European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0200DS00013.17T.1114.000
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (ES 6) zu einer Geldbuße in der Höhe von 5.000 Euro verurteilt.
Inhaltlich des Schuldspruchs hat er als rechtsfreundlicher Vertreter von A*****, von M***** sowie von C*****, obwohl seine Mandanten ihn mit Schreiben vom „18. 08. 2012“ (richtig: 18. Juli 2012 – ES 4) „aufgefordert haben, Rechnung zu legen und seine Honorarabrechnung als ungerechtfertigt bestritten haben, den streitigen Honorarbetrag entgegen der Bestimmung des § 19 RAO nicht hinterlegt; er hat weiters nach der im Juli 2014 aufgrund des Schreibens der Zeugin An***** (Beilage ./8) abgeschlossenen Vereinbarung hinsichtlich des strittigen Honorars den sich ergebenden Mindestbetrag von 700 Euro entgegen der Bestimmung des § 19 RAO verspätet, nämlich erst am 01. 06. 2015, zur Auszahlung gebracht; weiters hat er es bis heute [20. März 2017] unterlassen, sich über diese Einigung und seine Honorarforderung ordnungsgemäß zu verrechnen“.
Der Disziplinarbeschuldigte bekämpft dieses Erkenntnis mit Berufung wegen Schuld (der Sache nach auch § 281 Abs 1 Z 8, 9 lit a und 10 StPO) sowie wegen Strafe. Der Kammeranwalt-Stellvertreter hat eine Gegenausführung zur Berufung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend weist die Generalprokuratur darauf hin, dass die rechtliche Bedeutung des Einleitungsbeschlusses im Disziplinarverfahren – anders als die Anklage im gerichtlichen Strafverfahren, die bei sonstiger Nichtigkeit nicht überschritten werden darf (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO – welcher Nichtigkeitsgrund keineswegs [wie der Berufungswerber vermeint] „von Amts wegen zu berücksichtigen“ sei – § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 77 Abs 3 DSt; RIS‑Justiz RS0100176, RS0100358) – allein darin liegt, den inkriminierten Sachverhalt so zu beschreiben, dass der Disziplinarbeschuldigte zweifelsfrei erkennen kann, worüber im weiteren Verfahren bzw in der mündlichen Verhandlung abgesprochen werden soll. Demnach ist es nicht erforderlich, dass der Einleitungsbeschluss jedes Detail der vorgeworfenen Tathandlung genau vorweg nimmt (RIS‑Justiz RS0056014 [T9], RS0056153 [T9]), solange dem Disziplinar-beschuldigten – sei es durch die Konkretisierung des Vorwurfs im Einleitungsbeschluss, sei es durch einen Hinweis in der Verhandlung – die Möglichkeit zur wirksamen Verteidigung gewahrt bleibt (RIS‑Justiz RS0056978 [T15, T21]).
Der Einleitungsbeschluss TZ 21 betraf auch den Vorwurf, der Beschuldigte „habe von den eingegangenen Barschaften seine Honoraransprüche abgerechnet und lediglich den Differenzbetrag weitergeleitet und trotz Aufforderung, den gesamten Treuhanderlag an die Klienten weiterzuleiten, dieser Aufforderung nicht entsprochen“. Die Verpflichtung zum Erlag hat der Berufungswerber bei der mündlichen Disziplinarverhandlung selbst thematisiert (TZ 33 S 11). Aus der Aktenlage AZ K 63/15 ergibt sich, dass die verspätete Zahlung vom 1. Juni 2015 nach Kenntnisnahme der Anzeige am 28. Mai 2015 und damit offensichtlich im Bewusstsein dieser Verspätung erfolgte. Schließlich wurde bei der mündlichen Disziplinarverhandlung der Frage, von welcher Bemessungsgrundlage der angebotene Vergleichsbetrag von 20 % als Honorarnachlass berechnet wurde, breiter Raum gegeben (TZ 33). Damit war dem Beschuldigten in jeder Phase des Disziplinarverfahrens bewusst, welche Vorwürfe bestanden und konnte er seine Verteidigung danach ausrichten.
Die Berufung macht geltend, der Beschuldigte habe vom Aufrechnungsrecht gemäß § 19 Abs 1 RAO Gebrauch gemacht und sei er nach der Entscheidung 21 Os 2/15z bei Verfolgung seiner Honoraransprüche „in eigener Sache“ tätig gewesen, sodass keine Berufspflichtenverletzung vorliege (dSn Z 10). Die zitierte Entscheidung stützt den Standpunkt des Rechtsmittelwerbers nicht; er übersieht dabei, dass er nach Bestreitung seiner Honorarforderung vom Recht zum gerichtlichen Erlag nicht Gebrauch gemacht und auch Richtigkeit und Höhe seiner Forderung nicht nachgewiesen hat (§ 19 Abs 3 RAO). Damit bestand die Verpflichtung, fremdes Geld ohne unnötigen Verzug auszufolgen (§ 43 Abs 2 RL‑BA 1977). Diese Bestimmung steht im Abschnitt über die Kanzleiführung (Artikel VII RL‑BA 1977). Zwar trifft die Beurteilung des Handelns „in eigener Sache“ bei Geltendmachung der Honoraransprüche für den Kostenprozess und das anschließende Exekutionsverfahren zu (RIS‑Justiz RS0055853). Hingegen stellen Verstöße gegen § 17 und § 42 RL‑BA 1977 schwere Verstöße gegen die Standesregeln dar, die sowohl als Berufspflichtenverletzung als auch als Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes zu qualifizieren sind (RIS‑Justiz RS0055151).
Die Schuldberufung strebt erkennbar eine Sachverhaltskorrektur dahin an, der Beschuldigte habe mit Schreiben vom 4. August 2011 (./12) mit der Zeugin An***** abgerechnet. Sie zeigt aber keine Umstände auf, die geeignet wären, Zweifel an der Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu wecken, der bei der diesbezüglichen Negativfeststellung (ES 4) logisch und nachvollziehbar der Zeugin folgte (ES 5 f).
Mit der Behauptung einer aktenwidrigen Feststellung in Bezug auf das Schreiben vom „18. 08. [richtig: Juli] 2012“ (./7) zeigt der Rechtsmittel-werber keine unrichtige oder unvollständige Wiedergabe des Inhalts dieser Urkunde in den Entscheidungsgründen auf (RIS‑Justiz RS 0099547). Er verkennt den aus § 281 Abs 1 Z 5 letzter Fall StPO eröffneten Anfechtungsrahmen und vermag auch keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Disziplinarrats (ES 5 ff) zu wecken, worauf die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend hinweist.
Soweit der Berufungswerber, erkennbar gestützt auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO, an anderer Stelle die Feststellung beantragt, er habe mit Schreiben vom 4. August 2011 (./12) mit der Zeugin An***** abgerechnet, verfehlt die Rechtsrüge den rechtlichen Bezugspunkt. Da er von der Befugnis zum Gerichtserlag (§ 19 Abs 3 RAO) nach Bestreitung seiner Honorarforderung durch die Genannte mit Schreiben vom 17. Juli 2012 ./7 (ES 4) keinen Gebrauch machte, bestand für ihn die Verpflichtung, die Beträge unverzüglich auszufolgen (JBl 2007, 721; Thiele, Anwaltskosten2 [2007] 11 f).
Die weitere Behauptung im Rechtsmittel, der Disziplinarrat habe in der Beweiswürdigung festgestellt, der Mandantin seien „die Kostensituation und die aufgelaufenen Vertretungskosten“ bekannt gewesen, weil sonst eine „Vereinbarung über einen Nachlass von 20 % nicht möglich“ gewesen wäre, orientiert sich nicht an den diesbezüglichen Erwägungen in ihrer Gesamtheit (ES 4, 6) und an der Negativkonstatierung hinsichtlich konkreter Beträge im Rahmen der Vereinbarung eines 20%igen Nachlasses bei Abschluss dieser Vereinbarung (ES 4).
Ob das Ergebnis der Besprechung vom Juli 2014 (ES 4) sofort, mit Jahresende 2014 (laut Schreiben vom 22. November 2014 [Blg ./3, ./8 und ./13]) oder aber – wie in der Berufung behauptet – für den Disziplinarbeschuldigten erst nach Zustellung des Schreibens vom 22. November 2014 „im Dezember 2014 oder Jänner 2015“ verbindlich wurde, betrifft – mit Blick auf die bis Juni 2015 unterlassene Auszahlung (ES 5) – keinen entscheidenden Aspekt.
Auch der Einwand, der Beschuldigte sei zufolge „Vergleichsverhandlungen und Verhandlungen zur Bereinigung der Angelegenheit“ weder zum Gerichtserlag noch zur Ausfolgung des Geldbetrags an die Klienten verpflichtet gewesen, orientiert sich nicht am festgestellten Sachverhalt in seiner Gesamtheit (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581): Danach erfolgte die Bestreitung der Richtigkeit und der Höhe des begehrten Honorars mit Schreiben vom 18. Juli 2012 (Blg ./7), in welchem An***** erklärte, die „Belastung ihres Kontos mit Vertretungskosten von 9.582,78 € als ungerechtfertigt“ zu erachten (ES 4). Bereits ab Zugang dieses Schreibens wäre der Beschuldigte verpflichtet gewesen, die bei ihm eingegangene Barschaft unverzüglich auszufolgen oder aber bei Gericht zu hinterlegen (§ 19 Abs 3 RAO iVm § 17 RL‑BA 1977 [§ 14 RL‑BA 2015]; RIS‑Justiz RS0033851, RS0056451; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 201 und 676 f). Insofern ist es ohne Bedeutung, dass der Disziplinarbeschuldigte in Aussicht stellte, seine Haftpflichtversicherung in Anspruch zu nehmen (wegen der unterlassenen Kostenverzeichnung entging den Mandanten ihnen zustehender Kostenersatz – ES 3) und es im Juli 2014 zu einer Besprechung über eine (vergleichsweise) Einigung kam (ES 4); hatte doch der Beschuldigte schon durch die zuvor erfolgte Unterlassung der Ausfolgung oder Hinterlegung des Geldbetrags über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr schuldhaft gegen das ihn treffende Gebot unverzüglichen Handelns iSd § 19 Abs 3 RAO iVm § 17 RL‑BA 1977 (§ 14 RL‑BA 2015) verstoßen.
Der Hinweis auf die Entscheidung der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (OBDK) vom 12. März 2001, AZ 13 Bkd 2/00, (ES 6) schlägt ebenfalls fehl, weil dem hier maßgeblichen Sachverhalt keinesfalls zu entnehmen ist, dass der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer mit der Prüfung der Kostenforderung betraut gewesen wäre und diesem die erforderlichen Unterlagen hierüber ausgefolgt worden seien.
Ebensowenig lag eine Vereinbarung vor, dass der strittige Betrag bis zur Entscheidung über die Höhe des Honorars durch den Ausschuss in den Händen des Disziplinarbeschuldigten verbliebe (OBDK 12. September 1966, Bkd 10/66). Zwischen der Aufforderung zur Ausfolgung mit Schreiben vom 18. Juli 2012 (./7) und dem Vergleichsangebot des Beschuldigten im Juli 2014 lag bereits ein Zeitraum von zwei (!) Jahren.
Soweit die Berufung überdies reklamiert, dem Disziplinarbeschuldigten könne die verspätete Auszahlung von 700 Euro deshalb nicht angelastet werden, weil die mit An***** getroffene Vereinbarung vom Juli 2014 für ihn erst mit Zugang der Zustimmungserklärung vom 22. November 2014 „im Dezember 2014 oder im Jänner 2015“ wirksam wurde, verabsäumt sie darzustellen, weshalb ein– auch aus Berufungssicht verbleibender – Zahlungsverzug von rund sechs Monaten keine (§ 19 RAO und §§ 3, 17 RL‑BA 1977 zuwiderlaufende) Säumigkeit darstellen sollte.
Die Kritik, es sei der Vorwurf unterlassener Verrechnung über die im Juli 2014 erfolgte Einigung sowie die Honorarforderung „schlechthin nicht nachvollziehbar“, ignoriert die darauf bezogenen Annahmen, wonach der Beschuldigte An***** zwar am 1. Juni 2015 einen (sich seiner Ansicht nach aus der Vereinbarung vom Juli 2014 ergebenden) Betrag von 700 Euro überwies, weiterhin aber keine Abrechnung über jene sich aus der Vereinbarung vom Juli 2014 ergebenen Beträge erstattete, welche an die Genannte zu refundieren wären (ES 4, 5 und 6 f).
Entgegen der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wirkt ein darin ins Treffen geführtes „Tatsachengeständnis“ (gerade) hier nicht mildernd (iSd § 34 Abs 1 Z 17 StGB); waren doch weder das Mandatsverhältnis an sich noch das Bestehen von Unstimmigkeiten im Rahmen der Abrechnung strittig, sodass mit Blick auf die übrigen Verfahrensresultate (insbesondere die vorliegenden Urkunden) die Aussage des Disziplinarbeschuldigten keinen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung (RIS‑Justiz RS0091460 [T2, T4, T5], RS0091510, RS0091465) leistete.
Da das seit Jänner 2016 anhängige Disziplinarverfahren ohne nennenswerte Verzögerungen geführt wurde, kann auch von einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) keine Rede sein.
Weshalb sich das – einlenkend formulierte – Schreiben der An***** vom 22. November 2014 (./3, ./8 und ./13) für den Disziplinarbeschuldigten mildernd auswirken sollte und daher „der Gesinnungs-, Handlungs- bzw Erfolgsunwert der angelasteten Handlungen als denkbar gering“ anzusetzen sei, bzw sich „in Summe ein nicht unwesentlicher Ermessensfehler im Rahmen der Strafzumessung“ ergäbe, entbehrt – gerade wegen der einleitend begangenen Fehlleistung bei der Vertretung seiner Mandanten – einer inhaltlichen Argumentation.
Der Hinweis auf die Entscheidung 24 Os 7/15g hält einem Vergleich unter den Gesichtspunkten von Tatunrecht und Erschwerungsgründen nicht stand. Im Hinblick auf die teils einschlägigen Vorstrafen (vgl 20 Os 12/15p) erweist sich die verhängte Geldbuße als keineswegs überhöht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.
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