OGH 1Ob202/13g

OGH1Ob202/13g19.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Julius W*****, 2. Maria S*****, 3. Christine F*****, 4. Maria M*****, 5. Mag. Karl‑Franz F*****, 6. Herbert S*****, 7. Dr. Herwig F*****, und 8. Gundlinde F*****, alle vertreten durch Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Feldbach, gegen die beklagte Partei Erika U*****, vertreten durch Dr. Barbara Jantscher, Rechtsanwältin in Feldbach, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 28. Mai 2013, GZ 6 R 204/12g‑161, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Feldbach vom 18. Mai 2012, GZ 6 C 503/06y‑155, in der Fassung des Ergänzungsurteils vom 29. Mai 2012, GZ 6 C 503/06y‑156, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 781,94 EUR (darin enthalten 130,32 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Auf der Liegenschaft des Erstklägers ist zu Gunsten von Grundstücken der Zweitklägerin sowie der Siebt‑ und Achtkläger die Dienstbarkeit des Weges einverleibt. Die Dritt‑, Viert‑ und Fünftkläger waren im Zeitpunkt der Klagseinbringung Miteigentümer einer Nachbarliegenschaft. Der Sechstkläger ist Alleineigentümer einer benachbarten Liegenschaft.

Von einer öffentlichen Straße zweigt entlang der gemeinsamen Grenze zwischen dem Grundstück des Erstklägers (im Osten) und einer im Alleineigentum der Beklagten stehenden Liegenschaft (im Westen) ein Privatweg ab. Dieser Privatweg wurde in seiner gesamten Breite von den Klägern und deren Rechtsvorgängern zumindest seit Mitte der 50er‑Jahre des letzten Jahrhunderts als Zufahrt zu ihren Liegenschaften genutzt. Dieses Verhalten wurde vom „Grundeigentümer“ seit länger als 30 Jahren auch geduldet; einerseits durch den Erstkläger und dessen Rechtsvorgänger und andererseits durch die Beklagte selbst, die sich bis zum Aufstellen von „Schragen“ im Jahr 1998 nicht gegen die Benutzung des Weges durch die Kläger gewehrt hatte. Es gab auch keinen anderen Zufahrtsweg. Zu Beginn des Weges war auf dem Grundstück des Erstklägers von dessen Rechtsvorgängerin eine Tafel mit der Aufschrift „Dermalen freiwillig gestatteter Fahr‑ und Fußweg“ angebracht. Unabhängig von der Tafel haben die Anrainer bzw die Kläger, ohne zu fragen, den Weg unwidersprochen seit den 50er‑Jahren benützt.

Anlässlich einer Grenzvermessung der gemeinsamen Grundgrenze zwischen dem Grundstück des Erstklägers und demjenigen der Beklagten im Jahr 1995 einigte sich die Rechtsvorgängerin des Erstklägers mit der Beklagten auf einzelne Markierungspunkte (Grenzpunkte). Die neu gesetzten Grenzpunkte lagen teilweise „direkt auf dem in der Natur befindlichen Weg“, sodass die Grundstücksgrenze einvernehmlich teilweise auf dem Weg liegend festgesetzt wurde. Mit der Festsetzung der neuen Grenze sollte weder das Wegerecht beeinträchtigt werden, noch eine Änderung des Wegverlaufs erfolgen.

Ursprünglich verlief der Weg immer auf dem Grundstück des Erstklägers. Erst durch die Vermessung 1995 wurde der Grenzverlauf verändert, sodass sich nunmehr der Privatweg teilweise auch auf dem Grundstück der Beklagten befindet.

Im September 1997 zog die Beklagte entlang der Markierungspunkte auf der Fahrbahn des Privatweges eine weiße Linie, um damit den behaupteten Grenzverlauf zu dokumentieren. Die Kläger konnten über diese Markierung fahren und somit den Weg in der gewohnten Breite benützen. 1998 wurden von der Beklagten entlang der Straßenmarkierung „Schragen“ aufgestellt, wodurch das Überfahren der Straßenmarkierung unmöglich gemacht und die Straße in der bisher genutzten Breite nicht mehr genutzt werden konnte. Auch wurden anstelle der „Schragen“ entlang der Markierungslinie etwa 1 m hohe Stützen verbunden mit Ketten aufgestellt.

Die Vorinstanzen gaben dem von den Klägern am 7. 12. 2000 erhobenen Unterlassungsbegehren, das insbesondere auf das Unterlassen des Aufstellens von Absperrungsvorrichtungen entlang der Straßenmarkierung gerichtet ist, statt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision „aus Gründen der Wahrung der Rechtssicherheit“ für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels zu beantwortender erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Die Beklagte bezieht sich auf eine vermeintliche Nichtigkeit des Ersturteils nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO und verweist selbst darauf, dass sie diese Nichtigkeit bereits mit ihrer Berufung geltend gemacht hat, die insoweit vom Berufungsgericht verworfen wurde. Mit diesen Ausführungen wirft die Revision schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil der eine Nichtigkeitsberufung verwerfende Beschluss des Berufungsgerichts zufolge der Rechtsmittelbeschränkung des § 519 Abs 1 ZPO unanfechtbar ist (RIS‑Justiz RS0043405 [T47 bis T49]; RS0042981). Daran vermag auch ihre Behauptung nichts zu ändern, dem Berufungsgericht sei selbst ebenfalls eine Nichtigkeit unterlaufen (RIS‑Justiz RS0043405 [T3]). Eine in zweiter Instanz verneinte Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz kann in dritter Instanz auch nicht als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (RIS‑Justiz RS0042981 [T5]) oder mit der Behauptung geltend gemacht werden, die Verneinung der Nichtigkeit beruhe auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung (RIS‑Justiz RS0042981 [T15]).

2. Auch eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Obgleich diese Beurteilung nach § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO keiner Begründung bedarf, ist den Revisionsausführungen kurz entgegenzuhalten, dass die in der Berufung gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz, wonach das Erstgericht infolge überraschender Rechtsansicht Feststellungen zum im Jahr 1995 geänderten Grenzverlauf getroffen habe, bereits vom Berufungsgericht verneint wurde. Nach ständiger Rechtsprechung können Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, auch nicht mehr als Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963; Kodek in Rechberger³ § 503 ZPO Rz 9).

Grundsätzlich kann mit der Behauptung einer unzureichenden Beweiswürdigung der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht dargetan werden, sofern sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt befasst und nachvollziehbare ‑ wenn auch gegebenenfalls nur kurz begründete ‑ Erwägungen dazu angestellt hat (RIS‑Justiz RS0043371; RS0043150). Es ist nicht notwendig, dass jedes einzelne Beweisergebnis in der Begründung aufgegriffen und behandelt wird (vgl RIS‑Justiz RS0040180 [T1]). Entgegen der Auffassung der Beklagten kann nicht die Rede davon sein, dass sich das Berufungsgericht mit der in der Berufung erhobenen Tatsachenrüge nur so mangelhaft befasst hätte, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen zur Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten wurden.

3. Die Beklagte behauptet erstmals in der Revision, die erstgerichtliche Feststellung, dass die „Schragen“ von ihr erst 1998 aufgestellt wurden, sei aktenwidrig. Die dazu vorgelegte „eidesstättige Erklärung“ ist als Neuerung unbeachtlich (§ 504 Abs 2 ZPO). Der in der Berufung nicht geltend gemachte Rechtsmittelgrund der Aktenwidrigkeit (des Ersturteils) kann aber im Revisionsverfahren nicht mehr nachgetragen werden (RIS‑Justiz RS0041773). Die diesbezüglich in der Berufung enthaltene Beweisrüge wurde nicht gesetzmäßig ausgeführt, hätte doch die Beklagte, was sie nicht tat, deutlich zum Ausdruck bringen müssen, welche konkrete Feststellung bekämpft wird, infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird und aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen die begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre (vgl RIS‑Justiz RS0041835 [T5]).

4. Mit der vom Berufungsgericht nach Erledigung der Beweisrüge übernommenen Feststellung, die von der Rechtsvorgängerin des Erstklägers angebrachte „Tafel gilt nicht für die Anrainer bzw deren Rechtsnachfolger“ ist als Tatsachenkern das diesbezügliche Verständnis der Rechtsvorgängerin des Erstklägers gemeint, das auch von den Anrainern geteilt wurde.

Wenn die Beklagte versucht, in der Revision Feststellungen zu bekämpfen, ist sie darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz und eine Beweisrüge in dritter Instanz unzulässig ist (vgl RIS‑Justiz RS0069246).

5. Der Weg verlief ursprünglich immer auf dem Grundstück des Erstklägers. Anlässlich der Vermessung im Jahr 1995 wurde der Grenzverlauf verändert, sodass sich der Weg nunmehr teilweise auch auf dem Grundstück der Beklagten befindet (vgl zur vergleichsweise vorgenommenen Festlegung der Grenze RIS‑Justiz RS0013881 [T2]). Mit der Festsetzung der neuen Grenze sollte das Wegerecht nicht beeinträchtigt werden.

Zu Gunsten der Liegenschaften der Zweitklägerin sowie der Siebt‑ und Achtkläger bestand auf dem Grundstück des Erstklägers bereits vor 1995 die grundbücherlich einverleibte Dienstbarkeit des Weges, deren Umfang nicht näher festgestellt ist (unstrittig: Klagebeantwortung im Akt 6 C 259/02k).

Voraussetzung für die Ersitzung des Geh‑ und Fahrrechts auf dem Privatweg sind neben dem Zeitablauf echter und redlicher Besitz sowie Besitzwille (RIS‑Justiz RS0034138 [T2]). Der Ersitzende hat Art und Umfang der Besitzausübung und die Vollendung der Ersitzungszeit zu behaupten und zu beweisen, wobei es genügt, dass das Bestehen des Besitzes zu Beginn und am Ende der Ersitzungszeit feststeht (6 Ob 323/99i mwN = RIS‑Justiz RS0034138 [T4]). Wenn die Beklagte die Nutzungsmöglichkeit des Weges durch die Anrainer bestreitet, weil seit 1971 vor ihrer Buschenschank Fahrzeuge abgestellt waren, entfernt sie sich von den erstgerichtlichen Feststellungen, wonach die Fahrzeuge, sofern sie den Weg blockierten, auch immer weggestellt werden mussten. Dass der Weg im Lauf der Zeit in Richtung Osten weiter in das Grundstück des Erstklägers verbreitert wurde, ist für die Ersitzung des westlichen Teils des Weges, der durch die einvernehmliche Änderung des Grenzverlaufs seit 1995 in das Eigentum der Beklagten übertragen wurde, nicht maßgeblich.

Ein Rechtsbesitzer ist redlich, wenn er glauben kann, dass ihm die Ausübung des Rechts zusteht (RIS‑Justiz RS0010137). Der für die Ersitzung erforderliche gute Glaube fällt weg, wenn der Besitzer entweder positiv von der Unrechtmäßigkeit seines Besitzes Kenntnis erlangt oder zumindest solche Umstände erfährt, die an der Rechtmäßigkeit eines Besitzes zweifeln lassen (RIS‑Justiz RS0010184). Entscheidend für die Beurteilung der Redlichkeit ist ausschließlich die Rechtsausübung im Verhältnis zum Ersitzungsgegner. Die Redlichkeit der Besitzausübung wird etwa verneint, wenn der Eigentümer des (angeblich) dienenden Guts den Besitz für sich in Anspruch nimmt oder die Benutzung eines Weges von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht wird (1 Ob 89/10k mwN). Anhaltspunkte, an der Redlichkeit der Besitzausübung zu zweifeln, haben die Vorinstanzen verneint; das ist beim festgestellten Sachverhalt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung. Die Zweit‑ bis Achtkläger und deren Rechtsvorgänger nutzten den (damals noch ausschließlich auf der Liegenschaft des Erstklägers befindlichen) Weg seit Mitte der 50er‑Jahre als Zufahrt zu ihren Liegenschaften, was von den Rechtsvorgängern des Erstklägers seit mehr als 30 Jahren auch geduldet wurde. Zwar war auf dem Grundstück des Erstklägers eine Tafel angebracht, die naturgemäß für ihn und seine Rechtsvorgänger nicht galt. Unabhängig von der Tafel samt Aufschrift benützten die Anrainer diesen Weg ohne zu fragen unwidersprochen seit Mitte der 50er‑Jahre. Diese Tafel galt nach dem Verständnis der Rechtsvorgänger des Erstklägers und auch der Anrainer nicht für diese. Die offenkundige Dienstbarkeit des Geh‑ und Fahrrechts wurde von der Beklagten ab 1995 übernommen. Ob man den Erwerbstitel der Dienstbarkeit zu Gunsten der Liegenschaft des Erstklägers in einem konkludenten Vertrag anlässlich der einvernehmlichen Änderung des Grenzverlaufs im Jahr 1995 sieht (vgl RIS‑Justiz RS0114010) oder davon ausgeht, dass bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, (nach überwiegender Ansicht) eine Dienstbarkeit auch ohne spezifische Vereinbarung und Verbücherung entsteht (RIS‑Justiz RS0119170; RS0011618), spielt im Ergebnis keine Rolle.

Die Kläger können daher mit Servitutenklage nach § 523 ABGB von der Beklagten die Unterlassung der Beeinträchtigung ihrer Wegeservitut begehren.

6. Die Freiheitsersitzung erfolgt nur durch die Inanspruchnahme des Vorrechts durch den Eigentümer (Besitzer) der belasteten Liegenschaft in Verbindung mit einer manifesten Beeinträchtigung des Servitutsrechts. Die von einem Dritten ausgehende Beeinträchtigung kann die Verjährung nach § 1488 ABGB nicht in Gang setzen; als Dritter ist auch ein anderer Servitutsberechtigter anzusehen (RIS‑Justiz RS0034288). Wenn die Beklagte die Freiheitsersitzung bereits seit 1971 behauptet, ist sie darauf zu verweisen, dass sie damals noch nicht Eigentümerin eines Teils des Weges war und auch die Gäste ihrer Buschenschank, die Fahrzeuge abstellten, die Frist des § 1488 ABGB nicht auslösten. Bei Wegedienstbarkeiten genügt für den Beginn des Fristenlaufs, dass durch die Beeinträchtigung die ungehinderte Benützung des Weges auf gewöhnliche und allgemeine Art unmöglich wird (vgl RIS‑Justiz RS0037141 [T2]; RS0038722 [T8]). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass durch das Anbringen einer Bodenmarkierung auf dem Weg die ungehinderte Benützung des Weges nicht unmöglich war, sondern erst durch die spätere Errichtung von Absperrungen im Jahr 1998, worauf die Kläger vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1488 ABGB die Unterlassungsklage einbrachten, ist jedenfalls vertretbar.

7. Insgesamt zeigt die Revision der Beklagten keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Kläger haben auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

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