OGH 4Ob181/20a

OGH4Ob181/20a23.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions‑ und Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers mj L***** B*****, vertreten durch den Vater R***** B*****, dieser vertreten durch Mag. Peter Breiteneder und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die Beklagte H***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dietrich Seeber, Rechtsanwalt in Linz, wegen 20.756 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.500 EUR), über die Revision und den Rekurs der Beklagten gegen das Teil‑ und Teilzwischenurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Juli 2020, GZ 4 R 76/20d‑46, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 18. April 2020, GZ 29 Cg 10/19w‑42, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00181.20A.0223.000

 

Spruch:

 

Der Revision und dem Rekurs wird jeweils Folge gegeben.

Der angefochtene Aufhebungsbeschluss wird aufgehoben und die angefochtene Entscheidung insgesamt dahin abgeändert, dass das klageabweisende Urteil des Erstgerichts samt Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten deren mit 4.547,76 EUR (darin 519,46 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Im März 2017 kam es auf einer von der Beklagten betriebenen Schipiste zu einem Unfall zwischen dem damals elfjährigen Kläger und einem weiteren Schifahrer, bei welchem der Kläger verletzt wurde. Der Kläger fuhr zunächst auf der im rechten Pistenbereich befindlichen „Wellenbahn“, die an ihrem Beginn mit einer Tafel mit der Aufschrift „Wellenbahn – Sportanlage – keine Standardpiste“ gekennzeichnet war, und stieß nach deren Ende und nach dem Einfahren in die Publikumspiste mit dem dort fahrenden Unfallgegner zusammen.

[2] Der Kläger ist ein sehr guter Schiläufer, der seit seinem dritten Lebensjahr Schi fährt und Mitglied eines Skiclubs ist. Er verfügt über eine Dauerkarte für das Schigebiet der Beklagten und kannte auch die Wellenbahn sehr gut. Die Wellenbahn wies eine Länge von etwa 150 Meter und eine Breite von fünf bis sieben Meter auf, wobei die Längsabtrennung zur Publikumspiste aus einem aufgeschütteten Schneewall mit einer Höhe von maximal einem Meter sowie Markierungsstangen in einem Abstand von etwa fünf Metern sowie einem Absperrseil mit Fähnchen bestand; eine wechselweise Sichtbehinderung zwischen den Benutzern der Wellenbahn und den Benutzern der Hauptpiste bestand aufgrund dieser Trenneinrichtung nicht. Im Bereich der Wellenbahn befanden sich sieben Wellen mit unterschiedlichen Abständen. Etwa fünf Meter vor dem Ende der Wellenbahn stand leicht schräg zur Hangfalllinie ein Stocknetz mit gelb‑oranger Färbung. Ungefähr auf Höhe dieses Netzes befand sich am in Fahrtrichtung rechten Rand der Wellenpiste ein ca ein Quadratmeter großes Transparent mit einem Straßenverkehrssymbol „Achtung“ und dem darunter angebrachten Schriftzug „Slow“, das für herannahende Schifahrer gut erkennbar war. Die letzte Welle war zum Unfallszeitpunkt zumindest zehn Meter vom Ende der Wellenbahn entfernt.

[3] Die Wellenbahn dient in ihrer Ausgestaltung und ihrem Schwierigkeitsgrad der Belustigung von Kindern oder „junggebliebenen“ Erwachsenen. Es handelt sich dabei um keine Rennstrecke, bei der der Pistenerhalter die Benützer zu riskanter oder schneller Fahrweise herausfordert. Die Piste weist im Bereich der Zusammenflussstelle zwischen Hauptpiste und Wellenbahn einen geringen Schwierigkeitsgrad auf. Der Kläger nahm am Unfallstag auch das in Fahrtrichtung links am Ende der Wellenbahn montierte Stocknetz wahr. Die FIS‑Regel 2 („Fahren auf Sicht“) war dem Kläger bekannt.

[4] Bei einer Geschwindigkeit von rund 35 km/h (wie sie der Kläger anlässlich einer videodokumentierten Fahrt über die Wellenbahn vierzehn Tage vor dem Unfall eingehalten hat) und einem leichten Abheben bei der letzten Welle war der Sprungvorgang ca zwei bis drei Meter vor dem linksseitig aufgestellten Stocknetz beendet. Hätte der Kläger bei dieser Geschwindigkeit im Bereich der letzten Welle die Schi quergestellt, wäre es ihm möglich gewesen, kontrolliert in die Publikumspiste einzufahren. Beim Können des Klägers war es auch nicht schwierig, nach der letzten Welle abzuschwingen und sich kontrolliert in die Publikumspiste einzuordnen. Die genaue Kollisionsstelle sowie die Fahrlinie und Geschwindigkeit des Klägers vor dem Unfall konnten nicht festgestellt werden.

[5] Der Kläger begehrt – nach dem Scheitern seiner Klage gegen den Unfallgegner wegen Eigenverschuldens – nunmehr von der beklagten Pistenhalterin Schadenersatz in Höhe von 20.756 EUR und die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige derzeit nicht bekannte Schäden aus dem Schiunfall. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, das Ende der Wellenbahn von der übrigen Piste abzugrenzen und die Sonderfläche nach der letzten Welle weiter hangabwärts zu ziehen und damit einen Auslauf für deren Benützer zu ermöglichen.

[6] Die Beklagte bestritt einen Verstoß gegen die Pistensicherungspflicht. Die Wellenbahn sei als Sonderfläche deutlich gekennzeichnet gewesen, und die Pistenbenützer hätten deren Ende deutlich erkennen können. Für den Kläger sei die Einhaltung der allgemeinen Pistenregeln (wie das Fahren auf Sicht) möglich und zumutbar gewesen.

[7] Das Erstgericht wies die Klage ab. Ein Pistenhalter habe nur atypische Gefahren zu sichern, die unter Bedachtnahme auf das Erscheinungsbild und den angekündigten Schwierigkeitsgrad der Piste auch für einen verantwortungsbewussten Schifahrer unerwartet oder schwer abwendbar seien. Die den Pistenhalter treffende Pflicht zur Sicherung der Piste bedeute keine Verpflichtung, den Schifahrer vor jeder möglichen Gefahr zu schützen, die ihm von der Piste her drohe. Da im vorliegenden Fall das Ende der Wellenbahn zu erkennen gewesen sei, die Kollision durch eine angepasste Fahrweise des Klägers vermeidbar gewesen wäre und keine wechselseitige Sichtbehinderungen durch die seitliche Abgrenzung der Piste von der Wellenbahn bestanden habe, liege keine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten der Beklagten vor.

[8] Das Berufungsgericht sprach mit Teil- und Teilzwischenurteil aus, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht bestehe, wies das Mehrbegehren von 10.378 EUR und das Feststellungsbegehren in einem 50 % übersteigenden Ausmaß ab; im Übrigen hob es infolge fehlender Feststellungen zur Berechtigung des Feststellungsbegehrens das erstgerichtliche Urteil im Umfang der Entscheidung über das Feststellungsbegehren im Ausmaß einer Haftung der Beklagten von 50 % auf und trug dem Erstgericht insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die ordentliche Revision und den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte das Berufungsgericht zur Frage der Verkehrssicherungspflichten des Betreibers einer Sonderfläche im organisierten Schiraum in Bezug auf die Abgrenzung von der allgemeinen Piste für zulässig. Der Pistenhalter habe die Sonderfläche von der allgemeinen Piste so abzugrenzen, dass unter anderem ein angemessener Sturzraum zur Verfügung stehe und eine sichere Ausfahrt aus dem Snow‑Park gewährleistet sei. Im konkreten Fall hafte die Beklagte, weil sie nicht ausreichend sichergestellt habe, dass ein Ausfahren aus der Sonderfläche Wellenbahn bei Überfahren der Wellen mit entsprechender Geschwindigkeit ohne Gefährdung der Benützer des allgemeinen Pistenbereichs gewährleistet gewesen sei. Den Kläger treffe allerdings ein Mitverschulden, weil er gegen die ihm bekannte FIS‑Regel 2 verstoßen habe, wonach jeder Schifahrer auf Sicht fahren müsse und seine Geschwindigkeit und Fahrweise seinem Können und den Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anzupassen habe. Überdies habe er auch gegen die FIS‑Regel 5 verstoßen, wonach der aus einem (abgegrenzten) Snow‑Park Ausfahrende und in die normale Piste Einfahrende benachrangt sei. Da das Mitverschulden von Kindern und unmündigen Minderjährigen geringer zu werten sei, erachtete das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des jeweiligen Fehlverhaltens eine Verschuldensteilung von 1:1 für angemessen.

[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision und der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen und den Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts ersatzlos zu beheben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die – vom Kläger beantworteten – Rechtsmittel der Beklagten sind zulässig und berechtigt.

[11] 1.1. Nach den Feststellungen bestand zum Unfallzeitpunkt zwischen den Streitteilen ein Vertragsverhältnis, sodass auf die Verkehrssicherungspflicht nach § 1319a ABGB nicht näher einzugehen ist. Den Halter einer Skipiste treffen als vertragliche Nebenverpflichtungen Schutzpflichten gegenüber seinen Vertragspartnern (6 Ob 240/03t).

[12] 1.2. Dabei bedarf es einer ausgewogenen Berücksichtigung der den Pistenbenützern obliegenden Verpflichtung zu einer kontrollierten Fahrweise. Der Schifahrer nimmt Hindernisse und Gefahren, die sich aus dem Wesen der Schiabfahrt ergeben, in Kauf und muss sie selbst bewältigen. Entsprechende Schutzmaßnahmen des Pistenbetreibers sind aber dort erforderlich, wo dem Schifahrer im Gegensatz zum sonstigen Charakter der Piste nicht oder nur schwer erkennbare Hindernisse oder Gefahren drohen (RIS‑Justiz RS0023485).

[13] 1.3. Das Ausmaß der Sicherungsvorkehrungen auf einer Schipiste richtet sich nach der Art der Gefahrenquelle. Künstlich geschaffene Hindernisse und Gefahrenquellen sind zu entfernen oder doch so kenntlich zu machen, dass sie für den vernünftigen Durchschnittsfahrer auch bei schlechten Sichtverhältnissen keine besondere Gefahr bilden (RS0023469). Für die Art und den Umfang der Pistensicherungspflicht ist das Gesamtverhältnis zwischen der Größe und der Wahrscheinlichkeit der atypischen Gefahr sowie ihrer Abwendbarkeit einerseits durch das Gesamtverhalten eines verantwortungsbewussten Benützers der Piste und andererseits durch den Pistenhalter mit nach der Verkehrsauffassung adäquaten Mitteln maßgebend (RS0023469 [T8]). Die den Pistenhalter treffende Pflicht zur Sicherung der Piste bedeutet nicht die Verpflichtung, den Schifahrer vor jeder möglichen Gefahr zu schützen, die ihm von der Piste her droht, würde doch eine solche Forderung dem Pistenhalter unerträgliche Lasten aufbürden, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Schutzeffekt stünden; eine vollkommene Verkehrssicherung ist weder auf Schipisten noch sonstwo zu erreichen (RS0023233).

[14] 2.1. Bei der gegenständlichen Wellenbahn handelt es sich um eine Sonderfläche, die mit Hindernissen oder mit Einrichtungen ausgestattet ist, die zu einem besonderen, von der allgemeinen Pistenbenützung abweichenden Bewegungsablauf veranlassen und die dem Befahren mit Wintersportgeräten gewidmet ist. Solche Sonderflächen werden als „Fun‑Park“ bezeichnet und treten in unterschiedlichen Erscheinungsformen (zB in Form von „Big‑Air“, „Halfpipe“ oder „Fun-Slopes“) auf (vgl Stabentheiner , Pistensicherung und verwandte Fragenkreise – 35 Jahre Seilbahnsymposium, ZVR 2016/104; vgl auch 3 Ob 89/10z).

[15] 2.2. Den Halter von Fun‑Parks treffen besondere Sicherungspflichten. Er hat das betreffende Gelände von der Piste räumlich so abzugrenzen, dass erstens ein angemessener Sturzraum zur Verfügung steht, zweitens eine Gefährdung der Pistenbenützer ausgeschlossen ist und drittens ein verantwortungsbewusster Benützer der allgemeinen Piste nicht unbeabsichtigt in den Fun‑Park‑Bereich geraten kann. Jedenfalls muss eine deutliche optische Abtrennung vorhanden sein (Stabentheiner, Pistensicherung und verwandte Fragenkreise – 35 Jahre Seilbahnsymposium, ZVR 2016/104; Gschöpf, Spezialfälle der Haftung des Betreibers beim Wintersport, Sonderheft Verkehrsrechtstag, ZVR 2013/252). Die Abgrenzung muss ihrer Art nach gewährleisten, dass vom Befahren dieser Anlage keine Gefahr für die Benützer der angrenzenden Schipiste ausgeht, dass aber auch den auf dem Sondergelände agierenden Wintersportlern ein ausreichender Sturzraum geboten wird.

[16] 3.1. Im vorliegenden Fall war die letzte Welle der Wellenbahn zumindest zehn Meter vom Ende des Sondergeländes entfernt. Diese Distanz zur regulären Piste wäre für den Kläger ausreichend gewesen, um nach der letzten Welle abzuschwingen und sich kontrolliert in den Fluss der Piste einzuordnen. Auch bestand keine wechselseitige Sichtbehinderung zwischen den Benutzern der Wellenbahn und den Benutzern der Publikumspiste, das Ende der Wellenbahn war gut erkennbar und derart ausgeschildert, dass die Benutzer zum Langsamfahren aufgefordert wurden.

[17] 3.2. Ausgehend von diesen Feststellungen kann die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht geteilt werden, dass die Auslaufstrecke der Wellenbahn bis zur allgemeinen Piste zu kurz gewesen sei, um problem- und gefahrlos und unter Beachtung aller Regeln in die Piste einzufahren, und dass die Beklagte diesbezüglich ihrer Sicherungspflicht nicht nachgekommen sei. Zwar sind auf der Wellenbahn Geschwindigkeiten von jedenfalls 35 km/h möglich, jedoch besteht während der gesamten Fahrtstrecke auf dieser Sonderfläche keine Sichtbehinderung zur Publikumspiste, sodass jeder Benutzer seine Geschwindigkeit auf den Verkehr auf der Hauptpiste einstellen kann, wozu er (jedenfalls ab dem Übergangsbereich) auch verpflichtet ist (vgl RS0023544).

[18] 3.3. Im Übrigen ist die Wellenbahn weder als Rennstrecke noch als Sprunghügel ausgeschildert; der Sachverhalt ist daher nicht mit jenem zu 4 Ob 111/20g, wo sich eine Kollision im Auslaufbereich einer Zeitmessstrecke ereignete, zu vergleichen.

[19] 3.4. Nach ständiger Rechtsprechung sind nur atypische Gefahren zu sichern; also solche Hindernisse, die der Schifahrer nicht ohne weiters erkennen kann, und solche, die er trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann. Atypisch ist demnach eine Gefahr, die unter Bedachtnahme auf das Erscheinungsbild und den angekündigten Schwierigkeitsgrad der Piste auch für einen verantwortungsbewussten Schifahrer unerwartet oder schwer abwendbar ist (RS0023417; RS0023255). Eine solche atypische Gefahr lag hier nicht vor. Der Beklagten ist somit keine Verletzung von Schutzpflichten gegenüber ihrem Vertragspartner vorzuwerfen. Die Klagsansprüche bestehen daher schon dem Grunde nach nicht zu Recht.

[20] 4. Der Revision und dem Rekurs der Beklagten ist somit Folge zu geben und das klageabweisende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

[21] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. In dritter Instanz beträgt die Bemessungsgrundlage 11.628 EUR.

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