OGH 7Ob26/95

OGH7Ob26/9531.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ernst D*****, vertreten durch Dr.Günther Maleczek und Dr.Paula Stecher, Rechtsanwälte in Schwaz, wider die beklagte Partei T*****versicherung*****, vertreten durch Dr.Peter Sparrer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 59.053,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 25.Jänner 1995, GZ 2 R 592/94-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 9.September 1994, GZ 26 C 853/94g-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil des Berufungsgerichtes aufgehoben und diesem aufgetragen, nach allfälliger Verfahrensergänzung eine neue Entscheidung zu fällen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Der Kläger traf am 23.1.1993 bei einer Ballveranstaltung den ihm persönlich gut bekannten Andreas L*****. Dieser stand von seinem Stuhl auf, um mit dem Kläger zu sprechen. Als sich L***** wieder setzen wollte, befand sich der Stuhl nicht mehr an seiner ursprünglichen Stelle, da der Kläger ihn verrückt hatte. Andreas L***** stürzte und verletzte sich am Rücken schwer. Der Kläger wurde zu U 55/93 des Bezirksgerichtes Sch***** wegen § 88 Abs.1 StGB (fahrlässige Körperverletzung) rechtskräftig verurteilt. Der Kläger mußte L***** die Privatbeteiligungskosten für das Strafverfahren, ein Schmerzengeld von S 25.000,--, die Kosten für das Schmerzengeldverfahren, weiters die Kosten der T***** Gebietskrankenkassa zahlen, weiters liefen ihm eigene Kosten in einem von L***** gegen ihn angestrengten Schmerzengeldverfahren auf, welche insgesamt den Klagsbetrag ausmachen.

Der Kläger ist im Rahmen einer Haushaltsversicherung bei der beklagten Partei auch haftpflichtversichert. Gemäß Art.10 der Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherung umfaßt diese Haftpflichtversicherung auch einen Versicherungsschutz gegen Gefahren des täglichen Lebens.

Der Kläger begehrt von der beklagten Versicherung die Bezahlung von S 59.053,-- im Hinblick darauf, daß er diesen Betrag an die Geschädigten bereits ausbezahlt habe.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, daß das Wegziehen des Stuhles durch den Kläger bewußt und vorsätzlich geschehen sei. Eine solche Handlung falle nicht mehr unter die Gefahren des täglichen Lebens und sei daher nicht durch die Haftpflichtversicherung gedeckt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es folgerte rechtlich, daß "das Wegziehen des Stuhles" und die daraus erfolgende Verletzung L***** unter die Gefahren des täglichen Lebens zu subsumieren sei, da dies auch einem rechtstreuen Menschen ohneweiteres unterkommen könne. Nur eine Gefahrensituation, die bewußt herbeigeführt werde, falle nicht unter den Begriff der Gefahren des täglichen Lebens. Die bloße Rechtswidrigkeit eines Verhaltens nehme der aus ihr entspringenden Gefahr nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens. Im vorliegenden Fall liege also bloß eine Fehleinschätzung der Lage und der Folgen des Handelns durch den Kläger, nicht aber vorsätzliches Handeln vor. Der Kläger habe die Verletzung L***** nicht gewollt und auch nicht mit einiger Wahrscheinlichkeit erwartet bzw in Kauf genommen.

Das Berufungsgericht gab mit der angefochtenen Entscheidung der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab. Es erklärte die Revision für unzulässig. Es erachtete die Behandlung der Beweisrüge aus rechtlichen Erwägungen für entbehrlich und folgerte, daß das bewußte und gewollte Schaffen einer Gefahr, ohne daß hiefür die geringste Notwendigkeit bestehe, also ein sogenannter "Bosheitsakt", nicht unter die Gefahren des täglichen Lebens falle, weil die Gefährlichkeit und die möglichen Folgen eines solchen Handelns jedem Erwachsenen bewußt sein müsse. Nach der wörtlichen Feststellung des Erstgerichtes habe sich der Stuhl, auf den sich L***** gerade setzen wollte, nicht mehr an seiner ursprünglichen Stelle befunden, weil ihn der Kläger "verrückt" hatte. Den dagegen vorgebrachten Einwendungen der Berufungswerberin sei insofern beizupflichten, als diese Feststellung bezüglich des "Unrechtsgehaltes" der klägerischen Vorgangsweise auslegungsbedürftig sei, doch sei das Erstgericht unzweifelhaft davon ausgegangen, daß der Kläger dem sich setzenden L***** den Stuhl "weggezogen" habe, wie sich dies sowohl aus der Beweisbegründung als auch der rechtlichen Beurteilung (arg.: "das Wegziehen des Stuhles...") ergebe. Die Gefährlichkeit und die möglichen aus einer solchen Handlung sich ergebenden Folgen hätten dem Kläger voll bewußt sein müssen.

Die gegen diese Entscheidung vom Kläger erhobene Revision ist berechtigt.

Das Leistungsbegehren ist für das vorliegende Deckungsbegehren zulässig (vgl. 7 Ob 12/93).

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen leiten ihre Rechtsansicht aus den Entscheidungen 7

Ob 28/91 (= VR 1992, 123 = VersR 1992, 1497) sowie 7 Ob 26/91 (= VR

1992, 30 = VersR 1993, 211) ab. Die Erwägungen dieser Entscheidung

haben tatsächlich auch für den vorliegenden Fall Platz zu greifen. Das "Verrücken" oder "Wegziehen" eines Sessels kann sowohl auf eine Ungeschicklichkeit, als auch auf einen Bosheitsakt in Form einer Hänselei, bei der ein Schaden des Gehänselten durchaus in Kauf genommen wird, zurückgeführt werden. Das Erstgericht ging davon aus, daß das "Verrücken" oder "Wegziehen" des Stuhls durch den Kläger ohne den letztgenannten Bosheitsinhalt vorgenommen worden ist. Seiner Ansicht nach lag bloß eine Fehleinschätzung der Lage und der Folgen des Handelns durch den Kläger vor. Die beklagte Versicherung hat dies in ihrer Berufung in der Form bemängelt, daß sie die Feststellung begehrt, der Kläger habe den Stuhl L***** absichtlich weggezogen, als dieser gerade im Begriff war, sich niederzusetzen (vgl AS 46 f). Das Berufungsgericht inkludierte diesen Bosheitsakt allein aus den Worten "Wegziehen des Sessels", obwohl das Erstgericht sowohl in seiner Beweiswürdigung als auch in seiner rechtlichen Beurteilung zum gegenteiligen Ergebnis kam und daher auch der Klage stattgab. Tasächlich liegen aber keine ausreichenden Feststellungen für einen derartigen Bosheitsakt des Klägers vor.

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff der "Gefahren des täglichen Lebens" nach der allgemeinen Bedeutung der Worte dahin zu verstehen, daß der Versicherungsschutz für die Haftpflicht des Versicherungsnehmers jene Gefahren umfaßt, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muß. Es darf sich dabei aber nicht um eine geradezu ungewöhnliche Gefahr handeln. Rechtswidrigkeiten oder Sorglosigkeiten eines Verhaltens nehmen den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens, weil für die von der Haftpflichtversicherung erfaßten Risken geradezu typisch ist, daß ihnen eine leichte oder sogar grobe Fahrlässigkeit zugrundeliegt. Voraussetzung für einen aus einer Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall ist daher immer eine Fehlleistung oder schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers. Ausgeschlossen sind jedoch aus Vorsatz oder mit dolus eventualis verursachte Schäden (vgl. zuletzt 7 Ob 29/94). Auch ein vernünftiger Durchschnittsmensch kann aus Unvorsichtigkeit eine außergewöhnliche Gefahrensituation schaffen oder sich in einer solchen völlig falsch verhalten oder sich zu einer gefährlichen Tätigkeit, aus der die entsprechenden Folgen erwachsen, hinreißen lassen. Derartigen Fällen liegt eine falsche Einschätzung der jeweiligen Sachlage zugrunde, nicht aber ein von vornherein geplanter Bosheitsakt, für den es außer der Lust am Zerstören oder am Verletzen keine Motivation gibt. Wenn der Versicherungsnehmer die Schadenszufügung von vornherein plant, handelt es sich nicht mehr um einen "Ausrutscher eines Durchschnittsmenschen", sondern um einen mehr oder weniger gefährlichen Bosheitsakt, und zwar auch dann, wenn der eingetretene Erfolg weit über seine Erwartungen hinausgeht. Nur solche Schadenszufügungen sind nicht vom versicherten Risiko umfaßt (vgl die bereits zitierten Entscheidungen 7 Ob 26/91 und 7 Ob 28/91). Es war daher Sache der beklagten Partei, die dem Schadens- bzw Versicherungsfall zugrundeliegende Boshaftigkeit des Klägers unter Beweis zu stellen, um leistungsfrei zu sein.

Nach dem vorliegenden Feststellungsstand passierte dem Kläger ein "Ausrutscher, wie er jedem Durchschnittsmenschen unterlaufen kann", der unter das versicherte Risiko fiele. Die beklagte Partei hat diese Feststellung in ihrer Berufung gegen das erstgerichtliche Urteil unter dem Grund der unvollständigen bzw unrichtigen Tatsachenfeststellung gerügt, diese Rüge hat das Berufungsgericht in unzutreffender rechtlicher Interpretation des Wortes "Wegziehen" unbehandelt gelassen. Das Berufungsverfahren leidet daher unter einem Mangel, der eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht zuläßt. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Rechtssache zur Behandlung der Beweis- bzw Tatsachenrüge der beklagten Partei nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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