European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00018.17M.0405.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Beschwerde werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruht, wurde Christian G***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (1./) sowie des „Verbrechens“ des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 „zweiter Fall“ StGB (2./) schuldig erkannt.
Danach hat er am 13. Jänner 2016 in K***** versucht, den Polizisten Roland P***** mit einem gezielten Schuss aus einer Pistole der Marke HS95, Kaliber 9 mm, der diesen verfehlte,
1./ vorsätzlich zu töten;
2./ mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, zu hindern.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 5, 6, 8, 10, 10a, 11 lit a und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Der Einwand der Verfahrensrüge (Z 4, nominell auch Z 5 und 10), das Hauptverhandlungsprotokoll sei unvollständig, weil der ursprüngliche und der nach Durchführung des Moniturverfahrens ergangene Wahrspruch der Geschworenen sowie die dazu abgefassten Niederschriften, das Beratungsprotokoll des Schwurgerichtshofs über die Durchführung des Moniturverfahrens und die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung fehlen würden, geht ins Leere, weil § 271 StPO unter dem Aspekt des § 345 Abs 1 Z 4 StPO nur dann verletzt ist, wenn über die Hauptverhandlung überhaupt kein Protokoll aufgenommen wurde (RIS‑Justiz RS0099003 [T1, T11], RS0113211; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 262). Im Übrigen liegen die vermissten Urkunden als „Beilagen zum HV‑Protokoll (ON 70)“ im Akt und wurde das Moniturverfahren – obwohl es nicht zur Hauptverhandlung zählt (RIS-Justiz RS0116945; Philipp , WK-StPO § 332 Rz 2) und über dieses ein eigenes Protokoll aufzunehmen gewesen wäre (§ 332 Abs 6 StPO; vgl Ratz , WK-StPO § 345 Rz 71; 13 Os 83/08t) – im Hauptverhandlungsprotokoll (ON 70 S 70 f) festgehalten.
Mit der Behauptung, das wegen des Verdachts nach §§ 15, 75 StGB geführte Verfahren sei „ohne ersichtlichen Grund rechtswidrig“ aus dem auch wegen des Verdachts nach §§ 127 ff StGB geführten Ermittlungsverfahren ausgeschieden und entgegen der „geltenden Geschäftsordnung“ einer anderen Gerichtsabteilung zugewiesen worden, moniert die Beschwerde (nominell Z 5, der Sache nach Z 1) eine durch Verstoß gegen die Geschäftsverteilung bewirkte Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, scheitert jedoch schon daran, dass der Beschwerdeführer die aus seiner Sicht Nichtigkeit begründenden Umstände nicht gleich zu Beginn der Verhandlung geltend gemacht hat, obwohl ihm die Geschäftsverteilung des Landesgerichts Innsbruck zu diesem Zeitpunkt zugänglich war (§ 345 Abs 2 StPO; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 136; RIS-Justiz
Soweit in der Trennung der Verfahren und der Bestellung eines weiteren Verfahrenshilfeverteidigers für das ausgeschiedene Verfahren eine Verletzung der Art 6 und 13 MRK gesehen wird, weil der zuletzt bestellte Verteidiger „auf das Ermittlungsverfahren keinerlei Einfluss nehmen“ konnte, wird ein Nichtigkeitsgrund ebenso wenig deutlich und bestimmt zur Darstellung gebracht wie mit dem Vorbringen, der Angeklagte habe sich mangels rechtzeitiger Gewährung von Akteneinsicht nicht ordnungsgemäß auf die Hauptverhandlung vorbereiten können, das Projektil der Waffe sei an der falschen Stelle gesucht worden, der Fundort der Patronenhülse könne nicht stimmen, das Gericht habe dem Angeklagten keine Protokolle übermittelt und die Sachverständigen seien von falschen Annahmen ausgegangen.
Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Wiederholung der Tatrekonstruktion“, weil bei dieser ein anderer Verteidiger eingeschritten sei und der nunmehr bestellte Verteidiger somit keine Gelegenheit hatte, Fragen an den Angeklagten zu stellen (ON 70 S 58), und weil der Angeklagte im Zuge der Tatrekonstruktion seine genaue Position bei der Schussabgabe nannte oder nennen hätte können, Verteidigungsrechte nicht verletzt. Einerseits ist aus einem Wechsel der Person des Verteidigers per se kein Recht auf Wiederholung einer Beweisaufnahme ableitbar und andererseits legt der Antrag nicht einmal dar, warum eine weitere Tatrekonstruktion (vgl ON 70 S 58 oben) und neuerliche Befragung des Angeklagten andere Verfahrensergebnisse bringen hätte können, sodass der Antrag auf eine Erkundungsbeweisführung abzielte.
Der Antrag auf „Suche nach dem Projektil zum Beweis dafür, dass sich aufgrund des Fundortes der Patrone ergibt, dass der Angeklagte seitlich beim Polizeibeamten GI Roland P***** in die Luft geschossen hat“ (ON 70 S 58), konnte abgewiesen werden, weil er ebenfalls auf eine im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung hinauslief (RIS‑Justiz RS0118123).
Die Fragenrüge (Z 6) zeigt mit der Behauptung, den Geschworenen sei durch ein zu Unrecht erfolgtes Moniturverfahren und das Fehlen der Möglichkeit des Verteidigers, „weitere Eventual- bzw Zusatzfragen zu stellen“, die Bejahung der Hauptfrage 1 indirekt vorgegeben worden, eine Verletzung der in den §§ 312 bis 317 StPO enthaltenen Vorschriften nicht auf.
Mit spekulativen Erwägungen zu einer im Rahmen des Moniturverfahrens neuerlich erteilten Rechtsbelehrung wird eine Instruktionsrüge (Z 8) nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht (RIS‑Justiz RS0119549, RS0119071).
Die Moniturrüge (Z 10) behauptet, der Schwurgerichtshof habe zu Unrecht die Verbesserung eines mängelfreien und der Niederschrift der Geschworenen nicht widersprechenden Wahrspruchs aufgetragen. Sie scheitert schon daran, dass der Auftrag zur Verbesserung des Wahrspruchs nicht gegen den Widerspruch des Beschwerdeführers erfolgt ist.
Davon überzeugte sich der Oberste Gerichtshof
in freier Beweiswürdigung (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz
312) auf Grundlage der zum Moniturverfahren vorgenommenen, nachträglich ergänzten und keinen Bedenken begegnenden Protokollierungen über die Vorgänge im Beratungszimmer (ON 70 S 70 f, ON 100), die zu den Behauptungen des Beschwerdeführers nicht im Widerspruch stehen (vgl Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 71; 13 Os 83/08t). Demnach hat der Vorsitzende nach Verlesung des ursprünglichen Wahrspruchs zunächst erwähnt, dass die Antworten zur Hauptfrage 1 und zur Eventualfrage 1 widersprüchlich sein könnten, dies jedoch nach der sinngemäßen Frage des Verteidigers „Wo soll denn hier ein Widerspruch vorliegen? Lesen Sie den Wahrspruch bzw. die Niederschrift bitte nochmals vor, der ist klar.“, sowie nach eigener Überprüfung selbst verneint. Danach hat er jedoch auf die Niederschrift der Geschworenen verwiesen und diese als „möglicherweise in sich widersprüchlich“ bezeichnet, wozu sich „über Nachfrage“ des Vorsitzenden (auch) der Verteidiger nicht geäußert hat. Mit Blick auf die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei aufgrund der ursprünglichen „Klarstellung durch den Vorsitzenden“ nicht mehr beschwert gewesen, sodass sich der Verteidiger nicht mehr äußern habe müssen, wenngleich „nach dieser Klarstellung (…) im Beratungszimmer zwar noch gesprochen“ worden, der Inhalt dem Verteidiger aber nicht mehr genau erinnerlich sei und er „das Beratungszimmer zufrieden verlassen“ habe können, bleibt anzumerken, dass der im Anschluss an die Vorgänge im Beratungszimmer vom Schwurgerichtshof (nach geheimer Beratung) gefasste Beschluss, den Geschworenen die Verbesserung des Wahrspruchs ohne Änderung der Fragestellung aufzutragen, nach Wiedereröffnung der Verhandlung verkündet wurde (wenngleich dies im Gesetz nicht vorgesehen ist [vgl Philipp, WK‑StPO § 332 Rz 2; RIS‑Justiz RS0116945]) und der Verteidiger (auch) „diesbezüglich kein Erklären“ abgegeben hat (ON 70 S 70).
Im Übrigen ist klarzustellen, dass die als Argument für das angebliche Vorliegen eines Widerspruchs des Beschwerdeführers ins Treffen geführte sinngemäße Frage des Verteidigers „Wo soll denn hier ein Widerspruch vorliegen? Lesen Sie den Wahrspruch bzw. die Niederschrift bitte nochmals vor, der ist klar.“, ohnehin nicht einer ausdrücklichen und unmissverständlichen Verwahrung gegen die Durchführung eines Moniturverfahrens entsprochen hätte (vgl zum Widerspruch nach § 281 Abs 1 Z 2 StPO RIS‑Justiz RS0099326; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 191).
Mit Tatsachenrüge (Z 10a) sind nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) bekämpfbar. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Schuldberufung im Einzelrichterverfahren einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz RS0119583).
Indem die Beschwerde das Aussageverhalten des Zeugen Roland P***** sowie die Sachverständigengutachten kritisiert und behauptet, letztere würden von falschen Annahmen ausgehen und die Sachverständigen hätten mit dem Angeklagten nie gesprochen, gelingt es ihr nicht, aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen.
Mit dem abermaligen Vorbringen, der Angeklagte habe sich mangels rechtzeitiger Gewährung von Akteneinsicht nicht ordnungsgemäß auf die Hauptverhandlung vorbereiten können, das Projektil seiner Waffe sei an der falschen Stelle gesucht worden, der Fundort der Patronenhülse könne nicht stimmen, das Gericht habe ihm keine Protokolle übermittelt und er habe „einhändig aus 'hockender' Position geschossen“, sei auf den Bauch gefallen und auf der Waffe gelegen, wobei seine Angaben nicht protokolliert worden seien, wird der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund von vornherein nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht (RIS‑Justiz
Die Rechtsrüge geht nicht von den im (verbesserten) Wahrspruch der Geschworenen zu 1./ enthaltenen Tatsachen aus, sondern leitet die angestrebte rechtliche Konsequenz eines Freispruchs unzulässig daraus ab, dass die Geschworenen die Hauptfrage 1 im ursprünglichen Wahrspruch verneint haben (RIS‑Justiz
Entgegen der Sanktionsrüge (Z 13 erster Fall) ist die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe (§§ 31, 40 StGB) zu einer verhängten Freiheitsstrafe zulässig (RIS-Justiz RS0089908; Ratz in WK² StGB § 40 Rz 1 letzter Absatz iVm § 31 Rz 10).
Die Nichtigkeitsbeschwerde (zu unzulässigen Neuerungen in der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur vgl RIS‑Justiz RS0097061) war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Auf die vom Angeklagten verfassten handschriftlichen Eingaben vom 21. und 22. November 2016 (ON 78 und 81) war keine Rücksicht zu nehmen, weil § 285 Abs 1 erster Satz StPO ausdrücklich nur eine einzige Ausführung der Beschwerdegründe zulässt, der ausgewiesene Verteidiger eine solche prozessordnungsgemäß eingebracht hat und daher nur diese maßgeblich ist (RIS‑Justiz RS0100175, RS0100046; Ratz , WK-StPO § 285 Rz 7).
Anzumerken ist, dass der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 2 zu Unrecht der Qualifikation nach § 269 zweiter Halbsatz StGB subsumiert wurde (§ 345 Abs 1 Z 12 StPO), weil die festgestellte Abgabe eines gezielten Schusses aus einer Pistole auf den Polizisten Roland P***** mit dem Vorsatz, diesen „mit Gewalt an einer Amtshandlung“, nämlich der Festnahme des Angeklagten zu hindern, rechtlich nicht als schwere Nötigung im Sinn der (hier allein in Betracht kommenden) ausschließlich auf gefährliche Drohungen abstellenden § 106 Abs 1 Z 1 StGB gewertet werden kann. Vielmehr stellt die Abgabe von Schüssen auf den Körper eines anderen eine Gewaltanwendung dar (RIS‑Justiz RS0095826; Danek in WK2 StGB § 269 Rz 63), sodass lediglich § 269 Abs 1 erster Halbsatz StGB verwirklicht wurde.
Für eine Maßnahme nach §
290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bestand kein
Anlass, weil die verfehlte Subsumtion auf den
Strafrahmen keinen Einfluss hatte
und die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) bei der Strafbemessung zu Recht als Erschwerungsgrund herangezogen wurde. Die dazu erfolgte aggravierende Wertung des Zusammentreffens von vier (statt drei) Verbrechen mit mehreren Vergehen (US 3) spricht dabei nur das Gewicht des Erschwerungsgrundes an (RIS‑Justiz RS0116878 [T2]), sodass über die unrichtige Lösung der Rechtsfrage hinaus eine Benachteiligung des Angeklagten im konkreten Fall nicht gegeben ist (Ratz, WK-StPO §
290 Rz 22 ff). An die fehlerhafte Subsumtion ist das Oberlandesgericht bei seiner Berufungsentscheidung nicht gebunden (RIS‑Justiz
RS0118870; Ratz, WK-StPO §
290 Rz 27/1).
Die ausschließlich gegen die Ergänzung der– unmittelbar in das Hauptverhandlungsprotokoll (vgl aber § 332 Abs 6 StPO) aufgenommenen – Protokollierungen zur Einleitung des Moniturverfahrens gerichtete Beschwerde gegen den (auch die Berichtigung einer im Hauptverhandlungsprotokoll enthaltenen Antwort des Angeklagten umfassenden) Beschluss des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs war zurückzuweisen, weil das Moniturverfahren nicht zur Hauptverhandlung zählt (vgl §§ 319, 340 StPO; RIS‑Justiz RS0116945; Philipp , WK‑StPO § 332 Rz 2), weshalb der Verlauf desselben nicht Gegenstand des „über die Hauptverhandlung“ aufzunehmenden Protokolls ist (§ 271 Abs 1 StPO), (nur) für das gemäß § 271 Abs 7 StPO eine beschlussförmige und mit Beschwerde bekämpfbare Berichtigung vorgesehen ist (vgl Ratz , WK‑StPO § 285 Rz 4; zur Protokollierung von Rechtsmittelerklärungen nach beendeter Hauptverhandlung siehe auch RIS‑Justiz RS0125616; 13 Os 34/16y [13 Os 35/16w]). Der gegenständlichen Beschwerde fehlt daher der für dieses Rechtsmittel geforderte Bezugspunkt eines Beschlusses nach § 35 Abs 2 erster Fall StPO.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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