OGH 2Ob127/17s

OGH2Ob127/17s30.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Musger als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Veith, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Dr. Steger als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am ***** 2015 verstorbenen A***** M*****, infolge der Revisionsrekurse 1. der Erbin S***** N*****, vertreten durch Dr. Martin Morscher, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, und 2. der O***** AG, *****, vertreten durch HASCH & PARTNER Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 5. April 2017, GZ 23 R 37/17f‑43, womit infolge Rekurses der O***** AG der Beschluss des Bezirksgerichts Gmunden vom 8. Februar 2017, GZ 16 A 1/15m‑38, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00127.17S.0730.000

 

Spruch:

Aus Anlass der Revisionsrekurse werden die Entscheidungen der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene außerstreitige Verfahren ab Stellung des Antrags der Erbin vom 2. 2. 2017 als nichtig aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über den als Klage zu wertenden Antrag, soweit er sich gegen die O***** AG richtet, aufgetragen.

 

Begründung:

Der am 14. 6. 2015 ohne letztwillige Anordnung verstorbene Erblasser hinterließ eine Tochter, die im Verlassenschaftsverfahren eine bedingte Erbantrittserklärung abgab. Im Inventar des Gerichtskommissärs schien unter den Aktiva ein Guthaben auf einem Konto der O***** AG (in der Folge: Kreditinstitut) auf. Mit Beschluss vom 13. 7. 2016 wurde der Tochter der Nachlass zur Gänze eingeantwortet. Dieser Beschluss ist rechtskräftig.

Mit Eingabe vom 13. 9. 2016 stellte die – nun anwaltlich vertretene – Erbin beim Verlassenschaftsgericht den Antrag, ihr eine angemessene Frist „zur Vorlage der Abhandlungsschrift“ zu erteilen. Sie habe Urkunden vorgefunden, die auf ein im Verlassenschaftsverfahren noch nicht bekanntes Sparvermögen des Erblassers hinweisen würden. Bei ihrer anschließenden Vorsprache in einer Filiale des Kreditinstituts habe sie die Existenz von vier Sparbüchern in Erfahrung bringen können. Auch bei einer anderen Bank habe sie in Erfahrung gebracht, dass noch fünf auf den Erblasser ausgestellte Sparbücher mit Losungswort vorhanden seien. Der Erbin seien mit einer Ausnahme die Sparbuchnummern nicht bekannt. Sie befinde sich nicht im Besitz der Sparbücher, diese seien nunmehr kraftlos zu erklären. Es sei notwendig, ein weiteres Verlassenschaftsverfahren durchzuführen (§ 183 AußStrG), womit sie ihren Rechtsanwalt beauftragt habe.

Das Erstgericht erteilte daraufhin eine „Frist für Nachtragsabhandlung“ bis 31. 12. 2016, die es später bis zum 31. 12. 2017 erstreckte.

Mit weiterer Eingabe vom 19. 9. 2016 stellte die Erbin den Antrag, dem Erbenmachthaber den Auftrag zu erteilen, bei sechs näher bezeichneten Banken, darunter das Kreditinstitut, „sämtliche Auskünfte und Sparbuchkonto-auszüge für die Zeit ab 13. 6. 2013 bis zum Todeszeitpunkt 14. 6. 2015 über Sparbücher bzw Sparbuchguthaben, hinsichtlich deren im Zeitraum ab 13. 6. 2013 eine Identifizierung des Erblassers […] gemäß § 40 Abs 1 Z 1 BWG bestand bzw erfolgte oder hätte erfolgen müssen, insbesondere auch über solche Sparbücher, deren Guthabensstand weniger als 15.000 EUR oder EUR‑Gegenwert betragen oder betrugen, sowie über im obgenannten Zeitraum bestandene Schrankfachverträge, zu beschaffen. Die […] werden angewiesen, dem Erbenmachthaber diese Auskünfte zu erteilen und die Belege auszuhändigen.

Mit Beschluss vom 20. 9. 2016 bewilligte das Erstgericht diesen Antrag. Der Beschluss wurde den darin genannten Banken und dem Vertreter der Erbin zugestellt. Ein Rechtsmittel wurde nicht erhoben.

Mit Eingabe vom 20. 12. 2016 teilte die Erbin mit, dass sie infolge der Auskunft einer Bank ein Sparvermögen von insgesamt 58.000 EUR in Erfahrung gebracht habe. Für diese Sparbücher habe sie ein Kraftloserklärungsverfahren eingeleitet.

Am 2. 2. 2017 stellte die Erbin den Antrag „auf Berichtigung und Ergänzung“ des Beschlusses vom 20. 9. 2016 dahin, „dass als Partei die Alleinerbin ausgewiesen“ werde und im letzten Absatz die Anweisung an die Banken ergehe, der Erbin im Wege über ihren Erbenmachthaber die Auskünfte zu erteilen und die Belege auszuhändigen.

Zur Begründung dieses Antrags brachte sie vor, sie habe am 10. 1. 2017 die Fahrnisexekution beantragt und auch einen Exekutionsantrag zur Erwirkung von unvertretbaren Handlungen gegen das Kreditinstitut gestellt, da dieses dem Beschluss vom 20. 9. 2016 trotz Aufforderung keine Folge geleistet habe. Das Exekutionsgericht habe den Exekutionsantrag jedoch mit der Begründung abgewiesen, dass die Erbin im genannten Beschluss nicht einmal namentlich erwähnt werde.

Das Erstgericht gab daraufhin (nur) dem Kreditinstitut die Anweisung, der Erbin im Wege über ihren Erbenmachthaber „sämtliche Auskünfte und Sparbuchkontoauszüge für die Zeit ab 13. 6. 2013 bis zum Todeszeitpunkt 14. 6. 2015 über Sparbücher bzw Sparbuchguthaben, hinsichtlich deren im Zeitraum ab 13. 6. 2013 eine Identifizierung des Erblassers […] gemäß § 40 Abs 1 Z 1 BWG bestand bzw erfolgte oder hätte erfolgen müssen, insbesondere auch über solche Sparbücher, deren Guthabensstand weniger als 15.000 EUR oder EUR‑Gegenwert betragen oder betrugen, sowie über im obgenannten Zeitraum bestandene Schrankfachverträge, zu beschaffen.

Das vom Kreditinstitut angerufene Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Verpflichtung des Kreditinstituts bei Sparbüchern mit einem Guthabensstand von weniger als 15.000 EUR auf die Auskunft beschränkte, „ob der Verstorbene bei der Eröffnung eines bestimmten, mit Nummer bekanntzugebenden Sparbuchs ihr gemäß § 40 BWG identifizierter Kunde war“. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht führte aus, dass kein Berichtigungsfall vorliege, weil das Erstgericht mit dem Beschluss vom 20. 9. 2016 dem Antrag der Erbin vollständig entsprochen habe. Der am 2. 2. 2017 gestellte Antrag der Erbin sei allerdings als Antrag auf Erlassung eines anderen (neuen) Beschlusses zu werten, der – zumal im Abhandlungsverfahren kein weiterer Beschluss ergehenkönne – unbeschränkt und abgesondert anfechtbar sei. Auf das Bankgeheimnis könne sich das Kreditinstitut nicht berufen, weil es gegenüber dem Kunden nicht gelte. Zur Feststellung der Nachlasszugehörigkeit seien Banken und Kreditinstitute gemäß § 166 Abs 3 AußStrG zur Offenlegung von Konten gegenüber dem Verlassenschaftsgericht bzw dem Gerichtskommissär verpflichtet. Da bei Kleinbetragssparbüchern, die als Inhaberpapiere durch Übergabe übertragen werden könnten, keine Identifizierungspflicht des Erwerbers bestehe, könne das kontoführende Institut idR aber nur den bei der Eröffnung der Spareinlage identifizierten Kunden bekanntgeben, der nicht mehr der aus dem Wertpapier Berechtigte sein müsse. Damit werde das Bankgeheimnis des „wahren Berechtigten“ gewahrt. Dem Rekurs sei daher nur mit der aus dem Spruch ersichtlichen Beschränkung Folge zu geben. Soweit sich das Kreditinstitut auch gegen die Verpflichtung zur Auskunft über andere Sparbücher wende, werde auf die Kundenstellung der Erbin verwiesen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil zur Frage der Auskunftspflicht über Kleinbetragssparbücher noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere.

Gegen diese Rekursentscheidung richten sich die Revisionsrekurse der Erbin und des Kreditinstituts. Während erstere die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses anstrebt, begehrt letzteres die Abänderung im Sinne der Verneinung jeglicher, hilfsweise nur einer auf die Kleinbetragssparbücher bezogenen Auskunftspflicht. Mit weiterem Eventualantrag wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Das Kreditinstitut beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel der Erbin, die ihrerseits keine Rechtsmittelbeantwortung erstattete, nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass der zulässigen Revisionsrekurse ist von Amts wegen wahrzunehmen, dass die Sache nicht auf den außerstreitigen Rechtsweg gehört.

Hiezu wurde erwogen:

1. Gelangt das Rechtsmittelgericht aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels zu der Überzeugung, dass der angefochtene Beschluss oder das Verfahren an einem bisher unbeachtet gebliebenen Mangel ua nach dem § 56 Abs 1 AußStrG leidet, so ist dieser wahrzunehmen, auch wenn er von keiner der Parteien geltend gemacht wurde und er die Richtigkeit der Entscheidung nicht berührt (§ 55 Abs 3 iVm § 71 Abs 4 AußStrG; 2 Ob 12/17d mwN; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 66 Rz 7). Zu den in § 56 Abs 1 AußStrG genannten Mängeln zählt auch die Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs.

2. Die Frage, ob über einen Rechtsschutzantrag im außerstreitigen Verfahren oder im streitigen Rechtsweg zu entscheiden ist, ist nach dem Inhalt des Entscheidungsbegehrens und den zu seiner Begründung vorgebrachten Sachverhaltsbehauptungen zu beurteilen. Ohne Einfluss ist es, ob der behauptete Anspruch begründet ist (2 Ob 12/17d; RIS‑Justiz RS0005861, RS0005896, RS0013639). Auch Fragen der Sachlegitimation oder der Schlüssigkeit eines Rechtsschutzbegehrens haben mit der zulässigen Verfahrensart oder überhaupt mit der Zulässigkeit des Rechtsschutzantrags nichts zu tun, sie sind nur (materielle) Bedingungen der Begründetheit des Begehrens (2 Ob 12/17d mwN).

3. Im Vordergrund des (neuen) Antrags der Erbin vom 2. 2. 2017 steht das Begehren, (ua) das Kreditinstitut zur Erteilung von Auskünften an sie zu verpflichten. Sie stützt sich auf ihre Rechtsstellung als alleinige Erbin. Als solche ist sie bei Zutreffen ihrer Behauptungen Kundin des Kreditinstituts, dessen Vertragspartnerin sie mit der Einantwortung geworden ist (vgl 7 Ob 610/95 SZ 69/119 = ÖBA 1996/586 [Böhler]; 2 Ob 103/15h ÖBA 2016/2279 [Wolkerstorfer] mwN; RIS‑Justiz RS0012296 [T1]). Ihr Auskunftsanspruch gründet sich daher auf ein behauptetes Vertragsverhältnis. Ausdrücklich genanntes Ziel des Antrags ist die Erwirkung eines (tauglichen) Exekutionstitels gegen das die Auskunft verweigernde Kreditinstitut.

4. Nach ständiger Rechtsprechung überdauert die individuelle Zuständigkeit des Verlassenschaftsgerichts die rechtskräftige Einantwortung des Nachlasses nur insoweit, als danach noch zur Abhandlungspflege zu rechnende Aufgaben zu besorgen sind (RIS‑Justiz RS0013544). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt, dass ein sich auf Sparbücher beziehender Auskunftsauftrag an ein Kreditinstitut kein von der Rechtsprechung zugelassener, die individuelle Zuständigkeit des Verlassenschaftsgerichts perpetuierender Ausnahmefall ist (2 Ob 205/14g iFamZ 2015/197 [Mondel]; RIS‑Justiz RS0013544 [T5]; vgl auch RS0008365). Die Durchsetzung des vertraglichen Auskunftsanspruchs erfolgt nach der Einantwortung auf dem streitigen Rechtsweg; eine mögliche prozessuale Grundlage hiefür bietet Art XLII Abs 1 EGZPO (Riss, Die Auskunftspflicht des Kreditinstituts nach dem Tod des Kunden und ihre prozessuale Durchsetzung, ÖBA 2011, 166 [175]).

5. Davon zu unterscheiden ist das außerstreitige Verfahren nach § 183 AußStrG, das keinen streitähnlichen Charakter aufweist (2 Ob 12/17d):

Ändern sich nachträglich die Abhandlungs-grundlagen, ist von Amts wegen nach § 183 AußStrG vorzugehen, nach dessen Abs 1 der Gerichtskommissär die Parteien, denen dies noch nicht bekannt ist, zu verständigen hat, wenn Vermögenswerte erst nach Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens bekannt werden. Bei einem entsprechenden Antrag liegt es am Antragsteller, die Zugehörigkeit des nachträglich aufgefundenen Vermögenswerts zum Nachlassvermögen zu bescheinigen (RIS‑Justiz RS0008416; vgl auch RS0115929). Gelingt diese Bescheinigung, hat der Gerichtskommissär, wenn das Verfahren mit Einantwortung geendet hat, gemäß § 183 Abs 3 AußStrG ein im Verlassenschaftsverfahren errichtetes Inventar zu ergänzen, wie dies im gegenständlichen Fall aufgrund der (ua) vom Kreditinstitut dem Gerichtskommissär erteilten Auskünfte mittlerweile ohnehin bereits geschehen ist.

6. Der Antrag der Erbin vom 2. 2. 2017 ist dagegen nicht auf die Einbeziehung von Vermögenswerten in das Inventar und ein diesbezügliches Tätigwerden des Gerichtskommissärs gegenüber dem Kreditinstitut gerichtet, sondern, wie bereits in Punkt 3 erörtert, auf die Erwirkung einer exekutiv durchsetzbaren Auskunftspflicht ihr gegenüber, wofür nur der streitige Rechtsweg zur Verfügung steht.

7. Nach § 56 Abs 1 AußStrG ist ein angefochtener Beschluss über eine Sache, die nicht auf den außerstreitigen Rechtsweg gehört, vom Rekursgericht (hier Revisionsrekursgericht) aufzuheben, das vorangegangene Verfahren für nichtig zu erklären und der ihm allenfalls vorangegangene Antrag zurückzuweisen.

Damit ist aber – wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat – dem § 40a JN nicht derogiert (2 Ob 68/15m; 2 Ob 12/17d; RIS‑Justiz RS0121333; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 56 Rz 5). Ein in der falschen Verfahrensart gestelltes Rechtsschutzgesuch ist daher ungeachtet der Anordnung des § 56 Abs 1 AußStrG nicht zurückzuweisen, es ist vielmehr umzudeuten und im richtigen Verfahren zu behandeln (RIS‑Justiz RS0116390).

8. Der verfahrenseinleitende Akt wird von der Nichtigkeit eines nicht in der richtigen Verfahrensart abgewickelten Verfahrens nicht erfasst (5 Ob 255/15h mwN). Das Erstgericht wird somit (durch den für Streitsachen zuständigen Richter) das gesetzliche Verfahren über den in eine Klage umzudeutenden Antrag vom 2. 2. 2017 einzuleiten haben. Dazu zählt auch die Wahrnehmung einer allfälligen örtlichen und/oder sachlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts (vgl RIS‑Justiz RS0057140). Auch über das Erfordernis eines Verbesserungsverfahrens wird ebenso wie über die Berechtigung des Begehrens im streitigen Verfahren zu befinden sein (2 Ob 68/15m; 5 Ob 255/15h).

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