Spruch:
Dem Revisionsrekurs der klagenden Partei wird hinsichtlich des Begehrens, den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Behebung des erstinstanzlichen Beschlusses abzuändern, nicht Folge gegeben.
Hinsichtlich des Eventualbegehrens, dem Erstgericht die Aufhebung des bekämpften Beschlusses und die Überweisung der Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Wels als Handelsgericht aufzutragen, wird er zurückgewiesen.
Die Revisionsrekursbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die Klägerin wurde mit Vorstands- und Anstellungsvertrag vom 23. bzw 27. 9. 2010 mit Wirkung vom 1. 1. 2011 bis 31. 12. 2011 zum Mitglied des Vorstands der Beklagten und zur Vorstandsvorsitzenden bestellt.
Am 28. 11. 2011 brachte sie beim Landesgericht Wels eine Klage mit dem Vorbringen ein, vorzeitig das Vorstandsmandat zurückgelegt, nicht aber den Anstellungsvertrag beendet zu haben. Die Beklagte habe den Anstellungsvertrag in der Folge zu Unrecht mit sofortiger Wirkung aufgelöst, weshalb ihr die eingeklagten - auf Leistung und Feststellung gerichteten - Beendigungsansprüche zustünden. Als Vorstandsmitglied komme ihr keine Eigenschaft als Arbeitnehmerin oder arbeitnehmerähnliche Person zu. Die sachliche Zuständigkeit des Landesgerichts Wels gründe sich auf § 51 Abs 1 Z 6 JN (Handelsgerichtsbarkeit für Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern der Verwaltung der Handelsgesellschaft und der Gesellschaft).
Mit Beschluss vom 2. 12. 2011, 3 Cg 142/11h-2, stellte das Landesgericht Wels fest, dass das Verfahren in der Gerichtsbesetzung der §§ 10, 11 ASGG zu führen sei und stellte der Klägerin die Einbringung eines Überweisungsantrags an ein anderes in § 4 Abs 1 ASGG genanntes Gericht frei. Mangels Antragstellung werde die Abtretung an den zuständigen arbeitsgerichtlichen Senat des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht erfolgen.
Über Antrag der Klägerin überwies das Landesgericht Wels die Rechtssache an das Arbeits- und Sozialgericht Wien.
Mit Beschluss vom 29. 12. 2011 beraumte das Erstgericht eine vorbereitende Tagsatzung an und verfügte die Zustellung der Klage, des Überweisungsantrags und des Überweisungsbeschlusses an die Beklagte mit dem Beisatz, dass die Beklagte bisher dem Verfahren nicht beigezogen gewesen sei und ihr daher die Einrede der fehlenden sachlichen Zuständigkeit des Erstgerichts noch offen stehe. Beiden Parteien wurde aufgetragen, spätestens in der vorbereitenden Tagsatzung sämtliches Vorbringen zu erstatten.
Die Beklagte brachte noch vor der Tagsatzung einen vorbereitenden Schriftsatz ein, in dem sie inhaltlich zum Klagebegehren Stellung nahm.
Zu Beginn der Tagsatzung am 8. 2. 2012 wandte sie erstmals die sachliche Unzuständigkeit des Erstgerichts ein und bestritt. Es liege kein arbeitnehmerähnliches Verhältnis vor.
Die Klägerin erachtete den Einwand als verspätet.
Das Verfahren wurde vom Erstgericht auf die Zuständigkeitsfrage eingeschränkt.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Klage mangels arbeitnehmerähnlicher Eigenschaft der Klägerin zurück.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin keine Folge. Die Überweisung der Rechtssache durch das Landesgericht Wels an das Erstgericht sei als Überweisung nach § 38 Abs 2 ASGG zu qualifizieren. Zur örtlichen Zuständigkeit habe der Oberste Gerichtshof zu 10 ObS 14/01h bereits ausgesprochen, dass bei einer vor Anhörung der Beklagten erfolgten Überweisung nach § 38 Abs 2 ASGG die Beklagte weiterhin berechtigt sei, die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit zu erheben, und zwar auch dahingehend, dass das zuerst angerufene Gericht zuständig sei. Die Einschränkung der Bindungswirkung des § 38 Abs 4 ASGG müsse auch für die sachliche Zuständigkeit gelten. Die Einrede sei auch nicht verspätet erfolgt: Nach den Bestimmungen über das bezirksgerichtliche Verfahren, die im arbeitsgerichtlichen Verfahren zur Anwendung kämen, erfolge die Streiteinlassung erst mit dem Sachvorbringen in der mündlichen Verhandlung, nicht aber schon mit früheren nicht aufgetragenen Schriftsätzen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob auch eine bisher nicht in das Verfahren einbezogene beklagte Partei iSd § 38 Abs 4 ASGG an den Ausspruch des ursprünglich angerufenen Gerichts über die sachliche Zuständigkeit des Gerichts, an das die Rechtssache überwiesen worden sei, gebunden sei.
In ihrem dagegen gerichteten Revisionsrekurs beantragt die Beklagte, den erstinstanzlichen Beschluss ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Verfahrensfortsetzung aufzutragen; in eventu, dem Erstgericht die Überweisung der Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Wels als Handelsgericht aufzutragen.
Der Revisionsrekurs wurde der Beklagten am 19. 10. 2012 zugestellt. In ihrer am 15. 11. 2012 dagegen eingebrachten Revisionsrekursbeantwortung beantragt sie, den Revisionsrekurs abzuweisen; in eventu, den Beschluss des Erstgerichts aufzuheben und die Rechtssache an das Landesgericht Wels als Handelsgericht zu überweisen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Die Revisionsrekursbeantwortung ist verfristet.
1. Die Klägerin bestreitet nicht, dass der vorliegende Rechtsstreit keine Arbeitsrechtssache ist, meint aber, dass das Erstgericht aufgrund seiner Bindung an den - wenn auch unrichtigen - Überweisungsbeschluss des ursprünglich angerufenen Gerichts nicht mehr seine sachliche Unzuständigkeit aussprechen hätte dürfen. Die Beklagte habe den Überweisungsbeschluss in Rechtskraft erwachsen lassen. Die Einrede sei auch verspätet gewesen.
1.1. Zum Verspätungseinwand
Dazu teilt der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht des Rekursgerichts, sodass zunächst darauf verwiesen wird (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO). Gemäß § 59 Abs 1 Z 3 ASGG sind im arbeitsgerichtlichen Verfahren die für Bezirksgerichte geltenden Bestimmungen über die Unzuständigkeitseinrede (§ 441 ZPO) anzuwenden. Gemäß § 441 ZPO hat der Beklagte die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts vorzubringen, bevor er sich in die Verhandlung über die Hauptsache einlässt. Nach Einlassung des Beklagten zur Hauptsache kann die Unzuständigkeit des Gerichts nur unter den Voraussetzungen des § 240 ZPO berücksichtigt werden.
Die Klägerin verweist darauf, dass die örtliche oder sachliche Unzuständigkeit gemäß § 103 Abs 3 JN durch Sachvorbringen des Prozessgegners mit vorbereitendem Schriftsatz (§ 74 ZPO) geheilt werde. Dem steht aber die Rechtsprechung entgegen, wonach ein weder aufgetragener noch freigestellter Schriftsatz des Beklagten, auch wenn er bereits Sachvorbringen enthält, im bezirksgerichtlichen Verfahren keine Heilung der Unzuständigkeit bewirkt. Die Heilung erfolgt erst durch qualifizierte Sacheinlassung des Beklagten bei der ersten mündlichen Streitverhandlung (RIS-Justiz RS0117798; RS0041539; RS0109437; Kodek in Fasching ZPG III2 § 441 Rz 9 ff, 13 mit ausführlicher Begründung und Ausweitung selbst auf aufgetragene Schriftsätze; aA Mayr in Rechberger, ZPO³ § 104 Rz 18; Fucik in Rechberger, ZPO3 § 441 Rz 1). Die Beklagte hat die Unzuständigkeitseinrede daher rechtzeitig erhoben.
1.2. Zur Bindungswirkung des Überweisungsbeschlusses
Ist für eine Rechtsstreitigkeit anstelle des angerufenen Gerichts ein anderes Gericht als Arbeits- und Sozialgericht zuständig, so hat sie das angerufene Gericht, sofern seine Unzuständigkeit nicht geheilt ist, an das nicht offenbar unzuständige Gericht von Amts wegen zu überweisen (§ 38 Abs 2 ASGG idF BGBl I 2010/111). Daraus folgt, dass Arbeitsrechtssachen - bei welchem Gericht auch immer sie eingebracht werden - bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 2 wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit idR nicht zurückgewiesen werden dürfen, sondern, sofern die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht geheilt ist, von Amts wegen zu überweisen sind (9 ObA 85/05y). Auf den Überweisungsbeschluss nach § 38 Abs 2 ASGG ist § 261 Abs 6 ZPO einschließlich seines Rechtsmittelausschlusses sinngemäß anzuwenden (9 Ob 23/10p = RIS-Justiz RS0126263). Entgegen der Ansicht der Klägerin wäre es der Beklagten daher nicht freigestanden, den Überweisungsbeschluss mittels Rekurs zu bekämpfen.
Gemäß § 38 Abs 4 ASGG ist das Gericht, an das die Rechtsstreitigkeit überwiesen worden ist, an den rechtskräftigen Ausspruch über die sachliche Zuständigkeit gebunden; seine örtliche Unzuständigkeit darf es nicht mit der Begründung aussprechen, dass doch das überweisende Gericht zuständig ist. Das erfordert die Prüfung der Reichweite dieser Bindungswirkung für die Beklagte.
In der Entscheidung 10 ObS 14/01h wurde ausgeführt, dass im Falle einer Überweisung vor Anhörung der beklagten Partei diese weiterhin berechtigt ist, die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit zu erheben, und zwar auch dahingehend, dass das zuerst angerufene Gericht zuständig ist. Insoweit ist das Gericht, an das die Rechtssache überwiesen worden ist, nicht an den Beschluss des überweisenden Gerichts gebunden.
Richtig ist zwar, dass § 38 Abs 4 ASGG eine Differenzierung zwischen örtlicher und sachlicher Zuständigkeit vornimmt. Zu Recht hat sie das Rekursgericht aber nicht auf die Frage der Bindung an den Ausspruch des überweisenden Gerichts vor Einbeziehung des Prozessgegners bezogen, weil er sonst in diesem Punkt kein rechtliches Gehör fände. Dass auch dies der Absicht des Gesetzgebers zur jüngsten Novellierung des § 38 Abs 2 ASGG (BGBl I 2010/111) entsprochen hätte, ist den Erläuterungen, RV 981 BlgNR XXIV. GP S 50, nicht zu entnehmen.
Nichts anderes zeigt die insofern vergleichbare Wertung des § 230a ZPO, wonach das Gericht, an das die Klage überwiesen wurde, einen Mangel seiner (sachlichen oder örtlichen) Zuständigkeit zwar nicht mehr von Amts wegen (RIS-Justiz RS0039105), jedoch dann wahrnehmen kann, wenn der Beklagte rechtzeitig die Einrede der Unzuständigkeit erhebt. Anders als im Falle einer Überweisung nach § 261 Abs 6 ZPO, vor der die beklagte Partei Gelegenheit hatte, zur Frage der Zuständigkeit Stellung zu nehmen, kann bei einer Überweisung nach § 230a ZPO die Einrede der (dort: örtlichen) Unzuständigkeit auch darauf gestützt werden, das zuerst angerufene Gericht sei zuständig; das Gericht ist insoweit nicht an den Beschluss des überweisenden Gerichts gebunden (RIS-Justiz RS0039113; RS0039122; zuletzt 8 Ob 2/12w; ohne Differenzierung zwischen sachlicher und örtlicher Zuständigkeit auch Neumayr in ZellKomm II2 § 38 Rz 2).
Damit in Einklang steht auch, dass Unzuständigkeitsentscheidungen in limine litis von der Bindungswirkung des § 46 Abs 1 JN ausgenommen sind (Mayr in Rechberger, ZPO3 § 46 JN Rz 1 mwN; Ballon in Fasching, ZPG I2 § 46 JN Rz 8). Die Ausführung von Kuderna, ASGG2 § 38 Anm 13, dass der Beklagte bei dem Gericht, an das überwiesen worden ist, eine (neuerliche) Unzuständigkeitseinrede nicht auf Tatsachen stützen darf, aus denen sich die Zuständigkeit des überweisenden Gerichts ergibt, kann daher nur auf den Fall bezogen werden, dass der Beklagte am Zuständigkeitsstreit beteiligt war.
Die Klägerin wendet ein, dass § 38 Abs 4 ASGG obsolet wäre, wenn eine amtswegige Überweisung im Sinne der Waffengleichheit gegenüber beiden Streitteilen, sofern sie nicht gehört wurden, keine Bindungswirkung hätte. Inwieweit im Falle einer ohne Anhörung der klagenden Partei erfolgten amtswegigen Überweisung iSd § 38 Abs 2 ASGG auch ihr gegenüber zur Vermeidung einer Gehörverletzung eine Bindungswirkung abzulehnen wäre (vgl Neumayr aaO), ist hier jedoch nicht zu prüfen, zumal der Klägerin vom Landesgericht Wels Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Überweisung gegeben worden war und sie diese auch beantragt hatte. Ihre Schlussfolgerung ist aber auch nicht richtig, kommt doch § 38 Abs 4 ASGG jedenfalls die Bedeutung zu, dass das Gericht, an das die Rechtssache überwiesen wurde, den Zuständigkeitsmangel nicht mehr von sich aus wahrnehmen kann. Das entspricht auch der dargelegten Wertung des § 230a letzter Satz ZPO.
Die Bindung des Gerichts, an das die Rechtsstreitigkeit überwiesen wurde, an den Ausspruch des überweisenden Gerichts über die sachliche Zuständigkeit schließt daher die Unzuständigkeitseinrede des noch nicht in das Verfahren einbezogenen Prozessgegners nicht aus.
Damit ist das Rekursgericht insgesamt zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass das Erstgericht aufgrund der rechtzeitigen Unzuständigkeitseinrede der Beklagten nicht an den Überweisungsbeschluss des Landesgerichts Wels gebunden war.
1.3. Zum Eventualbegehren
Zur Zurückweisung des aus dem Spruch ersichtlichen Eventualantrags der Klägerin ist darauf hinzuweisen, dass der von ihr begehrte Auftrag des Obersten Gerichtshofs an das Erstgericht, die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Wels als Handelsgericht zu überweisen, einen - an das Erstgericht zu richtenden - Überweisungsantrag der Klägerin nicht ersetzen kann. Auf diese Möglichkeit hat das Erstgericht auch explizit hingewiesen (ON 8 S 3). Insoweit ist keine Entscheidungsbefugnis des Obersten Gerichtshofs gegeben.
2. Die Frist zur Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung beträgt mangels eines Ausnahmetatbestands iSd § 521 Abs 1 Satz 2 ZPO 14 Tage (§ 521a Abs 1 ZPO). Die Rechtsmittelgegenschrift der Beklagten ist daher als verfristet zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung über diesen Zwischenstreit gründet sich auf die §§ 40, 50, 52 ZPO.
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