OGH 7Ob119/04g

OGH7Ob119/04g26.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter R*****, vertreten durch Dr. Bertram Grass & Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei W*****, vertreten durch Dr. Clement Achammer und andere, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Feststellung (Streit- und Revisionsinteresse EUR 25.000,- -), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. März 2004, GZ 4 R 50/04s-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 15. Dezember 2003, GZ 7 Cg 103/03x-7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Gegenstand des Verfahrens bildet das Begehren auf Deckung aus einem zwischen den Streitteilen geschlossenen Haushaltsversicherungsvertrag, der auch eine Privathaftpflichtversicherung umfasst und dem die Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherung (ABH 1995) zugrundelagen, für einen Schadensfall am 31. 3. 2003. An diesem Tag befand sich der Kläger mit seinem Arbeitskollegen Udo L***** bei einem Betriebsausflug in einem Berggasthof. Nach einem abendlichen Rodeln war noch eine Rundfahrt mit einem Ski-Doo geplant. Es schneite und das Licht außerhalb des Gasthauses war diffus, der Terrassenbereich jedoch gut ausgeleuchtet. Alle waren in guter und ausgelassener Stimmung. Weder der Kläger noch Udo L***** waren alkoholisiert. Um das Ski-Doo, auf das man wartete, besser sehen zu können, stieg L***** auf das Geländer der Terrasse, und zwar auf die mittlere ca 70 cm hohe Sprosse des Geländers, welches er zwischen seinen Beinen hatte. In diesem Bereich befand sich außerhalb der Terrasse ein ca 1,5 bis 2 m langer und in etwa gleich breiter Schneehaufen weicher Konsistenz mit einer Höhe bis zur Terrassenbodenkante. An seinem Ende war der Schnee hart und festgefroren. Als Udo L***** mit dem Oberkörper quer zum Geländer auf diesem stand und zu seinen Arbeitskollegen auf die Terrasse sah, bemerkte er, dass der Kläger auf ihn zugelaufen kam. Er dachte sich gleich, dass dieser ihn in den neben ihm befindlichen Schneehaufen stoßen will und wollte vom Geländer herunterspringen. In diesem Augenblick gab ihm der Kläger einen eher leichten Stoß. L***** versuchte noch sich an der Kleidung des Klägers festzuhalten, was ihm nicht gelang; er fiel rücklings über das Geländer nach hinten und verletzte sich dabei schwer. Der Kläger hatte Udo L***** den Stoß nur aus Spaß gegeben, damit dieser im Schneehaufen neben der Terrasse landet. Er wusste, dass dieser Schnee weich ist, da er am Nachmittag mitgeholfen hatte, diesen von der Terrasse wegzuschaufeln. Der Kläger wollte seinen Arbeitskollegen weder erschrecken noch ihn verletzen. Er sah auch eine Verletzung durch diesen Stoß nicht als naheliegend an und war auch nicht gewillt, diese hinzunehmen. Der Kläger vertraute aus der ihm ungefährlich erscheinenden Situation darauf, dass Udo L***** körperlich unversehrt bleibt. Wäre der Genannte vom Geländer gerade in den Schneehaufen hinuntergefallen, so wäre ihm nichts passiert.

Nach Art 10 ABH 1995 erstreckt sich der Versicherungsschutz auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens mit Ausnahme der Gefahr einer innerbetrieblichen, beruflichen oder gewerbsmäßigen Tätigkeit.

Beide Vorinstanzen gaben dem auf Gewährung von Deckungsschutz gerichteten Feststellungsbegehren des Klägers Folge. Das Berufungsgericht sprach weiters aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000,-- übersteigt und die ordentliche Revision (zufolge Beachtung der einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes) nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Gemäß § 510 Abs 3 ZPO ist - in bloßer Klarstellung der ohnedies vom Berufungsgericht beachteten Rechtslage - den Ausführungen der Rechtsmittelwerberin folgendes zu erwidern:

Zum versicherungsrechtlichen Begriff der "Gefahren des täglichen Lebens" - dieser allein ist noch Gegenstand der in der Revision als Rechtsmittelgrund relevierten unrichtigen rechtlichen Beurteilung - liegt eine lange Kette oberstgerichtlicher Entscheidungen vor (RIS-Justiz RS0081099 mit 22 weiteren Nachweisen). Es entspricht dieser ständigen und einhelligen Judikatur, dass die Gefahr, haftpflichtig zu werden, im Leben eines Durchschnittsmenschen nach wie vor eine Ausnahme darstellt und deshalb die Privathaftpflichtversicherung prinzipiell Deckung auch für außergewöhnliche Situationen bilden will, in die auch ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann; freilich sind damit nicht alle ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeiten mitabgedeckt (RIS-Justiz RS0081276). Für das Vorliegen einer "Gefahr des täglichen Lebens" ist hiebei nicht erforderlich, dass solche Gefahren geradezu täglich auftreten; vielmehr genügt es, wenn die Gefahr erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine geradezu ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit oder Sorglosigkeit eines Verhaltens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nehmen. Voraussetzung für einen aus einer Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall ist nämlich immer eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers (RIS-Justiz RS0081070). Plant hingegen ein Versicherungsnehmer von vornherein die Schadenszufügung, so handelt es sich nicht um einen "Ausrutscher" eines Durchschnittsmenschen, sondern um einen gefährlichen Bosheitsakt, und zwar auch dann, wenn der beabsichtigte Erfolg letztlich weit über seine Erwartungen hinausgeht; (nur) solche Schadenszufügungen sind vom versicherten Risiko nicht umfasst (RIS-Justiz RS0081051).

Mit diesen Grundsätzen steht die angefochtene Entscheidung in Einklang. Von den hiezu - wie ausgeführt zahlreich - ergangenen Entscheidungen des erkennenden Senates ist am ehesten jene zu 7 Ob 26/95 mit dem hier zu beurteilenden vergleichbar: Dort hatte der klägerische Versicherungsnehmer einen guten Bekannten dadurch am Rücken schwer verletzt, dass er (bei einer Ballveranstaltung) dessen Stuhl im Spaß verrückt bzw weggezogen hatte, sodass dieser beim Niedersetzen zu Boden stürzte. Der erkennende Senat führte in seiner (auch dort den Versicherungsschutz bejahenden) Entscheidung folgendes wörtlich aus:

"Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff der 'Gefahren des täglichen Lebens' nach der allgemeinen Bedeutung der Worte dahin zu verstehen, dass der Versicherungsschutz für die Haftpflicht des Versicherungsnehmers jene Gefahren umfasst, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss. Es darf sich dabei aber nicht um eine geradezu ungewöhnliche Gefahr handeln. Rechtswidrigkeiten oder Sorglosigkeiten eines Verhaltens nehmen den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens, weil für die von der Haftpflichtversicherung erfassten Risken geradezu typisch ist, dass ihnen eine leichte oder sogar grobe Fahrlässigkeit zugrundeliegt. Voraussetzung für einen aus einer Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall ist daher immer eine Fehlleistung oder schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers. Ausgeschlossen sind jedoch aus Vorsatz oder mit dolus eventualis verursachte Schäden. Auch ein vernünftiger Durchschnittsmensch kann aus Unvorsichtigkeit eine außergewöhnliche Gefahrensituation schaffen oder sich in einer solchen völlig falsch verhalten oder sich zu einer gefährlichen Tätigkeit, aus der die entsprechenden Folgen erwachsen, hinreißen lassen. Derartigen Fällen liegt eine falsche Einschätzung der jeweiligen Sachlage zugrunde, nicht aber ein von vornherein geplanter Bosheitsakt, für den es außer der Lust am Zerstören oder am Verletzen keine Motivation gibt. Wenn der Versicherungsnehmer die Schadenszufügung von vornherein plant, handelt es sich nicht mehr um einen 'Ausrutscher eines Durchschnittsmenschen', sondern um einen mehr oder weniger gefährlichen Bosheitsakt, und zwar auch dann, wenn der eingetretene Erfolg weit über seine Erwartungen hinausgeht. Nur solche Schadenszufügungen sind nicht vom versicherten Risiko erfasst." Es wäre daher Sache der beklagten Versicherung gewesen, die dem Schadens- bzw Versicherungsfall zugrundeliegende Boshaftigkeit des Klägers unter Beweis zu stellen, um leistungsfrei zu sein.

Da das Wegziehen des Stuhles "ohne Bosheitsinhalt" vorgenommen worden war, bejahte der Oberste Gerichtshof auch die Deckungspflicht des dort beklagten Versicherers (anders etwa 7 Ob 12/92 beim "bewussten und gewollten Schaffen einer Gefahr" [wovon hier jedoch nach den maßgeblichen und eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichtes, welche das Berufungsgericht als unbedenklich übernommen hat, nicht ausgegangen werden kann], sowie 7 Ob 28/91 bei "nicht zu tolerierendem Mutwillensakt" [Entzünden eines leicht brennbaren Kleidungsstückes eines Betrunkenen]; in diesem Sinne auch 7 Ob 26/91). Die von der Revisionswerberin in diesem Zusammenhang für ihren Rechtsstandpunkt reklamierte Entscheidung 7 Ob 113/99e (richtig wohl: 7 Ob 113/99i) betraf die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision ohne Begründung; der hiezu von der beklagten Partei wiedergegebene Sachverhalt der zugrundeliegenden zweitinstanzlichen Entscheidung ist schon deshalb nicht von einem "ähnlichen Sachverhalt" geprägt, weil auch dort vom klägerischen Versicherungsnehmer das Faschingskostüm einer anderen Person mit einem Feuerzeug in Brand gesetzt und dieser schwer verletzt worden war (vgl nochmals 7 Ob 28/91).

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der beklagten Partei nach den aus dem Spruch zitierten Gesetzesstellen als unzulässig zurückzuweisen.

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