OGH 6Ob202/18a

OGH6Ob202/18a21.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* H*, vertreten durch den Erwachsenenvertreter Mag. Bernhard Schuller, Rechtsanwalt in Mistelbach, gegen die beklagte Partei H* L*, vertreten durch den Erwachsenenvertreter Dr. Johann Grandl, Rechtsanwalt in Mistelbach, wegen 6.791,20 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 15. Mai 2018, GZ 21 R 130/18t‑26, womit das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Mistelbach vom 26. Februar 2018, GZ 18 C 375/17x‑21, über Berufung der beklagten Partei bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123624

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1.1. Das Ausgedinge ist die auf einer Liegenschaft ruhende dingliche Verpflichtung zu Naturalleistungen, Geldleistungen und Arbeitsleistungen zum Zwecke des Unterhalts des früheren Eigentümers (RIS-Justiz RS0022423). Es ist eine durch Rechtsgeschäft begründete, bäuerlichen Übergabsverträgen typische, der Versorgung (dem Unterhalt) des (Hof-)Übergebers und naher Angehöriger dienende und daher auf seine Lebenszeit beschränkte Zusammenfassung verschiedener Leistungspflichten zu einer Einheit, bei der das Element der Reallast überwiegt und die deshalb insgesamt nach deren Regeln behandelt wird (RIS‑Justiz RS0022423 [T1]). Ansprüche aus Ausgedingsverträgen sind als Unterhaltsansprüche im Sinne des § 406 ZPO anzusehen (RIS-Justiz RS0022402).

1.2. Der Auszugsberechtigte kann dann, wenn er durch den Auszugsverpflichteten schuldhafterweise außerstandegesetzt wurde, die bedungenen Naturalleistungen zu beziehen, eine Geldrente in Anspruch nehmen, die an Stelle der ursprünglichen Leistung tritt, im Übrigen die Natur des Ausgedinges bewahrt (RIS-Justiz RS0022564). Dieser sogenannte „Unvergleichsfall“ („Nichtvertragsfall“), der den Ausgedingsnehmer berechtigt, die Ablösung des Naturalausgedinges in Geld zu verlangen, ist dann verwirklicht, wenn dem Ausgedingsberechtigten der Genuss des Naturalausgedinges nach dem Verhalten des Eigentümers der Übergabsliegenschaft billigerweise nicht mehr zumutbar ist (RIS-Justiz RS0022521). Diesfalls kommt es zu einer Umwandlung des Naturalleistungsanspruchs in einen Schadenersatzanspruch, wobei die zukünftigen Leistungen nicht wegfallen, sondern in eine Geldrente umgewandelt werden (RIS-Justiz RS0022564 [T6]).

1.3. Der Anspruch auf Geldablösung eines Naturalausgedinges (im „Unvergleichsfall“) hängt aber vom Nachweis eines Verschuldens des Übernehmers ab (RIS-Justiz RS0022573). Der Unvergleichsfall liegt auch dann vor, wenn der Verpflichtete mit den Naturalleistungen schuldhaft in Verzug gerät (RIS-Justiz RS0022412). Dabei vermag aber nicht jede Vertragsverletzung durch den Hofeigentümer den Unvergleichsfall herbeizuführen (vgl RIS-Justiz RS0022573 [T4]). Nicht schon jede unbedeutende Verzögerung einzelner Naturalleistungen, wie sie auch sonst in einem Familienverband auftreten kann, rechtfertigt den Anspruch auf eine Geldrente (RIS-Justiz RS0022521 [T7]). Zusammengefasst wird der „Unvergleichsfall“ durch schuldhaften Verzug des Verpflichteten oder sonst schuldhaft vertragswidriges Verhalten des Verpflichteten begründet (RIS-Justiz RS0022521 [T15]; vgl auch RS0022564).

1.4. Ansonsten ist bei nicht rechtzeitig erbrachten Versorgungsleistungen § 919 zweiter Satz ABGB anzuwenden: Der Ausgedingsberechtigte muss, um leben zu können, sich die nicht rechtzeitig erbrachten Naturalleistungen beschaffen und sie zunächst selbst bezahlen; anschließend kann er vom Verpflichteten Ersatz der Kosten verlangen (vgl 1 Ob 595/54; 7 Ob 510/82; 7 Ob 601/88; Bayer/Nowotny in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.04 § 1284 Rz 46).

2.1. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte aufgrund einer nach Vertragsabschluss eingetretenen psychischen Erkrankung oder geistigen Behinderung nicht mehr in der Lage, die vertraglich vereinbarten Naturalleistungen zu erbringen. Die Vorinstanzen sind daher zutreffend zu der Auffassung gelangt, dass der „Unvergleichsfall“ nicht eingetreten ist, weil kein Verschulden der Beklagten vorliegt.

2.2. Allerdings wurde hier im Vertrag ausdrücklich vereinbart, dass die Klägerin berechtigt ist, sich auf Kosten der Übernehmerin durch eine dritte Person ortsüblich und angemessen verköstigen bzw pflegen und betreuen zu lassen, wenn die Übernehmerin ihre Verpflichtung nicht mehr persönlich „erbringen kann“.

2.3. Im Fall 2 Ob 5/60 war die noch weitergehende Bestimmung, wonach es der Übergeberin überhaupt freistehe, sich ihre ausbedungenen Naturalien ganz oder teilweise um den ortsüblichen erzielbaren Verkaufserlös in Geld ablösen zu lassen, nicht beanstandet und ausgeführt worden, bei einem darauf gestützten Begehren handle es sich nicht um Schadenersatz, sondern um einen Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Leistung. Ob wiederkehrende Leistungen, die entsprechend dem Vertrage an Stelle der festgelegten Naturalleistungen in Geld zu erbringen sind, Unterhaltscharakter haben, sei nach dem Zweck der Vereinbarung zu beurteilen; wenn die Vereinbarung wie diesfalls auf die persönlichen Bedürfnisse der Übergeberin abgestellt war und somit den Zweck hatte, ihren Lebensunterhalt zu sichern, sei der Unterhaltscharakter auch bei Ablösung von Naturalleistungen zu bejahen. Generalisierend wurde der Rechtssatz formuliert, auch die Geldrente, die für den Fall bedungen wurde, dass der Übergeber aus einem im Übergabsvertrag vereinbarten Grund nicht das Naturalausgedinge beziehen kann, habe Unterhaltscharakter (RIS-Justiz RS0022407).

2.4. In der bereits vom Erstgericht zitierten Entscheidung 3 Ob 22/99k, die allerdings einen Exekutionsantrag zum Gegenstand hatte, war eine Klausel vereinbart worden, wonach die Verpflichteten im Fall einer krankheitsbedingten oder sonst unvermeidbaren oder einer üblichen Behinderung, also etwa im Falle eines Urlaubs, berechtigt und auch verpflichtet sind, für eine geeignete Vertretung zu sorgen und deren Kosten zu tragen. Auch dabei ging es also um die Ersetzung der Naturalleistungen, die ohne Verschulden nicht erbracht werden können, durch Geldleistungen. Auch diese Bestimmung wurde vom Obersten Gerichtshof nicht beanstandet.

2.5. Ausgehend von diesen Entscheidungen ist es aber nicht korrekturbedürftig, wenn die Vorinstanzen die hier gegenständliche Klausel, die der Klägerin (nur) dann die Möglichkeit gibt, anstatt der Naturalleistungen Geldleistungen zu erlangen, wenn die Beklagte zur persönlichen Leistungserbringung nicht mehr in der Lage ist, für zulässig erachtet haben.

3.1. Die Behauptung der Revision, diese Regelung sei „sittenwidrig“ und „unbillig“, wird nicht näher ausgeführt. Mit der gegenständlichen Klausel wollte sich die Klägerin für den Fall absichern, dass die Beklagte aus welchen Gründen auch immer die Naturalleistungen nicht mehr erbringen könnte. Dieser Verschärfung der Pflichtenlage der Beklagten steht zugunsten der Beklagten gegenüber, dass die Klägerin die Betriebskosten des Hauses und die Anschaffungskosten der Lebensmittel selbst zu tragen hat, sodass insgesamt jedenfalls nicht von einem grob unbilligen Missverhältnis der Pflichten der Streitteile gesprochen werden kann.

3.2. Auch in der Literatur wird angeführt, dass anstatt Naturalleistungen in zunehmendem Maße auch Geldleistungen als Ausgedingsleistungen vereinbart werden; teils handle es sich dabei um Nebenbezüge zu Naturalleistungen, zB Tabakgeld, Nahrungsgeld, Brauchgeld, teils würden auch Naturalleistungen durch Geldleistungen ersetzt („Relutum“), insbesondere statt der Gewährung einer Wohnung (Krejci in Rummel, ABGB³ § 1286 ABGB Rz 56). Daher ist es nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht im vorliegenden Fall von einer zulässigen „Mischform“ von Natural- und Geldleistungen ausgegangen ist.

4.1. Der von der Revision angestrebten zergliedernden Betrachtung des Vertrags, wonach nur einzelne Pflichten Unterhaltscharakter haben, steht die Rechtsprechung entgegen, wonach die in einem Übergabsvertrag vereinbarten Rechte im Zweifel nicht einzeln für sich betrachtet werden können, sondern vielmehr der ganze Vertrag als Einheit behandelt werden muss (RIS-Justiz RS0012193; RS0022408). Insgesamt kann hier kein Zweifel bestehen, dass mit dem Vertrag eine Absicherung der Klägerin in Form der Gewährung einer Wohnmöglichkeit samt Versorgung durch die Beklagte angestrebt wurde und somit ein Unterhaltscharakter gegeben ist (vgl RIS-Justiz RS0022402; RS0022423; RS0013930 [T5]). Explizit wird im Vertrag als Zweck die „Sicherung des Lebensunterhaltes“ der Klägerin angeführt.

5. Zusammenfassend bringt die Revision daher keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung.

6. Eine Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens hatte im Hinblick auf den vom Erstgericht ausgesprochenen Kostenvorbehalt zu entfallen (§ 52 Abs 3 ZPO).

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