OGH 10ObS67/21g

OGH10ObS67/21g22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei U*, vertreten durch Mag. Andreas Wimmer, Rechtsanwalt in Hallein, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Krankengeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Februar 2021, GZ 12 Rs 95/20 g‑11, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Oktober 2020, GZ 32 Cgs 103/20p‑7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132275

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Krankengeldanspruch des Klägers von 30. 7. 2019 bis 28. 8. 2019. Strittig ist, ob dem Kläger im Zusammenhang mit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber seinem Arbeitgeber zukommt (in welchem Fall sein Krankengeldanspruch gemäß § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ruht – Standpunkt der Beklagten) oder ob er Anspruch auf Krankengeld hat (§ 5 EFZG idF BGBl I 2017/153 – Standpunkt des Klägers).

[2] Das Dienstverhältnis des Klägers begann im November 2018. Im Zeitraum von 3. 5. 2019 bis 8. 5. 2019 war er im Krankenstand. Am 24. 6. 2019 war er neuerlich krankheitsbedingt arbeitsunfähig. An diesem Tag sprach sein Arbeitgeber die Entlassung aus. Das vom Kläger gegen den Arbeitgeber angestrengte arbeitsgerichtliche Verfahren endete am 8. 10. 2019 mit einem Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis nicht durch Entlassung zum 24. 6. 2019 sondern durch einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 12. 7. 2019 enden sollte. Zugleich verpflichtete sich der Arbeitgeber 3.000 EUR brutto an Lohn und Weihnachtsremuneration zu zahlen. Durch den Vergleich sollten sämtliche Ansprüche aus dem vormaligen Arbeitsverhältnis abschließend bereinigt und verglichen sein. In der Folge war der Kläger noch bis 28. 7. 2020 arbeitsunfähig.

[3] Die Gesundheitskasse leistete dem Kläger Krankengeld in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Ausmaßes für den Zeitraum von 31. 7. 2019 bis 28. 8. 2019. Für den Zeitraum von 29. 8. 2019 bis 28. 7. 2020 leistete sie Krankengeld in voller Höhe.

[4] Mit Bescheid vom 21. 4. 2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zahlung des Krankengeldes für den Zeitraum von 13. 7. 2019 bis 28. 8. 2019 ab.

[5] Der Kläger begehrt die Zahlung des Krankengeldes im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum von 13. 7. bis 30. 7. 2019 zur Gänze und für den Zeitraum von 31. 7. bis 28. 8. 2019 zur Hälfte (somit zusätzlich zu der für diesen Zeitraum bereits im halben gesetzlichen Ausmaß erhaltenen Leistung). Der Ausspruch der Entlassung am 24. 6. 2019 sei wegen der bereits zuvor eingetretenen Erkrankung und der daraus resultierenden Dienstverhinderung ungerechtfertigt erfolgt. Die im Zuge des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vergleichsweise getroffene Vereinbarung löse kein Ruhen des Krankengeldanspruchs aus.

[6] Die Beklagte bestritt, beantragte Klageabweisung und wendete zusammengefasst ein, der vor Gericht geschlossene Vergleich ändere nichts an dem gesetzlichen Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung gegenüber seinem Arbeitgeber. Sein Krankengeldanspruch für den Zeitraum von 24. 6. 2019 bis 30. 7. 2019 ruhe im Hinblick auf den Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung für sechs Wochen (abzüglich der Tage einer zu berücksichtigenden Vorerkrankung) zur Gänze. Für den Zeitraum von 31. 7. 2019 bis 28. 8. 2019 ruhe der Krankengeldanspruch wegen des Anspruchs auf vier Wochen „halbe“ Entgeltfortzahlung zur Hälfte.

[7] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte für den Zeitraum von 30. 7. 2019 bis 28. 8. 2019 zur Leistung des Krankengeldes im halben gesetzlichen Ausmaß und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren (auf Krankengeld im vollen gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum von 13. 7. 2019 bis 30. 7. 2019 (für den 30. 7. 2019 unter Berücksichtigung des für diesen Tag bereits erfolgten Zuspruchs des halben Krankengeldes) ab. Der Kläger sei auch zum Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 12. 7. 2019 arbeitsunfähig gewesen, sodass die Entgeltfortzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers (unter Abzug bereits konsumierter Krankenstandstage) für 36 Kalendertage im vollen gesetzlichen Ausmaß und für 28 Kalendertage im halben gesetzlichen Ausmaß weiter bestanden habe. Dass der Kläger im Wege des gerichtlichen Vergleichs auf seine Entgeltfortzahlungsansprüche gegenüber seinem früheren Arbeitgeber ab dem 13. 7. 2019 verzichtet habe, ändere nichts daran, dass der Anspruch auf Krankengeld für jenen Zeitraum ruhe, für den der Kläger Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber seinem Arbeitgeber gehabt hätte.

[8] Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen die Abweisung des Mehrbegehrens erhobenen Berufung Folge und änderte das angefochtene Urteil dahingehend ab, dass es die Beklagte zur Leistung des Krankengeldes für den Zeitraum von 13. 7. 2019 bis 30. 7. 2019 im vollen gesetzlichen Ausmaß und im Zeitraum von 31. 7. 2019 bis 28. 8. 2019 im halben gesetzlichen Ausmaß – zusätzlich zu der für diesen Zeitraum bereits im halben gesetzlichen Ausmaß erbrachten Leistung – verpflichtete. § 5 Abs 1 EFZG (idF BGBl I 2017/153), der seinem Wortlaut nach nunmehr eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus auch bei allen einvernehmlichen Beendigungen während einer Arbeitsverhinderung anordne, sei teleologisch auf jene einvernehmlichen Auflösungen zu reduzieren, die auf Initiative des Arbeitgebers geschlossen würden und den von § 5 EFZG vor der Novellierung erfassten Beendigungsarten (materiell) gleichgelagert seien. Da die im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs vereinbarte einvernehmliche Auflösung im beiderseitigen Interesse der Parteien gelegen sei, sei sie von § 5 EFZG nicht erfasst. Infolge des nachträglich mit Vergleich vereinbarten Fortbestands des Arbeitsverhältnisses habe der Krankengeldanspruch des Klägers bis 12. 7. 2019 geruht. Weil die vom Kläger und seinem Arbeitgeber vereinbarte einvernehmliche Auflösung von § 5 Abs 1 EFZG nicht erfasst sei, habe die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers mit diesem Tag geendet. Dem Kläger gebühre daher ab 13. 7. 2019 das Krankengeld im vollen gesetzlichen Ausmaß. Die (unbestritten gebliebene) Zahlung des halben Krankengeldes durch die Beklagte für den Zeitraum von 31. 7. 2019 bis 28. 8. 2019 sei zu berücksichtigen.

[9] Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass bislang keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Anwendung des § 5 Satz 2 EFZG (idF BGBl I 2017/153) auf Vergleiche mit einer nachträglichen Umwandlung einer Entlassung in eine einvernehmliche Auflösung bestehe.

[10] Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinn einer Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts durch Wiederherstellung des Ersturteils auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Zum Anspruch auf Krankengeld

[12] 1.1 Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 138 Abs 1 ASVG vom vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit an.

[13] 1.2 Nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange der Versicherte aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge (§ 49 Abs 1) vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hat. Das Ruhen des Krankengeldanspruchs hängt somit vom Bestehen eines Rechtsanspruchs auf Weiterleistung der Geld- und Sachbezüge (in entsprechender Höhe) gegenüber dem Arbeitgeber ab.

[14] 1.3 Der Zweck des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG liegt nicht nur im Schutz des Sozialversicherungsträgers vor unberechtigter Inanspruchnahme des Krankengeldes, sondern auch in der Vermeidung von Doppelversorgungen. Gleichzeitig bringt § 143 Abs 1 Z 3 ASVG zum Ausdruck, dass der Krankengeldanspruch gegenüber dem Entgeltfortzahlungsanspruch subsidiär ist (Drs in Mosler/Müller/Pfeil, SV‑Komm [248. Lfg] § 143 ASVG Rz 3).

[15] 2. Zum Anspruch auf Entgeltfortzahlung

[16] 2.1 § 2 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153 sieht vor, dass ein Arbeitnehmer, der nach Antritt des Dienstes durch Krankheit (Unglücksfall) an der Leistung seiner Arbeit verhindert ist, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, seinen Anspruch auf das Entgelt für eine gewisse, von der Dauer des Arbeitsverhältnisses abhängige Zeit behält. Durch jeweils weitere vier Wochen behält der Arbeitnehmer den Anspruch auf das halbe Entgelt. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses endet daher grundsätzlich auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung, dies selbst dann, wenn die Krankheit noch weiter besteht und der Entgeltfortzahlungsanspruch noch nicht erschöpft wäre (anstatt vieler Drs, Entgeltfortzahlung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, DRdA 2011, 285 [286]).

[17] 2.2 Da sämtliche von der Klage umfassten Zeiträume nach dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses (mit 12. 7. 2019) liegen, ist zu beurteilen, ob einer der in § 5 EFZG genannten Fälle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben ist, bei deren Vorliegen der Entgeltfortzahlungsanspruch ausnahmsweise über das Vertragsende hinaus aufrecht bleibt (Holzer in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 9 Rz 1; Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 9 AngG Rz 2).

[18] 3. Zur Entwicklung der Rechtslage

[19] 3.1 § 5 Abs 1 EFZG in der bis 30. 6. 2018 geltenden Fassung lautete wie folgt:

„Wird der Arbeitnehmer während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 gekündigt, ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen oder trifft den Arbeitgeber ein Verschulden an dem vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers, so bleibt der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer bestehen, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet.“

[20] 3.2 § 5 Abs 1 EFZG bzw der im Wesentlichen gleichlautende § 9 Abs 1 AngG sollten verhindern, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst (9 ObA 123/10v; RS0109426 [T1]; 8 ObA 53/17b).

[21] 3.3 Nach dieser Rechtslage blieb aufgrund des klaren Wortlauts des § 5 EFZG der Entgeltfortzahlungsanspruch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus nur dann erhalten, wenn einer der dort genannten Beendigungsarten vorlag (9 ObA 131/19h). Die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde von § 5 EFZG nicht erfasst. Der Arbeitnehmer hatte daher bei einer einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses während des Krankenstands keinen Entgeltfortzahlungsanspruch über das Ende des Dienstverhältnisses hinaus (Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 9 AngG Rz 15 und § 5 EFZG Rz 6).

[22] 3.4 Anderes galt nach der zu der bis 30. 6. 2018 geltenden Rechtslage ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nur dann, wenn kein Beendigungswille vorhanden war und die Auflösung bloß zur Umgehung der Entgeltfortzahlungspflicht vorgenommen wurde. Vereinbarten Dienstgeber und Dienstnehmer während des Krankenstands die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses und sagte der Dienstgeber die Wiedereinstellung nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit zu, ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass nicht die dauerhafte Beendigung des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt sei, sondern bloß die Abbedingung der Entgeltfortzahlungspflicht im Krankheitsfall. Da eine solche Vereinbarung nichtig sei (§ 6 EFZG), sei die Versicherungspflicht des Dienstnehmers während des Krankenstandes weiterhin aufrecht (VwGH 2007/08/0327; VwSlg 17875 A/2010; VwGH 23. 1. 2008, 2006/08/0325).

[23] 3.5. Mit der mit 1. 7. 2018 in Kraft getretenen Novelle BGBl I 2017/153 wurde § 5 Abs 1 EFZG um folgenden Satz ergänzt:

„Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bleibt auch bestehen, wenn das Arbeitsverhältnis während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gemäß § 2 einvernehmlich beendet wird.“

[24] 3.6. Diese Neuerung gilt gemäß Art X Abs 2 Z 15 für jene einvernehmlichen Auflösungen, die eine Auflösung des Dienstverhältnisses nach dem 30. 6. 2018 bewirken (vgl Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 9 AngG Rz 15/1; Burger in Reissner, AngG³ [2019] § 9 AngG Rz 12).

[25] 4. Im vorliegenden Fall kommt im Hinblick auf die Auflösung nach dem 30. 6. 2018 (unstrittig) bereits die neue Rechtslage zur Anwendung.

5. Zur Auslegung des § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153

[26] 5.1 § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153 (wie auch § 9 Abs 1 AngG idF BGBl I 2017/153) sieht nunmehr ausdrücklich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus auch bei einer einvernehmlichen Beendigung während aufrechter Arbeitsunfähigkeit vor. Ihrem Wortlaut nach nimmt die Regelung keine Rücksicht darauf, aus welchen Motiven oder auf wessen Initiative die einvernehmliche Beendigung vereinbart wurde.

[27] 5.2 Das Berufungsgericht vertritt – ebenso wie der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung – die Rechtsauffassung, § 5 EFZG (bzw § 9 Abs 1 AngG) sei dennoch nicht auf sämtliche einvernehmlichen Auflösungen des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung anzuwenden, sondern sei teleologisch auf jene einvernehmlichen Auflösungen zu reduzieren, die auf Initiative des Arbeitgebers abgeschlossen würden.

[28] 5.3 Die Gesetzesmaterialien (IA 2306/A BlgNR 25. GP ; 9897/BlgBR 25. GP) geben keine Hinweise auf das Verständnis des Gesetzgebers vom neuen § 5 EFZG bzw § 9 Abs 1 AngG. Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Anwendungsbereich der novellierten Bestimmungen im Fall einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses liegt noch nicht vor.

[29] 5.4 Das Berufungsgericht stützt sich auf die Lehrmeinung von Stella (Entgeltfortzahlung bei einvernehmlicher Auflösung während Dienstverhinderung – bleibt alles beim Alten? ecolex 2018, 8 [9 f]), wonach die Anwendung auf sämtliche einvernehmlichen Auflösungen zu einer unsachlichen und willkürlichen Ausdehnung der erfassten Beendigungsarten zu Lasten der Dienstgeber führe. Dies widerspreche dem Zweck des § 5 EFZG und des § 9 AngG, der darin bestehe, der Vernichtung von Entgeltfortzahlungsansprüchen durch dienstgeberseitige Beendigungen vorzubeugen. Davon ausgehend, dass der Gesetzgeber bei der Novellierung dieser Bestimmungen lediglich beabsichtigt habe, die bisherige Entwicklung in der Rechtsprechung nachzubilden, seien § 5 EFZG und § 9 AngG teleologisch auf jene einvernehmlichen Auflösungen zu reduzieren, die auf Initiative des Dienstgebers geschlossen werden und daher den in diesen Bestimmungen bislang erfassten Beendigungsarten gleichgelagert seien.

[30] 5.5 Diese Meinung ist vereinzelt geblieben. Burger (in Reissner, AngG³ [2019] Rz 16) vertritt demgegenüber die Ansicht, dass seit dem Inkrafttreten der Novelle BGBl I 2017/153 nun auch die einvernehmliche Auflösung zu einer Entgeltfortzahlungspflicht nach Ende des Dienstverhältnisses führt, sofern sie während einer Dienstverhinderung wegen Krankheit/Unglücksfall vereinbart worden ist. Das Motiv für die einvernehmliche Beendigung während der Dienstverhinderung sei bedeutungslos. Die nachträgliche Entgeltfortzahlungspflicht werde beispielsweise auch ausgelöst, wenn der Arbeitnehmer mit dem Wunsch nach einvernehmlicher Beendigung des Dienstverhältnisses an den Arbeitgeber herangetreten sei. Nur bei einvernehmlichen Auflösungen „im Hinblick auf eine Dienstverhinderung“ sei das Motiv maßgeblich.

[31] 5.6 Auch nach Glowacka (Angleichung Arbeiter – Angestellte bei der Entgeltfortzahlung, ZAS 2017/66, 339 [341]) ist mit der Novelle BGBl I 2017/153 die Entgeltfortzahlung im Fall der Beendigung während einer Dienstverhinderung gemäß § 9 Abs 1 AngG bzw § 5 EFZG über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus auf die einvernehmliche Beendigung ausgeweitet worden. Nach dem neuen Wortlaut stehe die Entgeltfortzahlung im Fall der Beendigung während einer Dienstverhinderung zu, aber auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis „im Hinblick auf eine Dienstverhinderung“ einvernehmlich beendet werde.

[32] 5.7 Schrank („Arbeitnehmer‑Angleichungspaket“: Inkrafttretens-, Anwartschafts-, Günstigkeits- und Umgehungsschutzfragen, RdW 2018, 33 [36, 37]) betont, dass die Aufrechterhaltung der Entgeltfortzahlungspflicht über den mit einer einvernehmlichen Auflösung bewirkten Endzeitpunkt hinaus zwei unterschiedliche Tatbestände betreffe: Zum einen die einvernehmliche Beendigung während einer krankheitsbedingten Arbeits- bzw Dienstverhinderung und zum anderen die einvernehmliche Beendigung „im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung“. Nach Schrank bezwecke (nur) der zweite Alternativtatbestand den motivabhängigen Schutz vor Umgehungen der Entgeltfortzahlung, sei es gemeinsam zu Lasten Dritter, sei es durch Arbeitgeberinitiative zu Lasten des Arbeitnehmers. Nur für diesen Fall müsse eine diesbezügliche Umgehungsabsicht des Arbeitgebers oder beider Vertragsteile nachgewiesen werden.

[33] 5.8 Ähnlich differenzieren auch Pöschl/Unterrieder (Arbeiter und Angestellte – angeglichen, aber noch nicht gleich, RdW 2017, 831 [833, 834]). Nur bei der einvernehmlichen Beendigung „im Hinblick auf eine Dienstverhinderung“ sei die Entgeltfortzahlung auf Fälle zu beschränken, in denen es im Sinne der bisherigen Rechtsprechung zu einer sittenwidrigen Überwälzung des Entgeltfortzahlungsrisikos auf den Krankenversicherungsträger käme.

[34] 5.9 Der Oberste Gerichtshof folgt diesen Lehrmeinungen.

[35] Nach der Rechtsprechung zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle BGBl I 2017/153 sollten die Entgeltfortzahlungsbestimmungen des § 5 Abs 1 EFZG bzw § 9 Abs 1 AngG (nur) verhindern, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst (siehe oben Pkt 3.2; aus der Rechtsprechung 9 ObA 123/10v; RIS‑Justiz RS0109426 [T1]; zuletzt 8 ObA 53/17b). Wie sich aus dem klaren Wortlaut ergibt, kann seit der Novellierung der Bestimmungen (BGBl I 2017/153) nicht mehr (allein) von diesem Normzweck ausgegangen werden. Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich der Bestimmung ausdrücklich um einvernehmliche Auflösungen während einer Arbeitsverhinderung analog zur Arbeitgeberkündigung sowie um einvernehmliche Auflösungen im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung erweitert. Damit wurden eindeutig auch Konstellationen unter den Schutz der Entgeltfortzahlungsbestimmungen gestellt, die vom bisherigen Normzweck nicht erfasst waren. Dafür, dass der Gesetzgeber mit der Novelle bloß „die bisherige Entwicklung in der Rechtsprechung nachzubilden“ versucht hätte, „dabei jedoch über die Grenzen legistisch hinausschoss“ (Stella, ecolex 2018, 8 [10]) bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte.

[36] 6. Ergebnis

[37] Für eine teleologische Reduktion des § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153 dahin, dass nur bestimmte Arten der einvernehmlichen Auflösung (vom Arbeitgeber ausgehende oder im Interesse beider Vertragsparteien liegende) während einer Arbeitsverhinderung den Entgeltfortzahlungsanspruch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus begründen, besteht keine Grundlage.

[38] 7.  Zur Anwendung auf den vorliegenden Fall:

[39] 7.1 Die (rückwirkend) vereinbarte einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses unterliegt der Bestimmung des § 5 EFZG, weil der Endtermin unstrittig in den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit des Klägers fällt. Im Hinblick auf die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung bestand der Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem früheren Arbeitgeber gemäß § 5 Abs 1 EFZG auch über das Ende seines Dienstverhältnisses mit 12. 7. 2019 hinaus weiter.

[40] 7.2 Dass der Kläger mit seinem früheren Arbeitgeber im Vergleich vom 8. 10. 2019 sämtliche Ansprüche aus dem vormaligen Arbeitsverhältnis „abschließend bereinigt und verglichen“ hat (also einschließlich seines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung über den 12. 7. 2019 hinaus) führt zu keinem anderen Ergebnis:

[41] Für das Ruhen des Krankengeldanspruchs nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG kommt es nur auf das Bestehen eines gesetzlichen oder vertraglichen (Rechts‑)Anspruchs auf Weiterleistung der Geldbezüge und Sachbezüge in entsprechender Höhe an, nicht aber darauf, in welcher Höhe dieser Anspruch verglichen oder gar liquidiert wurde (RS0083975; 10 ObS 290/88 SSV‑NF 2/127).

[42] 7.3 Nach § 138 Abs 1 ASVG entstand der Anspruch des Klägers auf Krankengeld aufgrund seiner mit 24. 6. 2019 beginnenden Arbeitsunfähigkeit mit 27. 6. 2019, ruhte aber gemäß § 143 Abs 1 Z 3 ASVG für die Dauer und in dem Umfang, in dem ihm Anspruch auf Entgeltfortzahlung zukam. Aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit ab 24. 6. 2019 hatte er grundsätzlich Anspruch auf Fortzahlung des vollen Entgelts für sechs Wochen und Anspruch auf Fortzahlung des halben Entgelts für weitere vier Wochen (§ 2 Abs 1 EFZG). Da der Kläger im selben Arbeitsjahr (Beginn: November 2018) bereits arbeitsunfähig war, reduzierte sich sein Anspruch auf Fortzahlung des vollen Entgelts entsprechend.

[43] Zu den (hier nicht wiedergegebenen) weiteren Ausführungen des Erstgerichts zur Berechnung der Zeiträume, in denen Anspruch auf Fortzahlung des vollen und des halben Entgelts bestand und zur Berechnung der Zeiträume, in denen der Krankengeldanspruch des Klägers zur Gänze bzw zur Hälfte ruhte (§ 143 Abs 1 Z 3 ASVG), wurde kein konkretes Bestreitungsvorbringen erstattet, sodass darauf nicht mehr einzugehen ist.

[44] 8. Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben und in Abänderung des Urteils des Berufungsgerichts die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

[45] Die Kostenentscheidung beruht auf § 2 ASGG sowie den §§ 41 und 50 ZPO.

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