OGH 5Ob136/20s

OGH5Ob136/20s4.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. DI M*****, 2. K*****, 3. A*****, 4. S*****, 5. M*****, 6. Mag. S*****, 7. DI F*****, 8. M*****, 9. DI K*****, 10. Ing. M*****, 11. DI H*****, 12. Mag. S***** und 13. DI M*****, alle vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagten Parteien (nunmehr) 1a. S*****, 1b. E*****, 1c. M*****, 2. C*****, vertreten durch Mag. Dr. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufkündigung und Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. Mai 2020, GZ 3 R 87/19v‑71, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00136.20S.0304.000

 

Spruch:

I. Die Parteibezeichnung der erstbeklagten Partei (bisher: Verlassenschaft nach der am 20. 9. 2016 verstorbenen E*****) wird berichtigt; die Bezeichnung der beklagten Parteien lautet nunmehr 1a. S*****, 1b. E*****, 1c. M*****und 2. C*****.

II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] I. Mit rechtskräftigem Beschluss des Verlassenschaftsgerichts vom 19. 9. 2019 ist die ursprünglich erstbeklagte Verlassenschaft den Erben (darunter auch der Zweitbeklagte) eingeantwortet worden. Die Bezeichnung der beklagten Parteien ist daher von Amts wegen richtigzustellen (RIS‑Justiz RS0039666 [T5; T14; T18]).

[2] II. Die Kläger sind Miteigentümer einer Liegenschaft auf der nach dem Grundbuchstand Wohnungseigentum begründet ist.

[3] Gestützt auf den im Revisionsverfahren allein noch relevanten Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG brachte der Viertkläger zunächst im eigenem Namen die Aufkündigung des Bestandverhältnisses über die Wohnung top 6b samt Kellerabteil ein und machte dazu im Wesentlichen geltend, er sei seit 16. 6. 2004 Eigentümer dieser Wohnung, deren Mieter seit 16. 11. 1979 die am 20. 9. 2016 verstorbene Mutter des Zweitbeklagten – zunächst gemeinsam mit ihrem Ehemann und seit seinem Eintritt in das Mietverhältnis gemeinsam mit dem Zweitbeklagten – gewesen sei. Er selbst sei unverschuldet obdachlos und benötige daher die aufgekündigte Wohnung zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses. Er habe zunächst 18 Monate in einem Zelt gelebt und lebe seit 4. 12. 2008 in einem Wohnwagen der für dauerhafte Wohnzwecke nicht geeignet sei.

[4] Im zweiten Rechtsgang nahm das Erstgericht eine Änderung der Parteienbezeichnung auf Klägerseite auf alle Miteigentümer der Liegenschaft vor. Dieser Beschluss wurde vom Gericht zweiter Instanz bestätigt. In der Sache hob das Erstgericht – wie schon im ersten Rechtsgang – die mit Beschluss vom 3. 1. 2017 bewilligte Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte zunächst diese Entscheidung. Unter Verweis auf seine bereits im ersten Rechtsgang vertretene Auffassung ging es davon aus, dass die Wohnungseigentumsbegründung unwirksam sei. Bis zu einer allfälligen Sanierung bestehe auf der Liegenschaft schlichtes Miteigentum, sodass der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG nur geltend gemacht werden könne, wenn der Eigenbedarf eines (schlichten) Miteigentümers gegeben sei, der wenigstens Eigentümer zur Hälfte sei. Der Viertkläger sei nicht Hälfteeigentümer der Liegenschaft.

[6] Der erkennende Senat vertrat die Rechtsansicht, dass auch der vom Berufungsgericht angenommene Fall einer Gesamtnichtigkeit der Wohnungseigentumsbegründung eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Kündigungsgrund erfordert und hob dessen Entscheidung mit Beschluss zu 5 Ob 188/19m auf.

[7] Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil änderte das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts ab, erklärte die Aufkündigung vom 3. 1. 2017 für rechtswirksam und verpflichtete die Beklagten zur Räumung.

[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die keine Rechtsfragen von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO anspricht:

Rechtliche Beurteilung

[9] 1.1 Das Berufungsgericht legte seiner Entscheidung bereits im ersten Rechtsgang eine Gesamtnichtigkeit der Wohnungseigentumsbegründung zugrunde. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsprechung an, dass die Eigentümer des dem Gesetz entsprechenden Mindestanteils entgegen dem Grundbuchstand rechtlich nur schlichte Miteigentümer sind (vgl RS0114510), welchen aber schuldrechtliche Benützungsbefugnisse an den einzelnen ihnen zugewiesenen

Objekten zukommt (vgl 5 Ob 137/17h). In seinem Beschluss zu 5 Ob 188/19m hat der erkennende Senat – zusammengefasst – ausgesprochen, dass ein schlichter Miteigentümer in einem solchen Fall in Bezug auf die Erfordernisse des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG gleich einem Wohnungseigentümer zu behandeln ist.

[10] 1.2 Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Legitimation zur Geltendmachung dieses Kündigungsgrundes, die die Revisionswerber zum Schwerpunkt ihres Rechtsmittels machen und dazu einen unzulässigen Parteiwechsel monieren. Darauf ist hier aber schon deshalb nicht näher einzugehen, weil das Gericht zweiter Instanz die Änderung der Parteienbezeichnung auf sämtliche Miteigentümer durch das Erstgericht im zweiten Rechtsgang bestätigte und ein solcher Beschluss gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO grundsätzlich unanfechtbar ist (dazu RS0044536; vgl auch RS0044487). Ein der endgültigen Verweigerung der Sachentscheidung über das Rechtsschutzbegehren vergleichbarer Fall und damit eine Ausnahme von diesem Grundsatz liegt nicht vor.

[11] 1.3 Selbst für den Fall der Kündigung durch einen (schlichten) Miteigentümergilt, dass dieser dann aktiv legitimiert ist, wenn er im Kündigungsverfahren die Zustimmung der übrigen Miteigentümer (der Mehrheit) nachweist (vgl bloß RS0013437). Ein Nachweis, dass die Zustimmung der Mehrheit bereits im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an sie vorlag, wie die Revisionswerber offenbar meinen, ist nicht gefordert. Nichts anderes gilt, wenn (wovon im Revisionsverfahren bindend auszugehen ist) alle Miteigentümer der Liegenschaft als Kläger auftreten. Ihnen kommt die Legitimation zur Kündigung jedenfalls zu.

[12] 2. Damit ist auch die behauptete Aktenwidrigkeit nicht zu erkennen. Gegenstand der Aufkündigung und des Räumungsbegehrens der Kläger ist eine bestimmt bezeichnete Wohnung samt Kellerabteil und deren geräumte Übergabe an die Kläger. Dass ein zur Wohnung gehörendes Kellerabteil Gegenstand des am 8. 11. 1979 abgeschlossenen Mietvertrags war, bestreiten die Revisionswerber nicht. Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Parteiwillen (§ 914 ABGB) keine einheitliche Bestandsache vorliegen sollte, sind nicht erkennbar und werden auch nicht behauptet (dazu RS0014368; RS0020405). Damit hat die Beendigung des Bestandvertrags für alle Bestandsachen gemeinsam zu erfolgen, weil sonst eine unzulässige Teilkündigung vorläge (Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 560 ZPO Rz 25). Warum bei dieser Sachlage die Annahme einer den Viertkläger begünstigenden Benützungsvereinbarung (Wohnung samt Kellerabteil) durch das Berufungsgericht (als Folge der von diesem angenommenen Unwirksamkeit der Wohnungseigentums-begründung) eine Aktenwidrigkeit begründen soll, weil nach den Feststellungen des Erstgerichts zwischen der (vormals) erstbeklagten Verlassenschaft und der Rechtsvorgängerin im Miteigentum der Elft- und Zwölfkläger ein Verfahren über die Räumung eines im Kellergeschoß des Hauses gelegenen (bestimmt bezeichneten) Lagers anhängig sein soll, kann daher nicht nachvollzogen werden. Selbst wenn ein solcher Rechtsstreit in der Vergangenheit anhängig gemacht worden sein sollte, traten – sofern eine Übertragung der gesamten Rechte der bisherigen Liegenschafts‑(mit‑)eigentümerin als (Mit‑)Vermieterin nicht (allenfalls schlüssig) früher erfolgte – mit der gemäß § 431 ABGB für die Übertragung des Eigentums an unbeweglichen Sachen erforderlichen Einverleibung in die öffentlichen Bücher die Erwerber dieses Miteigentumsanteils in den Bestandvertrag ein (vgl RS0021129).

[13] 3.1 Der Viertkläger hat die Miteigentumsanteile, mit denen nach dem Grundbuchstand Wohnungseigentum an der aufgekündigten Wohnung verbunden ist, im Jahr 2004 durch Zuschlag in einem Versteigerungsverfahren erworben. Die Sperrfrist des § 30 Abs 3 zweiter Satz MRG kommt damit nicht mehr zum Tragen.

[14] 3.2 Grundsätzlich zutreffend ist, dass der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG nicht herangezogen werden kann, wenn der vom Vermieter geltend gemachte Eigenbedarf selbst verschuldet ist (RS0068225). Mit ihrer darauf abzielenden Argumentation sprechen die Revisionswerber aber schon deshalb keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung an, weil der Erwerb eines vermieteten Hauses bzw einer vermieteten Eigentumswohnung bei bestehendem Eigenbedarf nicht schon per se ein die Kündigung ausschließendes Selbstverschulden des Vermieters begründet (vgl RS0115359). Ein selbstverschuldeter Eigenbedarf wäre nur dann zu bejahen, wenn der Vermieter um die ihm seinerzeit zur Verfügung gestandenen Mittel unter zumutbaren Bedingungen und Verhältnissen in der näheren oder weiteren Umgebung seines derzeitigen Wohnorts eine ausreichend große Eigentumswohnung hätte erwerben können. Dafür trifft aber den Mieter die Behauptungs- und Beweislast (5 Ob 4/08m). Die Beklagten machen dazu lediglich geltend, der Viertkläger habe es unterlassen, sich eine andere Wohnmöglichkeit zu suchen, obwohl ihm dies aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse möglich gewesen wäre, und zielen damit erkennbar darauf ab, dass der Viertkläger nach Auslaufen seines befristeten Mietvertrags im Jahr 2007 eine andere Wohnung mieten hätte müssen.

[15] 3.3 Auf die Möglichkeit, zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses eine nicht in seinem Eigentum stehende Wohnung zu mieten, kann der Vermieter nach der Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen verwiesen werden (vgl RS0070482 [T8; T11]). Einen solchen Ausnahmefall sprechen die Beklagten nicht an, wenn sie geltend machen, dass der Viertkläger in den Jahren 2008/2009 Wohnungseigentum an KFZ-Abstellplätzen erworben hat, weil auch daraus nicht zu erkennen ist, wie es ihm unter Berücksichtigung des dafür aufgewendeten Gesamtbetrags von 11.250 EUR möglich gewesen wäre, anstelle der aufgekündigten Wohnung in der Umgebung seines derzeitigen Wohnorts eine ausreichend große Eigentumswohnung zu erwerben.

[16] 4.1 Dem vom Berufungsgericht bejahten Eigenbedarf des Viertklägers treten die Beklagten in ihrer Revision nicht mehr grundsätzlich entgegen, sodass, weil der aufgekündigte Vertrag vor Begründung von Wohnungseigentum abgeschlossen worden war, eine Interessenabwägung zu erfolgen hat (arg: § 30 Abs 2 Z 8 letzter Satz MRG). Bei der Interessenabwägung sind die beiderseitigen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse gegenüberzustellen, wobeineben materiellen auch gesundheitliche Umstände zu berücksichtigen sind. Gesundheitliche Interessen wiegen in der Regel schwerer als bloß wirtschaftliche Aspekte (RS0068360; RS0068363).

[17] 4.2 Das Berufungsgericht hat die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Viertklägers und des Zweitbeklagten sorgfältig gegeneinander abgewogen und dabei insbesondere deren Alter – der Zweitbeklagte ist deutlich jünger als der Viertkläger und verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung – sowie die prekäre Wohnsituation des Viertklägers, der nach den Feststellungen des Erstgerichts nach Beendigung seines befristeten Mietverhältnisses im Jahr 2007 über einen Zeitraum von 18 Monaten in einem Zelt nächtigte und seitdem in einem Wohnwagen wohnt, berücksichtigt. Dass damit keine adäquate Wohnversorgung gegeben ist und die Gefahr der Obdachlosigkeit besonders schwer wiegt (vgl dazu die Nachweise bei Lovrek in GeKo Wohnrecht I § 30 MRG Rz 150), bezweifeln die Revisionswerber nicht. Das Berufungsgericht gewichtete auch den Umstand, dass – anders als noch in einem vorangegangen Verfahren – für den Zweitbeklagten die Notwendigkeit der Pflege seiner Mutter entfallen ist, sodass es aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden ist, wenn es zum Ergebnis gelangte, dass dem Viertkläger beiAufrechterhaltung des Mietvertrags ein unverhältnismäßig größerer Nachteil erwüchse als dem Zweitbeklagten aus der Kündigung. Aus welchen Gründen der auf familienrechtlichen Beistandspflichten beruhende Grundsatz, dass der Unterhaltspflichtige seine Leistungsfähigkeit nach Kräften auszuschöpfen hat (vgl dazu nur RS0047686), im vorliegenden Fall zum Tragen kommen soll, versuchen die Revisionswerber erst gar nicht zu erklären. Eine Überschreitung des dem Berufungsgericht bei der Beurteilung dieser Frage zukommenden Ermessensspielraum und damit eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung sprechen sie daher weder mit ihrem Hinweis, der Viertkläger wäre auf ein ausreichendes Einkommen zur Schaffung einer adäquaten Wohnmöglichkeit „anzuspannen“ noch mit dem Verweis, dass dieser in der Vergangenheit – noch vor Ablauf der Sperrfrist des § 30 Abs 2 Z 8 letzter Satz MRG – Miteigentumsanteile, verbunden mit Wohnungseigentum an KFZ-Abstellplätzen, erworben hat, an.

[18] 5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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