OGH 7Ob63/15p

OGH7Ob63/15p30.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. D***** W***** und 2. F***** Z*****, beide *****, vertreten durch Dr. Christina Gesswein‑Spiessberger, Rechtsanwältin in Altmünster, gegen die beklagte Partei W*****Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Haymo Modelhart und andere, Rechtsanwälte in Linz, wegen 6.835,05 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 22. Jänner 2015, GZ 6 R 215/14a‑13, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 20. Oktober 2014, GZ 13 Cg 6/14h‑8, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 22. Oktober 2014, GZ 13 Cg 6/14h‑9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden teilweise abgeändert, sodass die Entscheidung ‑ unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Teilabweisung (2.715,65 EUR) durch das Erstgericht und der Bestätigung im Zuspruch von 4.119,40 EUR ‑ insgesamt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen 4.119,40 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. 1. 2014 zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, den klagenden Parteien 2.715,65 EUR samt 4 % Zinsen seit Klagseinbringung zu zahlen, wird abgewiesen.

3. Das Begehren, es werde festgestellt, dass die beklagte Partei den klagenden Parteien aufgrund und im Umfang des zwischen der beklagten Partei und den klagenden Parteien abgeschlossenen Versicherungsvertrags zu Polizzen Nr. 610/181208‑0 für den streitgegenständlichen Schadensfall vom 28. 3. 2013 ‑ Ausbruch der Rinder - Deckungsschutz, insbesondere für die Rettungskosten/Schadenminderungskosten, zu gewähren habe, wird abgewiesen.

4. Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 3.686,98 EUR (darin enthalten 614,50 EUR an USt) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 4.665,83 EUR (darin enthalten 414,83 EUR an USt und 2.176,85 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Kläger haben mit der Beklagten einen Landwirtschaftsversicherungsvertrag abgeschlossen, der eine Haftpflichtversicherung enthält, die sich auch auf Schadenersatzverpflichtungen aus der Tierhaltung erstreckt. Dem Versicherungsverhältnis der Streitteile liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Landwirtschaftsversicherung (ABL 2010) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

„Abschnitt III ‑ Haftpflichtversicherung

...

Art 29 Versicherungsfall und Versicherungsschutz

1. Versicherungsfall

1.1 Versicherungsfall ist ein Schadenereignis, das dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen (Punkt 2.) erwachsen oder erwachsen könnten.

...

2. Versicherungsschutz

2.1 Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer

2.1.1 die Erfüllung von Schadenersatzverpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer wegen eines Personenschadens, eines Sachschadens oder eines Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen‑ oder Sachschaden zurückzuführen ist, auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts erwachsen (in der Folge kurz 'Schadenersatzverpflichtungen' genannt);

2.1.2 die Kosten der Feststellung und der Abwehr einer von einem Dritten behaupteten Schadenersatzverpflichtung im Rahmen des Art 34 Punkt 5.

...

Art 34 ‑ Versicherungssumme

...

5. Rettungskosten; Kosten

5.1 Die Versicherung umfasst den Ersatz von Rettungskosten.

5.2 Die Versicherung umfasst ferner, die den Umständen nach gebotenen gerichtlichen oder außergerichtlichen Kosten der Feststellung und Abwehr einer von einem Dritten behaupteten Schadenersatzpflicht, und zwar auch dann, wenn sich der Anspruch als unberechtigt erweist.

...“

Am 27. 3. 2013 brachten die Kläger 44 Rinder auf ihre Weide. Diese liegt unmittelbar an der stark befahrenen Bundesstraße B38. Ebenfalls in unmittelbarer Nähe befindet sich eine Eisenbahnanlage.

Am 28. 3. 2013 wurden sie von der Polizei informiert, dass die Tiere von der Weide ausgekommen seien. Der Zweitkläger bat den anrufenden Polizisten, jemand ausfindig zu machen, der die entkommenen Tiere mit einem Betäubungsgewehr betäuben könnte. Anschließend beauftragte er diverse Bekannte in der Umgebung der Weide, die über entsprechende Anhänger verfügten, die betäubten Tiere zu einem kleinen Gehege auf der der Weide gegenüberliegenden Straßenseite zu bringen.

Insgesamt dauerte es mehrere Tage bis alle Tiere eingefangen waren. Für den Transport der Tiere vom Auffindungsort zum Gehege bezahlten die Kläger 1.755 EUR und für das Betäuben der Tiere 2.364,40 EUR.

Für die Mithilfe an der Tiersuche verrechnete die Freiwillige Feuerwehr W***** 3.077,50 EUR und die Freiwillige Feuerwehr F***** 15.044 EUR. Aus der unstrittigen Beilage ./D ergibt sich weiters, dass ein Tierarzt den Klägern für seine Einsatzbetreuung 1.740 EUR in Rechnung stellte. Diese Rechnungen bezahlten die Kläger bislang nicht.

Den Klägern wurde erst Mitte April 2013 bekannt, dass das Ausbrechen der Tiere auf einen Sabotageakt Dritter zurückzuführen war.

Mit Schreiben vom 27. 6. 2013 erklärte die Beklagte, Abwehrdeckung zu gewähren, sofern gegen die Kläger Forderungen auf Basis des Schadenersatzrechts gestellt würden. Die Deckung für alle Kosten im Zusammenhang mit dem Einfangen der Rinder bzw der Schadensminderung lehnte sie ab, weil der Zaun durch unbekannte Täter durchtrennt worden sei, eine Haftung der Kläger daher nicht bestehe und die Beklagte in diesem Fall keinen Ersatz leisten müsse. Mit Schreiben vom 13. 8. 2013 teilte die Beklagte den Klägern mit, eine Übernahme der Kosten werde deshalb abgelehnt, weil die Kosten für das Einfangen der Rinder keine Rettungskosten darstellten.

Die Kläger begehrten die Zahlung von 6.335,05 EUR sA und die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für den Schadensfall vom 28. 3. 2013 im Rahmen des Versicherungsvertrags, insbesondere für Rettungs‑/Schadensminderungskosten. Sie hätten unmittelbar nach der Information über den Ausbruch der Rinder reagieren und Rettungsmaßnahmen setzen müssen. Sie sähen sich nunmehr mit Forderungen Dritter („Rettern“) konfrontiert, wobei sie aus prozessualer Vorsicht jene Rechnungen beglichen hätten, die in direktem und kausalem Zusammenhang mit dem Einfangen der Rinder stünden und denen Aufträge der Kläger zugrunde lägen. Die Kläger seien aber mit weiteren Forderungen von Freiwilligen Feuerwehren und eines diplomierten Tierarztes in Höhe von insgesamt 19.861,50 EUR konfrontiert. Diese hätten sie aufgrund des im Versicherungsvertrag enthaltenen Anerkenntnisverbots dem Grunde und der Höhe nach bestritten, zumal sie keine Aufträge erteilt hätten. Die Beklagte habe den Klägern lediglich Abwehrdeckung gegenüber Schadenersatzansprüchen Dritter gewährt, verweigere jedoch die Übernahme der Rettungs‑ und Schadensminderungskosten und die Gewährung der diesbezüglichen Abwehrdeckung.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Kläger seien für das Ausbrechen der Rinder und einen in der Folge angerichteten Schaden nicht verantwortlich, da der Ausbruch durch einen Sabotageakt ermöglicht worden sei. Aus dem Vorfall könne keine Schadenersatzverpflichtung der Kläger erwachsen, weshalb insoweit kein Deckungsanspruch der Kläger gegen die Beklagte bestehe und umso weniger ein Anspruch auf Ersatz der Kosten der Schadensminderung oder der Rettung. Tatsächlich handle es sich nicht um Rettungskosten, sondern um Kosten, die ausschließlich dem Zurückholen des Eigentums der Kläger gedient hätten. Abwehrdeckung sei den Klägern nur bei Schadenersatzforderungen von Dritten in Art 29.2.1.2 ABL 2010 zugesagt worden.

Das Erstgerich t gab dem Feststellungsbegehren und dem Zahlungsbegehren mit einem Teilbetrag von 4.119,40 EUR sA statt und wies das Zahlungsmehrbegehren von 2.715,75 EUR sA ab. Angesichts der Lage der Wiese und der Information, die Tiere bewegten sich in Richtung der Stadt, habe unmittelbar die Gefahr von Unfällen mit Personenschäden bestanden. Die Kläger hätten daher Rettungsmaßnahmen setzen müssen, um allfällige Schäden durch die entlaufenen Tiere hintanzuhalten. Die Beklagte habe ihnen die notwendigen Rettungskosten zu ersetzen. Das Feststellungsbegehren, das sich auf die Versicherungsdeckung für Rettungskosten und die Abwehr solcher Rettungskosten beziehe, sei gerechtfertigt, weil die Kläger mit weiteren Kostenforderungen konfrontiert seien, deren Deckung die Beklagte abgelehnt habe.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen den klagsstattgebenden Teil des Ersturteils erhobenen Berufung keine Folge. Es möge zwar sein, dass die Verwahrung der Rinder der Kläger ursprünglich den Sorgfaltsanforderungen entsprochen habe doch habe eine ordnungsgemäße Verwahrung in dem Zeitpunkt geendet, in dem die Rinder aus der umzäunten Weide entwichen seien. Dies bedeute, dass die Kläger als Ausfluss ihrer Pflichten nach § 1320 ABGB, nachdem sie Kenntnis vom Entweichen der Tiere erlangt hätten, wiederum für deren Verwahrung und Beaufsichtigung verantwortlich gewesen seien. Hinzu komme, dass die Kläger erst rund zweieinhalb Wochen nach dem Vorfall positiv davon Kenntnis erlangt hätten, dass das Ausbrechen der Tiere auf eine rechtswidrige Handlung unbekannter Dritter zurückzuführen gewesen sei. Wenn der Versicherungsnehmer nicht wisse, dass ihm kein versicherter Schaden drohe, und er trotzdem Rettungsmaßnahmen ergreife, komme es gemäß § 63 VersVG darauf an, ob er diese Maßnahmen den Umständen nach für geboten halten durfte. Angesichts der Situation habe für die Kläger daher die Rettungsobliegenheit nach § 62 VersVG bestanden, weshalb ihnen der Kostenersatzanspruch nach § 63 VersVG sowie nach Art 34 ABL 2010 für jene Maßnahmen zustehe, die ein Versicherungsnehmer verständigerweise auch dann gesetzt hätte, wenn er nicht versichert gewesen wäre.

Für die Frage des Feststellungsinteresses sei maßgeblich, dass in der Haftpflichtversicherung ab der Inanspruchnahme durch den Dritten dem Versicherungsnehmer (vorerst nur) ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Versicherungsschutzes (der Deckungspflicht) zustehe, wenn der Versicherer die Deckung ablehne. Nichts anderes könne für die Rettungskosten gelten, zumal diese wirtschaftlich eine Schadensverlagerung darstellten. Die Auslegung der Versicherungsbedingungen ergebe, dass die Abwehrverpflichtung der Beklagten auch die von Dritten an den Versicherungsnehmer herangetragenen Rettungskosten umfasse.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob der aus der Haftpflichtversicherung entspringende Rechtsschutzanspruch auch die Abwehr von unbegründeten Rettungskosten umfasse, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorhanden sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger begehren, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.

1. In der Haftpflichtversicherung schuldet der Versicherer dem Versicherungsnehmer primär nicht die Zahlung bestimmter Beträge. Vielmehr ist der Haftpflichtversicherer gemäß § 149 VersVG verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die Leistung zu ersetzen, die dieser aufgrund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat. Der Versicherungsnehmer hat gegenüber dem Versicherer ‑ im Rahmen des abgeschlossenen Vertrags ‑ einen Befreiungsanspruch, der ihn von den Folgen der Inanspruchnahme durch den geschädigten Dritten schützen soll. Durch derartige Schadenersatzforderungen eines Geschädigten wird das Vermögen des Haftpflichtigen belastet. Der mit dem Versicherer abgeschlossene Versicherungsvertrag gibt dem Versicherungsnehmer den Anspruch, ihn von der Schuld zu befreien (7 Ob 192/13f, Voit/Knappmann in Prölss/Martin Versicherungsvertragsgesetz 27 , § 149 Rn 1, 2). Der Versicherungsanspruch in der Haftpflichtversicherung ist aber nicht nur auf die Befreiung von begründeten Haftpflichtansprüchen gerichtet; vielmehr schließt er auch die Abwehr unberechtigter Ansprüche in sich (RIS‑Justiz RS0081228, RS0080013). Unbeschadet dieser beiden Komponenten (Befreiungs‑ und Rechtsschutzanspruch) handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch des Versicherungsnehmers.

2.1. Nach § 62 VersVG ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, bei Eintritt des Versicherungsfalls den Schaden möglichst abzuwenden oder zu mindern. Er hat unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf Ersatz des Rettungsaufwands durch den Versicherer. Mit dem Beginn eines Ereignisses, das in seiner Folge wahrscheinlich den Schaden herbeiführen wird, beginnt die Abwendungs‑ und Minderungspflicht (RIS‑Justiz RS0080451 [T3]). In der Haftpflichtversicherung beginnt die Rettungsverpflichtung mit dem Beginn des Ereignisses, das Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer auslösen könnte. Sie gilt zeitlich unbeschränkt, solange der Schaden abgewendet oder gemindert oder der Umfang der Entschädigung gemindert werden kann (7 Ob 28/90; RIS‑Justiz RS0080622). Die Rettungskosten müssen grundsätzlich objektiv dem Zweck dienen, den versicherten Schaden abzuwenden oder zu vermeiden. Ein „Rettungswille“ im Sinn der Absicht, die Rettungspflicht zu erfüllen, wird nicht verlangt (RIS‑Justiz RS0080425 [T2]). Unter die Rettungspflicht und demnach unter den Begriff der Rettungskosten fallen daher nur Kosten, die der Abwehr jener Schäden dienen, die der Versicherer zu decken hätte (7 Ob 10/87).

Beim Rettungskostenersatz handelt es sich um eine (gesetzliche) Nebenleistungspflicht des Versicherers, was insofern bedeutsam ist, als der entsprechende Anspruch des Versicherungsnehmers (als sogenannter Sekundärschaden) zwar grundsätzlich rechtlich selbständig neben dem Anspruch auf Entschädigung des Haupt‑ bzw Primärschadens besteht, im Hinblick auf diverse Detailfragen aber den allgemeinen Vorschriften über Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer unterliegt ( Vonkilch in Fenyves/ Schauer , Versicherungsvertragsgesetz [2014] § 63 Rz 2, Voit / Knappmann aaO § 63 Rn 4). Rettungskosten iSd § 63 VersVG bilden daher nicht den eigentlichen Versicherungsschaden, also den Schaden am versicherten Interesse selbst; es handelt sich um einen Versicherungsschaden im weiteren Sinne, der vom Versicherungsschaden im engeren Sinne zu trennen ist ( Beckmann in Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz § 63 Rn 3, 4). Der Anspruch gemäß § 63 VersVG ist auf Ersatz gerichtet. Er hat seinen Rechtsgrund im Versicherungsvertrag. Es handelt sich um eine Nebenleistung, die der Versicherer als „echte“ Rechtspflicht schuldet, und zwar regelmäßig als Geldleistung (zur insoweit vergleichbaren deutschen Rechtslage Koch in Bruck/Möller Versicherungsvertragsgesetz 9 § 83 Rn 8).

Die Hauptfälle der Aufwendungen des Versicherungsnehmers für Rettungsmaßnahmen, die der Gesetzgeber bei der Schaffung der Erstattungspflicht des Versicherers gemäß § 63 VersVG wohl vor Augen hatte, sind die Ausgabe von Geld für derartige Maßnahmen sowie das Eingehen von entsprechenden Verbindlichkeiten durch den Versicherungsnehmer ( Vonkilch aaO § 63 Rz 19; Voit/Knappmann aaO § 63 Rn 11, Beckmann aaO § 63 Rn 17 f). Der Aufwendungsersatzanspruch schließt aber auch unfreiwillige Vermögensverminderungen ein, so auch Ansprüche Dritter, die diese ‑ unabhängig vom Willen des Versicherungsnehmers ‑ gegen den Versicherungsnehmer im Zusammenhang mit der Setzung von Rettungsmaßnahmen zugunsten der versicherten Sache erworben haben (vgl Vonkilch aaO Rz 23 bis 25, Voit/Knappmann aaO Rn 12, Beckmann aaO Rn 16).

3. Die Kläger begehren die Feststellung, dass die Beklagte für den Schadensfall vom 28. 3. 2013 Deckungsschutz, insbesondere für die Rettungskosten/ Schadensminderungskosten zu gewähren hat.

3.1. Richtig ist, dass der einheitliche (primäre) Versicherungsanspruch bestehend aus dem Befreiungs‑ und Rechtsschutzanspruch in der Haftpflichtversicherung in dem Zeitpunkt entsteht, in dem der Versicherungsnehmer von einem Dritten auf Schadenersatz wegen eines unter das versicherte Risiko fallenden Ereignisses in Anspruch genommen wird (RIS‑Justiz RS0080086, RS0079963) und zwar ‑ wie ausgeführt ‑ unabhängig davon, ob die Haftpflichtforderung begründet ist, weil Versicherungsschutz auch die Abwehr unberechtigter Ansprüche in sich schließt (RIS‑Justiz RS0080384, RS0081228, RS0080013).

Ab der Inanspruchnahme durch den Dritten steht dem Versicherungsnehmer (vorerst nur) ein rechtliches Interesse an der Feststellung des primären Versicherungsschutzes (der Deckungspflicht) zu, wenn der Versicherer die Deckung ablehnt (RIS‑Justiz RS0038928). Mit der bloßen Ablehnung der Deckung geht allerdings der primär nicht auf eine Geldleistung gerichtete Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers nicht (gleichsam automatisch) in einen Zahlungsanspruch über (RIS‑Justiz RS0038928 [T6]). Auf eine Leistungsklage kann der Versicherungsnehmer noch nicht verwiesen werden, auch wenn der Schaden bereits zur Gänze behoben wurde oder der geltend gemachte Schaden bereits ziffernmäßig feststeht (7 Ob 207/12k mwN, RIS‑Justiz RS0038928 [T7]). Der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers verwandelt sich gemäß § 154 Abs 1 VersVG, der keine Sondervorschriften für das Fälligwerden anordnet (RIS‑Justiz RS0080609), nur dann in einen Zahlungsanspruch, wenn der Versicherungsnehmer den Dritten befriedigt oder der Anspruch des Dritten durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist (RIS‑Justiz RS0080603).

Im vorliegenden Fall wurden bisher keine Schadenersatzforderungen an die Kläger herangetragen. Vielmehr stellten die Freiwilligen Feuerwehren/der Tierarzt ihre Einsätze für das Einfangen der Tiere in Rechnung. Das heißt aber, dass der auf Feststellung des auf Befreiung von begründeten oder Abwehr von unbegründeten Schadenersatzansprüchen gerichtete Anspruch noch nicht entstanden ist (vgl 7 Ob 207/12k).

3.2. Der Oberste Gerichtshof hat aber auch bereits ausgesprochen, dass daraus nicht abzuleiten ist, dass der Versicherungsnehmer nicht bereits vor Fälligkeit des Deckungsanspruchs eine Feststellungsklage zur Abklärung der Rechtslage nach allgemeinen Grundsätzen nach § 228 ZPO erheben kann. So wurde das rechtliche Interesse des Versicherungsnehmers an der Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers bejaht, wenn nicht auszuschließen ist, dass gegen den Versicherungsnehmer aus dem Schadensfall Ersatzansprüche erhoben werden könnten. Ein Feststellungsinteresse nach Ablehnung des Versicherungsschutzes durch den Versicherer besteht, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, dass Ansprüche von Dritten geltend gemacht würden (7 Ob 207/12k mwN).

Hier wurden an die Kläger bisher ‑ wie erwähnt ‑ keine Schadenersatzforderungen aus dem Vorfall vom 28. 3. 2013 herangetragen. Hinzu kommt, dass die Beklagte mit Schreiben vom 27. 6. 2013 zwar eine Deckung für die Rettungskosten im Zusammenhang mit dem Einfangen der Rinder ablehnte, aber ausdrücklich, ausgehend von ihrer Ansicht, dass die Kläger kein haftungsbegründendes Verhalten setzten, die Abwehrdeckung für Forderungen auf Basis des Schadenersatzes zusagte.

Vor diesem Hintergrund ist kein rechtliches Interesse der Kläger an der Feststellung der Deckungspflicht für den Befreiungs‑ und Rechtsschutzanspruch im Zusammenhang mit Schadenersatzansprüchen und somit der Hauptleistungspflicht der Beklagten ersichtlich.

3.3. Die Kläger wollen darüber hinaus auch die Deckungspflicht der Beklagten für die Rettungs-/ Schadensminderungskosten festgestellt wissen. Anders als bei der Verpflichtung auf Ersatz des Primärschadens hat der Versicherer den für die Aufwendungen zur Schadensabwendung oder -minderung erforderlichen Betrag gemäß § 63 Abs 1 letzter Satz VersVG auf Verlangen des Versicherungsnehmers vorzuschießen. Aufgrund dieser Unterschiede zwischen der Verpflichtung des Versicherers auf Ersatz des Primärschadens (Hauptleistungspflicht) und jenen des Sekundärschadens (Rettungskosten) kommt eine Übertragung der Rechtsprechung zum Feststellungsinteresse des Versicherungsnehmers im Zusammenhang mit der Hauptleistungspflicht auf jene der Nebenleistungspflicht nicht in Betracht. Eine Feststellungsklage zur Abklärung der Rechtslage in diesem Zusammenhang kann nur nach den allgemeinen Grundsätzen des § 228 ZPO erhoben werden.

Dahingestellt bleiben kann, auf welcher Grundlage die Kosten der Feuerwehren/des Tierarztes, gegenüber den Klägern begehrt werden. Ein rechtliches Interesse an der Feststellung einer Deckung für ‑ gerade nach den Behauptungen der Kläger ‑ unberechtigte Rettungskosten kommt jedenfalls nicht in Betracht. Sollten die Rettungskosten hingegen ‑ entgegen der Ansicht der Kläger ‑ begründet sein, wäre für sie nichts gewonnen. Im Allgemeinen ist nämlich das Feststellungsbegehren gegenüber einem möglichen Leistungsbegehren subsidiär, weshalb die Möglichkeit eines Leistungsbegehrens das Feststellungsinteresse ausschließt (RIS‑Justiz RS0038849).

Die Rechnungen betreffend die geltend gemachten Kosten wurden den Klägern gegenüber bereits gelegt, der Rettungsaufwand ist damit bezifferbar und eine Leistungsklage möglich. Anhaltspunkte dafür, dass für das Einfangen der Rinder weitere derartige Rettungskosten an die Kläger herangetragen würden, bestehen nicht. Auch hier liegt nach den allgemeinen Grundsätzen kein Feststellungsinteresse der Kläger vor.

3.4. Die Kläger argumentieren, dass die Beklagte aber jedenfalls die Abwehr der ‑ ihrer Ansicht nach unbegründet in Rechnung gestellten ‑ (Rettungs‑)Kosten der Feuerwehren/des Tierarztes zu decken habe.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063; RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregelung des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901).

Nach Art 29.2.1.1 ABL 2010 übernimmt der Versicherer im Einklang mit § 149 VersVG die Erfüllung näher bezeichneter Schadenersatzansprüche und nach Art 29.2.1.2 ABL 2010 die Kosten der Feststellung und Abwehr einer von einem Dritten behaupteten Schadenersatzpflicht im Rahmen des Art 34.5 ABL 2010. Der mit „Versicherungssumme“ übertitelte Art 34 ABL 2010 unterscheidet in seinem Punkt 5. zwischen Rettungskosten und Kosten im Hinblick auf eine von einem Dritten behauptete Schadenersatzpflicht.

Bereits aus dem insoweit völlig klaren Wortlaut der Art 29.2 und Art 34.5 ABL 2010 ergibt sich, dass die Kosten der Abwehr unberechtigter Rettungskosten vom Rechtsschutzanspruch in der Haftpflichtversicherung nicht umfasst sind. Damit scheidet auch ein darauf gerichtetes Feststellungsbegehren aus.

3.5. Zusammengefasst bedeutet dies, dass das Feststellungsbegehren insgesamt abzuweisen war.

4.1. Voraussetzung für die Anwendung der §§ 62 f VersVG ist, dass der Versicherungsfall unmittelbar bevorstand oder der Versicherungsnehmer subjektiv dies annehmen durfte, wobei einer solchen Annahme nur grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz entgegensteht. Die konkret in Betracht kommenden Maßnahmen müssen generell geeignet sein, den Schaden abzuwehren oder zu mindern. Für die rechtliche Beurteilung der auf diese Weise zu ermittelnden Rettungsmaßnahme ist immer der Zeitpunkt entscheidend, in dem die Rettungsmaßnahme vorzunehmen ist; es kommt nicht darauf an, ob sich bei einer ex‑post‑Betrachtung ergibt, dass die Maßnahme tatsächlich zum Erfolg geführt hätte. War die Rettungsmaßnahme objektiv nicht geboten, so kommt es darauf an, ob der Versicherungsnehmer diese für geboten halten durfte. Insoweit ist auf die subjektive Sicht eines vernünftigen Versicherungsnehmers im Zeitpunkt des Handelns unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und der konkreten Lage des Versicherungsnehmers abzustellen (RIS‑Justiz RS0114949). § 63 VersVG ist nicht anwendbar, wenn der Versicherungsnehmer eine Rettungsmaßnahme ergreift, obwohl er positiv weiß, dass ihm kein versicherter Schaden droht. Wenn der Versicherungsnehmer dies nicht weiß und trotzdem Rettungsmaßnahmen ergreift, kommt es gemäß § 63 VersVG darauf an, ob er diese Maßnahmen „den Umständen nach für geboten halten durfte“. Die Aufwendungen sind selbst dann nicht zu ersetzen, wenn sie nicht geboten waren, der Versicherungsnehmer sie aber für erforderlich halten durfte. Schäden durch Rettungsmaßnahmen, die rückblickend betrachtet nicht notwendig waren, sind nur dann zu ersetzen, wenn dem Versicherungsnehmer grobe Fahrlässigkeit bei seinem Irrtum über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen anzulasten ist, leichte Fahrlässigkeit schadet ihm nicht (RIS‑Justiz RS0113092).

4.2. Das Berufungsgericht gibt nicht nur die oberstgerichtliche Rechtsprechung zum Ersatz von Rettungskosten, sondern auch jene zur Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB ausführlich wieder. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung (2 Ob 180/98d mwN; RIS‑Justiz RS0105089) und den hier maßgeblich festgestellten Umständen erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Kläger hätten sich jedenfalls ab Kenntnis des Entweichens der Rinder nicht mit einem Hinweis auf die ursprünglich ordnungsgemäße Verwahrung begnügen und die Tiere weiter unbeaufsichtigt herumlaufen lassen dürfen, ohne schadenersatzpflichtig zu werden, als richtig (§ 510 Abs 3 ZPO). Der von den Klägern getätigte Aufwand von 4.119,40 EUR für das Einfangen, Betäuben und Transportieren der Rinder diente der Abwendung des versicherten Schadens. Die Kosten sind als Rettungskosten zu ersetzen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43, 50 ZPO. Die Beklagte obsiegte im erstgerichtlichen Verfahren mit 85 % und im Rechtsmittelverfahren mit 83 %. Sie erhält daher 70 bzw 66 % ihrer Kosten ersetzt. Die Barauslagen gebühren im Ausmaß des tatsächlichen Obsiegens.

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