OGH 5Ob252/15t

OGH5Ob252/15t22.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H* K*, vertreten durch Greiter, Pegger, Kofler & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei H* GesmbH, *, vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. November 2015, GZ 2 R 153/15i‑21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 14. August 2015, GZ 17 Cg 140/14a‑17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E114261

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Kläger ist seit 1998 in seiner Ordination als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe tätig. Das auf Ärzte spezialisierte beklagte Versicherungsmakler‑unternehmen war aufgrund eines Maklervertrags seit diesem Zeitpunkt für den Kläger tätig. Dieser schloss 2001 über Empfehlung der beklagten Partei eine Bündelversicherung bei einem Versicherungsunternehmen ab, die auch eine Berufshaftpflichtversicherung umfasste.

Die beklagte Partei wusste, dass der Kläger im Fachbereich der Pränataldiagnostik tätig war. Vor Abschluss der Bündelversicherung sprach der für den Kläger zuständige Betreuer der beklagten Partei das Problem der Haftung von Gynäkologen und Geburtshelfern im Fall unzureichender Aufklärung und Geburt eines behinderten Kindes („wrongful birth“) an. Er erklärte dem Kläger, dass Kosten im Zusammenhang mit Wrongful‑Birth‑Fällen als Vermögensschäden unter die Haftpflichtversicherung fallen. Er wies nicht darauf hin, dass die im bestehenden Versicherungsvertrag mit einem anderen Unternehmen festgesetzte Versicherungssumme von 2.000.000 Schilling für reine Vermögensschäden unzureichend sei. Jedoch regte er an, eine Umstellung in den Rahmenvertrag der zuständigen Ärztekammer zu überlegen.

Beim nächsten Termin am 22. 11. 2001 zeigte der Betreuer dem Kläger einen Leistungsvergleich über Ärztebündelversicherungen, die auch Haftpflicht‑versicherungen erfasste. Der Kläger wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, bei einem Versicherungsunternehmen reine Vermögensschäden bis zu 15.000.000 Schilling (rd 1.090.092 EUR) versichern zu können. Am 11. 7. 2001 kam es zu einer weiteren Besprechung über den Versicherungswechsel. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass der Kläger als Gynäkologe wünschte, eine höhere Versicherungssumme als bisher für Vermögensschäden zu erhalten. Sein Betreuer empfahl ihm den Abschluss bei dem bereits vorgeschlagenen Versicherungsunternehmen und erklärte ihm auch die unterschiedlichen Prämienhöhen je nach gewählter Versicherungssumme.

Die am 31. 7. 2001 ausgestellte Polizze hielt fest, dass die reinen Vermögensschäden mit einer Summe von 5.000.000 Schilling/363.364,17 EUR versichert waren. Diese Versicherungssumme wurde im Zuge der Euroumstellung auf 400.000 EUR erhöht. Die Polizze sowie die zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen wurden dem Kläger übermittelt.

Es kann nicht festgestellt werden, ob der Betreuer eine Versicherungssumme in der Höhe von 5.000.000 Schilling empfahl oder der Kläger diese Summe wählte, weil er keine höhere Prämie zahlen wollte. Ebenso wenig lässt sich feststellen, ob der Kläger eine Versicherung mit einer Deckungssumme von 15.000.000 Schilling gewählt hätte, die man ihm deshalb empfohlen hätte, weil allfällige Schadenersatzansprüche aus „wrongful birth“ 5.000.000 Schilling übersteigen könnten. Theoretisch mögliche Schadenssummen wurden bei dem Gespräch nicht erörtert.

In den Folgejahren besprach der Betreuer bis 2007 jährlich (ausgenommen 2003) mit dem Kläger dessen Versicherungsstand. Es sollte geklärt werden, ob der Versicherungsschutz ausreichend war oder Bedarf nach Änderungen bestand. Im Dezember 2002 wurde die Versicherungssumme wegen des Währungswechsels auf 400.000 EUR erhöht. Die neue Polizze wurde am 17. 12. 2002 ausgestellt. Sie hielt auf Seite 2 fest, dass für reine Vermögensschäden die Versicherungssumme 400.000 EUR betrug. Polizze und Bedingungen wurden dem Kläger übermittelt. Eine dem Kläger im Februar 2002 übermittelte Leistungsvergleichstabelle zur Haftpflichtversicherung hielt fest, dass eine Erhöhung der Deckungssumme auf 15.000.000 Schilling möglich sei. Im Jahr 2004 bezeichneten Unterlagen der beklagten Partei das Prämien‑ und Leistungsverhältnis als sehr gut. Unter der Voraussetzung, dass sich die Risikosituation nicht geändert habe, wurde empfohlen, den Vertrag unverändert fortzuführen. Die letzte Besprechung ‑ soweit für dieses Verfahren relevant ‑ fand am 15. 11. 2006 statt.

Bei keiner dieser Besprechungen nach Abschluss der Bündelversicherung wurde das Problem einer ausreichenden Versicherungsdeckung besprochen. Höhere Deckungssummen für Vermögensschäden wurden dem Kläger nicht empfohlen, er fragte auch nicht danach.

Erstmals im Jahr 1990 hatte sich der Oberste Gerichtshof mit einer Schadenersatzklage nach „wrongful birth“ zu befassen. 1990 und 1995 wurden derartige Schadenersatzklagen schon deshalb abgewiesen, weil eine ausreichende Aufklärung erfolgt sei. Ob die Geburt eines behinderten Kindes einen ersatzfähigen Schaden darstellt, musste der Oberste Gerichtshof daher nicht klären. 1999 hielt er erstmals fest, dass die Geburt eines gesunden, aber nicht gewünschten Kindes, nie Ursache für einen ersatzfähigen Vermögensschaden sein könne, den Eltern eines behinderten Kindes aber der dadurch bedingte Unterhaltsmehraufwand als Schadenersatz zustehe. Im Oktober 2003 sprach er aus, dass der Arzt grundsätzlich für eine unerwünschte Geburt eines behinderten Kindes bei Unterlassung der gebotenen Aufklärung hafte, verneinte aber im konkreten Fall eine Ersatzpflicht des Arztes. Am 7. 3. 2006 sprach der Oberste Gerichtshof erstmals aus, dass den Eltern eines behinderten Kindes bei Verletzung der Aufklärungspflicht Schadenersatz in Höhe des gesamten Unterhalts für das behinderte Kind zustehe. Diese Frage war in den vorangegangenen Entscheidungen aus 1999 und 2003 nicht abschließend zu klären gewesen, weil die betroffenen Eltern nur den Unterhaltsmehraufwand eingeklagt hatten. In der juristischen Diskussion war diese Frage aber bereits seit dem Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1999 diskutiert worden.

Der Betreuer wies den Kläger bei der Besprechung vom 15. 11. 2006 nicht darauf hin, dass aufgrund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 7. 3. 2006 bei einem behinderten Kind nicht nur der Mehraufwand, sondern der gesamte Unterhalt zu zahlen sei und deshalb eine Erhöhung der Deckungssumme zu empfehlen sei. Der Kläger sprach dieses Thema nicht an und fragte nicht, ob er eine höhere Versicherungssumme wählen könne. Wäre er auf die Änderung der Rechtsprechung, das sich daraus ergebende haftungsmäßige Risiko und die Möglichkeit der Deckung von 1.100.000 EUR hingewiesen worden, hätte er den Vertrag entsprechend adaptiert und eine höhere Versicherungssumme gewählt, die ihm für den ‑ hier relevanten ‑ Schadensfall zur Verfügung gestanden wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, ob der Kläger die ihm von der beklagten Partei zur Verfügung gestellten Urkunden nie las und ob es ihm daher deshalb nicht auffiel, dass er mit einer Deckungssumme von 400.000 EUR versichert war und eine höhere Versicherungssumme möglich war.

Am 10. 1. 2007 suchte eine Patientin, die dann am 12. 8. 2007 ein schwer behindertes Kind zur Welt brachte, erstmals die Ordination des Klägers auf. Aufgrund ihres Alters und der Einnahme der Pille hatte die Patientin Angst, ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen, was sie dem Kläger schon beim ersten Termin mit der Bitte mitteilte, alles zu veranlassen, um ein behindertes Kind auszuschließen. Der Kläger bemerkte aus seinen Befunden zunächst keinerlei Auffälligkeiten und beruhigte die Patientin, die ihm immer wieder ihre Angst vor der Geburt eines behinderten Kindes schilderte. Im Jahr 2010 brachten die Eltern des behinderten Kindes eine Schadenersatzklage auf Zahlung und Feststellung ein. Geltend gemacht wurde nicht nur der behinderungsbedingte Unterhaltsmehraufwand, sondern der gesamte Unterhalt. Das Teil‑ und Zwischenurteil, das dem damaligen Vertreter des Klägers am 13. 5. 2011 zugestellt wurde, gab dem Feststellungsbegehren sowie dem Leistungsbegehren dem Grunde nach statt. Dem Kläger wurde eine Verletzung der Aufklärungspflicht deshalb vorgeworfen, weil er der Mutter während der Schwangerschaft die Durchführung einer Fruchtwasseruntersuchung nicht empfohlen hatte. Er haftet für den Ersatz des bisherigen (gesamten) Unterhalts‑ und des Pflegeaufwands sowie für sämtliche künftig entstehenden Unterhalts‑ und sonstige Aufwendungen, Pflegeleistungen und alle Vermögensnachteile im Zusammenhang mit Obsorge und Pflege des Kindes.

Das Oberlandesgericht Innsbruck bestätigte dieses Urteil. Sämtliche Feststellungen des Erstgerichts wurden übernommen. Die Berufungsentscheidung wurde dem Rechtsvertreter des Klägers am 6. 10. 2011 zugestellt. Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision des Klägers zurück. Die Entscheidung wurde im April 2012 zugestellt.

Spätestens im April 2011 wusste der Kläger, dass die Versicherung nur Schadenersatzzahlungen bis zu 400.000 EUR abdeckt. Im November 2014 waren von der Versicherungssumme bereits 285.179,15 EUR für Ersatzansprüche des Kindes verbraucht. Bereits im Juni 2012 kündigte er den Geschäftsführern der beklagten Partei an, diese wegen der Unterversicherung in Anspruch zu nehmen. Mit Schreiben vom 28. 8. 2013 und 2. 9. 2013 legte er diesen Standpunkt neuerlich dar. Der Haftpflichtversicherer der beklagten Partei lehnte mit Schreiben vom 24. 9. 2013 eine Haftung ab.

In der am 29. 12. 2014 eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass die beklagte Partei bis zu einem Höchstbetrag von 1.100.000 EUR für sämtliche Zahlungen, die der Kläger aufgrund des Zwischenurteils des Landesgerichts Innsbruck vom 19. 5. 2011 zu leisten habe, sowie für die Kosten der Abwehr von unberechtigten Schadenersatzansprüchen insoweit hafte, als dafür aus der Bündelversicherung keine Deckung bestehe. Er sei nicht über die Wrongful‑Birth‑Problematik und die daraus resultierenden immensen Schadenersatzforderungen oder den unzureichenden Versicherungsschutz informiert worden. Er sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass eine Deckungssumme von jedenfalls 1.100.000 EUR verfügbar und der Abschluss einer Versicherung in diesem Ausmaß unbedingt erforderlich seien. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung, Beratung und Risikoanalyse hätte er eine Haftpflichtversicherung mit einer Deckungssumme von zumindest 1.100.000 EUR abgeschlossen. Auf mehrfaches Fragen, ob sein Versicherungsschutz ausreichend sei, sei ihm erklärt worden, dass eine höhere Versicherung nicht verfügbar sei. Da er die Unterlagen nicht gelesen habe, sei ihm der Hinweis in den Versicherungsbedingungen nicht aufgefallen, wonach Vermögensschäden bis zu 1.100.000 EUR versicherbar seien. Eine Erhöhung der Versicherungssumme hätte insbesondere nach Änderung der Judikatur im Jahr 2006 über den Ersatz des gesamten Unterhalts erfolgen müssen. In der Branche sei bekannt gewesen, dass sich Schäden aus dieser Problematik im siebenstelligen Bereich bewegten. 2004 sei ausdrücklich die Beibehaltung des Versicherungsvertrags empfohlen worden. Sein Schadenersatzanspruch sei nicht verjährt. Bislang sei ihm noch gar kein Schaden entstanden. Er habe erst erfahren, dass er aufgrund des zu geringen Versicherungsschutzes in der Zukunft wahrscheinlich einen Schaden allein tragen müsse, nachdem sein damaliger Rechtsvertreter ihn von der Erfolglosigkeit der außerordentlichen Revision informiert habe.

Die beklagte Partei berief sich auf Verjährung, ausreichende Aufklärung und ein Mitverschulden des Klägers. Die Wrongful‑Birth‑Thematik und die Möglichkeit einer Versicherungssumme von 1.100.000 EUR seien mit dem Kläger ausführlich und wiederholt diskutiert worden. Dieser habe stets mit Hinweis auf höhere Prämienzahlungen eine Erhöhung der Versicherungssumme ausdrücklich abgelehnt. Der Kläger habe sich schon im Jahr 2001 gegen die höchst mögliche Versicherungssumme von 15.000.000 Schilling (rund 1.090.000 EUR) entschieden. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs habe im Jahr 2006 insbesondere bei Gynäkologen für großes Aufsehen gesorgt. Der Kläger hätte als praktizierender Gynäkologe über seine Standesvertretung bzw die unzähligen hiezu erschienenen Zeitungsberichte besser über die Wrongful‑Birth‑Thematik und die daraus folgenden Konsequenzen für Ärzte Bescheid wissen müssen als die beklagte Partei. Er hätte daher selbst die Initiative ergreifen und eine Erhöhung der Versicherungssumme ansprechen müssen. Spätestens mit der Zustellung der von den Eltern eines behinderten Kindes eingebrachten Schadenersatzklage im Jahr 2010 hätte er erkennen müssen, dass die Versicherungssumme ausgeschöpft werden könnte, worauf ihn sowohl die beklagte Partei als auch der zuständige Schadensreferent des Versicherungsunternehmens hingewiesen hätten. Die unzureichende Deckung sei jedenfalls mit Zustellung des Urteils erster Instanz im Jahr 2011 klargestellt worden.

Das Erstgericht gab der Feststellungsklage statt. In seiner rechtlichen Beurteilung hielt es zunächst fest, dass der beklagten Versicherungsmaklerin zum Zeitpunkt der Begründung des Vertragsverhältnisses 2001 keine Sorgfaltsverletzung vorzuwerfen sei. Sie habe aber ihre in den §§ 137 ff Gewerbeordnung (GewO) normierten Dokumentationspflichten verletzt. Analog zur Rechtsprechung zu § 51 ÄrzteG greife eine Beweislastumkehr auch bei der Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten. Es gehe daher zu Lasten der beklagten Partei, dass ein Deckungskonzept über 5.000.000 Schilling nicht dokumentiert sei. Es könne aber dahingestellt bleiben, ob das Deckungskonzept bei einer Versicherungssumme in dieser Höhe bis 2006 unangemessen gewesen sei. In diesem Jahr habe sich die Situation grundlegend geändert. Erstmals sei in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 7. 3. 2006 ein Schadenersatz in Höhe des ganzen Unterhalts zugesprochen worden. Bei einer theoretischen Lebenserwartung von 75 Jahren wären aus der Versicherungssumme monatlich 444,44 EUR zu zahlen. Es liege auf der Hand, dass dies für lebenslange Zahlungen des gesamten Schadens zu gering sei. Die beklagte Partei hätte den Kläger daher diese Judikatur nachdrücklich klar machen und eine höhere Versicherungssumme empfehlen müssen. Sie habe dies nicht getan und damit gegen ihre in § 28 Z 7 MaklerG normierte Verpflichtung verstoßen, die laufende Überprüfung der bestehenden Versicherungsverträge vorzunehmen. Mitverschuldens‑ und Verjährungseinwand seien nicht berechtigt. Die beklagte Partei habe keine Urkunden über das Haftungsrisiko übermittelt, deren „Nicht lesen“ dem Kläger vorgeworfen werden könnte. Dem Kläger sei zuzubilligen, den Ausgang des Vorprozesses über die Klärung der Haftungsfrage abzuwarten. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Vorprozess sei erst im April 2012 zugestellt worden, weshalb die am 29. 12. 2014 rechtzeitig eingebrachte Klage die Verjährungsfrist unterbrochen habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Rechtlich folgerte es, dass die beklagte Versicherungsmaklerin, deren Haftungsmaßstab sich nach § 1299 ABGB richte, zur Wahrung der Interessen ihres Versicherungskunden im Sinn des § 27 MaklerG verpflichtet gewesen sei. Nach § 28 MaklerG bestünden diese Pflichten in der Erstellung einer angemessenen Risikoanalyse und eines angemessenen Deckungskonzepts (Z 1), der Vermittlung des nach den Umständen des Einzelfalls bestmöglichen Versicherungsschutzes (Z 3) und der Überprüfung der bestehenden Versicherungsverträge sowie gegebenenfalls Unterbreitung geeigneter Vorschläge für eine Verbesserung des Versicherungsschutzes (Z 7). Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 7. 3. 2006, mit der den Eltern eines behinderten Kindes Schadenersatz in Höhe des ganzen Unterhalts und nicht ‑ wie bisher ‑ lediglich der behinderungsbedingte Unterhaltsmehraufwand zugesprochen worden sei, habe zwar dem Grunde nach zu keiner Risikoerhöhung für Gynäkologen geführt, wohl aber zu einer deutlichen Erhöhung der in Betracht kommenden Schadenssumme. Die beklagte Partei habe bei der jährlichen Besprechung am 15. 11. 2006 diese Entscheidung gekannt. Sie hätte den Kläger nach § 28 Z 7 MaklerG aus Anlass der Entscheidung auf die für solche Fälle nicht ausreichende Deckungssumme von 400.000 EUR hinweisen und ihm eine Erhöhung auf 1.100.000 EUR empfehlen müssen. Die schwangere Patientin habe die Ordination des Klägers am 10. 1. 2007 aufgesucht, weshalb frühestens mit diesem Tag ein sorgfaltswidriges Handeln des Arztes eingesetzt haben könne. Im Fall der Erhöhung der Versicherungssumme auf 1.100.000 EUR wäre für den Schadensfall eine derartige Versicherungssumme zur Verfügung gestanden. Zu Recht habe das Erstgericht ein Mitverschulden des Klägers verneint. Die Möglichkeit, die Deckung der Summe auf 15.000.000 Schilling zu erhöhen, sei ihm zwar grundsätzlich bekannt gewesen, aber in keinem der jährlichen Gespräche empfohlen worden. Er habe daher ‑ mangels anderer Anhaltspunkte ‑ davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte seine Interessen wahren werde und ihm eine höhere Versicherung empfehlen werde, sollte dies erforderlich sein.

Der Schadenersatzanspruch sei nicht verjährt. Seit der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 621/95 werde in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass die kurze Verjährungsfrist nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginne. Bestehe Ungewissheit darüber, ob überhaupt ein Schaden entstanden sei und sei über diese Frage ein Rechtsstreit anhängig, sei auf die Rechtskraft der Gerichtsentscheidung abzustellen, weil erst dann der Schadenseintritt (die Zahlungspflicht des Schadenersatzberechtigten) „unverrückbar“ feststehe und ausreichend sichere Informationen für eine Schadenersatzklage verfügbar seien. Dem Kläger sei beizupflichten, dass Schäden in seinem Vermögen bislang noch nicht eingetreten seien. Die an die Eltern des behinderten Kindes zu leistenden Zahlungen hätten bisher noch in der bestehenden Haftpflichtversicherungssumme von 400.000 EUR Deckung gefunden.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist entgegen dem nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig. Sie ist auch in der Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.

1. Die Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB beginnt zu laufen, wenn dem Geschädigten die Person des Schädigers bekannt geworden sind. Seit der Entscheidung eines verstärkten Senats (1 Ob 621/95 = SZ 68/238) wird in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass diese kurze Verjährungsfrist nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginnt (RIS‑Justiz RS0083144). Besteht Ungewissheit darüber, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist, und ist über diese Frage ein Rechtsstreit anhängig, ist auf die Rechtskraft der Entscheidung abzustellen, weil erst dann der Schadenseintritt (die Zahlungspflicht des Regressberechtigten) „unverrückbar“ feststeht (8 Ob 501/96; 1 Ob 162/07s) und ausreichend sichere Informationen für eine Schadenersatzklage zur Verfügung stehen (3 Ob 70/03w = SZ 2003/154; 1 Ob 12/05d = ecolex 2005, 531; 10 Ob 111/07g; RIS‑Justiz RS0083144 [T14]).

1.1 Dies gilt nach der Rechtsprechung nur dann nicht, wenn der Geschädigte versucht, den Beginn der Verjährung durch die Ergreifung offenbar aussichtsloser Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe hinauszuschieben. Er darf bis zu der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwarten, wenn objektiv Unklarheit über seine Haftung besteht (1 Ob 12/05d; 1 Ob 162/07s; 1 Ob 203/11a).

1.2 Die beklagte Partei setzt den Beginn der Verjährung spätestens mit der Zustellung des Berufungsurteils im Vorprozess (6. 10. 2011) an. Bereits im April 2011 habe der Kläger die Tatsache der Unterversicherung gekannt. Die Eltern eines behinderten Kindes hätten in einem Wrongful‑Birth‑Fall im April 2010 Schadenersatzansprüche geltend gemacht. Die Haftung des Klägers sei daher bereits mit der Zustellung des Berufungsurteils festgestanden, weil die außerordentliche Revision aufgrund der nicht bekämpfbaren Sachverhaltsfeststellungen aussichtslos gewesen sei.

1.3 Der Oberste Gerichtshof ist Rechts‑ und nicht Tatsacheninstanz, weshalb Fragen der Beweiswürdigung grundsätzlich nicht an ihn herangetragen werden können. Die Entscheidung, ob einem Arzt im Rahmen der Pränataldiagnostik ein Aufklärungsfehler vorzuwerfen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, was einen gewissen Spielraum im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ermöglicht. Sachverhaltsfeststellungen geben daher nicht in jedem Fall zwingend das Ergebnis des Obersten Gerichtshofs vor, ob ein Arzt haftet oder nicht.

1.4 Die Haftung des Klägers aus wrongful birth stand erst mit Zustellung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Vorprozess (April 2012) endgültig fest. Der Schaden ist erst zu diesem Zeitpunkt eingetreten, weshalb die am 29. 12. 2014 eingebrachte Schadenersatzklage gegen seine Versicherungsmaklerin innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB erhoben wurde.

2. Der Oberste Gerichtshof hat im Fall einer Beratung des Versicherungskunden durch einen Versicherungsagenten, dessen Fehlverhalten nach § 1313a ABGB dem Versicherer zugerechnet wurde, eine Verletzung der nachvertraglichen Aufklärungs‑ und Warnpflicht aus dem Versicherungsvertrag für die Zeit nach der ersten österreichischen Entscheidung zur Wrongful‑Birth‑Problematik im Jahr 1999 bejaht. Der Versicherer hafte der Versicherungsnehmerin, deren Wunsch nach einem umfassenden Versicherungsschutz dem Versicherungsagenten bekannt gewesen sei, für die nicht ausreichende Deckung der nur mit 100.000 Schilling versicherten Schäden aus einem Wrongful‑Birth‑Fall. Der Versicherungsagent müsse zwar nicht prüfen, ob die Versicherung das erkennbare Versicherungsbedürfnis voll abdecke. Er müsse aber Fehlvorstellungen des Versicherungsnehmers über den Deckungsumfang richtig stellen (7 Ob 72/11f = JBl 2012, 457 [kritisch: Schopper]).

2.1 Als Fachmann auf dem Gebiet des Versicherungswesens war es Hauptaufgabe des beklagten Versicherungsmaklerunternehmens, ihrem Auftraggeber (Kläger) mit Hilfe ihrer Kenntnisse und Erfahrungen den bestmöglichen, Bedarf und Notwendigkeit entsprechenden Versicherungsschutz zu verschaffen (RIS‑Justiz RS0118893; 7 Ob 156/14p; 7 Ob 33/15a). Es galt für sie der Haftungsmaßstab nach § 1299 ABGB (10 Ob 89/04t; Griss in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 28 MaklerG Rz 3). Ihre Informations‑ und Beratungspflichten hingen nicht von einem ausdrücklichen spezifischen Wunsch des klagenden Versicherungsnehmers nach einem bestmöglichen Versicherungsschutz ab. An sie waren deshalb strengere Anforderungen zu stellen als an einen Versicherungsagenten, für dessen Fehlverhalten der Versicherer dem Versicherungsnehmer als Vertragspartner aus dem Versicherungsvertrag haftet.

2.2 Die beklagte Partei zieht die Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht in Zweifel, dass der Maklervertrag sie auch nach dem Abschluss des Versicherungsvertrags zu einem Best-Risk-Management im Interesse des Klägers verpflichtete. Sie sieht aber im konkreten Fall diese (in § 28 Z 7 MaklerG positivierte) nachvertragliche Pflicht als nicht verletzt, weil überspannt. Sie kann sich ihrer Informations‑ und Aufklärungspflicht aber nicht mit dem Argument entziehen, es sei einem Versicherungsmakler nicht zumutbar, laufend alle veröffentlichten Gerichtsentscheidungen, die zu einer Risikoerhöhung eines Kunden führen könnten, zu studieren und alle Kunden sofort nach Veröffentlichung der OGH‑Entscheidung von den Konsequenzen zu verständigen.

2.3 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann von einem Makler nämlich erwartet werden, über einschlägige Probleme Bescheid zu wissen und richtige Auskünfte zu erteilen (1 Ob 209/02w mwN). Als auf Ärzte spezialisierte Versicherungsmaklerin musste die beklagte Partei eine Wrongful‑Birth‑Entscheidung, die ‑ notorisch ‑ im Jahr 2006 für breites mediales Interesse und Aufsehen unter Ärzten insbesondere Gynäkologen sorgte, besonders berücksichtigen. Die Bekanntgabe der Entscheidung reicht für die Erfüllung ihrer Pflichten nicht aus, geht es doch um die Verpflichtung des Versicherungsmaklers zu einem Best‑Risk‑Management, somit die Prüfung, ob die Erhöhung des versicherten Risikos als Folge der Judikaturwende eine Erhöhung der Versicherungssumme empfehlenswert macht.

2.4 Die 1999 erstmals in Österreich bejahte Haftung eines Gynäkologen für wrongful birth war der beklagten Partei nach den Feststellungen der Vorinstanzen bekannt. Dieses Thema wurde schon im Jahr 2001 anlässlich des Versicherungswechsels und Abschlusses der Ärztebündelversicherung einschließlich der Haftpflichtversicherung besprochen. Als spezialisiertes Versicherungsmaklerunternehmen, das von der Tätigkeit des Klägers im Rahmen der Pränataldiagnostik wusste, wäre die beklagte Partei verpflichtet gewesen, ihren Vertragspartner auf die Änderung der Rechtsprechung mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 7. 3. 2006 hinzuweisen und den bestehenden Versicherungsschutz zu diskutieren, weil der Zuspruch des gesamten Unterhalts für ein behindert geborenes Kind eine wesentliche Risikoerhöhung zur Folge hatte. Die beklagte Partei behauptet nicht, dass die Entscheidung ihr bzw dem zuständigen Betreuer bei der letzten Besprechung am 15. 11. 2006 nicht bekannt gewesen wäre. In der Revision verweist sie sogar selbst darauf, noch im Jahr 2006 sämtliche Kunden auf die Änderung der Rechtsprechung hingewiesen zu haben.

2.5 Die Vorinstanzen haben der beklagten Partei daher zutreffend eine Verletzung nachvertraglicher Aufklärungspflichten zur Last gelegt. Diese war kausal für den Schaden, weil der Kläger nach den Feststellungen bei ausreichender Beratung im Jahr 2006 eine höhere Versicherungssumme gewählt hätte, die für den Schadensfall aus wrongful birth zur Verfügung gestanden wäre.

3. Das Mitverschulden im Sinn des § 1304 ABGB setzt nach der ständigen Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0022681) kein Verschulden im technischen Sinn voraus. Es genügt die Sorglosigkeit des Geschädigten gegenüber seinen eigenen Gütern.

3.1 Der Kläger handelte sorglos, wenn er seinen Berater bei den Besprechungen im November 2006 nicht auf die neue Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ansprach und seine Versicherungsdeckung hinterfragte, vorausgesetzt, dass ihm die Änderung der Rechtsprechung bekannt war. Er wusste, dass Schäden aus wrongful birth als reine Vermögensschäden versichert waren, die laut Seite 2 der am 17. 12. 2002 ausgestellten Versicherungspolizze nur mit 400.000 EUR (zuvor 5.000.000 Schilling) versichert waren. Sowohl schriftlich als auch in persönlichen Beratungsgesprächen war er auf die grundsätzlich bestehende Möglichkeit einer höheren Deckung hingewiesen worden. Nach den Feststellungen des Erstgerichts wusste er zwar „spätestens Ende April 2011“ von der Deckung bis 400.000 EUR. Das heißt aber nicht zwingend, dass ihm diese Kenntnis im Jahr 2006 fehlte, zumal die genannte Summe aus der Polizze hervorging. Ein Pränantaldiagnostiker, der weiß, dass der Oberste Gerichtshof nunmehr nicht nur den Unterhaltsmehraufwand, sondern den gesamten Unterhalt in Wrongful‑Birth‑Fällen zuspricht, darf sich nicht passiv verhalten und bei der jährlichen Besprechung mit seinem Versicherungsmakler auf eine ausdrückliche Empfehlung warten. Spricht der Makler die Entscheidung und die Risikoerhöhung nicht selbst an, muss der Versicherungsnehmer zumindest nachfragen, welche Konsequenzen diese Entscheidung für eine ausreichende Versicherungsdeckung hat. Das hat der Kläger nach den Feststellungen der Vorinstanzen unterlassen.

3.2 Sein Mitverschulden kann jedoch noch nicht abschließend beurteilt werden. Feststellungen dazu, ob und ab welchem Zeitpunkt er von der Änderung der Rechtsprechung im Jahr 2006 wusste, fehlen und werden im fortgesetzten Verfahren nachzutragen sein. Das mehrfach erwähnte höchstgerichtliche Urteil wurde ‑ gerichtsnotorisch ‑insbesondere in gynäkologischen Fachkreisen intensiv diskutiert und rief auch allgemein breites mediales Interesse hervor. Ob deshalb die Feststellung der Kenntnis eines Gynäkologen dem typischen Geschehensablauf im Sinn eines Anscheinsbeweises (vgl RIS‑Justiz RS0040274, RS0039895) entspricht, werden die Vorinstanzen zu beurteilen haben. Der Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnis ist entscheidend für die Kausalität des Mitverschuldens. Erfuhr der Kläger erst dann von der Entscheidung, als eine Erhöhung der Versicherungssumme, die den Anfang 2007 eingetretenen Schadensfall gedeckt hätte, nicht mehr möglich gewesen wäre, kommt eine Minderung iSd § 1304 ABGB nicht in Betracht.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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