OGH 9ObA42/19w

OGH9ObA42/19w25.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Helmut Frick als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. L*****, vertreten durch Krall & Kühnl, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde *****, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 31. Jänner 2019, GZ 15 Ra 1/19p‑41, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00042.19W.0625.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.  Das Berufungsgericht hat die bereits in der Berufung vom Kläger thematisierte Nichtigkeit iSd § 477 Abs 1 Z 9 ZPO verneint. Vom Gericht zweiter Instanz verneinte Nichtigkeiten können im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042981).

2.  Der vom Kläger in der außerordentlichen Revision vorgetragene Verfahrensmangel wurde ebenfalls bereits vom Berufungsgericht verneint. Er kann daher nicht als Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden (RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RS0042963 [T58]).

3.  Soweitdie außerordentliche Revision eine „aktenwidrige Beweiswürdigung“ des Erstgerichts im Zusammenhang mit Sachverhaltsfeststellungen zur Beurteilung der Rechtsfrage der ordnungsgemäßen Kundmachung einer Gemeindeverordnung und eine daraus folgende Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens moniert, vermag der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit kann für sich allein grundsätzlich nicht das Gewicht einer erheblichen Rechtsfrage des Verfahrensrechts haben, weil er zum Tatsachenbereich gehört (RS0042762). Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist nur dann gegeben, wenn der behauptete Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz (abstrakt) geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (1 Ob 61/18d Pkt 4.; RS0043027). Für die rechtliche Beurteilung des Falls ist aber die Frage, ob die Auflösungserklärung der Beklagten vom 17. 1. 2014 vom formell zuständigen Organ erfolgte, letztlich nicht entscheidungswesentlich.

4.  Nach der Rechtsprechung ist eine während eines Kündigungs‑ bzw Entlassungsanfechtungsverfahrens ausgesprochene Eventualbeendigung, dh eine solche, die für den Fall der Unwirksamkeit der ersten Auflösungserklärung ausgesprochen wird, grundsätzlich zulässig (8 ObA 37/12t Pkt 2.; 8 ObA 14/18v Pkt 1.; 9 ObA 64/18d Pkt 4.; RS0028418 [T4, T6]).

5.  Ist die Kündigung oder Entlassung rechtsunwirksam, so ist eine Feststellungsklage (auf Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses) zu erheben (RS0039015).

6. 1. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Fortsetzungsanspruch wegen behaupteter Unwirksamkeit einer Auflösungserklärung nicht zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden. Vielmehr bedingt das Klarstellungsinteresse auch des Dienstgebers eine Aufgriffsobliegenheit des Dienstnehmers, sein Interesse an der Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses ohne Aufschub gegenüber dem Dienstgeber geltend zu machen (9 ObA 55/18f; 9 ObA 13/19f Pkt 2.1.; RS0028233). Der Anspruch auf Fortsetzung des Dienstverhältnisses muss daher innerhalb angemessener Frist durch Klage (Feststellungsklage oder Rechtsgestaltungsklage) geltend gemacht werden (8 Ob 7/17p). Das eminente Klarstellungsinteresse des Dienstgebers am Bestand oder Nichtbestand des Dienstverhältnisses beruht darauf, dass diesem als Vertragspartner, der auf die Wirksamkeit der von ihm ausgesprochenen Auflösungserklärung vertraut, erhebliche (finanzielle) Nachteile entstehen könnten, falls seine Annahme unrichtig ist (RS0028233 [T12, T13]).

6.2.  Nach ständiger Rechtsprechung ist die zeitliche Grenze für die rechtzeitige Geltendmachung des Fortsetzungsanspruchs unter Bedachtnahme auf § 863 ABGB zu ziehen und zu beurteilen, ob das Verhalten des Dienstnehmers als stillschweigendes Einverständnis mit der Beendigung oder als Verzicht auf die Geltendmachung der Unzulässigkeit der Beendigung aufzufassen ist. Zur Beurteilung der Unverzüglichkeit ist ein angemessener, zur Erkundung und Meinungsbildung objektiv ausreichender Zeitraum heranzuziehen (RS0028233 [T6]). Es kommt nicht nur auf die Dauer der Untätigkeit, sondern auch darauf an, ob der Kläger triftige Gründe für sein Zögern ins Treffen führen kann (RS0034648; vgl RS0028233 [T5]). Diese Grundsätze gelten auch für Vertragsbedienstete (9 ObA 55/18f; RS0119727).

6.3.  Die Beurteilung der Unverzüglichkeit – unter Abwägung des Klarstellungsinteresses des Dienstgebers und der Schwierigkeiten für den Dienstnehmer, seinen Anspruch geltend zu machen – kann aber immer nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet deshalb regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (vgl 9 ObA 12/13z; 9 ObA 55/18f mwN; RS0119727).

7.1.  Die hier angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts, mit der die erstgerichtliche Abweisung des Begehrens des Klägers auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses auch über die mit Schreiben des Bürgermeisters der Beklagten vom 17. 1. 2014 hinaus eventualiter ausgesprochene vorzeitige Auflösung, in eventu Entlassung, in eventu Kündigung, wegen Verletzung der Aufgriffsobliegenheit bestätigt wurde, entspricht den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen. Der Kläger zeigt in seiner außerordentlichen Revision weder eine korrekturbedürftige Überschreitung des dem Berufungsgericht bei dieser rechtlichen Beurteilung zukommenden Beurteilungsspielraums noch sonst eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

7.2.  Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 13. 5. 2014 wurde im Vorprozess festgestellt, dass das zwischen dem Kläger als Dienstnehmer und der Beklagten als Dienstgeberin mit Wirkung ab 21. 8. 2006 begründete Dienstverhältnis auch über die mit Schreiben des Bürgermeisters der Beklagten vom 24. 3. 2011 ausgesprochene Entlassung, in eventu Kündigung, hinaus ungekündigt aufrecht fortbesteht. Diese Entscheidung wurde vom Berufungsgericht im Vorprozess mit Urteil vom 29. 4. 2015 bestätigt. Die dagegen von der Beklagten erhobene außerordentliche Revision wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 27. 8. 2015 zurück (9 ObA 86/15k).

Bereits mit Schreiben vom 17. 1. 2014, das dem Kläger auch zeitnah zugegangen war, hatte die Beklagte aber neuerlich die vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses gemäß § 96 Abs 2 lit a des Tiroler Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetzes 2012 (G‑VBG 2012) ausgesprochen. Der Kläger ging davon aus, dass man gegen diese Entlassung bzw Kündigung nichts unternehmen müsse, weil das Dienstverhältnis durch das rechtskräftige Urteil im Vorverfahren nach wie vor aufrecht sei.

Nachdem der Oberste Gerichtshof am 27. 8. 2015 die außerordentliche Revision der Beklagten zurückgewiesen hatte, beauftragte der Kläger seinen damaligen Rechtsvertreter, bei der Beklagten seinen Wiedereintritt in den Dienst zu vereinbaren. Mit Schreiben vom 28. 10. 2015 erklärte die Beklagte (bzw ihre damaligen Rechtsvertreter) jedoch, dass das Dienstverhältnis zwischen den Parteien seit 17. 1. 2014 rechtswirksam aufgelöst sei. Der seit dem Frühjahr 2016 neue Bürgermeister der Beklagten vertrat in einem Gespräch mit dem Kläger (bzw seinem damaligen Rechtsvertreter) am 13. 4. 2016 ebenfalls diese Ansicht. Dennoch versuchte der Kläger „die Gemeinde von ihrer Meinung wegzubringen, dass das Dienstverhältnis beendet sei“. Sein damaliger Rechtsvertreter unterbreitete der Beklagten am 20. 5. 2016 mündlich mehrere sachliche Lösungsvorschläge (erstens das Dienstverhältnis des Klägers fortzusetzen, zweitens das Dienstverhältnis mit Abschlagszahlungen zu beenden und drittens für den Fall, dass der Kläger bis zum 50. Lebensjahr keinen anderen Job finden werde, er bei der Beklagten wieder beschäftigt werde). Der Bürgermeister informierte den Gemeinderat von diesen Gesprächen und holte auch eine zweite Rechtsmeinung ein. Auch darin kam man zum Ergebnis, dass das Dienstverhältnis zwischen den Parteien bereits seit 17. 1. 2014 beendet ist. Die Beklagte forderte den Kläger daher auch nie zum Dienstantritt auf. Auch der neuerlichen Aufforderung des Klägers vom 4. 7. 2016, binnen 7 Tagen zu bestätigen, dass das Dienstverhältnis nach wie vor aufrecht sei, kam die Beklagte nicht nach. Erst mehr als zwei Monate später, am 20. 9. 2016, brachte der Kläger schließlich die gegenständliche Klage auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 17. 1. 2014 hinaus, ein.

7.3.  Die in der außerordentlichen Revision relevierte Rechtsfrage, ob nach Ausspruch der Eventualauflösung vom 17. 1. 2014 noch während dem anhängigen Vorverfahren eine zweite Feststellungsklage zulässig gewesen wäre, braucht hier nicht näher untersucht zu werden. Die Auflösungserklärung der Beklagten vom 17. 1. 2014 war nämlich für den Fall erfolgt, dass das Dienstverhältnis zwischen den Parteien überhaupt noch aufrecht war. Dies stand aber erst nach Abschluss des Vorprozesses fest. Obwohl sich die Beklagte auf den Standpunkt stellte, das Dienstverhältnis sei jedenfalls infolge ihrer zweiten Auflösungserklärung seit 17. 1. 2014 beendet und dies gegenüber dem Kläger bzw seinen damaligen Rechtsvertretern auch mehrmals und unmissverständlich zum Ausdruck brachte, wartete der Kläger bis 28. 9. 2016 zu, ehe er sich mit der gegenständlichen Klage gegen die zweite Auflösungserklärung der Beklagten vom 17. 1. 2014 wehrte. Für dieses lange Zuwarten konnte der Kläger aber keine triftigen Gründe ins Treffen führen. Die Beklagte hatte die vom Kläger bereits unmittelbar nach Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses vom 27. 8. 2015 verlangte Wiedereinstellung abgelehnt (vgl RS0034472).

Die in diesem Zusammenhang vom Kläger geltend gemachten Feststellungsmängel liegen, wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, nicht vor. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Beklagte aufgrund des Schreibens des Klägers vom 4. 7. 2016 „anregte“, mit der Klagseinbringung noch bis Ende der KW 30/2016 (diese endete am 31. 7. 2016) zuzuwarten (Blg ./B), ist – auch unter Berücksichtigung des dem Kläger bereits seit 28. 10. 2015 bekannten ablehnenden Rechtsstandpunkts der Beklagten – kein Grund ersichtlich, weshalb der Kläger nicht unverzüglich nach dem 31. 7. 2016, sondern erst am 28. 9. 2016 die gegenständliche Feststellungsklage einbrachte.

Zufolge Verletzung der Aufgriffsobliegenheit durch den Kläger stellen sich die weiteren Fragen der außerordentlichen Revision nicht.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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