der Pistensicherungspflicht im Sinne der dargelegten Ausführungen Genüge getan wurde, hängt von den besonderen Umständen jeden einzelnen Falles ab. Eine für alle Eventualitäten gültige Regel, wann eine bestimmte Absicherungsmaßnahme ausreichend ist, lässt sich nicht aufstellen. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beurteilung, das von der beklagten Partei angebrachte Sicherheitsnetz habe am Unfallstag nicht den Anforderungen einer einwandfreien Sicherheitsvorkehrung für eine zur Befahrung geöffnete Piste entsprochen, weil der untere Rand dieses Sicherheitsnetzes so weit oberhalb des Bodenniveaus endete, dass ein gestürzter Pistenbenützer - wie die Klägerin - am Boden dahingleitend unter dem Sicherheitsnetz durchrutschen konnte, orientiert sich an der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in vergleichbaren Fällen (vgl 6 Ob 661/94 mwN). Das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang auch noch darauf hingewiesen, dass die beklagte Partei den Absturz der Klägerin durch ein Nachjustieren des Fangnetzes (Verringerung des Abstandes des Fangnetzes zur Schneeoberfläche, sodass ein Durchrutschen von Schifahrern unmöglich ist) leicht hätte abwenden können. Die Frage, ob der beklagten Liftbetreibergesellschaft auf Grund des hier vorliegenden Sachverhaltes eine Verletzung der Pistensicherungspflicht zur Last zu legen ist, stellt daher keine über diesen besonderen Einzelfall hinausgehende Frage von grundsätzlicher Bedeutung dar (1 Ob 41/00m; 7 Ob 328/97d ua; RIS-Justiz RS0109002).

Was die Frage eines allfälligen Mitverschuldens der Klägerin am Unfall betrifft, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen, wonach selbst auf fahrtechnische Fehler zurückzuführende Stürze von Schiläufern an sich noch nicht rechtlich vorwerfbar sind, dem Schifahrer jedoch ein dem Sturz vorausgegangenes vermeidbares Fehlverhalten zur Last fallen kann, das den Sturz herbeigeführt hat und deshalb als einleitende Fahrlässigkeit zu beurteilen ist. Als solches vermeidbares Fahrverhalten kommen vor allem überhöhte Geschwindigkeit sowie unkontrolliertes Fahren in Betracht (1 Ob 533/91; 1 Ob 504/93; 1 Ob 309/97s uva). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, im Falle eines Mitverschuldenseinwandes trage der Schädiger die Behauptungs- und Beweislast für das einem Sturz vorangegangene Fehlverhalten des Geschädigten, entspricht der ständigen Rechtsprechung (JBl 1999, 465; ZVR 1994/29; ZVR 1993/161 mwN ua). Es hat damit der Schädiger zu behaupten und zu beweisen, dass der Geschädigte vor dem Sturz ein Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, so etwa Pistenregeln missachtet oder fahrtechnische Fehler begangen hat. Beweist der Schädiger einen Verstoß des Geschädigten gegen Pistenregeln oder einen fahrtechnischen Fehler - also einen typischen, Sorglosigkeit gegenüber eigenen Rechtsgütern indizierenden Geschehensablauf -, ist damit prima facie auch der für die Annahme eines Mitverschuldens erforderliche Sorgfaltsverstoß bewiesen. In diesem Sinne wird im Falle von Sturzkollisionen ein solcher typischer - den Anscheinsbeweis rechtfertigender - Geschehensablauf dann anzunehmen sein, wenn der Schädiger unmittelbar gegen vor ihm oder unterhalb von ihm befindliche langsamere oder stehende Schifahrer stürzt, weil in einem solchen Fall ein pistenregelwidriger Vorgang (Missachtung des Vorranges) objektiv verwirklicht erscheint und nach allgemeiner Erfahrung ein vermeidbares Fehlverhalten des Schädigers vorliegt. Hingegen wird eine derartige prima-facie-Beweislage dann zu verneinen sein, wenn es nicht schon im Sturzgeschehen selbst, sondern erst nach Abrutschen des Gestürzten über eine gewisse Strecke zur Kollision kommt und die eingeschlagene Fahrtrichtung ohne Sturz in angemessenem Abstand vom Kollisionspunkt vorbeigeführt hätte, weil in einem solchen Fall kein Verhaltensunrecht indizierender pistenregelwidriger Vorgang vorliegt (JBl 1999, 465).

Die beklagte Partei vertritt unter Hinweis auf die Ausführungen von Pichler, Zur Beweislast für Mitverschulden in Pistensicherungsfällen, ZVR 1999, 362 ff die Ansicht, ihr komme der Anscheinsbeweis für ein Fehlverhalten der Klägerin zugute, weil derjenige, der freiwillig über einen klar erkennbaren Pistenrand fahre oder stürze, das typische Bild eines unkontrollierten Fahrens vor dem Sturz bzw vor dem Überschreiten des Pistenrandes zeige. Pichler begründet seine Ansicht damit, dass der Pistenrand ein neuralgischer Bereich sei, wo im eigenen Sicherheitsinteresse erhöhte aktive Aufmerksamkeit und vollkommen kontrolliertes Fahren geboten seien, um das Abkommen von der Piste zu vermeiden. Diesem Umstand werde von den Pistenbenützern in aller Regel durch entsprechend vorsichtiges Fahren in der Nähe des Pistenrandes unfallvermeidend Rechnung getragen. Anders sei die Frage des Eigenverschuldens jedoch dann zu beurteilen, wenn das Unfallopfer weitab vom Pistenrand stürze, auf der Piste der Schwerkraft folgend abrutsche und über den Pistenrand in ungesichertes und gefährliches Gelände gerate.

Im vorliegenden Fall wurde von der beklagten Partei weder behauptet noch vom Erstgericht festgestellt, dass sich der Sturz der Klägerin in der Nähe des besonders neuralgischen Pistenrandes ereignet hätte. Vom Erstgericht wurde lediglich festgestellt, dass sich die Klägerin durch einen anderen Schifahrer bedrängt fühlte, sich vor Schreck auf ihre Schier setzte und in dieser Position zum Pistenrand rutschte. Weiters ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die Stabilität der Fahrweise der Klägerin, die als durchschnittliche Schifahrerin beschrieben wird, bereits auf Grund der gegebenen Schneeverhältnisse erheblich beeinträchtigt war. In Anbetracht dieser Umstände kann nach Ansicht des erkennenden Senates nicht von einem typischen Geschehensablauf, der prima facie die Annahme eines unfallkausalen Eigenverschuldens der Klägerin rechtfertigt, ausgegangen werden, sodass die Annahme des Mitverschuldens auch dem ersten Anschein nach nicht gerechtfertigt erscheint.

Die von der beklagten Partei der Klägerin in ihrem Prozessvorbringen zur Last gelegte Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit sowie Unaufmerksamkeit konnte im Beweisverfahren nicht verifiziert werden. Die der Klägerin weiters angelastete verfehlte Reaktion auf die vom Erstgericht festgestellte Behinderung durch einen knapp an ihr vorbeifahrenden Schifahrer tritt gegenüber dem weitaus überwiegenden Verschulden der beklagten Partei in den Hintergrund. Da sich die Prüfung des Mitverschuldens auf jene tatsächlichen Umstände zu beschränken hat, die vom Schädiger eingewendet wurden (MGA, ABGB35 ENr 23 ff zu § 1304 mwN ua), kann sich die beklagte Partei schon mangels entsprechenden Prozessvorbringens im Verfahren erster Instanz nicht beschwert erachten, dass der Klägerin ein theoretisch mögliches Festhalten am Netz vom Berufungsgericht nicht als Mitverschulden angerechnet wurde. Im Übrigen würde es sich dabei im Sinne der zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes um eine der Klägerin nicht zumutbare Abwehrmaßnahme handeln. Das Berufungsgericht ist daher auch bei der Verschuldensabwägung nicht von den in ständiger Rechtsprechung anerkannten Kriterien der Ermessensausübung abgewichen. Erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO stellen sich damit nicht.

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