OGH 7Ob207/12k

OGH7Ob207/12k18.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** M*****, vertreten durch Niederbichler Rechtsanwalt GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Weilguni, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Juli 2012, GZ 15 R 124/12h-24, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 2. Mai 2012, GZ 3 Cg 78/10d-19, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.680,84 EUR (darin enthalten 279,78 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht erklärte in Abänderung seines Ausspruchs die ordentliche Revision für zulässig, weil es sein Urteil „nur“ auf die Entscheidung 7 Ob 42/79 gestützt habe, nach der das rechtliche Interesse des Versicherungsnehmers an der begehrten Feststellung der Deckungspflicht auch dann zu bejahen sei, wenn (bloß) nicht auszuschließen sei, dass gegen ihn aus dem Schadensfall Ersatzansprüche erhoben werden könnten. Es liege keine gesicherte Rechtsprechung vor.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Dem Rechtsstreit liegt zugrunde, dass der geschädigte Dritte Ansprüche an den Kläger und dessen KFZ-Haftpflichtversicherer, die Beklagte, gestellt hat, die Beklagte sowohl gegenüber dem Versicherungsnehmer als auch dem geschädigten Dritten ihre Deckungspflicht ablehnte und der Kläger bislang vom geschädigten Dritten noch nicht klagsweise in Anspruch genommen wurde.

Eine Entscheidung, die zwar bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet wurde, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus, wenn dazu keine gegenteilige Entscheidung vorliegt und auch vom Schrifttum keine Kritik erhoben wurde. Auf das Datum der Entscheidung kommt es dabei nicht an (RIS-Justiz RS0103384). Die vorliegende Rechtsfrage ist durch die zitierte Entscheidung, die allgemeine Grundsätze darlegt und der keine Literaturmeinungen entgegenstehen, ausreichend geklärt.

Bei der Beurteilung des Wesens des Anspruchs des Versicherungsnehmers aus der Haftpflichtversicherung sind das Deckungs- und das Haftpflichtverhältnis zu unterscheiden. Der Versicherungsanspruch in der Haftpflichtversicherung ist auf die Befreiung von begründeten und die Abwehr von unbegründeten Haftpflichtansprüchen gerichtet. Unbeschadet dieser beiden Komponenten (Befreiungs- und Rechtsschutzanspruch) handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch des Versicherungsnehmers. Er wird in dem Zeitpunkt fällig, in dem der Versicherungsnehmer von einem Dritten auf Schadenersatz wegen eines unter das versicherte Risiko fallenden Ereignisses oder einer sonstigen Eigenschaft in Anspruch genommen wird, unabhängig davon, ob die Haftpflichtforderung begründet ist, weil Versicherungsschutz auch die Abwehr unberechtigter Ansprüche in sich schließt (RIS-Justiz RS0080384, RS0081228, RS0080013, RS0080086, RS0079963). Ab der Inanspruchnahme durch den Dritten steht dem Versicherungsnehmer (vorerst nur) ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Versicherungsschutzes (der Deckungspflicht) zu, wenn der Versicherer die Deckung ablehnt (RIS-Justiz RS0038928). Mit der bloßen Ablehnung der Deckung geht allerdings der primär nicht auf eine Geldleistung gerichtete Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers nicht (gleichsam automatisch) in einen Zahlungsanspruch über (7 Ob 84/08s, 7 Ob 158/06w je mwN; RIS-Justiz RS0038928 [T6]). Auf eine Leistungsklage kann der Versicherungsnehmer noch nicht verwiesen werden, auch wenn der Schaden bereits zur Gänze behoben wurde oder der gegen ihn geltend gemachte Schaden bereits ziffernmäßig feststeht (7 Ob 84/08s mwN; RIS-Justiz RS0038928 [T7]). Der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers wandelt sich gemäß § 154 Abs 1 VersVG, der keine Sondervorschriften für das Fälligwerden anordnet (RIS-Justiz RS0080609), nur dann in einen Zahlungsanspruch, wenn der Versicherungsnehmer den Dritten befriedigt oder der Anspruch des Dritten durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist (RIS-Justiz RS0080603, RS0080609).

Wie oben dargelegt bedarf es also - im Gegensatz zur Rechtsansicht des Klägers - nicht der Feststellungsklage zur Abwendung der Verjährung, solange der Dritte seine Ansprüche noch nicht geltend gemacht hat, weil der Anspruch noch gar nicht fällig ist. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass der Versicherungsnehmer nicht bereits vor Fälligkeit des Deckungsanspruchs eine Feststellungsklage zur Abklärung der Rechtslage nach allgemeinen Grundsätzen nach § 228 ZPO erheben kann.

Dazu hat der Oberste Gerichtshof in der bereits von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 7 Ob 42/79 = RIS-Justiz RS0038928 [T3] Stellung genommen. In dieser Entscheidung wurde das rechtliche Interesse des Versicherungsnehmers an der Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers bejaht, wenn nicht auszuschließen ist, dass gegen den Versicherungsnehmer aus dem Schadensfall Ersatzansprüche erhoben werden könnten. Die Entscheidung bezieht sich dabei auf Vorjudikatur zum rechtlichen Interesse an der Feststellung zukünftiger Schäden. Diese Ansicht entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass der Versicherungsnehmer den Haftpflichtversicherer auch vor rechtskräftiger Entscheidung über den Anspruch des Dritten auf Feststellung klagen kann, wenn dieser bestreitet, zur Gewährung des Versicherungsschutzes verpflichtet zu sein (RIS-Justiz RS0038928).

Dies entspricht auch dem von der Judikatur bereits angesprochenen prozessökonomischen Zweck der Feststellungsklage. Die Rechtslage soll dort geklärt werden, wo ein von der Rechtsordnung anerkanntes Bedürfnis zur Klärung streitiger Rechtsbeziehungen besteht, sei es um weitere Streitigkeiten zu vermeiden, sei es um eine brauchbare Grundlage für weitere Entscheidungen zu schaffen (RIS-Justiz RS0037422). So berechtigt nach ständiger Rechtsprechung die bloße Möglichkeit künftiger Unfallschäden die Erhebung einer Feststellungsklage (RIS-Justiz RS0038976).

In der Lehre zur vergleichbaren deutschen Rechtslage wird ebenfalls vertreten, dass ein Feststellungsinteresse nach Ablehnung des Versicherungsschutzes durch den Versicherer bestehe, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit vorhanden sei, dass Ansprüche vom Dritten geltend gemacht würden (Lücke in Prölss/Martin 28, § 100 VVG Rn 20, Voit/Knappmann in Prölss/Martin, VVG27 [aF], § 149 Rn 8; Langheid in Römer/Langheid 2, § 149 VVG [aF] Rn 28).

Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich daher im Rahmen der Judikatur. Die Möglichkeit, dass der Kläger vom geschädigten Dritten im Rahmen der Haftpflichtversicherung in Anspruch genommen wird, ergibt sich schon daraus, dass er bereits an ihn Ansprüche gestellt hat und der Versicherer auch dem Dritten gegenüber seine Deckungspflicht abgelehnt hat.

Zum Einwand der Revision zur Richtigkeit der Polizzennummer ist auszuführen, dass der am Unfall beteiligte Traktor der Klägers unstrittig bei der Beklagten haftpflichtversichert ist. Das ist entscheidungsrelevant. Ob der Kläger nun allenfalls eine frühere Vertragsnummer oder die aktuelle nennt, ist nicht entscheidend, abgesehen davon ist der Oberste Gerichtshof an die Feststellungen der Vorinstanzen gebunden. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Beklagte in der von ihr vorgelegten Korrespondenz, die vom Kläger genannte Polizzennummer ebenfalls verwendet hat.

Es werden keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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