European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E112618
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der
Sachbeschluss
insgesamt lautet:
„Der Antrag, die Zustimmung der Antragsgegner zur geplanten Neuerrichtung und Erweiterung des Personenaufzugs im Haus *, in der Form, dass auf Kosten der Antragstellerin der Liftschacht über die Dachhaut hinaus verlängert wird, um im vierten Obergeschoß in der Wohnung der Antragstellerin einen zusätzlichen Ausstieg zu schaffen, wobei auch Ausstiege im ersten und zweiten Obergeschoß des Hauses errichtet werden, und dazu eine neue Liftanlage entsprechend dem Bescheid des Stadtamts Kitzbühel vom * eingebaut wird, gerichtlich zu ersetzen, wird abgewiesen.
Die Antragstellerin ist schuldig, der 13. Antragsgegnerin binnen 14 Tagen die mit 2.968,42 EUR (darin enthalten 429,74 EUR USt und 390 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller Instanzen zu ersetzen.“
Begründung:
Die Parteien sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft in Tirol. Mit den Miteigentumsanteilen der Antragstellerin ist Wohnungseigentum an einer Maisonettewohnung verbunden.
Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin ließ im Jahr 1980 auf eigene Kosten einen Lift im Liftschacht (allgemeiner Teil des Hauses) einbauen, der vom unteren Halbstock in das dritte Obergeschoß führte. Dort befinden sich die Eingänge zu der Wohnung der Antragstellerin und der zweiten Maisonettewohnung. Diese beiden Wohnungen erstrecken sich jeweils über den dritten und vierten Stock. Der vierte Stock ist jeweils über Innentreppen in den Maisonettewohnungen erreichbar. Der Lift wies keine Haltestellen in den übrigen Stockwerken auf und wurde nur von der Antragstellerin und der Wohnungseigentümerin der zweiten Maisonettewohnung benützt.
Die Antragstellerin plante die Verlängerung der Liftanlage in den vierten Stock mit einer dort in ihrer Wohnung gelegenen Ausstiegstelle. Dies erforderte den Neubau der Liftanlage, weshalb im Jahr 2011 der alte Lift entfernt und eine neue Liftanlage angeliefert wurde. Die zuständige Baubehörde genehmigte die Neuerrichtung des Lifts mit Bescheid vom *. Um diesen Lift errichten zu können, muss der Liftschacht zunächst in das vierte Obergeschoß in die Wohnung der Antragstellerin hinein verlängert und über die Dachhaut geführt werden. Durch den Einbau dieses neuen verlängerten Lifts mit separatem Ausstieg könnte die Antragstellerin in ihrer Maisonettewohnung barrierefrei vom Unter‑ in das Obergeschoß gelangen. Der Gatte ihrer inzwischen verstorbenen Mutter verfügt über ein Wohnrecht an der Wohnung und befindet sich im 76. Lebensjahr. Für den Fall seiner Gebrechlichkeit wäre er in der Lage, mit dem Lift das Obergeschoß der Wohnung zu erreichen. In der Wohnung war ein Treppenlift vorhanden gewesen, der von der Großmutter der Antragstellerin eingebaut worden war. Im Zuge einer Umgestaltung der Wohnung ließ die Mutter der Antragstellerin den Treppenlift entfernen.
Der unterste Einstieg der geplanten Liftanlage liegt vom Eingangsniveau des Hauses aus gesehen einen Halbstock tiefer, der über elf Stufen zu erreichen ist. Die geplanten Ausstiege im ersten, zweiten und dritten Stock befinden sich jeweils auf dem Niveau der dort gelegenen Wohnungseingänge. Vom Eingang aus gesehen ist der Einstieg in den Lift also nicht barrierefrei möglich. Durch den Einbau zusätzlicher Ausstiegsstellen im ersten und zweiten Obergeschoß könnten aber alle Mit‑ und Wohnungseigentümer ihre Wohnungen mit dem Lift erreichen.
Die Antragstellerin begehrt, die Zustimmung der Antragsgegner zur Neuerrichtung des Lifts gerichtlich zu ersetzen. Alle Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG seien erfüllt. Die neue Liftanlage führe weder zu einer Schädigung des Hauses noch beeinträchtige sie schutzwürdige Interessen der anderen Wohnungseigentümer. Der Personenaufzug werde in das vierte Obergeschoß erweitert. Der Liftschacht werde dadurch baulich um ein Geschoß erhöht. Der Schacht werde direkt in die Wohnung der Antragstellerin eingebaut, um dort eine unmittelbare weitere Zugangsmöglichkeit zu schaffen. Dazu müssten die Fußbodendecke und die darüber liegende Wohnungsdecke zu den Dachgeschoßräumlichkeiten sowie die Decke zum Dach hin geöffnet werden, um den Liftschacht auch über die bestehende Dachhaut hinaus zu verlängern. Sie werde dafür sorgen, dass sich der über die Dachhaut hinausragende Liftschacht in die bestehende Dachlandschaft einfüge. Die übrigen Wohnungseigentümer würden mit keinen Kosten belastet.
Die 13. Antragsgegnerin sprach sich gegen die geplante Neuerrichtung des Lifts aus. Es liege kein wichtiger Grund für die Änderung vor. Es sei auch nicht verkehrsüblich, eine Wohnung, die ohnehin bereits im dritten Obergeschoß an den Lift angebunden sei, noch zusätzlich in der darüber liegenden Etage, die nur vom Inneren der Wohnung aus zugänglich sei, an diesen Lift durch eine Verlängerung nach oben anzubinden. Gründe der Bequemlichkeit, um die es hier offenkundig gehe, würden von der Rechtsprechung regelmäßig nicht als wichtig anerkannt. Innerhalb der Wohnung sei ein Treppenlift vorhanden (gewesen), der den zeitgemäßen Anforderungen durchaus genüge. Der vorher vorhandene Lift sei technisch einwandfrei und in Ordnung gewesen. Die Erhöhung des Verkehrswerts sei kein hinreichender Grund für die Genehmigung. Durch die Verlängerung werde das Dach geöffnet. Der erforderliche Aufbau beeinträchtige die äußere Erscheinung des Hauses.
Das Erstgericht gab dem Antrag statt.
Das von der 13. Antragsgegnerin angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
In der rechtlichen Beurteilung hielt es das Bauvorhaben angesichts der Gesamtumstände für genehmigungsfähig. Die Errichtung eines Personenaufzugs sei an sich in einem mehrgeschoßigen Haus verkehrsüblich. Bei der Verkehrsüblichkeit von Änderungen sei zwar mehr an selbstverständliche Versorgungseinrichtungen moderner Wohnungen und weniger an Ausstattungen zur Befriedigung von Luxusbedürfnissen zu denken. Dennoch komme es nicht auf die Verkehrsüblichkeit der betreffenden Maßnahme im Sinn einer ganz allgemeinen, generalisierenden Betrachtung, sondern auf die konkrete Änderung unter Berücksichtigung der bestimmten Beschaffenheit des betreffenden Hauses und seines Umfelds an. Das Haus habe bereits von 1980 bis 2011 über einen Lift verfügt, der vom unteren Halbstock in das dritte Obergeschoß geführt und ausschließlich die beiden Maisonettewohnungen erschlossen habe. Der neue Personenaufzug sehe in allen Etagen Ausstiegsstellen vor und verbessere daher ohne jeden Zweifel die Wohn‑ und Lebenssituation aller Miteigentümer. Es entspreche durchaus der Übung des Verkehrs, dass sämtliche Wohnungen eines mehrgeschoßigen Hauses nach den heute herrschenden Vorstellungen durch einen Personenaufzug erschlossen werden. Dies werde durch das geplante Bauvorhaben erreicht. Es sei daher auch nicht ausgeschlossen, zusätzlich im Interesse und auf Kosten der Antragstellerin den Liftschacht um ein weiteres Geschoß zu erhöhen, um dadurch eine barrierefreie Anbindung auch des oberen Geschoßes der Maisonettewohnung zu erreichen. Die Antragstellerin könne weder auf den vorhanden gewesenen Treppenlift noch auf die fehlende Barrierefreiheit an der untersten Einstiegstelle verwiesen werden, weil dies keine mit der neuen Liftanlage verbundene Änderung der baulichen Situation im Sinn einer Verschlechterung darstelle.
Der ‑ nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof beantwortete ‑ außerordentliche Revision-srekurs der 13. Antragsgegnerin ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach § 16 Abs 2 Z 1 WEG darf die Änderung an einem Wohnungseigentumsobjekt weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer, besonders auch keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses, oder noch eine Gefahr für die Sicherheit von Personen, des Hauses oder von anderen Sachen zur Folge haben. Werden für eine solche Änderung auch allgemeine Teile der Liegenschaft (wie hier: Liftschacht und Dach) in Anspruch genommen, so muss die Änderung überdies entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen (§ 16 Abs 2 Z 2 Satz 1 WEG).
2. Die Beurteilung, ob eine Änderung zu genehmigen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind (RIS‑Justiz RS0083309). Dabei ist dem Rechtsanwender ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt (RIS‑Justiz RS0109643; RS0106050 [T2]). Nur wenn dieser überschritten wird, liegt eine erhebliche Rechtsfrage vor (5 Ob 154/13b; 5 Ob 39/15v). Das ist hier der Fall.
3. Sowohl zur Frage des wichtigen Interesses (RIS‑Justiz RS0083341; RS0083345; RS0083356; RS0106050; RS0108579; RS0110977) als auch der Verkehrsüblichkeit (RIS‑Justiz RS0119528; RS0110976; RS0126244; RS0083345; RS0083375; RS0083378) existiert umfangreiche Judikatur des Obersten Gerichtshofs.
3.1. Für das Vorliegen eines wichtigen Interesses kommt es demnach insbesondere darauf an, ob die beabsichtigte Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (5 Ob 150/14s). Nicht jeder verständliche Wunsch eines Wohnungseigentümers nach Änderung begründet ein wichtiges Interesse (RIS‑Justiz RS0083341). Der Wunsch nach einer luxuriöseren Ausstattung reicht ebenso wenig aus wie die Berufung auf bloße Zweckmäßigkeitserwägungen. Die Wichtigkeit des Interesses ist in Relation zum Ausmaß der Inanspruchnahme allgemeiner Teile zu beurteilen (5 Ob 24/08b mwN). Die Verkehrsüblickeit einer Änderung ist nicht nur nach der allgemeinen Lebenserfahrung, sondern auch nach der Beschaffenheit des betreffenden Hauses und seines Umfelds zu beurteilen (5 Ob 236/11h; 5 Ob 113/15a).
3.2. Nach diesen Kriterien sind die Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG nicht erfüllt:
3.3. Es ist charakteristisch für eine Maisonette, dass sich die Wohnräume zumindest über zwei Geschoße innerhalb der Wohnung erstrecken und die einzelnen Wohnebenen im Inneren der Wohnung durch Treppen verbunden sind. Treppenlifte mögen das ästhetische Empfinden der Bewohner stören, sie erfüllen aber ‑ ebenso wie Plattformlifte im Inneren einer Wohnung ‑ ihren Zweck, gehbehinderte Bewohner zwischen den einzelnen Geschoßen der Wohnung zu befördern. Im Vergleich zu einer derartigen, ebenfalls barrierefreien Ausstattung stellt die Verlängerung eines im allgemeinen Liftschacht geführten Personenaufzugs in das obere Geschoß (nur) einer Maisonettewohnung mit Öffnung der Dachhaut und Errichtung eines über das Dach ragenden Aufbaus einen massiven Eingriff in allgemeine Teile des Hauses dar, der nicht mit dem Wunsch der Antragstellerin nach einer ästhetisch befriedigenderen Lösung zu rechtfertigen ist. Die Änderung lässt sich angesichts der für eine Maisonette typischen baulichen Gestaltung auch nicht mit der nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs verkehrsüblichen Erschließung von eingeschoßigen Etagenwohnungen durch einen Personenaufzug mit Ausstiegsstellen in jedem Stockwerk des Hauses (5 Ob 125/92; 5 Ob 93/06x) vergleichen.
3.4 Es soll durch die geplante Verlängerung des Lifts in den vierten Stock nur eine separate Ausstiegsstelle geschaffen werden, die innerhalb der Maisonette (im Obergeschoß) der Antragstellerin liegt und eine barrierefreie Verbindung zwischen den Wohnebenen herstellt. Die Bewohner der anderen Maisonette sind hingegen weiterhin auf die Innentreppe angewiesen. Diese Umgestaltung ausschließlich zum Nutzen einer von zwei Maisonetten ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht deshalb als verkehrsüblich anzusehen, weil im betroffenen Ort oder dessen Umgebung Gebäude (gerichtsnotorisch) besonders hochwertig ausgestattet würden. Eine solche Ausstattung ließe nämlich gerade erwarten, dass sämtliche Dachgeschoßmaisonetten eines Gebäudes über Lifte in allen Geschoßen der Wohnung verfügen.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG. Es entspricht der Billigkeit, der 13. Antragsgegnerin, die mit ihrem Rechtsstandpunkt zur Gänze durchgedrungen ist, die Kosten aller Instanzen zuzusprechen. Die Voraussetzungen für den Zuspruch eines Streitgenossenzuschlags nach § 15 RATG sind allerdings nicht erfüllt: Der eingeschrittene Rechtsanwalt vertritt nur die 13. Antragsgegnerin, der als Gegenpartei eine Antragstellerin gegenübersteht.
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