OGH 2Ob189/20p

OGH2Ob189/20p25.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A* K*, vertreten durch Riesemann Rechtsanwalts GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei D* H*, vertreten durch Mag. Matthias Strampfer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung (Streitwert: 1.121.208,56 EUR), in eventu Zahlung von 1.121.208,56 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. Juli 2020, GZ 5 R 52/20m‑28, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. Jänner 2020, GZ 14 Cg 75/19y‑17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131566

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

I. Die Einreden der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs und der rechtskräftig entschiedenen Sache werden verworfen.

II. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

1. Das angefochtene Urteil wird im Umfang der Abweisung des Hauptbegehrens als Teilurteil bestätigt.

Die Kostenentscheidung bleibt insoweit der Endentscheidung vorbehalten.

2. Im Übrigen, somit im Umfang der Abweisung der Eventualbegehren, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden insofern weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist die Witwe und aufgrund des Testaments vom 12. 4. 2012 Alleinerbin des am 28. 2. 2014 verstorbenen H* K*. Der Ehe entstammt eine noch minderjährige Tochter. Das Verlassenschaftsverfahren, in dem nur die Klägerin eine Erbantrittserklärung abgab, war bei Schluss der Verhandlung erster Instanz noch anhängig, eine rechtskräftige Einantwortung ist noch nicht erfolgt.

[2] In seinem Testament hatte der Erblasser den Beklagten mit einem Vermächtnis im Umfang a) seines Geschäftsanteils an der K* GmbH samt einer Liegenschaft, b) des nicht protokollierten Einzelunternehmens „K*“ und c) seines Geschäftsanteils an der M* GmbH bedacht. Das Vermächtnis ist mit bestimmten Auflagen verbunden und wurde dem Beklagten durch den bestellten Verlassenschaftskurator „bereits ausgefolgt“.

[3] Die Klägerin begehrte mit ihrem Hauptbegehren zuletzt die Feststellung, „dass für die beklagte Partei (ausgehend von einem reinen Nachlass von 8.203.351,39 EUR) nach Abschluss des Verlassenschaftsverfahrens [.‑.] eine Verpflichtung zur Erfüllung der Pflichtteils‑(ergänzungs‑)ansprüche der Klägerin in Höhe von 1.121.208,56 EUR besteht“. Weiters erhob sie ein Eventualbegehren auf Zahlung dieses Betrags samt Zinsen an sie und ein zweites Eventualbegehren auf Zahlung in die Verlassenschaft.

[4] Die Klägerin brachte vor, im Verlassenschaftsverfahren sei der Wert der vom Vermächtnis umfassten Geschäfts- und Unternehmensanteile aufgrund unzutreffender Gutachten der beigezogenen Sachverständigen zuletzt mit lediglich 2.450.547,06 EUR geschätzt worden. Sie habe danach ihrerseits ein Sachverständigengutachten beauftragt, aus dem sich ein Wert von zumindest 7.515.807,46 EUR ergebe. Berücksichtige man weiters den Wert der vermachten Liegenschaft, ergebe sich ein reiner Nachlass von 8.203.251,39 EUR, wovon sich ein Pflichtteilsanspruch der Klägerin von 1.367.208,56 EUR errechne. Unter Anrechnung von 246.000 EUR für das ihr zufallende Wohnungseigentum verbleibe zu ihren Gunsten ein aushaftender Anspruch von 1.121.208,56 EUR. Reiche der Nachlass nicht aus, um sämtliche Pflichtteilsansprüche zu erfüllen, habe der Legatar den notwendigen Fehlbetrag zu leisten. Die Klägerin habe den Beklagten aufgefordert, den nachlassrelevanten Unternehmenswert in diesem Sinn anzuerkennen und eine entsprechende Zahlung zu leisten. Da der Beklagte dieser Aufforderung nicht nachgekommen und die Klägerin noch nicht eingeantwortete Erbin sei, habe sie ein „erhebliches“ rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Im Hinblick auf den Einwand des Beklagten, dass sie ihre Forderung schon beziffern könne, stelle sie das Eventualbegehren auf Zahlung an sich, sicherheitshalber– weil das Verlassenschaftsverfahren noch nicht beendet sei – auch auf Zahlung in die Verlassenschaft. Die Passivlegitimation des Beklagten sei gegeben, weil ein Erbe, der zugleich Noterbe und in seinem Pflichtteil verkürzt sei, seine Ansprüche direkt gegen den Legatar geltend machen könne.

[5] Der Beklagte erhob die Einrede der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs und wandte in der Sache ein, der Klägerin fehle das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung, da eine Leistungsklage möglich wäre; sie sei bereits in der Lage, ihre konkrete Forderung zu beziffern. Weiters sei der Beklagte als Legatar nicht passiv klagslegitimiert. Die Klage sei gegen den Nachlass zu richten, zumal die Inventarisierung noch nicht abgeschlossen und eine Einantwortung im Verlassenschaftsverfahren noch nicht erfolgt sei. Auch habe der vom Gerichtskommissär bestellte Sachverständige im Verlassenschaftsverfahren sämtliche Bewertungen rechtsrichtig vorgenommen. Das zweite Eventualbegehren sei unzulässig, weil es eine „nicht mit diesem Verfahren befasste Partei“ betreffe.

[6] Das Erstgericht wies das Hauptbegehren und die beiden Eventualbegehren ab, ohne dass es über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinaus Feststellungen traf. Zwar könne der verkürzte Noterbe, wenn er zugleich auch Erbe sei, zu viel Geleistetes unmittelbar vom Vermächtnisnehmer zurückfordern. Dieser direkte Anspruch stehe aber der bloß erbantrittserklärten Klägerin noch nicht zu, sondern erst mit rechtskräftiger Einantwortung. Erst dann werde sie Eigentümerin und sei im Verhältnis zum Legatar als entreichert anzusehen. Die von der Klägerin herangezogene Judikatur sage nichts Gegenteiliges aus. Das Feststellungsbegehren sei auch deshalb unzulässig, weil Tatsachen nicht Gegenstand eines solchen sein könnten, die Klägerin jedoch die Feststellung der Zahlungspflicht eines bestimmten Betrags und somit einer Tatsache begehre.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

[8] Es führte aus, die Klägerin begehre zwar nicht die Feststellung einer bloßen Tatsache, sondern des Zurechtbestehens ihrer Pflichtteils‑(ergänzungs‑)ansprüche gegenüber dem Beklagten. Es fehle aber das rechtliche Interesse an dieser Feststellung, weil eine Leistungsklage möglich sei. In Bezug auf das erste Eventualbegehren sei allerdings die aktive Klagslegitimation der Klägerin zur Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 783 ABGB gegenüber dem Beklagten deshalb zu verneinen, weil sie als nicht eingeantwortete Erbin noch nicht als entreichert anzusehen sei. Der von der Rechtsprechung gewährte Direktanspruch des verkürzten Noterben gegenüber dem Legatar stehe nur nach bereits erfolgter Einantwortung zu, setze er doch voraus, dass der Pflichtteil im Nachlass keine Deckung finde. Für die Beurteilung dieser Frage sei auf den Zeitpunkt der Einantwortung abzustellen. Den bisherigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs sei nicht zu entnehmen, dass einem verkürzten Noterben schon vor Einantwortung die Klagslegitimation zur Geltendmachung von Direktansprüchen gegenüber dem Legatar zuerkannt worden wäre. Dem Argument der Klägerin, dass dem Beklagten das Vermächtnis bereits ausgefolgt worden sei und er damit bereits Eigentümer dieser Vermögenswerte geworden sei, sei entgegenzuhalten, dass sich bis zum Zeitpunkt der Einantwortung der Nachlass nicht als Vermögen der Erben darstelle, sondern als fremdes Vermögen, und der Klägerin aufgrund der Bestellung eines Verlassenschaftskurators nicht einmal das Recht der einstweiligen Vertretung des Nachlasses zustehe. Von einer Verdoppelung von Verfahren könne hier keine Rede sein, müsse die Klägerin mit ihrem Kondiktionsanspruch gegenüber dem Beklagten doch nur bis zur Einantwortung zuwarten.

[9] Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob der Direktanspruch des ergänzungsberechtigten Noterben, der zugleich Erbe sei (§ 783 ABGB aF), die Einantwortung der Verlassenschaft voraussetze, nicht existiere und damit eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliege.

[10] Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem sinngemäßen Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Durchführung eines Beweisverfahrens aufzutragen.

[11] Die Klägerin macht geltend, der (näher bezeichneten) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs könne entnommen werden, dass der erbantrittserklärte Erbe als verkürzter Noterbe auch schon vor der Einantwortung zur direkten Klage gegen den Vermächtnisnehmer legitimiert sei. Dies liege nach der Entscheidung 4 Ob 246/99a vor allem im Sinne der Prozessökonomie, um Verdoppelungen der Verfahren ohne Gewinn für den Rechtsschutz zu vermeiden. Es sei daher keinesfalls geboten, dass die Klägerin zuerst die ruhende Verlassenschaft, also quasi sich selbst, klagen müsse, um den Anspruch der Verlassenschaft gegen den Beklagten pfänden und erst danach direkt gegen den Beklagten vorgehen zu können.

[12] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zulässig im Sinn der Ausführungen des Berufungsgerichts; sie ist auch teilweise berechtigt im Sinn des Aufhebungsantrags.

Zu I.:

[14] 1. Der Beklagte erhob die Einrede der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs, die er auch nach der Änderung des Klagebegehrens mit der Begründung aufrecht hielt, dass „entsprechende Anträge“ bereits im Verlassenschaftsverfahren gestellt worden seien und die Verlassenschaftsabhandlung jedenfalls abzuwarten sei. Weiters erhob er die – allerdings nicht begründete – Einrede der res iudicata. Die Vorinstanzen trafen keine Entscheidung über diese Einreden und gingen auch in ihren Urteilsbegründungen nicht darauf ein. Die Entscheidung kann daher vom Obersten Gerichtshof nachgeholt werden (vgl RS0114196 [T8]).

[15] 2. Die Einreden sind nicht berechtigt:

[16] 2.1. Die Klägerin behauptet die Verpflichtung des Beklagten zur Leistung eines Beitrags zur vollständigen Bedeckung ihres Pflichtteils durch Kürzung des ihm zugedachten Legats. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass über die Zulässigkeit und das Ausmaß der Vermächtniskürzung nur im streitigen Rechtsweg entschieden werden kann (7 Ob 512/90 = RS0012652; 1 Ob 627/91; 8 Ob 2024/96x [zu § 692 ABGB]). Daran ändert nichts, dass das Verlassenschaftsverfahren noch nicht beendet ist. Die dort ermittelten Vermögenswerte entfalten auch keine Bindungswirkung für das streitige Verfahren (RS0006465, RS0007784).

[17] 2.2. Es ist auch nicht ersichtlich, wann und in welchem Verfahren bereits eine rechtskräftige Erledigung der hier strittigen Ansprüche erfolgt sein soll.

[18] 3. Beide Prozesseinreden sind daher als unbegründet zu verwerfen.

Zu II.:

[19] 1. Im Hinblick auf den Tod des Erblassers vor dem 1. 1. 2017 sind nach § 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB die einschlägigen Bestimmungen des ABGB in ihrer Fassung vor dem ErbRÄG 2015 anzuwenden.

[20] 2. Gemäß § 783 ABGB aF müssen in allen Fällen, wo einem Noterben der gebührende Erb- oder Pflichtteil gar nicht oder nicht vollständig ausgemessen worden ist, sowohl die eingesetzten Erben als auch die Legatare, nicht jedoch der Ehegatte mit dem gesetzlichen Vorausvermächtnis, verhältnismäßig zur vollständigen Entrichtung beitragen.

[21] § 783 ABGB aF regelt nicht die Haftung des Erben nach außen, sondern die materielle Beitragspflicht, also die Frage, wann und in welchem Ausmaß die Legatare die Erben bei der Pflichtteilsdeckung zu entlasten haben. Diese Bestimmung kommt auch dann zur Anwendung, wenn der Erbe eine unbedingte Erbantrittserklärung abgegeben hat oder – insoweit abweichend von der Legatskürzung nach § 692 ABGB – wenn der Nachlass zur Deckung des Pflichtteils und der Legate an sich ausreicht; dennoch muss der Legatar gegenüber dem Erben verhältnismäßig zur Deckung des Pflichtteils beitragen (4 Ob 235/06x mwN; 10 Ob 6/14a; 2 Ob 96/14b).

[22] 3. Ist die Kürzung von Legaten zur Pflichtteilsergänzung notwendig, so ist sie von den Erben vorzunehmen. Diese haben den Legataren entsprechend gekürzte Legate auszufolgen (zum unteilbaren Sachlegat vgl allerdings 2 Ob 96/14b) oder, wenn die Legate bereits ungekürzt ausgefolgt wurden, das zu viel Geleistete zurückzufordern (vgl 7 Ob 512/90; 9 Ob 98/01d; 10 Ob 6/14a; RS0012643; Welser in Rummel/Lukas 4 § 783 Rz 6). Sind Vermächtnisse bereits geleistet, dann besteht im Umfang der Beitragspflicht ein in Geld bestehender Rückforderungsanspruch des Erben (vgl 9 Ob 98/01d mwN), der nach herrschender Auffassung als Bereicherungsanspruch nach § 1431 ABGB zu qualifizieren ist (10 Ob 6/14a mwN).

[23] 4. Der Pflichtteilsberechtigte hat seine Forderung an den Nachlass und nach der Einantwortung an den Erben zu richten und kann in der Regel nicht unmittelbar gegen die Vermächtnisnehmer vorgehen. Er kann nur den Rückforderungsanspruch des Erben pfänden und sich überweisen lassen (2 Ob 593/93; RS0016518).

[24] Ist aber der verkürzte Pflichtteilsberechtigte zugleich auch Erbe, so kann er den Vermächtnisnehmer unmittelbar in Anspruch nehmen und zu viel Geleistetes von diesem zurückfordern (vgl 1 Ob 627/91; 7 Ob 547/92 = RS0012661; 6 Ob 666/95; 4 Ob 246/99a [Schenkung auf den Todesfall]; 9 Ob 98/01d; RS0112437).

[25] 5. Im vorliegenden Fall ist die Klägerin als Witwe des Erblassers pflichtteilsberechtigt. Sie ist auch testamentarische Alleinerbin und hat im Verlassenschaftsverfahren den Erbantritt erklärt. Einzig die Einantwortung ist bisher noch nicht erfolgt. Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die entscheidende Frage, ob der verkürzte Pflichtteilsberechtigte, der zugleich auch Erbe (besser: Erbanwärter) ist, diesen direkten Anspruch auch bereits vor seiner Einantwortung hat. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs finden sich bisher keine ausdrücklichen Aussagen dazu:

[26] 5.1. Die in der Revision für den Standpunkt der Klägerin angeführten Entscheidungen 9 Ob 98/01d und 7 Ob 512/90 sind schon insofern nicht einschlägig, als der Nachlass den Erben dort jeweils bereits eingeantwortet war. Dasselbe trifft auch auf die ebenfalls ins Treffen geführte Entscheidung 7 Ob 547/92 zu, wie sich zwar nicht aus dem dort wiedergegebenen Sachverhalt, wohl aber aus der zweitinstanzlichen Entscheidungsbegründung entnehmen lässt.

[27] 5.2. Auch die weiteren zu RS0012643 indizierten Entscheidungen stützen die Ansicht der Klägerin nicht:

[28] In den Fällen von 1 Ob 627/91, 2 Ob 593/93, 6 Ob 666/95 und 10 Ob 6/14a war der Nachlass bereits eingeantwortet, in der Entscheidung 1 Ob 652/92 wurde die Verlassenschaft von einer Legatarin geklagt.

[29] 5.3. Der Entscheidung 4 Ob 2029/96b lag die Pflichtteilsklage zweier Nichterbinnen zugrunde, die eine auf den Todesfall Beschenkte in Anspruch nahmen. Der Nachlass war dem Erben noch nicht eingeantwortet worden. Der Oberste Gerichtshof verneinte die Passivlegitimation der auf den Todesfall Beschenkten, weil diese wie eine Legatarin zu behandeln sei und ein direktes Klagerecht der Pflichtteilsberechtigten nicht bestehe. Die auf den Todesfall geschenkten, der Beschenkten noch nicht übergebenen Sachen seien Teil des Nachlassvermögens. Soweit ein auf den Todesfall Beschenkter auch ohne Mitwirkung der Verlassenschaft (des Erben) Eigentümer werden könne, stehe der Rückforderungsanspruch der Verlassenschaft (dem Erben) zu; die Pflichtteilsberechtigten könnten den Rückforderungsanspruch pfänden und sich überweisen lassen (vgl auch RS0103393).

[30] 5.4. An diese Begründung knüpfte jene der Entscheidung 4 Ob 246/99a an, auf die sich die Klägerin in ihrem Rechtsmittel hauptsächlich stützt. Auch dort hatte eine Pflichtteilsberechtigte, die nicht zugleich Erbin war, einen (ua) auf den Todesfall Beschenkten geklagt. In Abgrenzung zu 4 Ob 2029/96b wurde das direkte Klagerecht der Pflichtteilsberechtigten mit der Begründung bejaht, dass der auf den Todesfall Beschenkte im Zeitpunkt der Klagseinbringung bereits Eigentümer der geschenkten Liegenschaft war und der bedingt erbserklärte Erbe den Reinnachlass bereits an die klagende Pflichtteilsberechtigte ausgefolgt hatte. In einem solchen Fall – so der vierte Senat – sei es sachgerecht, (auch) die direkte Klage des Noterben gegen den Beschenkten zuzulassen, weil dieser es sei, der als Eigentümer der geschenkten Sache die Pflichtteilsforderung zu erfüllen habe. Andernfalls müsste der Pflichtteilsberechtigte zuerst den bedingt erbserklärten Erben klagen und danach den Anspruch des Erben gegen den auf den Todesfall Beschenkten pfänden und sich überweisen lassen. Das führe zu einer Verdoppelung der Verfahren mit der daraus folgenden Verteuerung und Verzögerung, der kein Gewinn an Rechtsschutz gegenüberstünde.

[31] 6. Gegen den Standpunkt der Klägerin könnte die Entscheidung 6 Ob 204/09g sprechen, wo – zu einer Legatskürzung nach § 692 ABGB – ausgeführt wurde, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Verlassenschaft zur Deckung der Legate ausreicht oder diese zu kürzen sind, auf den Zeitpunkt der Einantwortung abzustellen ist. Allerdings klagte dort in einem Fall, in dem die ausgesetzten Legate insgesamt den aktiven Nachlass überstiegen, nicht ein Pflichtteilsberechtigter, sondern eine Legatarin ihr Legat gegen die Verlassenschaft ein, wobei der Klägerin trotz des Hinweises auf den relevanten Beurteilungszeitpunkt ein Fehlbetrag zugesprochen wurde.

[32] 7. Für den Standpunkt der Klägerin sprechen einerseits die Erwägungen der Entscheidung 4 Ob 246/99a, die auch auf den vorliegenden Fall übertragbar sind. Dazu kommt im konkreten Fall, dass bei jedem anderen Pflichtteilsberechtigten, der die Verlassenschaft klagt, der für ihn bis zur Einantwortung aufgelaufene Prozessaufwand nicht verloren ist, weil die Erben mit der Einantwortung an die Stelle der Verlassenschaft treten und der Prozess mit ihnen fortzusetzen ist (vgl RS0039627, RS0035114). Die Klägerin dagegen stünde nach ihrer Einantwortung als Alleinerbin als Partei auf beiden Seiten eines solchen Verfahrens, was dem im Zivilprozess herrschenden Grundsatz des Zweiparteiensystems widerspricht. Ihre Klage würde dann nachträglich wegen Wegfalls einer Prozessvoraussetzung unzulässig und müsste unter Nichtigerklärung des Verfahrens zurückgewiesen werden (RS0035075), sodass der Prozessaufwand verloren wäre. Dies wiegt im vorliegenden Fall umso schwerer, als der Klägerin, weil für die Verlassenschaft ein Kurator bestellte wurde, auch nicht die Verwaltung der Verlassenschaft zukommt und sie entsprechend geringeren Einfluss auf die Beendigung des Verfahrens nehmen bzw dessen Zeitpunkt abschätzen kann. Dennoch müsste sie bei der von den Vorinstanzen vertretenen Rechtsansicht mit der Geltendmachung ihres nach ihren Behauptungen nicht in der Verlassenschaft gedeckten Pflichtteilsanspruchs bis zur Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens – das hier immerhin seit 2014 anhängig ist – zuwarten, um gegen den Vermächtnisnehmer, der seinerseits bereits seit geraumer Zeit im Genuss seines Vermächtnisses ist, vorgehen zu können.

[33] 8. Im Übrigen entsteht nach Vorliegen eines – wenn auch außerhalb des Verlassenschaftsverfahrens nicht bindenden (vgl bereits Punkt I.2.1.) – Inventars durch die Einantwortung, die nur auf die Erbquoten Bezug zu nehmen hat (vgl §§ 177, 178 AußStrG), keinerlei Mehrerkenntnis über das dem Erben tatsächlich zugekommene Vermögen bzw dessen Wert, sodass auch insofern keinerlei Grund ersichtlich ist, weshalb der pflichtteilsberechtigte Erbe erst nach seiner Einantwortung gegen den bereits zum Zug gekommenen Vermächtnisnehmer vorgehen können soll. Dass der Erbe erst mit der Einantwortung Eigentümer und damit entreichert wird, ist zwar richtig, ändert aber nichts daran, dass ihm der Anspruch auf den Pflichtteil bzw dessen Ergänzung bei unzureichendem Nachlass unabhängig von diesem Eigentum zusteht und nur deshalb gegen den Vermächtnisnehmer direkt geltend gemacht werden können soll, weil damit die Gefahr mit der Einantwortung zwingend obsolet werdender Verfahren hintangehalten werden kann.

[34] 9. Der erkennende Senat gelangt daher zur Ansicht, dass die besseren Gründe für die Möglichkeit einer direkten Klage des pflichtteilsberechtigten, erbantrittserklärten Erben auf Ergänzung seines Pflichtteils durch Kürzung des Vermächtnisses iSv § 783 ABGB aF gegen den Vermächtnisnehmer, dem das Vermächtnis bereits ausgefolgt wurde, bereits vor der Einantwortung sprechen.

[35] 10. Ist aber die Leistungsklage bereits möglich, so ist den Vorinstanzen darin zu folgen, dass sie bei gleichem Rechtsschutzeffekt die Feststellungsklage verdrängt (RS0038849).

[36] 11. Aus diesen Erwägungen ist die das Hauptbegehren abweisende Entscheidung des Berufungsgerichts als Teilurteil zu bestätigen. Hingegen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben, soweit auch die auf Zahlung lautenden Eventualbegehren abgewiesen worden sind. Insoweit wird das Erstgericht über den geltend gemachten Anspruch nach Durchführung eines Beweisverfahrens neuerlich zu entscheiden haben.

[37] 12. Die Kostenentscheidung des Teilurteils beruht auf § 52 Abs 4 ZPO, der Kostenvorbehalt im Aufhebungsbeschluss gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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