OGH 7Ob17/95

OGH7Ob17/9530.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** vertreten durch Dr.Hanns Christian Baldinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Waltraud W*****, 2.) Werner K*****, beide vertreten durch Dr.Nikolaus Gabor, Rechtsanwalt in Wien, 3.) *****, wegen S 100.000 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23.Jänner 1995, GZ 40 R 672/94-38, womit infolge Berufung der zweitbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 9.September 1994, GZ 21 C 1213/93b-32, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 17.777,12 (darin enthalten S 1.859,52 Umsatzsteuer und S 6.620 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstbeklagte ist Eigentümerin und Halterin eines bei der klagenden Partei haftpflichtversicherten PKWs Steyr Fiat 131. Der Zweitbeklagte, der sich im Besitze einer aufrechten Lenkerberechtigung befand, hatte sich einige Tage vor dem 24.11.1990 das Fahrzeug von der Erstbeklagten geliehen. Er war der Erstbeklagten weder als trunksüchtig noch aus anderen Gründen als unzuverlässig bekannt. Die Erstbeklagte verbot dem Zweitbeklagten, das Fahrzeug einem Dritten zu überlassen.

Am 24.11.1990 suchte der Zweitbeklagte gemeinsam mit seinen Bekannten Marijan Z***** und Thomas R***** in den späten Abendstunden mehrere Lokale auf und konsumierte eine Menge Alkohol. Dennoch nahm er nach Abschluß der Lokaltour das Fahrzeug für die Heimfahrt in Betrieb. Da er infolge seiner Alkoholisierung Konzentrationsschwierigkeiten zeigte und einmal sogar gegen eine Einbahn fuhr, forderte Marijan Z***** ihn auf, stehenzubleiben und ihm das Steuer zu überlassen. Auch Marijan Z***** hatte einiges getrunken, doch konnte der Grad der Alkoholisierung nicht festgestellt werden. Der Zweitbeklagte hielt das Fahrzeug an und ließ den Schlüssel im Schloß stecken. Marijan Z***** fuhr mit dem Fahrzeug weiter, obwohl dem Zweitbeklagen bekannt war, daß dieser nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung war und bereits einmal mit einem Fahrzeug verunfallte und deshalb vorbestraft war. Marijan Z***** kam in der Folge von der Fahrbahn ab und stieß gegen mehrere geparkte Fahrzeuge. Da Marijan Z***** wegen seiner Vorstrafe Schwierigkeiten befürchtete, vereinbarten die Fahrzeuginsassen, daß sich der Mitfahrer Thomas R*****, der ebenfalls nicht im Besitze einer Lenkerberechtigung war, als Lenker ausgeben sollte, während die anderen die Flucht ergriffen. Der Zweitbeklagte verfaßte eine Schadensmeldung an die klagende Partei, in der als Lenker Thomas R***** angegeben war. In der Rubrik "Wurde das KFZ mit Wissen und Willen des Versicherungsnehmers benützt" wurde "Nein" angekreuzt. Die zunächst von der Erstbeklagten nicht unterfertigte Schadensmeldung wurde von ihr und Thomas R***** als Lenker unterschrieben. In der Folge beglich die klagende Partei die Schadenersatzansprüche der geschädigten Dritten. Sie erfuhr erst später vom wahren Sachverhalt.

Die klagende Partei begehrt Zahlung von S 100.000 von der Erstbeklagen als der Halterin des Fahrzeuges, vom Zweitbeklagten wegen Weitergabe des ihm zur Verfügung gestellten Fahrzeuges an einen zum Lenken desselben nicht Berechtigten und vom Drittbeklagten wegen Fahrens ohne Besitz einer Lenkerberechtigung und überdies in alkoholisiertem Zustand. Die Erstbeklagte habe das Fahrzeug dem Zweitbeklagten im Wissen davon überlassen, daß dieser keine Lenkerberechtigung besessen habe und trunksüchtig gewesen sei. Der Zweitbeklagte habe den Unfall entweder selbst in alkoholisiertem Zustand verursacht oder das Fahrzeug unberechtigt an einen Dritten weitergegeben, von dem er gewußt habe, daß er ebenfalls keine Lenkerberechtigung besitze. Darüberhinaus habe die Erstbeklagte vorsätzlich eine unrichtige Schadensmeldung an die klagende Partei erstattet. Die klagende Partei sei aus dem Versicherungsverhältnis leistungsfrei und zum Regreß berechtigt. Die Ansprüche gegen den Zweitbeklagten wurden darauf gestützt, daß dieser das Fahrzeug der Erstbeklagten gemäß § 102 Abs 8 KFG unberechtigt weitergegeben habe. Überdies habe er gegen die aus § 8 Abs 2 Z 2 AKHB abgeleitete Verpflichtung, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen, verstoßen.

Der gegen den Drittbeklagten Thomas R***** ergangene Zahlungsbefehl ist in Rechtskraft erwachsen.

Die Erst- und der Zweitbeklagte wendeten dagegen im wesentlichen ein, der Zweitbeklagte sei im Besitze einer Lenkerberechtigung gewesen, ohne trunksüchtig zu sein. Es sei richtig, daß die Erstbeklagte dem Zweitbeklagten das Fahrzeug mit der Abrede überlassen habe, es nicht weiterzugeben. Das Fahrzeug sei ohne Kenntnis der Erstbeklagten aber auch gegen den Willen des Zweitbeklagten in die Verfügungsgewalt des Marijan Z***** gelangt, der auch den Unfall verursacht habe. Die klagende Partei sei zu keinerlei Schadenersatzleistung verpflichtet gewesen, weil sich der Unfall im Zuge einer Schwarzfahrt ereignet habe.

Das Erstgericht wies die Klage gegen die Erstbeklagte - rechtskräftig - ab und gab ihr mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens hinsichtlich des Zweitbeklagten statt. Rechtlich warf es - soweit noch für das Revisionsverfahren von Bedeutung - dem Zweitbeklagten vor, das Fahrzeug entgegen der Bestimmung des § 102 Abs 8 KFG ohne Zustimmung des Zulassungsbesitzers, der Erstbeklagten, einem Dritten überlassen zu haben, obwohl ihm bekannt gewesen sei, daß dieser keine Lenkerberechtigung besessen habe. Er habe somit Beihilfe zum Lenken des Fahrzeuges ohne Lenkerberechtigung geleistet. Dieses Verhalten begründe die Leistungsfreiheit der KFZ- Haftpflichtversicherung ihm gegenüber.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klagstattgebenden Teil des Urteils erhobenen Berufung des Zweitbeklagten Folge und wies das gegen ihn gerichtete Begehren ab. Es übernahm die eingangs wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichtes und erörterte rechtlich, daß der Zweitbeklagte nicht als Fahrzeughalter anzusehen sei, weil ihm das Fahrzeug nur kurzfristig überlassen worden sei und er keine unbeschränkte Verfügungsgewalt gehabt habe. Er sei daher auch nicht mitversicherte Person im Sinne des § 1 Abs 2 AKHB 1988 gewesen, weil er weder mit Willen der Erstbeklagten bei der Verwendung des Fahrzeuges tätig gewesen, noch mit ihrem Willen mit dem Fahrzeug von einem Dritten befördert worden sei. Er sei lediglich berechtigt gewesen, das Fahrzeug selbst zu lenken. Da der Zweitbeklagte nicht als mitversicherte Person anzusehen sei, bestehe zwischen ihm und der klagenden Partei auch kein Vertragsverhältnis, sodaß eine allfällige Obliegenheitsverletzung ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden könne. Die Bestimmung des § 158 f VersVG sei daher auf den Zweitbeklagten nicht anwendbar. Überlasse der Lenker das Kraftfahrzeug einer anderen Person, die mit diesem einen Verkehrsunfall verursachte, so verliere er damit seine Eigenschaft als Mitversicherter und habe hinsichtlich des Schadensfalles gegenüber der Kraftfahrzeug- haftpflichtversicherung keinen Deckungsanspruch. Würden von dieser Leistungen an die durch den Verkehrsunfall geschädigten Dritten erbracht, könnten Regreßansprüche nach § 158 f VersVG nicht erhoben werden, weil diese nur gegen den Versicherungsnehmer oder Mitversicherte geltend gemacht werden könnten. Auf die Bestimmung des § 67 VersVG habe sich die klagende Partei im Verfahren erster Instanz nicht gestützt; sie sei auch nicht anwendbar, weil sie die Legalzession betreffe. Aus der Vorschrift des § 102 Abs 8 KFG lasse sich ein haftungsbegründender Anspruch nicht ableiten, weil sie sich gegen den Zulassungsbesitzer des Fahrzeuges richte.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil keine ausreichende Judikatur zur Frage vorliege, ob die Bestimmung des § 102 Abs 8 KFG allenfalls eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB darstelle, aus der abgeleitet werden könnte, daß derjenige, der ein Fahrzeug vertragswidrig einem Dritten überlasse, einer mitversicherten Person gleichzuhalten sei.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, das Ersturteil in der Hauptsache wiederherzustellen und den Zweitbeklagten zum Ersatz der gesamten Verfahrenskosten zu verpflichten.

Der Zweitbeklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Zunächst ist der Revisionswerberin beizupflichten, daß das Gericht den behaupteten Sachverhalt nach allen Gesichtspunkten zu prüfen hat und an eine rechtliche Qualifikation durch die Parteien nicht gebunden ist. Nach der Rechtsprechung wird allerdings eine solche dann als bindend betrachtet, wenn sie von der klagenden Partei ausdrücklich vorgenommen wurde (Rechberger in Rechberger Rz 16 vor § 226 ZPO mwN). Die klagende Partei hat ihren gegen den Zweitbeklagten gerichteten Anspruch nicht ausdrücklich rechtlich qualifiziert, sondern auf die vertragswidrige Überlassung des Fahrzeuges an einen nicht im Besitze einer Lenkerberchtigung stehenden Dritten verwiesen. Dieser Sachverhalt ist daher nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen.

Auszugehen ist zunächst davon, daß dem Zweitbeklagten das Fahrzeug nur kurzfristig zum persönlichen Gebrauch überlassen wurde. Dem Berufungsgericht ist daher zuzustimmen, daß der Zweitbeklagte durch die kurzfristige Gebrauchsüberlassung noch nicht zum Halter des Fahrzeuges wurde. Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, soll ein geradezu "schaukelhafter Wechsel" in der Haltereigenschaft vermieden werden (Apathy EKHG Rz 16 zu § 5, ZVR 1982/197;1987/57; RZ 1990/9). Wer daher sein Fahrzeug kurzzeitig einem Dritten überläßt, bleibt weiterhin Halter, weil in dieser Überlassung die Verfügungsgewalt zum Ausdruck kommt (Apathy aaO). Nur bei längerfristiger Gebrauchsüberlassung endet die Haltereigenschaft und geht auf den Benützer über (ZVR 1982/197). Anhaltspunkte dafür, daß dem Zweitbeklagten das Fahrzeug über einen relevanten längeren Zeitraum überlassen wurde, liegen nicht. Wie das Berufungsgericht schon bemerkt hat, deutet auch das Verbot, das Fahrzeug einem Dritten zu überlassen, auf die bei der Erstbeklagten verbleibende, die Haltereigenschaft bestimmende Verfügungsgewalt.

Der Zweitbeklagte war demnach weder Halter noch Mitversicherter des versicherten Fahrzeuges. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist der Fahrer eines PKWs nur dann Mitversicherter in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, wenn er das Fahrzeug auch tatsächlich gelenkt hat. Überläßt der berechtigte Lenker das Kraftfahrzeug einer anderen Person, die mit diesem einen Verkehrsunfall verursacht, so verliert er damit seine Eigenschaft als Mitversicherter im Sinne des § 1 Abs 2 AKHB 1988 und hat daher auch hinsichtlich des Schadensfalles gegenüber der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung keinen Deckungsanspruch. Erbringt in einem solchen Fall die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Leistungen an die durch den Verkehrsunfall geschädigten Dritten, so kann sie gegen den seinerzeitigen Lenker des späteren Unfallsfahrzeuges Regreßansprüche nach § 158 f VersVG nicht geltend machen, weil diese nur gegen den Versicherungsnehmer oder mitversicherte Personen erhoben werden können ( ZVR 1964/138; SZ 52/195; Prölss-Martin, VersVG25,779).

Kann zwar ein Regreßanspruch nach § 158 f VersVG nicht geltend gemacht werden, bleibt noch zu prüfen, ob die klagende Partei nicht berechtigt ist, ihren Anspruch im Sinne des § 67 VersVG geltend zu machen. In der E SZ 52/195 wurde bei einem vergleichbaren Sachverhalt der Anspruch nach dieser Gesetzesstelle ausdrücklich offengelassen, weil das diesbezügliche Begehren infolge Nichtzulassung einer Klageänderung nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden konnte.

Auszugehen ist davon, daß dem Zweitbeklagten das Fahrzeug nur kurzfristig zum persönlichen Gebrauch überlassen wurde. Er war nach den dargelegten Grundsätzen weder Halter noch Mitversicherter und hat das Fahrzeug abredewidrig an einen erheblich Alkoholisierten, der sich darüberhinaus nicht im Besitze einer Fahrerlaubnis befand, überlassen. Der Zweitbeklagte durfte aber nach § 102 Abs 8 KFG das ihm übergebene Fahrzeug ohne Zustimmung der Erstbeklagten nicht an Dritte überlassen. Unabhängig davon, ob es sich bei dieser Bestimmung um eine Schutzbestimmung zugunsten der Allgemeinheit handelt, hat der Zweitbeklagte jedenfalls gegen diese gesetzliche Bestimmung und auch gegen die Auflage der Erstbeklagten, das Fahrzeug keinem Dritten zu überlassen, verstoßen. Bei der Entlehnung eines Kraftfahrzeuges muß aber selbst ohne ausdrückliche Vereinbarung davon ausgegangen werden, daß das Fahrzeug nur auf eine dem Gesetz entsprechende Art verwendet werden darf (vgl SZ 61/259). Durch die Überlassung des Fahrzeuges an einen unbefugten Dritten im Interesse des Zweitbeklagten, der zwar infolge seiner Alkoholisierung nicht mehr fahrtüchtig, aber in seiner Dispositions- und Diskretionsfähigkeit nicht eingeschränkt war, wurde dieser selbst Schwarzfahrer im Sinne des § 6 Abs 2 EKHG (vgl Apathy, EKHG Rz 32 lit b zu § 6). Bei diesem Sachverhalt kann nämlich keinesfalls davon ausgegangen werden, daß die Erstbeklagte die Überlassung des Fahrzeuges an einen alkoholisierten und keine Lenkerberechtigung besitzenden Dritten genehmigt hätte und daher das Fahrzeug jedenfalls nicht im Rahmen der genehmigten Fahrten benützt wurde.

Da die Haftung der klagenden Partei für ihre Versicherungsnehmerin nach § 6 Abs 2 EKHG zu bejahen ist, besteht ein Anspruch der Geschädigten nach § 22 KHVG. Die klagende Partei hat auch die Ansprüch der Geschädigten befriedigt. Ihr steht daher nach § 67 VersVG ein Regreßanspruch gegen den Schwarzfahrer, also auch den Zweitbeklagten zu (Apathy aaO, SZ 53/151; VR 1987, 360).

In Stattgebung der Revision war daher das Ersturteil wieder herzustellen.

Da Erstbeklagte und Zweitbeklagte solidarisch in Anspruch genommen wurden, hat das Erstgericht zu Recht der nur gegen den Zweitbeklagten obsiegenden Klägerin die Hälfte der Prozeßkosten zugesprochen. Der an die zweite Instanz gerichtete Kostenrekurs der klagenden Partei erweist sich daher auch inhaltlich als unberechtigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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