OGH 7Ob12/92

OGH7Ob12/9225.6.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien

1. Josef L*****, 2. Katharina L*****, vertreten durch Dr.Josef Spiegel, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei D*****-AG, ***** vertreten durch Dr.Hubert Fitz, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert S 55.826,88), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 11.März 1992, GZ 4 R 60/92-11, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 11.März 1992, GZ 10 Cg 210/91-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit S 14.424,14 (darin enthalten S 1.389,02 Umsatzsteuer und S 6.000 Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Streitteilen besteht zur Polizze Nr.83/063.001 eine Eigenheim-Bündelversicherung, die auch eine Haushaltsversicherung umfaßt, welche wiederum eine Haftpflichtversicherung auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhaltes enthält; diese Versicherung erstreckt sich auch auf die gleichartige Haftpflicht ua der mit dem Versicherungsnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebenden minderjährigen Kinder (Art 16 Abs 2 lit a ABH 1973) aus den Gefahren des täglichen Lebens mit Ausnahme der Gefahr eines Betriebes, Berufes oder einer gefährlichen Beschäftigung (Art 16 Abs 1 lit a ABH 1973).

Am Abend des 1.2.1989 befand sich der damals 14 1/2 Jahre alte Sohn der Kläger Mario L***** in Gesellschaft dreier Freunde. Nachdem sie Alkohol konsumiert hatten, begaben sie sich zum Jugendheim "Hirschbergerblick" um eine dort untergebrachte Schweizer Jugendgruppe zu provozieren, Kracher zu zünden und die Gruppe damit in ihrer Nachtruhe zu stören. Da sie mit einer Verfolgung rechneten, legten Mario L***** und Günter M***** eine Zaunlatte quer über die Zufahrtsstraße zu dem Jugendheim. Als Auflager dienten die beiderseits der Zufahrt vorhandenen Schneeanhäufungen, sodaß die Latte vom (aperen) Straßenbelag einen Abstand von ca 40 cm hatte. Diese Stelle war nur spärlich ausgeleuchtet. Mario L***** und Günter M***** rechneten damit, daß ein Verfolger die Zaunlatte nicht sieht und darüber stürzt. Daß ein solcher Sturz zu einer schweren Verletzung führen könnte, bedachten sie aber nicht. Mario L***** hielt es jedoch für möglich, daß sich eine daran stoßende Person blaue Flecken holen werde. Nachdem sie das Hindernis angebracht hatten, zündeten Mario L***** und sein Freund unmittelbar vor dem Jugendheim einige Kracher. Der Leiter der Jugendgruppe Jacques Michel C***** rannte aus dem Haus, um die Täter zu verfolgen, übersah das Hindernis, stolperte, stürzte auf den Asphaltbelag und zog sich dabei schwere Verletzungen zu.

Die Kläger zahlten bisher dem Verletzten an Prozeßkosten S 4.826,88. Sie begehren von der Beklagten die Erstattung dieses Betrages sowie die Feststellung deren Deckungspflicht aus dem Vorfall vom 1.2.1989. Die Beklagte habe die Deckung mit der unzutreffenden Begründung abgelehnt, daß die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt worden sei. Der Vorfall vom 1.2.1989 sei auch als Gefahr des täglichen Lebens und damit als versichertes Risiko zu beurteilen. Er trage den Charakter eines Jugendstreiches, der immer wieder vorkommen könne.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Der Sohn der Kläger habe die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt. Seine Handlungsweise sei auch nicht als - versicherte - Gefahr des täglichen Lebens zu beurteilen. Es lägen daher die Ausschlüsse gemäß Art 16 Abs 1 lit a, Art 19 Abs 7 Z 1 ABH 1973 vor. Außerdem sei die Forderung verjährt.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Mario L***** habe eine ungewöhnliche Gefahrenlage geschaffen, die über einen bloßen Jugendstreich hinausgehe und deshalb nicht zu den Gefahren des täglichen Lebens gehöre. Außerdem habe er den Schaden in Erwägung gezogen und billigend in Kauf genommen. Unter diesen Umständen bestehe kein Versicherungsschutz aus der in die Haushaltsversicherung eingeschlossenen Haftversicherung.

Das Berufungsgericht gab der Klage statt und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Für den Ausschluß der Haftung nach Art 19 Abs 7 Z 1 ABH 1973, welcher dem § 152 VersVG nachgebildet sei, genüge nicht bloß eine vorsätzliche Handlungsweise; der Vorsatz müsse vielmehr auch die Schadenszufügung umfassen, wobei dolus eventualis genüge. Mario L***** habe zwar mit einem Sturz des Verfolgers gerechnet, nicht jedoch damit, daß ein solcher auch zu einer Verletzung führen würde. Vorsätzliche Schadenszufügung liege somit nicht vor. Der Vorfall vom 1.2.1989 gehöre aber auch zu den gemäß Art 16 Abs 1 lit a ABH 1973 versicherten Gefahren des täglichen Lebens. Mario L***** habe die Gefahr zwar geplant und hätte sie voraussehen können, doch müsse sein jugendliches Alter von damals 14 1/2 Jahren und der Umstand berücksichtigt werden, daß er durch ältere Jugendliche angestiftet worden sei. Daher liege ein "Jugendstreich" vor, dessen Motivation keineswegs nur in der Lust am Zerstören oder Verletzen gelegen sei.

Die dagegen von der Beklagten erhobene außerordentliche Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht im Ergebnis von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes über die Beurteilung von "Bosheitsakten" als Gefahren des täglichen Lebens im Sinne des Art 16 Abs 1 ABH 1973 abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin liegt keine vorsätzliche Schadenszufügung vor. Nach ständiger Rechtsprechung (VersR 1977, 753; VersR 1978, 532; VersR 1983, 302; VersR 1984, 1197; ZVR 1981/241; VersRdSch 1988, 99) verlangen § 152 VersVG und die dem Gesetz nachgebildete Bestimmung des Art 19 Abs 7 Z 1 ABH 1973 nicht bloß vorsätzliche Handlungsweise sondern vorsätzliche Schadenszufügung; das Wissen und Wollen des Täters muß sich daher auf die Schadensfolgen erstrecken. Hier steht aber ausdrücklich fest, daß der mitversicherte Täter nicht mit einer Verletzung des Verfolgers gerechnet hat. Im Recht ist die Revision jedoch damit, daß ein nicht versicherter "Bosheitsakt" vorliegt:

Nach Art 16 Abs 1 lit a ABH 1973 erstreckt sich die Versicherung auf die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers (und gemäß Abs 2 dieses Artikels auch auf die gesetzliche Haftpflicht bestimmter mitversicherter Personen, zu denen Mario L***** gehört) aus den Gefahren des täglichen Lebens mit Ausnahme der Gefahr eines Betriebes, Berufes oder einer gefährlichen Beschäftigung. Wie der Oberste Gerichtshof zu dieser und zur inhaltsgleichen Bestimmung in Art 17 Abs 1 lit a ABH 1984 bereits mehrmals ausgesprochen hat (zuletzt etwa VersRdSch 1992, 30 und 123 jeweils mwN), ist zwar durchaus davon auszugehen, daß die Gefahr, haftpflichtig zu werden, im Leben eines Durchschnittsmenschen nach wie vor eine Ausnahme ist und deshalb die Haftpflichtversicherung prinzipiell Deckung auch für außergewöhnliche Situationen bieten will, in die auch ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann. Entgegen Jabornegg (VersR 1989, 209 ff) ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes der Begriff der "Gefahren des täglichen Lebens" nach der allgemeinen Bedeutung der Worte aber dahin auszulegen, daß der Versicherungsschutz für die Haftpflicht des Versicherungsnehmers jene Gefahren umfaßt, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muß. Es darf sich daher nicht um eine ungewöhnliche Gefahr handeln; keineswegs müssen aber solche Gefahren aber geradezu täglich auftreten. Es genügt daher, wenn die "Gefahr" erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf theoretisch häufig, praktisch aber selten eintritt. Die bloße Rechtswidrigkeit eines Verhaltens nimmt den aus ihm entspringenden Gefahren nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens. Liegt jedoch einem Verhalten nicht bloß eine Fehleinschätzung der Lage zugrunde, sondern plant der Versicherungsnehmer - wie im Rahmen eines Bosheitsaktes, für den es außer der Lust am Zerstören oder am Verletzen keine Motivation gibt - die Schadenszufügung oder die Gefahrensituation von vornhinein, so sind damit ungleich höhere, im Leben eines Durchschnittsmenschen regelmäßig gar nicht vorkommende Gefahren verbunden als im Fall bloßer Fehleinschätzungen. Das bewußte und gewollte Schaffen einer Gefahr, ohne daß hiefür die geringste Notwendigkeit besteht, ist daher nicht unter die Gefahren des täglichen Lebens zu subsumieren. Die Gefährlichkeit und die möglichen Folgen solchen Handelns müssen jedem Erwachsenen bewußt sein. Nur bei der Beurteilung derart geplanter Tätigkeiten von Kindern wird in der Rechtsprechung großzügiger vorgegangen, weil diese noch nicht in der Lage sind, das Unrechtmäßige ihrer Handlungen zu erkennen, und es auch nie gelingen wird, Kinder so zu beaufsichtigen, daß Unfughandlungen ausgeschlossen werden können.

Im vorliegenden Fall haben Mario L***** und Günther M***** zwar zunächst nur geplant, die in einem Jugendheim untergebrachte Jugendgruppe durch Lärmen in ihrer Nachtruhe zu stören, was für sich allein noch keine Gefahren herbeigeführt hätte. Um jedoch einen Verfolger zu behindern, haben sie ein in der Dunkelheit nicht erkennbares Hindernis in Form einer quer über die Straße gelegten Zaunlatte aufgebaut, das durch seine Verankerung in den links und rechts der Straße befindlichen Schneewellen einen Sturz des Verfolgers geradezu herbeiführen mußte. Diese Gefahrensituation wurde demnach vorsätzlich herbeigeführt, hatte keine Ursache in irgendeiner Fehleinschätzung sonstiger, nicht willkürlich herbeigeführter Gefahrensituationen und gehört schon deshalb nicht zu den Gefahren des täglichen Lebens im Sinne der angeführten Rechtsprechung.

Das Berufungsgericht hat zwar diese Grundsätze erkannt und lediglich aus dem Alter des Mitversicherten zum Zeitpunkt der Tat und der erfolgten Anleitung durch ältere Jugendliche geschlossen, daß ein Jugendstreich vorliege, dessen Motivation keineswegs nur in der Lust auf Zerstören oder Verletzen gelegen sei. Nun darf aber nicht übersehen werden, daß schon die Art des Hindernisses den Sturz eines Verfolgers geradezu zwangsläufig zur Folge hatte; dem Mitversicherten war auch durchaus bewußt, daß Verletzungen des Verfolgers nicht ausgeschlossen sind. Unter diesen Umständen liegt aber auch unter Bedachtnahme auf das jugendliche Alter des Mitversicherten die bewußte Schaffung einer solchen Gefahrenquelle vor, die die Annahme einer Gefahr des täglichen Lebens ausschließt.

Daher war der Revision Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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