European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00086.18P.0924.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Der Kläger nimmt die beklagten Parteien wegen eines Unfalls beim Aufbau eines Veranstaltungszelts auf einem öffentlichen Platz in Anspruch, bei dem er von einem vom Erstbeklagten gelenkten und von der zweitbeklagten Partei bei der drittbeklagten Partei gemieteten Teleskopstapler während dessen Rückwärtsfahrt niedergestoßen und verletzt wurde. Die Vorinstanzen bejahten eine Haftung sämtlicher beklagter Parteien als Solidarschuldner für das Zahlungsbegehren dem Grunde nach zur Hälfte.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der drittbeklagten Partei zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf:
1. Nach gesicherter Rechtsprechung ist eine gewisse Konstanz der Haltereigenschaft in der Absicht des Gesetzgebers gelegen und es soll deren geradezu schaukelhafter Wechsel vermieden werden; daher bleibt derjenige, der ein Fahrzeug einem anderen überlässt, Halter, wenn die Verantwortung für dessen Betrieb nur zum Teil und nur kurzfristig auf den Benützer übergeht (RIS‑Justiz RS0058184; zuletzt 7 Ob 49/17g). Die Verfügungsgewalt übt derjenige aus, der während der Dauer des Gebrauchs des Kraftfahrzeugs über dessen Verwendung nach Ort und Zeit bestimmt, also anordnen kann, wann und wohin gefahren wird und wo und für welchen Zweck das Fahrzeug in Betrieb genommen werden soll (2 Ob 192/12t). Der Vermieter bleibt nach der Judikatur regelmäßig Halter des Kraftfahrzeugs, insbesondere wenn er das Fahrzeug, zB als Inhaber einer Autoverleihanstalt, für eine verhältnismäßig kurze Zeit einem Dritten entgeltlich überlässt (RIS‑Justiz RS0058165; 2 Ob 192/12t). Nur bei längerfristiger Gebrauchsüberlassung endet die Haltereigenschaft und geht auf den Benützer über (7 Ob 49/17g; 7 Ob 17/95). Dafür spricht auch der Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr: Die Gefährdungshaftung soll den treffen, dem die Möglichkeit der Gefahrenabwendung, also auch die ordnungsgemäße Überprüfung und Instandhaltung des Fahrzeugs, offensteht (2 Ob 98/95; Apathy , EKHG § 5 Rz 16; Koziol/Apathy/Koch , Haftpflichtrecht III 3 Rz A2/42). Es können auch mehrere Personen, also auch Vermieter und Mieter, als Halter angesehen werden (RIS‑Justiz RS0058165).
Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die drittbeklagte Partei als gewerbsmäßige Vermieterin (unter anderem) von Teleskopstaplern, die auch die Kosten für die Anschaffung, Verwaltung und Instandhaltung getragen und den Teleskopstapler für zwei Tage an die zweitbeklagte Partei vermietet hatte, Halterin dieses Fahrzeugs war, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung und ist daher nicht korrekturbedürftig.
2. Das Rückwärtsfahren verlangt auch in Betrieben und auf Baustellen besondere Vorsicht und erhöhte Aufmerksamkeit (RIS‑Justiz RS0073162; 14 Ob 162/86; 8 Ob 103/83 ZVR 1984/207; 2 Ob 164/77 ZVR 1979/119 ua; vgl auch RIS‑Justiz RS0058349). Hat der Lenker keine genügende Sicht nach hinten und ist mit dem Auftauchen anderer Verkehrsteilnehmer zu rechnen, dann erfordert die Verkehrssicherheit die Verwendung eines Einweisers beim Rückwärtsfahren (RIS‑Justiz RS0073851, RS0073846, RS0023599). Auch auf einer Baustelle oder einem abgeschlossenen Betriebsgelände hat ein Fahrer auf die dort beschäftigten Arbeiter oder anderen anwesenden Personen zu achten (8 Ob 108/83; 2 Ob 164/77). Nur wenn der Lenker des Fahrzeugs nach den gegebenen Umständen nicht mit der Anwesenheit fremder Personen rechnen muss und er annehmen kann, dass die auf dem Gelände anwesenden Personen sich nicht im Gefahrenbereich hinter dem Fahrzeug aufhalten oder mit den entsprechenden Vorgängen vertraut sind und diese entsprechend beachten werden, kann er auch ohne Einweisung durch eine andere Person mit dem Fahrzeug rückwärts fahren (RIS‑Justiz RS0073131; vgl RS0073124). Ob derartige Umstände vorliegen, hängt von der Beurteilung des Einzelfalls ab. Auch in den von der Rechtsmittelwerberin als „uneinheitlich“ bezeichneten Entscheidungen waren unterschiedliche Sachverhalte zu beurteilen (8 Ob 54/87 ZVR 1988/115: Arbeiten auf einer Ackerfläche; 2 Ob 240/67 ZVR 1968/206: LKW‑Beladung alle 10–12 Minuten bei einer Teermischanlage; 2 Ob 104/89 ZVR 1990/90: Betonzulieferung auf einer Autobahn‑Großbaustelle mit bis zu 20 LKW, Beistellung von Einweisern unmöglich).
Im vorliegenden Fall waren bei den erst einen Vormittag lang andauernden Arbeiten insgesamt zehn bis 17 Personen tätig, die am selben Tag über den Arbeitseinsatz mit dem Stapler informiert worden waren, darunter der Kläger als Arbeiter eines dritten Unternehmens. Wenn die Vorinstanzen daher von einem Verschulden des Erstbeklagten ausgingen, weil sich dieser aufgrund des erheblichen toten Sichtwinkels beim Rückwärtsfahren eines Einweisers hätte bedienen müssen, liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung vor. Damit scheidet aber auch die Berufung auf ein unabwendbares Ereignis iSd § 9 Abs 1 EKHG aus (vgl RIS‑Justiz RS0058206).
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