European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00152.15Y.0119.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig:
Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist das angefochtene Urteil nicht nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (vgl dazu E . Kodek in Rechberger 4 § 477 ZPO Rz 12) nichtig, steht es doch weder mit sich selbst im Widerspruch noch ist es unbegründet oder so unzureichend begründet, dass es sich nicht überprüfen ließe. Der Tatbestand der Selbstwidersprüchlichkeit des Urteils betrifft nur dessen Spruch (10 ObS 233/02s, SSV‑NF 16/138 uva). Auf die Ausführungen der Nebenintervenientin in ihrer Berufung zu einer Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften durch sie selbst ging das Berufungsgericht mit der Begründung nicht ein, es komme darauf nicht an, habe doch der Arbeitskollege des Klägers Arbeitnehmerschutzvorschriften grob fahrlässig außer Acht gelassen. Ob diese Ansicht zutreffend ist, ist ebenso eine Frage der rechtlichen Beurteilung wie jene, ob es für den Anspruch auf Integritätsabgeltung (§ 213a ASVG) rechtlich relevant ist, ob neben dem Schädiger auch der verletzte Versicherte selbst Arbeitnehmerschutzvorschriften grob fahrlässig missachtet hat. Letzteres hat das Berufungsgericht zutreffend verneint (RIS‑Justiz RS0111034). Das Berufungsgericht hat auch zutreffend seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass nicht nur die Übertretung der Arbeitnehmerschutzvorschriften durch Arbeitgeber und ihnen gleichgestellte Personen einen Anspruch auf Integritätsabgeltung begründet, sondern auch eine grob fahrlässige Übertretung durch andere Personen, insbesondere durch Arbeitskollegen des Versicherten, den Anspruch auslösen kann (RIS‑Justiz RS0111032). Eine Frage der rechtlichen Beurteilung der Sache ist ferner die Frage, ob die getroffenen Feststellungen zur Bejahung einer grob fahrlässigen Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutz‑ vorschriften ausreichen oder nicht. Die gesetzmäßige Ausführung einer Beweisrüge erfordert auch die Angabe der Tatsachenfeststellungen, die bei richtiger Beweiswürdigung zu treffen gewesen wären (RIS‑Justiz RS0041835). Das Berufungsgericht führte aus, dass weder die beklagte Partei noch die Nebenintervenientin die Feststellung nenne, die anstelle der bekämpften zu treffen gewesen wäre. Dies sei auch sonst den Ausführungen nicht zu entnehmen. Dass diese Beurteilung unzutreffend ist, wird in der Revision nicht konkret dargetan. Selbst wenn die Begründung nicht richtig wäre, würde dies keine Nichtigkeit im Sinn des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO begründen. Im Übrigen hat das Berufungsgericht (vgl S 6 ff des Berufungsurteils) auch die Richtigkeit der von der Nebenintervenientin bekämpften Feststellung, dass der Kläger im Unfallszeitpunkt noch mit dem Öffnen der Gurte beschäftigt war, als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung bestätigt, sodass auch der erkennende Senat diese Feststellung seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen hat.
Auf die in der Berufung gerügte Aktenwidrigkeit (Punkt III.2.1. der Berufungsschrift) ist das Berufungsgericht auf S 7 seines Urteils eingegangen.
Auf welche begründeten Beweisrügen das Berufungsgericht nicht eingegangen sein soll, führt die Revision nicht aus.
Die Entscheidung hängt von der Lösung der Rechtsfrage ab, ob der Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutz‑ vorschriften verursacht wurde (§ 213a Abs 1 ASVG). Die Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften wird in der Revision nicht in Abrede gestellt. Bekämpft wird die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Arbeitskollege des Klägers solche Vorschriften grob fahrlässig missachtet hat. Da der Unterschied zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit nur aus den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ableitbar ist, stellt die Beurteilung des Verschuldensgrads unter Anwendung der richtig dargestellten Grundsätze, ohne dass ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorliegt, keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (10 ObS 51/13t; SSV‑NF 27/36; RIS‑Justiz RS0105331).
Nach ständiger Rechtsprechung ist grobe Fahrlässigkeit im Sinne der §§ 213a und 334 Abs 1 ASVG dem Begriff der auffallenden Sorglosigkeit im Sinn des § 1324 ABGB gleichzusetzen (RIS‑Justiz RS0030510). Grobe Fahrlässigkeit ist immer dann anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar war (RIS‑Justiz RS0030644). Nicht jede Übertretung von Unfallverhütungsvorschriften bedeutet für sich allein aber bereits das Vorliegen grober Fahrlässigkeit (RIS‑Justiz RS0052197). Bei der Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrads ist auch nicht der Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern der Schwere des Sorgfaltsverstoßes und der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts besondere Bedeutung zuzumessen (RIS‑Justiz RS0085332; RS0031127; RS0030644). Zu prüfen ist, ob nach objektiver Betrachtungsweise ganz einfache und naheliegende Überlegungen in Bezug auf den Arbeitnehmerschutz nicht angestellt wurden (RIS‑Justiz RS0052197 [T7], RS0085228). Der objektiv besonders schwere Sorgfaltsverstoß muss auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen sein (RIS‑Justiz RS0030272).
Es ist auch im Revisionsverfahren nicht strittig, dass es „naheliegend und wohl jedermann einleuchtend ist, dass bei Arbeit mit Holzblochen im Zusammenspiel mit Entladevorgängen eine Verletzungs‑, sogar Lebensgefahr besteht“ (Ersturteil S 6, 9). Wenn sich daher der Fahrer des Laders, so führte das Berufungsgericht aus, nach dem festgestellten Sachverhalt ‑ obwohl er damit habe rechnen müssen, dass sich der Entladearbeiter (Kläger) noch im Nahebereich befinde ‑ vor Beginn seiner Tätigkeit nicht davon überzeugt habe, ob sich noch jemand im Gefahrenbereich aufhält, und durch die Aufnahme seiner Tätigkeit die Gefahr geschaffen habe, die sich im Unfall verwirklicht habe, so habe er damit seine Sorgfaltspflicht in einer besonders gefährlichen Situation in ungewöhnlicher und auffallender Weise vernachlässigt und damit grob fahrlässig gehandelt. Er habe gerade nicht mit seiner gefährlichen Tätigkeit beginnen und sich darauf verlassen dürfen, dass der allenfalls im Gefahrenbereich befindliche Entladearbeiter diesen ohnedies sofort ‑ gleichsam fluchtartig ‑ verlassen würde. Es legte dieser Beurteilung die eben wiedergegebenen Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zugrunde. Seine Beurteilung ist jedenfalls vertretbar.
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