OGH 1Ob63/22d

OGH1Ob63/22d18.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers M*, vertreten durch Mag. Martin Kaufmann, Rechtsanwalt in Melk, gegen die Antragsgegnerin H*, vertreten durch die Hofbauer & Nokaj Rechtsanwalts GmbH, Ybbs an der Donau, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 22. Februar 2022, GZ 23 R 47/22t‑57, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Melk vom 7. Jänner 2022, GZ 24 Fam 25/19t‑51, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00063.22D.0518.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Ob die von den Vorinstanzen auferlegte Ausgleichszahlung dem Grundsatz der Billigkeit entspricht, ist ebenso wie die Ermittlung des Aufteilungsschlüssels eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0115637; RS0108756). Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung wäre daher nur dann zu lösen, wenn das Rekursgericht den vorgegebenen Beurteilungsspielraum überschritten hätte (RS0044088 [T1; T4; T22]; RS0108755). Derartiges zeigt die Rechtsmittelwerberin nicht auf.

[2] 2.1 Bei der Aufteilung ist in erster Linie auf Gewicht und Umfang des Beitrags jedes Ehegatten zur ehelichen Errungenschaft Bedacht zu nehmen (§ 83 EheG, siehe auch RS0057923). Eine – auch im vorliegenden Fall erfolgte – Aufteilung im Verhältnis 1 : 1 entspricht bei (annähernd) gleichwertigen Beiträgen regelmäßig der Billigkeit, wenn nicht gewichtige Umstände im Einzelfall die Aufteilung in einem anderen Verhältnis angezeigt erscheinen lassen (RS0057501 [T3]).

[3] 2.2 In ihrem – ausschließlich gegen die Höhe der ihr zugesprochenen Ausgleichszahlung gerichteten – Rechtsmittel meint die Antragsgegnerin, es wäre zu ihren Gunsten von einem Aufteilungsschlüssel von 2 : 1 auszugehen gewesen. Der Beurteilung der Vorinstanzen, dass nach den Feststellungen kein wesentliches Überwiegen der Beitragsleistung einer Partei und daher auch kein Anlass bestehe, von einer gleichteiligen Aufteilung abzugehen, setzt sie allerdings bloß die allgemeine Behauptung entgegen, die Beitrags- und Belastungssituation sei äußerst unterschiedlich gewesen, zumal der Ehe der Parteien sechs Kinder entstammten. Dabei übergeht sie die Feststellungen, dass sich der Antragsgegner trotz seiner durchgängigen Vollzeitbeschäftigung an der Haushaltsführung und der Kindererziehung schon zu Zeiten nach Möglichkeit beteiligte, als sie noch in Karenz und daher nicht berufstätig war, und(unter Beteiligung einer Haushaltshilfe) den Haushalt führte, als sie mit dem sechsten Kind schwanger war. Auch nachdem sie – teilweise nur geringfügig – wieder zu arbeiten begonnen hatte, teilten die Parteien die Kinderbetreuung weiterhin nach ihren zeitlichen Möglichkeiten. Welchen Mehrbeitrag die Antragsgegnerin daher konkret geleistet haben soll, ist nicht ersichtlich.

[4] 2.3 Im Übrigen ist die Rechtsmittelwerberin der Ansicht, der Grundsatz des „Wohlbestehenkönnens“ sei zu ihren Gunsten zu berücksichtigen. Die Ausgleichszahlung sei zu gering, um ihr den Beginn eines neuen Lebensabschnitts zu erleichtern. Der Antragsteller, dem die Ehewohnung zugewiesen wurde, müsse seine Kräfte zur Aufbringung der Ausgleichszahlung anspannen, wobei ihm auch die äußerste Einschränkung seiner Lebensbedürfnisse zumutbar sei. Auch damit spricht die Antragsgegnerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG an, weil sie die Bedeutung des Grundsatzes des „Wohlbestehenkönnens“ verkennt.

[5] Es ist zwar richtig, dass bei der Festsetzung der Ausgleichszahlung auch darauf Rücksicht zu nehmen ist, dass nach dem konkreten Standard der beiderseitigen Lebensverhältnisse eine wirtschaftliche Grundlage der nunmehr getrennten Lebensführung für beide Teile, soweit dies möglich ist, gesichert bleiben soll (RS0057579 [T1]). Der Grundsatz des „Wohlbestehenkönnens“ meint aber nicht, dass die Ausgleichszahlung losgelöst von Gewicht und Umfang des Beitrags des jeweiligen Ehegatten oder des Werts der Aufteilungsmasse so zu bemessen ist, dass dieser – wie es der Antragsgegnerin vor Augen steht – eine Wohnung anschaffen kann, die seiner bisherigen Wohnsituation in der Ehewohnung entspricht. Der Grundsatz dient vielmehr in erster Linie als Korrektiv zu Gunsten des anderen Teils, weil eine Zahlungsverpflichtung eines Ehegatten, die diesen in seiner neuen wirtschaftlichen Lage, wenn auch unter äußerster Anspannung seiner Kräfte, nicht wohl bestehen ließe, der nach § 94 Abs 1 EheG zu beachtenden Billigkeit widersprechen würde (klarstellend schon 1 Ob 132/17v unter Verweis insb auf RS0057579; RS0057677 [T1]; Stabentheiner/Pierer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 94 EheG Rz 17).

[6] 3. Dem Einwand, die Parteien hätten anlässlich einer Tagsatzung im Ehescheidungsverfahren eine höhere Ausgleichszahlung vereinbart, hat das Rekursgericht entgegengehalten, dass die vom Richter dort protokollierten Eckpunkte eines Vergleichs unter der (nicht eingetretenen) Voraussetzung einer einvernehmlichen Scheidung standen. Mit dieser Beurteilung setzt sich die Revisionsrekurswerberin gar nicht auseinander.

[7] 4. Schließlich vermisst die Antragsgegnerin eine Feststellung über die Existenz einer mündlichen Dienstbarkeitsvereinbarungin Ansehung des über ein Fremdgrundstück verlaufenden Kanalanschlusses der Ehewohnung. Mit dieser Argumentation versucht sie, in dritter Instanz den auf Basis eines Sachverständigengutachtens festgestellten Verkehrswert der Ehewohnung zu bekämpfen. Dem kann schon deshalb kein Erfolg beschieden sein, weil die Ermittlung des Verkehrswerts zur Tatfrage gehört (RS0043536 [T3, T7]) und – worauf sowohl das Erst- als auch das Rekursgericht hingewiesen haben – die (mündlich abgeschlossene) Dienstbarkeitsvereinbarung ohnehin bei der Liegenschaftsbewertung berücksichtigt wurde. Die Revisionsrekurswerberin legt auch nicht dar, warum es im vorliegenden Fall geboten sein sollte, der Aufteilung einen anderen Wert als den Verkehrswert zugrundezulegen (vgl RS0043536 [T8, T9]).

[8] 5. Der Antragsteller hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen, weil der von ihm vor Freistellung gemäß § 71 Abs 2 AußStrG eingebrachte Schriftsatz keine zweckentsprechende Maßnahme darstellt (§ 508a Abs 2 ZPO analog; RS0124792).

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